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zusammengestellt von der trend-redaktion

Wohin mit den Vergewaltigern?


s z e n e disco
Last Update 05.10.2000

Die Vergewaltigerdebatte des Jahres 1997  ist in der Interim online 425-440 nachlesen. 

Die Interim online ist bei Infopartisan.net wieder verfügbar.

Redaktionelle Anmerkung:

Die im nachstehenden Beitrag zum Definitions- und Sanktionsrecht  geäußerte Kritik an der Veröffentlichungspraxis des trend nehmen wir auf. 

Wir veröffentlichen sowohl erneut den "mola-text", der in unserem Archiv moderte, als auch weitere Texte aus der "Szene-Disco" in Sachen Antifa und Vergewaltigung. 

Eine erste Stellungnahme zur Kritik im "Erica"-Artikels liegt seitens der trend-Redaktion vor.

Die Debatte 99/2000 chronologisch sortiert
Definitions- und Sanktionsrecht 
in emanzipatorischer bzw. revolutionärer Politik:
 

Wohin mit Vergewaltigern?


Während in bürgerlichen Medien in jüngster Zeit diskutiert wurde, ob Vergewaltigungen oder zumindest vergewaltigungsähnliche Verhaltensweisen sozusagen "normaler" Bestandteil des männlich-menschlichen Fortpflanzungstriebes im Evolutionsprozess gewesen sei, probt die linke Szene seit einigen Jahrzehnten, spätestens seit dem berühmten Tomatenwurf Sigrid Rügers auf dem Frankfurter SDS-Kongress im Jahre 1968 ausgerechnet gegen den schwulen SDS-Theoretiker Hans-Jürgen Krahl, den Ausstieg aus dem Patriarchat.
Auf dem folgenden SDS-Kongress in Hannover wurde vom sich etablierenden "Weiberrat" ein Flugblatt verteilt, auf dem etliche abgehackte Schwänze als Trophäen zu bewundern und mit den Namen der damals "berühmten" Genossen versehen waren. Der moderne Feminismus betrat in Deutschland die gesellschaftliche Bühne. 

Die identitäts-feministische Botschaft ist bei einigen Genossen ("Die Nestbeschmutzer") der "Antifaschistischen Aktion Berlin" (AAB) angekommen. Sie sind aus dieser Organisation ausgetreten, weil diese "das Definitionsrecht der vergewaltigten Frau nicht anerkennt". Gemeint ist, falls eine Frau der subjektiven Überzeugung ist, vergewaltigt worden zu sein, dann habe dies uneingeschränkt zu gelten. Der Delinquent sei aus "linken" Zusammenhängen auszuschließen, sekundiert ein "Antifaschistisches Plenum Cyriaksring" aus Braunschweig, und der AAB gehöre nicht in die  "Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation" (AA/AO).  Nachzulesen sind diese Statements in der interim Nr. 495 vom 9.3.2000 sowie nun auch im TREND. Warum sie trotz ihrer unzureichenden Konkretion und theoretischer Reflexion ins Internet gehören, wird leider nicht mitgeteilt.  

Erinnert sei hier an die Mola-Diskussion vom Herbst 1997, als die interim eine ähnliche, wenn damals auch konkretere Geschichte veröffentlichte. Eine junge Frau fühlte sich vergewaltigt, weil ihr Freund nachts einen Steifen bekam und diesen an ihr rieb. Nachdem er sie gefragt hatte, ob sie zum Akt bereit sei und sie dies verneinte, ließ er von ihr ab. Dennoch "outete" sie ihren Freund in der nächsten interim als Vergewaltiger. Dies erntete verständlicherweise Widerspruch. Mili-Tante Spinne schickte einen Text auf bekanntem Wege an die interim. Als die Redaktion diesen Artikel zunächst totschwieg und später erklärte, seine Lektüre ginge ihr "über die Hutschnur" und könne auf gar keinen Fall der autonomen Öffentlichkeit zugemutet werden, also als gestrenge Zensorin auftrat, sprang TREND in die Bresche und stellte ihn verdienstvollerweise ins weltweite Netz. 

Leider ist dieser Text zur Zeit nicht im TREND-Archiv vorrätig. Zufall? Es scheinen sich die Fronten vertauscht zu haben. Heute zeigt die interim-Redaktion Skrupel, diese "antipatriarchalen" Texte ins Heft zu nehmen, während TREND sie kommentarlos übernimmt. In der Mola-Debatte war wenigstens der Sachverhalt unstrittig, nur seine Beurteilung war kontrovers. Im neuen Fall wissen wir überhaupt nicht, was wirklich vorgefallen ist. Nach Meinung des Braunschweiger Plenums und der Nestbeschmutzer ist dies auch nicht nötig. Die Frau hat gesprochen, also sei es. Die AABler argumentieren mit dem bürgerlichen Gesetzbuch, das "objektive Definitionen" anbiete, und sie führen "Veränderungs- und Reflexionsprozesse" an, die möglich und notwendig seien. Offensichtlich sind sie nicht bereit, auf ihr Mitglied zu verzichten.  

In Zeiten, in denen dem marxistisch-leninistischen Dogma gehuldigt wurde, stand angeblich ein "Hauptwiderspruch" an, nämlich der zwischen Lohnarbeit und Kapital, hinter dem die "Nebenwidersprüche" nur zweitrangig waren. Während der Haupwiderspruch als antagonistisch, also als nur revolutionär zu lösen angesehen wurde (eine Seite, das Kapital, hatte zu verschwinden), galten die Nebenwidersprüche nach Mao als Widersprüche "im Volke".  Zu diesen Nebenwidersprüchen gehörte natürlich u.a. die Geschlechterfrage. "Widersprüche im Volke" ließen sich nach dieser Lesart im Sozialismus friedlich bereinigen, im antikapitalistischen bzw. im antiimperialistischen Kampf hatten sie aber erst mal das Nachsehen, sie hatten hinter das Interesse des Proletariats nach sozialer Revolution zurückzustehen. Sigrid Rügers Tomatenwurf war der erste Hinweis auf die Fehlerhaftigkeit dieser Auffassung im Nachkriegsdeutschland. 

Mehr als 30 Jahre nach Sigrid Rügers mutiger Aktion können wir feststellen, der (von Sigrid nicht gewollte) Weg des modernen Feminismus in die Identitätspolitik ist an Grenzen gestoßen, die deutlich machen, dass jede Verabsolutierung von Widersprüchen, seien sie nun als haupt- oder nebensächlich definiert, kontraproduktiv und damit emanzipationshinderlich wird. Die Flucht der zumeist männlichen Genossen in die Romantik der sozialen Revolution, in die Gründung diverser Kaderparteien und Guerillaeinheiten, in die Reduktion der gesellschaftlichen Totalität auf eine imaginierte Bruchstelle des Systems einerseits und der Eskapismus der anderen in die vielen Sonderinteressen, in die Abstraktion von komplexen Zusammenhängen andererseits, hat den Niedergang der Linken massiv beschleunigt. Wer glaubt, die Komplexität gesellschaftlicher und individueller Zusammenhänge negieren oder ignorieren zu können, verfängt sich fast  zwangsläufig in Partikularinteressen, die allzu häufig sich gegenseitig im Wege stehen. So glaubt eben die AAB an den Vorrang des "antifaschistischen Kampfes" während die Antipatriarchalen an den Vorrang des "Kampfes gegen das Patriarchat" glauben. Beide haben verlernt, sich auf einander zu beziehen und sich als Teil eines Gesamtemanzipationsprozesses "des Menschen" zu verstehen.  

Beide Kontrahenten haben offenbar auch keine Theorie, die ihnen erlaubt, die heutige Gesellschaft richtig einzuschätzen, geschweige denn, mit ihr adäquat umzugehen. An zwei Punkten wird dies besonders deutlich. Die einen wollen bspw. nicht (ganz) hinter das "bürgerliche Strafrecht" zurückfallen, glauben aber dennoch, so etwas wie einen eigenen Gerichtshof betreiben zu können, die anderen machen sich über das "bürgerliche Strafrecht" nur lustig, sie verlagern das Strafrecht in die Person des Opfers und wollen den Täter für immer und ewig aus den eigenen Reihen verbannen, wobei außer Acht gelassen wird, dass es außerhalb der "linken" Gruppen auch Frauen gibt, die evtl. vor den Genossentätern geschützt werden müssten. Die antibürgerliche Attitüde wird also von beiden Gruppen gepflegt mit dem Ergebnis, der reinen Willkür das Wort zu reden und evtl. potentiell gefährliche Männer weder sozialisieren noch therapieren zu können.  

Erica für den "Sigrid-Rüger-Fan-Club" 

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