Mola-Diskussion
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Wohin mit den Vergewaltigern?

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Von INTERIM zensiert

Mola - die Morgenlatte

(Zur jüngsten Vergewaltigungsdebatte)

Der Geschlechterkampf in der autonomen Szene hat neue Höhen erklommen. Ging es bei den 68igern noch um Orgasmusschwierigkeiten, vögelten die Leute zu Zeiten des Häuserkampfes noch munter drauflos, geht es jetzt um die Geilheit schlechthin. Nicht das Fehlen dieses Triebes wird beklagt (Etwa so: Kapitalismus macht impotent), sondern seine Existenz. Ein Typ hat seine Morgenlatte an seiner noch schlafenden Freundin gerieben. Die Freundin wacht davon auf und wertet diese Aktion als Vergewaltigung, weil sie ihm keine Genehmigung für diesen sexuellen Annäherungsversuch gegeben hatte, bzw. geben konnte. Was macht Frau in solch einem Fall? Sie geht nicht zu den Bullen oder zu Hans Meiser, sie geht zur Interim und outet den Kerl (Nr. 430) und verlangt seinen "Ausschluß aus allen Zusammenhängen" der Tierrechtsszene.

Soweit die Vorgeschichte. Eigentlich hätte es damit sein Bewenden haben können. Das Publikum nimmt die gescheiterte Beziehungskiste zweier VeganerInnen mehr oder minder interessiert zur Kenntnis. Nicht so in diesem Fall. Eine junge Frau (Killing Wolf on the Nasty Bridge, 16 Jahre alt) findet in einem Folgebeitrag (Nr. 431) Verständnis für den Typ und fordert so andere Frauen heraus, sich einzuschalten und auf die junge Frau als auch auf den Typ erneut einzuschlagen (Nr. 433). Motto: Jede Frau hat das Recht, jede beliebige Aktion eines Mannes als Vergewaltigung zu definieren, wenn die von ihr subjektiv gesetzten Grenzen überschritten werden. (Beispiel während des Vorspiels: "Schatz, erlaubst Du mir, an Deinem Öhrchen zu knabbern?" Falls sie verneint oder nichts sagt und er dennoch mit seinen Lippen ihre Lauscher berührt, ist er ein Vergewaltiger. Dies gilt auch, wenn er vor der Aktion gar nichts sagt.) Begründung: Jeder Mann ist von Natur her ein sexueller Aggressor und muß daher von Frau in Schach gehalten werden. Dies fällt ihr allerdings schwer, da "die Sozialisation der Frau dazu dient, dem Mann in jeder Hinsicht gefügig zu sein" (Eine Frau, Interim Nr. 433, S. 16).

Es fällt schwer, sich vorzustellen, daß dieser Satz von irgendjemanden im Jahre 1997 in Berlin formuliert, geschweige denn ernstgenommen werden kann. Entweder wissen die Autorin und ihre Sympathisantinnen nicht wovon sie reden oder sie entstammen einer Welt, die nur sie kennen. Vielleicht verwechseln sie auch nur Europa mit dem Afghanistan der Taliban-Milizen. Wie dem auch sei, nimmt Frau (oder Mann) diesen Satz dennoch ernst, d.h. zur Grundlage der weiteren politischen Arbeit, ist diese schon gescheitert, bevor sie überhaupt begonnen hat. Aus einer Situation, die durch massiven Realitätsverlust gekennzeichnet ist, läßt sich keine wirksame Strategie und Taktik entwickeln. Die Geschichte, bzw. das Scheitern der vielen linken Sekten in Deutschland im Laufe der letzten Dezennien veranschaulicht diese Aussage in vielfältigsten Varianten. Auch der Feminismus unterliegt gleichen Gesetzmäßigkeiten.

Die Autorin des oben zitierten Satzes teilt uns leider nicht mit, was sie unter dem Begriff "Sozialisation" versteht, sie verschweigt uns auch, welche Mechanismen in der konkreten Situation der Bundesrepublik Deutschland so wirken sollen, daß als Endprodukt Frauen in die Gesellschaft treten, die "in jeder Hinsicht" dem Manne "gefügig" sein wollen. Vielleicht lohnt es sich ja, ihr zu erklären, wie Gesellschaft in Bezug auf Frauen heute funktioniert.

Die Sozialisation einer Person in dieser Gesellschaft, also die Entwicklung eines Menschen zum gesellschaftlichen Wesen, wird von vielen verschiedenen Faktoren beeinflußt, von familiären, ökonomischen, politischen, juristischen, schulischen, von Freundschaften, von Erlebnissen etc.. Der rechtliche Rahmen der BRD (Grundgesetz, andere Gesetze) anerkennt die Gleichheit der Geschlechter, die offiziellen Ziele der sog. Volksparteien sind auf Verhinderung bzw. auf Abbau von Diskriminierungen der Frauen gerichtet, in den Schulen wird die Emanzipation der Frauen zum Lernziel erhoben, in Tarifverträgen wird kein Unterschied zwischen den Geschlechtern gemacht. Ähnliches galt in der DDR. ( Die gesellschaftliche Realität entspricht freilich nicht in allen Fällen den hehren Prinzipien. Natürlich gibt es noch frauenfeindliche Politiker, sind Frauen in den Gremien unterrepräsentiert, in Tarifverträgen sind die Leichtlohngruppen in guter Erinnerung, usw. usf.)

Bleibt die sog. Keimzelle der Gesellschaft, die Familie. Sind die Familien als wichtiger Sozialisationsfaktor in der Lage, das, was sonst in der Öffentlichkeit praktiziert wird, auszuhebeln und andere, totalitär-patriarchalische Verhältnisse zu schaffen? Natürlich nicht, sie sind kaum noch in der Lage, sich selbst zu reproduzieren. Die Familie steckt anerkanntermaßen selbst in der Krise, Die Scheidungsrate steigt, die Erziehung der Kinder gelingt ihr immer schlechter. Die Familie hat nicht mal ein einheitliches Ziel in der Erziehung der Kinder. Zumeist gilt sogar der beklagenswerte Zustand, daß die Erziehung allein durch die Frauen zu leisten ist, da Männer dafür "keine Zeit" haben. Das Geheimnis, wie dennoch diese, unsere Gesellschaft Frauen sozialisiert, die nur "dem Manne gefügig" sein sollen, ist bei näherer Betrachtung der Umstände, in denen wir in diesem Jahrhundert leben, nicht zu lüften.

Heißt das nun, es gibt keine Frauen mehr, die im Manne ihren Lebenszweck erblicken oder zumindest erblicken sollen? Das kann selbstverständlich nicht ausgeschlossen werden. Sie dürften jedoch einer fernen Zeit oder fremden Kulturen entstammen, d.h. sie sind mindestens 80 Jahre alt oder kommen aus fundamentalistisch beeinflußten Gegenden wie Anatolien. (Insbesondere in letzterer Gruppe böte sich ein wichtiges Agitationsfeld im antipatriarchalen Kampf. )

Soll mit dieser Argumentation der autonome Grundkonsens in Frage gestellt werden, der den Kampf gegen das Patriarchat beinhaltet? Differenzierung ist angesagt. Während beispielsweise im Sudan ein totaltär-patriarchales Regime herrscht, wo unter anderem alle Frauen grundsätzlich beschnitten werden (Schamlippen, Klitoris), finden wir in der BRD nur noch Residuen der Männervorherrschaft (hier sind in der Regel nicht mal die Männer beschnitten), die nichtsdestotrotz Scheiße sind und bekämpft werden müssen. Schlimmer für das tägliche Leben von Mann und Frau in dieser Republik ist dagegen der zunehmende Sexismus, der eine Erscheinung des heutigen Kapitalismus ist und mit dem obsoleten Patriarchat nichts zu tun hat. Wer dies nicht glauben mag, sollte einen kleinen Abstecher nach Teheran, Kabul oder Khartum machen: Jede Menge Patriarchat, null Sexismus. (Die Zusammenhänge zwischen Patriarchat, Sexismus und Kapitalismus sind interessant, müssen aber hier nicht ausgebreitet werden).

Die "gefügige" Frau darf als abgehakt betrachtet werden, wie ist es aber mit der "aggressiven" Natur des Mannes? Ist der Penis wirklich eine "Waffe", ist die Möse eine "Wunde"? Im patriarchalen Kontext erscheint dies so. Aus patriarchalischen Kulturen sind jede Menge Darstellungen des Phallus als Machtinstrument bekannt. Aus Kulturen, die dem Patriarchat vorausgingen, sind leider nur wenige Kunstgegenstände erhalten geblieben. Auffällig ist bei ihnen jedoch die Darstellung der Vulva, die einen umfassenden, einen unentrinnbaren Eindruck beim Betrachten hinterläßt. Wenn es tatsächlich so etwas wie das Matriarchat gegeben hat, macht das auch Sinn: Der Penis war dann nur ein äußerliches, leicht verletzliches Ding, während alle Macht in der Möse lag, aus der immerhin die lieben Kleinen kamen. Hierin lag die Macht der Frau. Sie bestimmte, wo's lang ging, wer was zu arbeiten hatte, wem das Erbe zufallen würde etc..

Der Mann ist in der Beziehung zur Frau nicht von Natur aus "aggressiv", sondern nur im sozialen Kontext des Patriarchats. Wenn die heutige Gesellschaft nicht mehr durchgängig patriarchal ist, entfällt für viele Männer auch die raison d' tre aggressiv zu sein. Leider wird dieser Trend konterkariert durch den zunehmenden Sexismus, der Ausbeutung sexueller Triebe für verkaufsfördernde Maßnahmen, bzw. für die direkte Ausbeutung dieser Triebe mittels Pornografie etc.. Die Männer werden durch immer subtiler wirkende Mittel heiß gemacht und sie finden in der zunehmenden Vereinzelung immer weniger Möglichkeiten, ihre sexuellen Energien zu entladen. Psychische Störungen sind in einer solchen Umwelt vorprogrammiert und wir brauchen uns über zunehmende Gewalt in sexuellen Beziehungen, über vermehrte Vergewaltigungen, nicht mehr wundern.

Die Frage ist nun, war unser wackere Tierrechtsschützer "aggressiv", mußte er "in Schach gehalten" werden? Warum hatte er eine Morgenlatte? War er von sexistischer Werbung psychisch gestört? Sexualwissenschaftler können uns leider (noch) nicht erklären, warum Männer nachts oder gegen Morgen eine Mola erleben. Sie wissen aber, daß sie bei fast allen Männern vorkommt und daher als völlig normal zu betrachten ist. Die Mola als erigiertes Glied ist sehr empfindsam und bietet sich gern der geliebten Partnerin als Lustobjekt an. Offensichtlich hatte unser Tierrechtsschützer, nennen wir Ihn der Einfachheit halber Treulieb, genau dies im Sinn. Treulieb lag neben seiner Freundin, nennen wir sie nach ihrem selbst gewählten Kürzel einfach Ina, im Bett, vermutlich waren beide nackt, er legt seinen Arm um ihren Körper, sein Penis berührt ihren Oberschenkel, Ina erwacht und erschrickt, sie will nicht mit seinem "harten schleimigen Ding" spielen, die Mola sinkt in sich zusammen und Ina informiert uns qua Interim (siehe oben) über den Vorfall.

Gibt es Anzeichen für eine psychische Störung bei Treulieb? Weder Freud, Reich noch andere Altmeister der Psychoanalyse geben für diese Ansicht etwas her. Also: Fehlanzeige. Hat sich Treulieb aggressiv verhalten? Nein, denn er hat sofort von Ina abgelassen, als sie dies von ihm verlangte. Treulieb wußte auch, Ina würde von seinen Liebkosungen sofort aufwachen. Das wollte er auch (deshalb flüsterte er ihr ins Ohr), schlafende Frauen können nun mal mit Molas nichts anfangen. Andere Frauen mögen Molas, Ina nicht. Pech für Treulieb, falsche Frau, falsche Zeit. Die Menschen sind nun mal unterschiedlich. Ina will vorher gefragt werden, andere Frauen halten gerade das für eine Zumutung. Woher sollte der arme Treulieb das wissen? Vermutlich ist er einfach zu unerfahren im Umgang mit Frauen. Er hat es bislang nicht gelernt, zu differenzieren. Aber ihn deshalb der Vergewaltigung zeihen, zielt völlig daneben.

Was können wir Ina, was können wir Treulieb empfehlen, was sollten ihre jeweiligen UnterstützerInnen aus der Geschichte lernen? Sie sollten gemeinsam der Frage nachgehen, wie es kommt, daß es in der Geschlechterbeziehung heutzutage so viele Mißverständnisse gibt, sie sollten ihre Eltern, ihre Schulen, Kirchen etc. dafür verantwortlich machen, daß dies so ist, sie sollten der Frage nachgehen, warum sie nicht wissen, was ein patriarchales Verhältnis heute in Deutschland, in Ost oder West, bedeutet, warum sie nicht wissen, was Sozialisation in dieser Gesellschaft ist, wie es zu massiven Realitätsverlusten unter uns kommen kann. Der Tierrechtskampf mag ja seine Berechtigung haben. Solange aber die KämpferInnen sich selbst nicht kennen, kann ihr Kampf nur als Ausflucht vor sich selbst gewertet werden. Die Revolutionierung der Verhältnisse fängt häufig zunächst bei der Revolutionierung der eigenen Persönlichkeit an. Es gibt viel auf diesem Wege zu tun. Packen wir's an.

Mili-Tante Spinne

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