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1997

Rubrik
1.Mai
1.Mai Debatte

Aus Interim: 408

Mit Frosch und Qualle unterwegs im autonomen Dorfteich:

"Ich finde es genauso schlimm Stalinplakate zu kleben wie sie wieder abzureißen." (Ein echter Null-Satz)

Hiermit wollen wir die von uns im Wort zum Donnerstag der interim Nr. 405 losgetretene - Diskussion um Formen und Inhalte linksradikaler Politik in Berlin fortführen und auf die laut gewordene Kritik eingehen.

Vorab: Wir begreifen das Wort zum Donnerstag als eine Kolumne im allseits geschätzten Vereinsblatt der (Berliner) autonomen Scene. Dabei ist es einer Kolumne in ihrem Wesen als literarisches Genre zu eigen, durch Überspitzungen die angesprochenen Dinge klarer herauszuarbeiten. Daß demnach der Stil ein polemischer sein kann, liegt in dcr Natur der Sache schlechthin.

Dabei stößt uns auf, daß es scheinbar zu einer neuen (Un-)Kultur zählt

a) falsch zu zitieren und

b) sich bewußt Sachen herauszugreifen, die in ihrer Polemik dem Genre geschuldet sind, aber gleichzeitig den gesamten inhaltlichen Kontext links liegen zu lassen, weil es offensichtlich nur lästig erscheint, sich mit politischen Grundsätzlichkeiten abgeben zu müssen.

Ohne mit exzessivem Abarbeiten an einzelnen Kritikpapieren langweilen zu wollen, möchten wir zwei Anschuldigungen - symptomatisch für viele - von uns weisen:

- zum Vorwurf des Stalinismus/ Geschichtslosigkeit: wir haben niemals behauptet, daß ABB=Gulagaufseher seien, daß versucht Hans Dampfablasser zu suggerieren

-zum Vorwurf AAB-Leute schlügen Demo-Teilnehmerlnnen zusammen: wir haben niemals

behauptet, daß ein Mitglied der AAB auf besagter "LLL-Demo" dem Genossen aufs Maul gehauen hat (die Rede war von den Organisatoren der Demo und nicht DER Organisation im Sinne der AAB-Kritik...)

Zu dem, was wir eigentlich sagen wollten: Es macht keinen Spaß mehr, Diskussionen anzuschieben, weil sich ausschließlich am Stil der Papiere abgearbeitet, aber niemals konkret inhaltlich und sachbezogen argumentiert oder gestritten, sondern allenfalls mit kurzen Allgemeinplätzen ("nötige und sinnvolle Kritik an AAB-Politik") Stellung bezogen wird.

Es stimmt uns bedenklich, daß heute von einem nicht unerheblichen Teil sich als linksradikal definierender Menschen alles toleriert, wenn nicht sogar unreflektiert unterstützt wird, was irgendwie nach "Politik" riecht, getreu dem Motto: "Hauptsache es passiert überhaupt noch was". Warum "passiert denn immer weniger"? Fehler autonomer Politik haben Ursachen. Diese können benannt und reflektiert und in einem zweiten, ungleich schwierigeren Prozeß Perspektiven erarbeitet werden. In den Medien der radikalen Linken erschienen dazu in den letzten Jahren diverse Texte, die unseres Wissens nach jedoch kaum diskutiert und wenn sie diskutiert wurden, kaum praktisch-politische Konsequenzen hatten. Auch wir haben die Weisheit nicht mit Löffeln gefiessen. Doch scheint es uns symptomatisch, die eigenen Revolutionsträume bspw. auf die EZLN und den Trikont zu projizieren, anstatt dem eigenen sozialen Übel und dem ganzen Dreck hier vorort an die Wurzel zu gehen. Eine radikale Linke, die ihre eigene materielle Situation auszublenden versucht, anstatt einen kollektiven Umgang mit anderen zu finden, muß zwangsläufig eher zusammenschmelzen als daß sie an Attraktivität und Bedeutung gewinnt. Und von der "Politik im luftleeren Raum" auf den Boden der Tatsachen (Job, Kohle, Miete, kollektive Strukturen usw.) zu stoßen, geht doch ziemlich schnell.

Daß eigentlich Fatale einer solchen "bewegungshemmenden" Politik ist für uns, nun im Umkehrschluß alle "linken" Reste meinen zusammensammeln zu müssen. Die AAB will ein Bündnis mit allen irgendwie diffus "linksradikalen" Resten schmieden - dazu zählen dann auch Maoisten, Stalinisten und Kleinst-K-Gruppen - anstatt nach Impulsen zu suchen, wie aus dem eigenen Ghetto heraus wieder gesellschaftliche Relevanz zu erlangen ist. Dieser Pragmatismus sucht nur nach Form, aber nicht dem Inhalt und der Qualität von linksradikaler Politik.

Besonders krass erscheint uns in diesem Zusammenhang das Ansinnen, mit diesem Charakter eines 1. Mai-Bündnisses ausgerechnet eine "Kiez-Demo" durch Prenzlauer Berg unternehmen zu wollen. Und das möglichst unter Ausschluß der expilzit in diesem Stadtteil arbeitenden linksradikalen Gruppen. Würden sich nicht auch die GenossInnen im Wendland mehr als verscheißert vorkommen, wenn sie feststellen müßten, daß irgendeine Gruppe aus irgendeiner Stadt ohne irgendwelche Anfragen oder Absprachen mal eben ne Demo macht, für ein paar Stunden einfällt und dann wieder spurlos verschwunden ist?

Nicht minder krass erscheint uns, daß es von vielen GenossInnen aus Westberlin/der alten BRD einfach nicht wahrgenommen wird, daß es unterschiedliche Sozialisationen in Ost und West gibt. Wer im DDR-Alltag einschlägige Erfahrungen sammeln durfte und von stalinistischer Politik geprägt und sozialisiert wurde, der wird Grundpfeiler seines politischen Verständnisses nicht einfach so über Bord werfen. Genau diese Art von Politik wie um den l. Mai, die keine Rücksicht auf Befindlichkeiten, nämlich das politische Selbstverständnis, der "Ost-Scene" nimmt, von vornherein indiskutable Prämissen setzt und ihr Teil durchzuziehen und nicht genehme Kritik gar in die Counter-Ecke zu drängen versucht, weckt unangenehme .Erinnerungen an die Schattenseiten der DDR. Wir finden es erstaunlich, wie sich Teile der Scene in offensichtlicher Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung befinden, die eine " Ostsozialisation/Identität" negiert und sieben Jahre nach der Wende gemäß dem Motto "wir seien doch sowieso alles Deutsche" die Leute im Osten ihrer Geschichte berauben will.

Den Aufruf zur Zensur unseres vorausgegangenen Papiers möchten wir selbstredend unkommentiert lassen. . .

F.R.O.S.C.H. UND Q.U.A.L.L.E.