KOMMUNISTISCHE
STREITPUNKTE
- Zirkularblätter - Extra zum Krieg -
16.10.1999 - Onlineversion
Ansgar Knolle-Grothusen
Der Kommunismus und das Selbstbestimmungsrecht der VölkerWortbeitrag auf dem 1. bundesweiten Treffen Offener Kommunistischer Foren am 10.07.99 |
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Ich möchte kurze Bemerkungen machen zu der Frage:
Von welchem Standpunkt aus, mit welchen Kriterien, beziehen wir als Kommunisten Position. Hier am Beispiel des Kosovo-Konflikts In dem Text von Christian Zeller in der Materialsammlung für die heutige Konferenz heißt es: Warum ist die Linke in Deutschland nicht mehr in der Lage, dem zentralen Grundsatz zu folgen, "alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist" (Karl Marx MEW 1, S. 385), also gegen jede Unterdrückung und Ausbeutung anzukämpfen, wo immer und unter welchem Vorzeichen sie auch immer geschieht? Die deutsche Linke drückt sich konsequent um die Frage des Selbstbestimmungsrechts der kosovarischen Bevölkerung herum.Wenn sich hier einer auf Marx beruft, ist es angebracht, mal nachzusehen, in welchem Zusammenhang Marx diesen Halbsatz geschrieben hat. Ganz zitiert heißt der Satz: Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist, Verhältnisse, die man nicht besser schildern kann als durch den Ausruf eines Franzosen bei einer projektierten Hundesteuer: Arme Hunde! Man will euch wie Menschen behandeln!Dieses Zitat in Anspruch zu nehmen für die Neubildung eines Nationalstaates, stellt die Dinge auf den Kopf. Zeller fordert die Solidarität mit einem Kampf gegen ein besonderes Unterdrückungsverhältnis, bzw. dann verallgemeinert gegen jedes besondere Unterdrückungsverhältnis, während es Marx in der Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie gerade nicht um jedes besondere, sondern um die Aufhebung aller Unterdrückungsverhältnisse ging. Marx ging es in diesem Aufsatz gerade darum, die Möglichkeiten einer radikalen Revolution zu untersuchen, die nicht in den Halbheiten der bisherigen bürgerlichen Revolutionen - und wie man heute hinzusetzen kann, in den Halbheiten der bisherigen Arbeiterrevolutionen - steckenbleibt. Für diese Möglichkeit sieht er in der positiven Religionskritik der deutschen Philosophie eine theoretische Grundlage gelegt. Zwei Seiten nach der zitierten Stelle schreibt er: Nicht die radikale Revolution ist utopischer Traum für Deutschland, nicht die allgemein menschliche Emanzipation, sondern vielmehr die teilweise, die nur politische Revolution, die Revolution, welche die Pfeiler des Hauses stehenläßt. Worauf beruht eine teilweise, eine nur politische Revolution? Darauf, daß ein Teil der bürgerlichen Gesellschaft sich emanzipiert und zur allgemeinen Herrschaft gelangt, darauf, daß eine bestimmte Klasse von ihrer besondern Situation aus die allgemeine Emanzipation der Gesellschaft unternimmt. Diese Klasse befreit die ganze Gesellschaft, aber nur unter der Voraussetzung, daß die ganze Gesellschaft sich in der Situation dieser Klasse befindet, also z.B. Geld und Bildung besitzt oder beliebig erwerben kann.und nach weiteren zwei Seiten heißt es: Wenn das Proletariat die Auflösung der bisherigen Weltordnung verkündet, so spricht es nur das Geheimnis seines eignen Daseins aus, denn es ist die faktische Auflösung dieser Weltordnung. Wenn das Proletariat die Negation des Privateigentums verlangt, so erhebt es nur zum Prinzip der Gesellschaft, was die Gesellschaft zu seinem Prinzip erhoben hat, was in ihm als negatives Resultat der Gesellschaft schon ohne sein Zutun verkörpert ist.Ist diese Unterscheidung zwischen der Aufhebung jedes besonderen Unterdrückungsverhältnisses und der Aufhebung aller Unterdrückungsverhältnisse ein Streit um des Kaisers Bart? Ich meine nein, und zwar aus zwei Gründen: 1. muß - zumindest nach der Marxschen Vorstellung - im Prozeß der Aufhebung aller Unterdrückungsverhältnisse ein besonderes Unterdrückungsverhältnis überhaupt erst noch hergestellt werden, nämlich das Unterdrückungsverhältnis, das Marx in der Formel von der revolutionären Diktatur des Proletariats ausdrückt. 2. ist, wenn es um die Aufhebung aller Unterdrückungsverhältnisse geht, nach dem inneren Zusammenhang der Unterdrückungsverhältnisse in der heutigen Gesellschaft zu fragen. Um diesen zweiten Punkt dreht sich der gesamte Hauptteil des Marx-Engelsschen
Werkes und zeigt, daß im Zentrum sämtlicher Unterdrückungsverhältnisse
heute das Privateigentum steht.
Die daraus resultierende logische Figur ist Folgende:
„Die optische Täuschung, die das „Wir" unserer Proletarität=Lohnarbeit mit dem jeweils überlebensnotwendigen, frei gewählten Konkurrenz-Standort Firma/Behörde/Nation zusammenfallen läßt im falschen „Wir" einer corporate identity bis zu irgendeiner staatlich-völkisch-rassistischen Konkurrenz- und Überlebens-Identität, dieser reale verkehrte Schein hält uns im Normalzustand als Bürger/innen, d.h. Konkurrenten der Ware Arbeitskraft und sonst nicht viel mehr, eingefroren."Selbst ein Großteil der Marxistischen Linken weiß nicht mehr, die Klassenfrage, die Systemfrage zu stellen. Gutes Anschauungsmaterial hierfür liefern die Texte von Christian Zeller und Sascha Kimpel. Da wird von der Unteilbarkeit von Menschenrechten schwadroniert; was ist denn das? In dem Aufsatz „Zur Judenfrage" untersucht Marx die Menschenrechte „Gleichheit, Freiheit, Sicherheit, Eigentum" und kommt zu dem Schluß: Keines der sogenannten Menschenrechte geht also über den egoistischen Menschen hinaus, über den Menschen, wie er Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, nämlich auf sich, auf sein Privatinteresse und seine Privatwillkür zurückgezogenes und vom Gemeinwesen abgesondertes Individuum ist. Weit entfernt, daß der Mensch in ihnen als Gattungswesen aufgefaßt wurde, erscheint vielmehr das Gattungsleben selbst, die Gesellschaft, als ein den Individuen äußerlicher Rahmen, als Beschränkung ihrer ursprünglichen Selbständigkeit. Das einzige Band, das sie zusammenhält, ist die Naturnotwendigkeit, das Bedürfnis und das Privatinteresse, die Konservation ihres Eigentums und ihrer egoistischen Person.Weiter wird von Selbstbestimmung und Demokratie schwadroniert. Was ist Selbstbestimmung? - Das Recht, sich seinen Schlächter selber wählen zu dürfen? Nicht einmal um dieses Recht geht es im Krieg auf dem Balkan. Wer glaubt, es ginge um das Recht der Kosovaren, sich in einem eigenen Staat von einer eigenen Bourgeoisie ausbeuten zu lassen, hat die Zeichen der Zeit nicht richtig erkannt. Tatsächlich ging es um das Gegenteil von jeder auch nur scheinbaren Selbstbestimmung, um Fremdbestimmung, darum, das die terms of trade auch für den Balkan in Washington, London und Berlin festgelegt werden. Was ist Demokratie? - Das man sich eine Regierung wählt, die dann nach demokratischer Abstimmung im Parlament ihre Mordmaschine in Gang setzt? - Das soll Grundlage jeder emanzipatorischen und sozialistischen Politik sein? - Die Unteilbarkeit von Menschenrechten, Selbstbestimmung und Demokratie sind die theoretische Grundlage der bürgerlichen Ausbeutergesellschaft und darüber besteht Einigkeit, von Washington bis Belgrad. Da wird vom repressiven Staat Jugoslawien schwadroniert, als wenn nicht jeder Staat repressiv wäre, das macht ja gerade den Staat aus! Was heißt: „Zwischen dem Nationalismus der Unterdrückten und der Unterdrücker zu unterscheiden, widerspricht den elementarsten Grundsätzen emanzipativer Politik?" - Ist etwa der Nationalismus irgendeiner Glatzen-Gang in irgendeiner Trabantenstadt irgendwo in Deutschland ein guter Nationalismus, weil die Skins in dieser Gesellschaft unterdrückt und jeglicher Perspektive beraubt werden?? Warum fordert Sascha Kimpel „Stoppt die 'Ethnischen Säuberungen' der Milosevic-Regierung!" - warum fordert er nicht „Stoppt alle ethnischen Säuberungen?" und warum sagt er nicht, wer die „ethnischen Säuberungen" stoppen soll? Er beteiligt sich damit an dem Propagandakrieg der Kriegsherren. Er fordert Solidarität mit den Kosovo-Albanern, warum nicht auch mit den Kosovo-Serben, den Kosovo-Roma, den Kosovo-Ägyptern usw.? Der Krieg gegen Jugoslawien wird nach Sascha Kimpel geführt „zur
Aufrechterhaltung des 'Status Quo' und der 'Stabilität' in Südosteuropa"?
Der Ursprung der NATO-Intervention liege im Versuch, die sich zuspitzenden
Konflikte zwischen den Kosovo-Albanern und der serbischen Armee zu begrenzen
und eine Ausweitung auf umliegende Länder zu verhindern? - Das ist
doch wohl nicht ernstgemeint!
Den Kommunistischen Pol kenntlich und wirksam zu machen, ist unsere
Aufgabe.
Was heute notwendig ist, ist, den Kommunismus als wirkliche Bewegung, welche den bestehenden Zustand aufhebt, aus seiner Marginalisierung zu führen. So etwas wie die Offenen Kommunistischen Foren könnten dazu nützlich sein, wie Matthias Grewe und ich in unserem Artikel über die Lebenden und die Toten versucht haben, zu entwickeln. Aber dazu muß in und zwischen den Offenen Kommunistischen Foren auch die inhaltliche Debatte fortentwickelt werden vom Meinungsaustausch über diese oder jene zufällig aktuelle Frage zur Debatte um den Übergang zum Kommunismus und sein revolutionäres Programm. Die KOMMUNISTISCHEN STREITPUNKTE haben diese Debatte begonnen, von den Offenen Kommunistischen Foren sollte diese Debatte aufgenommen und weitergetrieben werden. |