Ich versuche nach 70 Tagen NATO-Krieg zur Besinnung zu
kommen: was ist mit uns in dieser Zeit passiert?
Hat dieser Krieg im wesentlichen den Karakter eines NATO-Krieges
oder eines deutschen Krieges oder beider zugleich? Jedenfalls ist es nicht
der sprachlich verordnete "Kosovo-Krieg", dieser Fokus ist von vornherein
Verengung, Ablenkung, Lüge - auch und gerade als längst alltäglich
gewordene Sprachregelung bis tief in "die Linke". Es ist auch kein bloßer
"Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien", noch ein "Krieg auf dem Balkan",
sondern für uns hier in der Bundesrepublik Deutschland ist es unmittelbar
und allererst der neue deutsche Krieg, der Krieg, den "unsere" Berliner
Republik führt. Den sie mit uns hier führen möchte. "Wir"
- als "Deutsche", Staats-Bürger, und sonst nichts - führen diesen
Krieg tatsächlich, solange wir - als Menschen und als Produzent/inn/en
seiner ökonomischen und gesellschaftlichen Basis und Möglichkeit
- ihn nicht verhindern bzw. beenden. Solange bleiben wir in der Rolle von
treudeutschen Mittäter/innen, Dulder/innen und Gaffer/innen.
Wir werden pausenlos bombardiert. Wir? Ja: unseresgleichen auf dem
Balkan mit den Waffen, die unseresgleichen hier und in den anderen NATO-Ländern
produziert haben. Auch die Söldner, die diese Waffen gegen die dort
arbeitenden Menschen und ihre Lebensgrundlagen Tag und Nacht einsetzen,
sind Lohnarbeiter, pervertierte Facharbeiter/innen der Destruktionsmittel,
Spezialist/inn/en der Menschenabschlachtungsindustrie. Wir bombardieren
uns selber.
Ja durchaus: die wir hier arbeiten bzw. gerade "Arbeit suchen" müssen,
um zu überleben, werden ebenfalls massiv bombardiert - mit Bildern,
mit "Informationen". Die Kriegspropaganda ist totaler und radikaler, als
wir uns das seit Goebbels Zeiten überhaupt erst vorstellen konnten,
wir Kinder eines halben Jahrhunderts freiheitlicher Demokratie der bundesdeutschen
Kapitalherrschaft. Jetzt zeigt sie uns endgültig, zu welcher professionalisierten
und flächendeckenden Lügenfabrikation ihre erwachsen gewordenen
Kreaturen imstande sind. Diejenigen von Goebbels' Enkeln, die sich für
Antifaschisten halten liessen, die ihre Jugend verraten haben (Walter
Benjamin) und mit der "antifaschistischen" Frase ihre imperialistische
Karriere und den deutsch-bürgerlichen Muff von 100 Jahren bemänteln,
tun genau das, was jene "Kunst der Propaganda" heute erfordert, um eine
Masse von Leuten in Deutschland für den erneuten deutschen Aggressionskrieg,
eine Masse von lohnabhängigen Zivilisierten hier für das barbarische
Kriegsabenteuer des Kapitals doch noch einmal erpressen und überrumpeln
zu können: die einzigartige deutsche Schuld an der Vernichtung der
Juden, Sinti und Roma, die Verbrechen der Deutschen Wehrmacht usw. einfach
umzudrehen, zur "Auschwitz-Keule" und zur "zivilgesellschaftlich" erledigten
historischen Abwicklungsmasse zu erklären, die nunmehr auf beliebige
andere "Hitler" projiziert werden, an deren Staatsvölkern abgestraft
werden kann. Durch diesen sofistischen Entlastungstrick die Täternation
als Opfernation hinzustellen und die so fabrizierte "Keule" umgehend gegen
das Opfer der nächsten deutschen Aggression einzusetzen sowie gegen
alle, die sich in Deutschland weigern, diese Aggression mitzumachen! Durch
diese auf allen Ebenen gewaltsame Umkehrung, Abwälzung der unvergleichlichen,
unauslöschlichen deutschen Schuld das kapitalistische, imperialistische
Deutschland wiederum zum Täter "guten Gewissens" zu machen und das
Opfer, als jugoslawischer Staat - sogar in der direkten historischen Kontinuität
Opfer Deutschlands - als "den" faschistischen Täter zu bezeichnen,
als den Weltfeind, dem "die internationale Gemeinschaft nicht tatenlos
zusehen" könne!
Den hemmungslos vom Zaun gebrochenen, schwarz auf weiss provozierten
und gewollten Krieg als Krieg zugleich zu zeigen, zu rühmen und
zu leugnen, indem er "humanitäre Intervention" genannt wird! Die
elementarsten Kriterien der Demokratie, der Zivilisation, des bürgerlichen
Rechts auf internationalem Maßstab über den Haufen zu werfen
unterm Firmenschild und im Interesse einer imperialistischen, kapitalistischen
Räuberbande, die sich "Weltbürgergesellschaft" und "Zivilgesellschaft"
schimpft: die NATO setzt das Recht wie es vormals der Führer tat!
Die ins Auge springende Kontinuität mit der faschistischen
"Neuordnung Europas" ausgerechnet mit dem Projekt "Neue Weltordnung" zur
Diskontinuität, zur erneuerten "Anti-Hitler-Koalition" zu erklären!
Also Täter zu Opfern, Opfer zu Tätern, Aggression zu Humanität,
Barbarei zu Zivilität, rechts zu links, Extremismus zur "Mitte der
Gesellschaft", die Abenteuerpolitik der herrschenden Kapitalfraktionen
zur Weltfriedenspolitik für uns alle umzudefinieren - das zeigt, wie
diejenigen, die vor 1984 beschlossen "Realpolitiker" zu werden, seit 15
Jahren ihren Orwell weiterentwickelt haben, um sich heute diese Definitionsmacht
über die Realität anmaßen zu können. Ihr Dauer-Flächenbombardement
mit zivilgesellschaftlichem new-speak und informationsgesellschaftlichem
icon-think
war und ist die erste ideologische Bedingung für die Entfesselung
ihres Materialkriegs. Ihre Bomben wären ohne ihre Bilder nicht möglich.
Ihre willfährigen Spezialist/inn/en in "den Medien" fälschen
und lügen mittels Bildern und Informationen, die für sich genommen
Fragmente und Partikel der Wahrheit sind, Realität. Indem sie diese
Bilder "praktisch verwerten", wie sie das nennen, für ihren brainwash,
den eigenen und unseren: für die Billigung der "gerechten" imperialistischen
"Operation", werden die Begriffe beschossen, Bedeutungen zerstört,
der Gesamtzusammenhang eliminiert, die Realität manipuliert. Die Basisbanalität,
dass das erste Opfer ihres Krieges die Wahrheit ist, banalisiert noch durch
ihre abstrakte Richtigkeit die Wirklichkeit: dass Menschen wie wir, Arbeiter/innen,
Kinder, Rentner/innen usw. vernichtet, verstrahlt, verseucht und gemetzelt
werden unter dem Deckmantel dieser Wortbildungen wie "Restrisiko", "Kollateralschaden",
"chirurgischer Eingriff", "humanitäre Operation", "sauberer Luftkrieg",
"Krieg gegen M.", der aber gar kein Krieg sei sondern eine zivilgesellschaftliche
Aktion ... Dieser totale Kriegseinsatz der Bilder, Wörter und Detailinformationen,
diese Mobilmachung der Selektion der Informationen - das heisst schon der
elementaren Logik, ja dem einfachen Menschenverstand und der Sprache selbst
den Krieg erklären; Semantik, Kommunikation und Denken gezielt zerstören.
Eine permanente Aggression in der Tat gegen uns im Hinterland! Ihr erstes
Kriegsziel hat sie bereits erreicht: sie hat gewirkt. Das ideologische,
politische Bombardement durch "unsere" demokratisch sich gleichschaltenden
"Massenmedien" hat die Masse von uns Einzelnen hier einschliesslich "der
Linken" gelähmt und zur hilflosen Manövriermasse, zum ruhigen
Hinterland für den Bombenkrieg gegen unseresgleichen dort gemacht
(Unterschied noch zum zweiten Golfkrieg!)...
Vernichtende Trennungen der Proletarität
So sind wir hier unmittelbar getrennt von unserer Sprache, sie haben uns
sprachlos machen können. Getrennt von unserer Kommunikation mit unseresgleichen
auf dem Balkan, sind wir entsolidarisiert. Getrennt von der Verfügung
über die Informationen und die Bilder der ganzen Realität, sind
wir verwirrt und von der Realität abgeschnitten. Im manipulierten,
selektiven Realitätsbild "der Medien", "der Öffentlichkeit",
der statements der "Realpolitiker/innen" kommen wir und unseresgleichen
auf dem Balkan als Realität entweder überhaupt nicht vor oder
nur als hilflose Opfer oder als Hilfstruppen und Manövriermasse der
verschiedenen kriegführenden Seiten. Das reale Wir der Objekte der
überall herrschenden Ausbeutungsordnung und ihres neuen Kriegs ist
momentan unsichtbar, im Spektakel des überall hin übertragenen
Bildes vom war theater beherrscht uns das falsche "Wir": die verordnete
Staatsvolks-Gemeinschaft, im Reigen der imperialistischen "internationalen
Staatengemeinschaft" in Gestalt konkurrierender Kapitalgruppen und -"Standorte",
also in bester "Welt-Bürgergesellschaft". Es gibt überhaupt nur
noch "Bürger" und "Bürgerinnen", wie uns die totalitäre
Sprachregelung der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft seit langem
weismachen will.
Hinter dieser lächerlichen Kulisse
dieser angeblich besten aller
möglichen Welten sind wir real
mehr denn je proletarisiert: so oder so der übelsten Lohnsklaverei
unterworfen, und in diesem Kampf ums Überleben, mit oder ohne vergoldete
Ketten, produzieren wir in zunehmender globaler Vernetzung den immensen
gesellschaftlichen Reichtum - nicht für uns, die Produzent/inn/en,
sondern für Firmen, Staat und sonstige Verwertungskörperschaften,
fremdes Eigentum, als uns gegenüberstehende wachsende fremde, feindliche
Macht, abstrakte, lebenzerstörende Verwertung von Wert als Selbstzweck
in "globalisierter" Konkurrenz. Diese Konkurrenz ist aber auch alles, was
uns mit "Bürgern" deckungsgleich erscheinen lässt - im rat
race von Job und Karriere wie in der "Suche nach einem Arbeitsplatz".
Die optische Täuschung, die das Wir unserer Proletarität=Lohnarbeit
mit dem jeweils überlebensnotwendigen, frei gewählten Konkurrenz-Standort
Firma/Behörde/Nation zusammenfallen lässt im falschen "Wir" einer
corporate identity bis zu irgendeiner staatlich-völkisch-rassistischen
Konkurrenz- und Überlebens-Identität, dieser reale verkehrte
Schein hält uns im Normalzustand als Bürger/innen, d.h. Konkurrenten
der Ware Arbeitskraft und sonst nicht viel mehr, eingefroren. Wie sollte
uns der periodisch auftretende, immer wieder notwendig werdende Eskalationszustand
der bürgerlichen Konkurrenz, ihre gewaltsame Austragung zwischen den
Kapitalgruppen mittels Staatsmacht, also der moderne Krieg, aus diesem
tiefgefrorenen Konkurrenzzustand auftauen lassen?! Im Gegenteil: spontan
bestätigt und erhärtet jeder kapitalistische Krieg zunächst
das falsche "Wir" - und sei es in der Bewusstseinsform "Wir sollten uns
da raushalten!" ... Die Interessen werden eben auf der Ebene des Überlebens
warenbesitzender Konkurrenten wahrgenommen. Auf der Ebene der "vitalen
Interessen" des "eigenen" Kapitals geht es höchst realistisch um Ausbeutungsquellen
welcher menschlichen und natürlichen Art auch immer: um erreichbaren
und realpolitisch umstrittenen "Lebensraum" - der Ressourcen, der Verwertungsbedingungen,
der Kontroll- und Handlungsterrains. Wer dieser "Realpolitik" gegenüber
ein anderes Wir, andere Interessen geltend macht als die der realen Konkurrenz
des bestehenden Kapitals, gilt folgerichtig als "nicht von dieser Welt".
Für die olivgrünen "Realpolitiker", die sich unter Schmerzen
fürs deutsche und europäische Geschäft professionalisiert
haben, gibt es deshalb auch nur noch "naive Pazifisten" - und das sind
sie auch: alle, die gegen den Krieg kämpfen wollen, ohne gegen die
bürgerliche Gesellschaft der Konkurrenz und der Kapital-Verwertung
zu sein. Gegen das verkehrte "Wir", aber ohne das wirkliche, reale Wir,
das allein das erstere aufheben kann. Dieses tieferliegende, im Untergrund
der Gesellschaft der Waren-Konkurrenz liegende Wir aber ist tatsächlich
zunächst unsichtbar.
Das Proletariat ist revolutionär oder es ist nichts. (Karl
Marx)
ImperialistischerKriegAnalogie1
Diese Spannung ist es, die im tiefsten Grunde unsere Ohnmachtserfahrung,
unsere Stummheit und Lähmung angesichts des ersten deutschen NATO-Kriegs
bedingt.
Im Innern, in der Kontinuität der deutschen Misere, die sich darin
manifestiert:
1914 bestand unser Schock in der Erkenntnis: die revolutionäre
Sozialdemokratie (II.Internationale) ist seit ihrer Bewilligung der Kriegskredite
usw. unwiderruflich ein stinkender Leichnam. Die Möglichkeit einer
Neuorganisierung des Proletariats zur selbständigen, revolutionären
Partei im imperialistischen Krieg gegen den imperialistischen Krieg durch
seine Umwandlung in den Revolutionskrieg gegen die jeweilige Bourgeoisie
im "eigenen" Land und damit gegen die Weltbourgeoisie, den imperialistischen
Kapitalismus insgesamt - diese Möglichkeit schien aber damals
realiter
gegeben (dialektisch: realer Schein!), d.h. auch wenn die objektive und
subjektive Reife oder Unreife des damaligen (Welt-) Proletariats und erst
recht der großen Mehrheit der (Welt-) Bevölkerung für den
Übergang zu "Sozialismus" bis heute strittig bleiben muss: für
den Aufbruch zur vermeintlichen oder wirklichen proletarisch-communistischen
Revolution war damals noch subjektiv, organisatorisch und damit auch objektiv
ein "Kader"=Rahmen und eine wenn auch zunächst zusammengeschmolzene
rudimentäre Basis da, aus der heraus der Bruch mit dem organisierten
Opportunismus wiederum organisiert werden konnte, von der Zimmerwalder
Linken, den Bolsheviki, Spartakus-Leuten und anderen revolutionären
Gruppen bis zu den Massenstreik- und späteren Räte-Strukturen
hin. Wie und warum dieser weltrevolutionäre Aufbruch, der in der Tat
den imperialistisch-kapitalistischen Krieg beendete, ihn aber unglücklicherweise
nicht richtig in den vollentfalteten Weltbürgerkrieg gegen die Weltbourgeoisie
weitertreiben konnte, sondern stattdessen durch direkte Konterrevolution
abgeblockt wurde (Noske/Ebert), in bloßen bürgerlich-revolutionären
Akkumulationsregimes hie und da steckenblieb (Lenin) oder direkt konterrevolutionär
staatskapitalistisch verpfuscht wurde (Stalin), ist hier nicht entscheidend;
sondern dass für den weltrevolutionären Bruch und Aufbruch seinerzeit
die Masse und Qualität an Bewusstsein trotz allem mobilisierbar, organisierbar
war. Das Proletariat sah sich zwischen 1914-17 ins zermalmende Nichts zurückgeschleudert,
aber es war, blieb und wurde daraufhin erst recht revolutionär. Das
ist im deutschen NATO-Krieg 1999 genau gegenteilig: das Proletariat ist
bereits "mit friedlichen Mitteln" so vollständig "vernichtet" als
Gesellschaftsklasse-für-sich, als gesellschaftliches Lager und Partei
im genuin Marxschen, wissenschaftlichen Sinn (d.h. nicht i.S.v. von "KP"
oder sonstwelcher Repräsentation) und erst recht als internationale
Assoziation, dass dieser erste imperialistische Krieg für eine "Neue
Weltordnung", d.h. neuartige Neuaufteilung der Einflusszonen unter die
Kapitalgruppen, überhaupt möglich geworden ist. Subjektiv und
organisatorisch, also an der theoretischen, politischen und ökonomischen
Front des Gesellschaftsklassen-Kriegs, ist das Proletariat heute überall
so restlos entwaffnet, zurückgeworfen, verwirrt, desorientiert, demoralisiert,
atomisiert und "aufgelöst", dass es mit der ganzen Humangattung in
eine fast tierische Stummheit zurückgedrängt worden ist, in der
im großen und ganzen die Worte "Geld!", "Job" bzw. "Karriere", "meine
Familie", "mein Auto" etc., "meine Firma", "mein Gott!" etc. bzw. deren
Ikonen sowie die Korrelate "Scheisse" und "geil" oder "mega" usw., vor
allem aber das statistisch häufigste Wortsurrogat im Weltmaßstab:
"O.K.", den Horizont seiner bewussten Interessen artikulieren. Diese Beobachtung
hat mit einem kulturpessimistisch-wertkonservativen Lamento per se nichts
zu tun. Denn in der Spannweite, im Rahmen dieses binären Codes
zwischen "OK" (= Geld) und "Scheisse" (= kein Geld) spielt sich durchaus
der historisch elaborierteste Nuancenreichtum unserer Kommunikation ab!
Aber er überschreitet den Horizont von Wert- und Warenform, Geld,
Kapital und den ihnen entsprechenden Fetischformen normalerweise nicht:
dieser Denk- und Sprachrahmen des Common Sense ist mehr denn je
anakronistisch geworden gegenüber dem inhaltlich-dynamischen Reichtum
der Gegenstände unserer Arbeiten, Bedürfnisse, Kommunikationsmöglichkeiten
und Widersprüchlichkeiten des Erlebten heute, so dass er diesen Gehalt
immer brutaler einebnet und erdrückt. Im Prokrustesbett von Waren-,Geld-,
Kapital-Form können sich unsere Sprache, unser Denken, unsere Kommunikation
und unser gesellschaftlicher wie individueller Reichtum unmöglich
entfalten, sondern all das wird permanent zugleich wieder abgetötet.
Die entscheidende Erkenntnis, dass wir als Proletarisierte nicht natur-schicksalhaft
in dieser zerstückelten und binär konditionierten Lage überleben
müssen, sondern als Gesellschaftsklasse alles in den Händen und
Köpfen haben, um uns den gesellschaftlichen Reichtum unmittelbar durch
gesellschaftliche Kommunikation, sprich: planende Verständigung als
selbst-bewusste Produzent/inn/en, produktiv anzueignen, d.h. uns als Proletariat
nicht auflösen, sondern nur aufheben können - diese Erkenntnis
würde den Horizont der Warenfetischformen überschreiten und ist
durch ebendiesen Horizont zunächst verstellt. Es handelt sich dabei
nicht um einen "geschlossenen" Verblendungszusammenhang oder Teufelskreis,
sondern um eine epochale historische Niederlage und Defensivsituation im
sozialen Krieg der Gesellschaftsklassen nach dem vergangenen "kurzen Jahrhundert"
der bürgerlichen, der faschistischen und stalinistischen Konterrevolution,
der Übergänge der "fordistisch"-"tayloristischen", "postindustriellen",
"postmodernen" usw. Entwicklungsetappen dieser kapitalistischen Formation.
Die kronisch gewordene Krise der kapitalistischen Verwertung und Akkumulation
(historisch spezifische Verlaufsform des tendenziellen Fallens der
Profitrate) seit den 1970ern, die ihr entspringende Katastrofenkette in
sämtlichen Sfären der Reproduktionstotalität, nicht zuletzt
in der Subjektivität des gesellschaftlichen Individuums, haben das
kapitalistisch-revolutionierte neuzusammengesetzte Gesamtproletariat ebenso
explosiv ausdifferenziert wie implosiv überfordert. Deshalb - und
keineswegs etwa aufgrund eines geschichtsfilosofisch-mythisch "einst versäumten"
Augenblicks unwiederbringlicher Revolutions-, "Erlösungs"-Chance --
sind wir Proletarisierten in diese fatale, komplizierte, verzweifelt scheinende
historische Lage abgedrängt worden.
Von allen Produktionsinstrumenten ist die größte Produktivkraft
die revolutionäre Klasse selbst. (MEW4,181)
Solange wir aber im Status von bloßen Produktionsinstrumenten des
Kapitals, nämlich im Status der Lohnarbeit verbleiben, solange
produzieren wir allen unseren gesellschaftlichen Reichtum, alle unsere
individuellen Potenzen und kooperative power nur weiter gesteigert
als uns fremde, feindliche Macht; die größte Produktivkraft
wird jeden Augenblick zur größten Destruktivkraft gegen uns
selbst, gegeneinander, zur gegenseitigen Vernichtung wie in diesem neuerlichen
Krieg. Als RMA (Revolution of Military Affairs), Fortsetzung
von warenproduzierender Technologie, Ökonomie, Politik, Kultur als
Selbstverwertungskonkurrenz an sich - anstatt als praktische Kritik der
politischen Ökonomie und des entfremdeten Alltagslebens für uns:
als Revolution of Our Own Affairs.
ImperialistischerKriegAnalogie2
In dieser historischen Defensivlage konnte auch die Analogie zum 2.imperialistischen
Weltkrieg so geschickt und dreist von der heutigen Bourgeoisie gegen uns
missbraucht werden und hat viele von uns überrumpelt - bis tief in
die radikale Linke hinein greifend: die angebliche Analogie zur Anti-Hitler-Koalition.
Die wirkliche historische Analogie (richtiger: Homologie) besteht in der
Tat im imperialistischen Karakter der Teilnehmer - einschliesslich der
Sovjetunion (welche ihren imperialistischen Karakter zuerst in der Kollaboration
mit Deutschland und nach dessen "treubrüchigem" Überfall in der
imperialen Färbung des "Großen Vaterländischen Krieges"
sowie ihrer imperialistischen Rolle in der Nachkriegsordnung offenbarte)
- bei gleichzeitiger antifaschistischer Bestimmtheit des Krieges insgesamt
- spätestens seit Bildung der Anti-Hitler-Koalition - aufgrund des
Zusammenfallens des inter-imperialistischen Widerspruchs Achsenmächte/Anti-Hitler-Koalition
einerseits mit dem Krieg der unterdrückten Bevölkerungen, d.h.
wesentlich proletarischen und kleinbürgerlichen Gesellschaftsklassen,
gegen die deutsche Okkupation und "Neuordnung Europas" sowie gegen Deutschlands
Faschisierungsgriff nach der Weltherrschaft (einschliesslich des innerdeutschen
Widerstands gegen das NS-Regime) andererseits. Dieser Widerspruch - als
"kleinster gemeinsamer Nenner" aller Widersprüche des 2.Weltkriegs
- reduzierte sich tatsächlich auf den welthistorischen Entscheidungskampf
von Demokratie gegen Faschismus: mögen auch die imperialistischen
Teilnehmer des Kriegs gegen die faschistischen Achsenmächte ebenso
viel oder wenig mit proletarischer, revolutionär über den Kapitalismus
hinaustreibender Demokratie im Sinn gehabt haben wie die US-amerikanische
"Reaktion-auf-der-ganzen-Linie" oder gar die stalinistische Staatssklaverei
-, so repräsentierten sie doch zugleich
nolens volens auch
das welthistorische Interesse der bürgerlichen Revolution, deren Errungenschaften
sie im Munde führten, und der proletarisierten und noch nicht proletarisierten
Bevölkerungen, welche diese bürgerlich-demokratischen Positionen
und Werte für ihre weitergehenden Klassenkämpfe unbedingt brauchten
und unter keinen Umständen der faschistischen Vernichtungsreaktion
preisgeben wollten. Fraglos bildete in diesem titanischen welthistorischen
Entscheidungskampf um "Demokratie oder Nichtsein" genau das Proletariat
- und zwar umgeben von einer ungeheuren Bevölkerungsmasse gerade-noch-nicht-Proletarisierter!
- den treibenden harten Kern der ganzen äusserst heroischen Bewegung.
Das Weltproletariat war revolutionär, indem es tatsächlich noch
militant bürgerlich-demokratisch agierte, d.h. gewissermaßen
in der "demokratischen Revolution" verschwand: nicht von ungefähr
ging der Sieg über die faschistischen Okkupanten allenthalben in den
Anspruch, Versuch des Übergangs zum "Sozialismus", zur Farce immerhin
sogenannter "Diktatur des Proletariats" aus der "antifaschistisch-demokratischen
Ordnung", "Volksdemokratie" heraus weiter. Da war es nur folgerichtig,
dass allein im Hort, der Brutstätte des preussisch-deutschen Faschismus,
nämlich auf dem Territorium des von der am meisten imperialistischen
Macht USA geschützten und gepäppelten Westdeutschland, wo die
Abrechnung und das Aufräumen mit den alten deutschen "Eliten" gerade
verhindert werden konnte, keinerlei Übergang zu irgendeinem Sozialismus
"realistisch" schien und das Proletariat bis heute in nahezu perfekter
postfaschistischer Kontinuität der politischen Nichtigkeit, theoretischen
Kopflosigkeit und ökonomischen Knechtseligkeit gehalten werden konnte/musste.
Analogieschlüsse sind falsch
Auf diese Kontinuität ist der falsche Analogieschluss genau
berechnet, mit dem die nachgewachsene deutsche Bourgeoisie 1999 uns Proletarisierten
eine Diskontinuität zur deutschen Aggression von ...1939... weismachen
will. Die deutsche imperialistische Aggression im Rahmen des NATO-Kriegs
von 1999 sei ja diesmal das Gegenteil, weil angeblich dieser Krieg wieder
den Karakter einer Anti-"Hitler"-Koalition, nämlich "der internationalen
Staatengemeinschaft" (dieser Räuberhorde, die sich über UNO und
alles demokratische Völkerrecht hinwegsetzt) besitze, die gegen die
quasi-faschistische Bedrohung durch einen "Hitler" M. (gestern war es S.,
morgen wird es ein anderer austauschbarer Name sein) antreten müsse
- im Namen von Humanität, Zivilisation und Demokratie. Weil die deutsche
Gesellschaft ja mittlerweile demokratisiert, "normalisiert" sei, stünden
wir jetzt also alle schön im Lager der Weltdemokratie - so der Analogieschluss,
der geradezu der Konstruktion eines "Hitler" bedarf, um als solcher zu
funktionieren. Das serbo-jugoslawische Regime nun angesichts seiner fraglos
faschistoiden und völkisch-rassistischen Züge als rundweg "faschistisch"
zu bezeichnen - wie es demokratisch-oppositionelle und radikaldemokratische
widerständige Jugoslaw/inn/en heute teilweise mit Gründen tun
-, stellt allerdings noch lange keine Wesensgleichheit mit dem Hitlerfaschismus
und dem deutschen rassistischen Vernichtungssystem her, sondern bagatellisiert
diese bzw. ersetzt sie - deren Wurzeln in der deutschen Gesellschaft nie
beseitigt worden sind - durch ein billiges Zerrbild (wie es bekanntlich
von der Agentur Ruder Finn die ganzen 1990er Jahre hindurch auf
Bestellung fabriziert worden ist): eine deutsche NS-Projektion. Gibt es
für diese immerhin gewisse Anhaltspunkte in der Realität des
großserbischen Chauvinismus mit seinen "ethnischen Säuberungen"
und seinem "allein gegen die ganze Welt", so kann der vom serbischen Regime
und seinen direkt und indirekt eingesetzten Formationen geführte Krieg
gegen nichtserbische jugoslawische Bevölkerungsteile in keinem Fall
als Projektionsfläche für Deutschlands faschistischen Griff nach
der Weltmacht herhalten: die deutschen Verbrechen der Wehrmacht sowie der
Zwangsarbeits-, Massenerschiessungs- und Gas-Vernichtungsindustrie, mit
denen der deutsche Imperialismus in dem von ihm langfristig geplanten und
vom Zaun gebrochenen Welteroberungskrieg die "Neuordnung Europas" und des
Mittelmeerraums durchzuführen begann, sind und bleiben bis heute historisch
einzigartig in Ausmaß/Zeitintensität und Qualität, und
jede/r Deutsche, der/die das historisch-mentalitätshistorisch unauslöschliche
Kainsmal dieser NS-Prägung der deutschen Geschichte, ja der Deutschen
seitdem, nun auf andere, seien sie wer sie seien, zu heften versucht, indem
er/sie diesen anderen die Chiffren "Hitler", "Auschwitz" usw. anzuhängen
wagt - und das,
während wiegesagt nach wie vor in Deutschland
die ungebrochene Herrschaft derselben "Eliten", die unabgegoltene Kontinuität
der Täter, die ungebrochene Dumpfheit der Gaffer und bystanders,
die unbestrittene
Zweite Schuld der Bundesdeutschen vor der ganzen
Menschheitszivilisation zum Himmel schreit, ja noch nichtmal von sowas
wie einem finanziellen Schmerzensgeld für die überlebenden Zwangsarbeiter/innen
die Rede sein kann -- richtet sich angesichts dieser Grundtatsache des
heutigen Deutschlands jede/r solche/r deutsche Schwätzer/in selbst
und reiht sich durch derartige Attributierung anderer selbst noch ein für
allemal in die kontinuierliche Volksgemeinschaft der Richter und Henker
ein: "Haltet den Hitler!" Das serbo-jugoslawische Ausbeuterregime führt
gewiss einen chauvinistisch-ethnorassistischen "Säuberungs"-Krieg
gegen die eigene Bevölkerung, wobei es den serbischen Bevölkerungsteil
selber verheizt -- einen imperialistisch-faschistischen Eroberungskrieg
gegen Europa und die Welt, sei diese mehr oder weniger demokratisch verfasst
oder garnicht, führt "Miloševic" nicht, und noch nicht einmal die
Kriegspropaganda der NATO hat das jemals behauptet. Dass Restjugoslawien
und die es beherrschende Klasse Angegriffene sind und nicht die Angreifer
und Entfesseler dieses Kriegs, sieht und weiss jedes Kind: das gleichgeschaltete
TV zeigt uns ja diese Tatsache, während es sie gleichzeitig
im Kommentar, in den permanenten Verlautbarungen vergeblich zu dementieren
versucht. So wird die Analogie von antifaschistisch-demokratischem Weltkrieg
gegen faschistische Achsenmächte und Krieg der demokratischen NATO-Staaten
gegens ethnorassistische Säuberungsregime in Jugoslawien - eine gewisse,
historisch gegebene und zulässige Analogie (Homologie)! - für
einen völlig verkehrten Analogieschluss missbraucht:
der imperialistische Aggressionskrieg gegen das nicht-imperialistische,
nicht-faschistische, mit dem Rücken an der Wand für seine schiere
staatlich-ökonomische Integrität und "völkisch"-ethnizistische
Identität kämpfende großserbische Regime, das weiter keine
Ambitionen hat als diese anakronistisch-verrückten -- das sei genau
derselbe Kriegstyp wie der gegen die imperialistische Hitler-Mussolini-Tenno-Weltaggression
seinerzeit oder, im Vorfeld, gegen die francistische Erdrosselung des demokratisch-republikanischen
Spanien (1936-38). Aber gerade in Spanien, im direkten Revolutionskrieg
1936 dort, in den Internationalen Brigaden dann in wenn auch stalinistisch
gebrochener Form, aber in der Klassenbasis eindeutig als vom Proletariat
und der Dorfarmut sowie bedeutenden Teilen der progressiven, revolutionär
gesonnenen Intelligenz getragener Revolutionskrieg mindestens bürgerlich-radikaler,
vielfach schon communistisch-libertärer Motivation tritt der Unterschied
ums Ganze im Vergleich zu dem imperialistischen Konkurrenz- und Antiproletariatskrieg
der NATO überdeutlich hervor: damals hatte das Proletariat die Initiative,
war treibende Kraft der Weltdemokratie -- heute dient die demokratische
Frase und zivilgesellschaftlich-parlamentarische Hülle, Fassade dem
nackten, neu-entfesselten Imperialismus einiger übermächtiger,
die "globalisierten" Produktions-, Währungszonen, Bevölkerungs-
und sonstigen Ressourcen einer Neuen Weltausbeutungsordnung unter sich
neuaufteilenmüssenden Kapitalgruppen und ihrer zunehmend trans-, supranationalen
geschäftsführenden
Ausschüsse als bloße Chiffre für ungehinderten, alle
rechtlichen, moralischen und menschlichen Schranken niederreissenden Anspruch
auf Kontrolle, Verfügung, Diktat, Eingriff, Regulierung und
Deregulierung
eines jeden Terrains, einer jeden Region, "Nation", Ethnie oder Zone, die
für die "vitalen Interessen" der jeweiligen Kapitalgruppe positiv
oder negativ auf dem Wege liegt. Unterm Strich geht es um die Verfügung,
Kontrolle, Disponibilität der ungeheuren Masse infragekommender lebendiger,
vor allem ebenso qualifizierbarer wie billiger lebendiger Arbeitskraft,
ohne welche die komplizierten Mehrwertketten in der Konkurrenz nicht reissfest
sind, sowie das Auswechselnkönnen, Ausschöpfenkönnen und
Inschachhalten - nicht zuletzt auch das sich-gegenseitig-Ausrottenlassen
- der noch ungeheureren kapitalistischen (d.h. relativen) Übervölkerung.
Mit einem Wort: dieser imperialistische Auftaktkrieg geht gegen ein
zwar völlig unterworfenes, völlig bewusstloses, weitgehend segmentiertes
und zerstückeltes und vor allem historisch mental restlos enteignetes,
in die Atomisierung und Passivität zurückgeworfenes Weltproletariat
-- das in seiner Unsichtbarkeit als Gesellschaftsklasse-an-sich, in seiner
Spannweite von höchster Qualifikation bis Pauperisierung in dramatischer
Breite und Tiefe, in seiner Latenz als kaotisch subversive populäre
und subpopuläre "Kultur" .... mehr und mehr die unbekannte Größe
für die Manager der Steigerung der Profitmasse darstellt, ohne die
das (einzelne) Kapital seine eigene (allgemein-gegenseitige) Konkurrenz
nicht überleben kann.
Faschismus und Demokratie als verschwindende
Größen
Die politökonomische Motivation, die treibenden Interessen der antagonistischen
Gesellschaftsklassen in den beiden in diesem Jahrhundert von Deutschland
angezettelten Kriegen lassen also einzig die Analogie ihres kapital-imperialistischen
Karakters zu, den wir in der Tat als den sozialen Inhalt, den Klassenkarakter
des jetzt dritten deutschen Kriegs an der Schwelle zum proklamierten Jahrhundert
der Neuen Weltausbeutungsordnung und der Neuordnung Eurolands erleben und
der nur ein demonstrativer Auftakt zur neuen Runde des Konkurrenzkriegs
zwischen den imperialistischen Kapitalgruppen ist. Der Analogieschluss,
in dieser kapitalistischen Motivierung sei auch das proletarische Interesse,
ja überhaupt noch das menschliche Gattungsinteresse am Kampf gegen
antidemokratische, faschistische Barbarei und äusserste Reaktion "aufgehoben",
mit-repräsentiert oder sogar humanistischer Inhalt -- dieser Analogieschluss
ist allein schon aufgrund der Vorbedingung dieses Krieges absurd: der Tatsache,
dass das Proletariat als eigenständige bewusstseinsmäßige
und politisch-organisatorische Kraft gegenwärtig ausgeschaltet ist.
Das imperialistische Kapital braucht gar keinen "Faschismus" heute, weder
gegen einen revolutionären Ansturm des Proletariats-als-Klasse-für-sich
(wie in den 1920er und 30er Jahren) noch als Bündnis- und Manövriermasse
gegen den Ansturm mächtiger faschistisch-imperialistischer Konkurrenten.
Heute konzentriert das Kapital in seiner "Weltbürgergesellschaft"
und "Zivilität" selbst und ausschliesslich alle Barbarei seiner katastrofischen
Produktionsweise, deren Folgelasten es auf seine nur scheinbar von ihm
unabhängig operierenden geschäftsführenden Ausschüsse
und militärischen Formationen in "Metropolen" und "Periferie" verteilt
und zwischen warlords und non-governmental organisations,
zwischen "Deregulierung" und "Regulations"-Regimes ausbalanciert und gegeneinander
ausspielen lässt. Konkurrenz und Kontrolle sind alles, Demokratie
und Humanität nichts - denn die "Bürgergesellschaft" braucht
sie nicht mehr. Sie ist sich selbst genug: sie hebt den historischen Faschismus
in sich auf. Für dieses heutige Weltbürgertum wie für seine
"nationalen" Sektionen ist die demokratische politische Form nur noch
nötig als Droh-Fassade zur Disziplinierung und Staatsverinnerlichung
der atomisierten proletarisierten "Monaden", als regulationsreformistischer
Popanz einer utopisch-marktwirtschaftssozialistischen "Demokratisierung
der Wirtschaft" des endgültig enthemmten Kapitals. Die demokratische
Herrschaftsform ist nur noch als Übergangsform zur klassen- und staatenlosen
Gesellschaft selbst realistisch und echt: d.h. als Auftakt zur Diktatur
des Proletariats gegen alle Formen (auch staatskapitalistische) der Ausbeutung
von Menschen. Nur in diesem Übergang ist das endgültige Verteidigen
und Entfalten von Demokratie bis ans Ende historisch heute noch
möglich, also einzig noch im Rahmen des revolutionär-proletarischen
Bürgerkriegs als Commune, als Assoziation gegen die jeweils eigenen
Ausbeuter-Bürger, die ihr gegenüberstehen.
Reaktion auf der ganzen Linie
In dieser Ausgangskonstellation für den 1999 begonnenen imperialistischen
Krieg ist es also keine Marginalie und keine Vignette gewesen, sondern
führt auf den Wesenskern, ja den Keim dieses rein-bürgerlichen
Kriegs in seinem künftigen Fortgang und verdeckten Sinn, was gerade
auch in "der Linken" noch immer nicht registriert geschweige denn in seinem
Gewicht für die Klassenkämpfe in Europa erfasst und begriffen
worden ist: die Tatsache, dass im Frühjahr 1997 in Albanien ein großer
bewaffneter Aufstand stattgefunden hat, dessen proletarisch-revolutionärer
Karakter in der herrschenden Medienhetze von Anfang bis Ende erfolgreich
entstellt und verdeckt werden konnte ("Chaos", "Anarchie", "Mafiastrukturen"
etc.). Gerade die Ansätze zu einer direkten Rätedemokratie sind
darin ebenso bemerkenswert, wie sie systematisch verdunkelt worden sind.
Eine verdienstvolle Darstellung der wirklichen Vor- und Verlaufsgeschichte
sowie des Klassenkarakters dieses bedeutenden autonomen Aufstandes gaben
schon damals die Beiträge einer Veranstaltung, nachzulesen im Wildcat-Zirkular
36/37 vom April 1997. Wir zitieren aus dieser Einschätzung:
"Am 12. März 1997 konstituieren Vertreter aus acht befreiten
Städten das 'Nationale Komitee zur Rettung des Volkes', nachdem zuvor
schon das militärische Oberkommando in Tepelene eingerichtet worden
war. So ab Mitte März tritt so etwas wie der 'Alltag im Aufstand'
ein, das Gebiet der Rebellen umfasst jetzt gut ein Viertel des Landes.
(...) Derweil setzt hektische internationale Aktivität ein. So gut
wie alle Parteien in Tirana, Griechenland und Italien fordern sofortige
militärische Intervention. Aber gegen ein Volk, das bis unter die
Stirn bewaffnet ist? Vor allem Großbritannien und Deutschland sind
dagegen. Als Kompromiss beschliesst die EU, eine bewaffnete Sicherungstruppe
zu schicken, um humanitäre Maßnahmen und den Wiederaufbau staatlicher
Strukturen zu sichern. Am 17. März treffen sich EU-Vertreter mit Berisha,
während die USA ihn auffordern zurückzutreten. (...) Am 28. März
1997 hat der Weltsicherheitsrat der OSZE das Mandat für eine bis zu
3000 Mann starke Sicherheitstruppe erteilt. (...) dass die kapitalistischen
Mächte Europas eine Politik der direkten und militärischen Bereinigung
der Situation durchzuziehen bereit sind oder wenigstens bereit sind, eine
solche Lösung in Kauf zu nehmen. Anders kann weder die weiterhin volle
Rückendeckung für Berisha noch die Beibehaltung eines italienischen
Oberbefehls über die Truppe verstanden werden. Das ist keine Politik,
die sich um Ausgleich in Albanien bemüht, sondern eine Politik, die
die Konfrontation geradezu sucht. Dies ist keine Politik, die von den realen
Machtverhältnissen ausgeht. Dazu müssten die Interventionstruppen
die Existenz der Komitees und die Entscheidungsgewalt der Versammlungen
im Süden respektieren. Darauf deutet wenig hin. Es scheint sich eher
um eine Politik zu handeln, die die bestehenden Verhältnisse (re)stabilisieren
will. Es geht offensichtlich nicht um die 'Wiederherstellung von Recht
und Demokratie', sondern (...) es geht um die Installation einer Entwicklungsdemokratur
und um die Beseitigung der Macht einer aufständischen Bevölkerung.
(...) Was ist das in Albanien? Aufstand, Revolte, Rebellion, Revolution.
Man wird hinterher eine Schublade finden, das ist jetzt nicht wichtig,
die Entwicklung ist offen. Hinter dem Aufstand steht nicht nur die Erfahrung
der Unterdrückung und des Betrugs. ' Albanien muss klein anfangen,
wie es die asiatischen Tiger gemacht haben', hat der Vertreter der Weltbank
in Tirana gesagt. Das haben sie erfahren in der alltäglichen sozialen
Situation in Albanien, aber auch auf ihren miesen und prekären Jobs
in Griechenland und Italien. Der Aufstand richtet sich gegen die ihnen
zugedachte Rolle von europäischen asiatischen Billiglöhnern.
Das ist ein Aufstand gegen einen Kapitalismus, der seine Versprechen nicht
erfüllt." Und die Einschätzung schloss damals: "Was mich
zur Zeit am meisten entsetzt, ist nicht die Vorbereitung der militärischen
Niederschlagung eines Aufstandes. Das ist nichts Neues. Vielmehr entsetzt
mich, dass es den Herrschenden so weitgehend gelingt, die Menschen hier
gegen die Aufständischen einzunehmen. Ich glaube nicht, dass es jemals
einen - sogar erstmal erfolgreichen - Aufstand der Verdammten dieser Erde
gegeben hat, der so allein war."
Seit zwei Jahren ist Albanien de facto Protektorat. Das Berisha-Regime,
das aus dem Schoße des Anfang 1991 gestürzten ultrastalinistischen
Enver-Hoxha-Staates
gekrochen war und sich voll und ganz auf dessen alten Kern, die Geheimpolizei,
stützte, und gegen das sich der albanische Aufstand unmittelbar richtete,
musste von den europäischen Imperialisten in die Kulissen zurückgezogen
werden und sitzt seitdem als das UÇK-Organisationszentrum
an der Grenze zum Kosovo.
Um die Stelle der kosovo-albanischen Widerständigkeit für
die Klassenkämpfe in Europa ins Licht zu rücken, zitieren wir
aus einem Aufsatz von Martin Rheinländer in der Zeitschrift
Die
Aktion (Heft 191/194, Mai 1999) "Krise, Klassenkampf und sozialer Krieg
in Jugoslawien-Kosovo" (S.32ff):
"Im März 1981 entlud sich ein bis dahin kaum geahntes Ausmaß
an sozialem Hass auf die kosovo-albanische Parteiführung und die Regierung
in Belgrad. (...) aber erst die drakonische Repression mobilisierte andere
soziale Kräfte. Eine Allianz von Intellektuellen und Arbeitern entstand
in diesem neuen Zusammenhang von politischem Protest und Streikbewegungen,
eine Allianz, die bis Anfang der neunziger Jahre für die Aufstandsbewegungen
bestimmend werden sollte. Die Eskalation im Kosovo traf zusammen mit der
offenen sozialen Krise in Gesamtjugoslawien, aber nirgendwo sonst im Land
nahmen die sozialen Bewegungen eine derartige politische Kontinuität
an wie im Kosovo - bis hin zu einer weitgehenden gesellschaftlichen Selbstorganisierung.
(...)
Der zweite Zyklus von Aufstandsbewegungen und Repression begann
dann als Reaktion auf die nationalistische Mobilisierung durch Milosevic
seit dem Frühjahr 1987. (...) Ausbruch einer neuen Welle von Protestaktionen
und Streikbewegungen im Kosovo. Die Allianz von nationalistisch orientierter
Intelligenz und Arbeitern - allen voran die Bergarbeiter des Kosovo - trat
wieder auf den Plan. (...) Seit Ende der achtziger Jahre befand sich der
Kosovo in einem permanenten Ausnahmezustand. (...) Seit Sommer 1990 existierten
im Kosovo keine politischen Institutionen mehr, die auch nur formal eine
Integration der Kosovo-Albaner vorspiegelten. Die Republik Serbien befand
sich damit zeitgleich mit der Loslösung Sloweniens und Kroatiens in
einem regional eingegrenzten, aber von Staats wegen intensiv betriebenen
sozialen Bürgerkriegszustand. (...)
Während das serbische Regime im Kosovo Zug um Zug erst zu einer
Serbisierung der Institutionen, dann zur reinen Herrschaft der Belgrader
Exekutive überging, organisierte sich im Untergrund eine breite Selbstverwaltung:
ein 'Staat im Werden' - mit eigenem Schulwesen, illegalem Universitätsbetrieb
und vor allem mit einem eigenen Steuerwesen, das diese Institutionalisierung
des Untergrundes finanzieren half. Man kennt die gesellschaftliche Macht,
die derartige Selbstorganisierungsprozesse ausüben können. (...)
Diese soziale Macht im politischen Untergrund konnte mit der normalen,
polizeilichen Repression weder eingedämmt noch kontrolliert werden
- ausser in den Formen und mit der Gewalt eines sozialen Krieges. (...)
BRD wie USA haben seit Ende der achtziger Jahre ihren ganzen Einfluss im
Kosovo dahingehend geltend gemacht, dass von dort allein ein symbolischer
Widerstand ausgehen sollte. Die 'Republik Kosova' blieb aussenpolitisch
ein Märchenland, mit Ausnahme von Albanien so gut wie nirgends anerkannt.
(...) Ob in Paris, Bonn, London oder Washington - überall bekam Rugova,
als im Westen gerühmter 'Gandhi des Kosovo', nur zu hören, er
solle ruhig so weiter machen, dabei aber die serbische Souveränität
bitteschön nicht in Frage stellen. Was Rugova wie andere Dissidenten
in Wahrheit zu spüren bekamen, das war die der kosovo-albanischen
Opposition zugeschriebene Rolle eines nützlichen Idioten, für
dessen Überleben man freilich keinen einzigen Dollar opfern wollte.
(...) Aber der nach 1997 steigende Einfluss der UÇK diente mindestens
zwei Zwecken: zum einen destabilisierte sie das Kräfteverhältnis
innerhalb der kosovo-albanischen Opposition nachhaltig. Zum anderen operierte
sie wie ein idealer 'agent provocateur' - als Eskalationsfaktor in der
Militarisierung der sozialen Konfrontation. (...) Noch als Antwort auf
die Repressionswelle im Frühjahr 1998 nahmen Albaner im Kosovo massenhaft
an den Wahlen im Untergrund teil und unterstützten die Partei Rugovas,
während die UÇK - politisch erfolglos - zum Wahlboykott aufgerufen
hatte. Danach, nach dem März 1998, setzte eine militärische Offensive
der UÇK ein, und mit den Gegenangriffen seitens der serbischen Streitkräfte
wurde der Kosovo zu einem rein militärischen Operationsfeld. (...)
Mit dem Eingriff der NATO und den dadurch noch verschärften Vertreibungsmaßnahmen
ist das soziale Terrain im Kosovo buchstäblich zu Staub geworden.
In dieser sozialen Wüste können sich nur noch diejenigen bewegen,
die diese Verwüstung angerichtet haben, nämlich die drei Armeeverbände
- die serbischen Streitkräfte, die NATO und die UÇK. Im sozialen
Sinne ist dies ein totaler Vernichtungskrieg, und nichts sieht danach aus,
dass er aus sich heraus etwas anderes als weitere Kriegszustände hervorbringen
kann. (...) Mit der sozialen Vernichtung des Kosovo ist die Logik sowohl
des serbischen Regimes als auch der imperialistischen Politik aufgegangen.
Kosovo-Albanien hat im März 1999 zu existieren aufgehört."
Es ist also der besonders hohe Grad von Widerständigkeit, von proletarischer
und gegengesellschaftlicher Selbstorganisationsfähigkeit in dieser
Region, welche dem NATO-Krieg im tiefsten Grunde den Karakter einer reaktiven
und präventiven Konterrevolution verliehen haben. Unbewusst spricht
diese Grundtatsache auch das schärfer analysierende bürgerliche
Organ LeMondeDiplomatique aus, wenn es - zunächst auf das widerständige
Jugoslawien bezogen - bilanziert:
"In Wirklichkeit handelt es sich um eine Strafaktion - eine Bestrafung,
wie sie mit Ausnahme des Irak noch kein Land zu spüren bekam."
Im Rahmen dieser imperialistischen Strafaktion, so wird in LeMondeDiplomatique
an verschiedenen Stellen (S.2, S.5) nachgewiesen, hatte gerade auch das
Anheizen der ethnorassistischen genozidären Massaker und "Säuberungs"-Vertreibungen,
das wissentliche Setzen aufs ethnorassistische Regime und zugleich auf
die sezessionistisch-nationalistischen Reaktionsformationen, seine konsequente
Funktion gehabt, die Bevölkerung zur Räson zu bringen und ihren
hochentwickelten Widerstand kleinzukriegen.
Und im NATO-Krieg selber ist dieser Doppelkarakter auf die Spitze getrieben
worden:
"Indes haben wir es in Wirklichkeit mit zwei Kriegen zu tun: In dem
einen Krieg - der, wie gesagt, eher eine Strafaktion ist - tritt der Starke
gegen den Schwachen an, die NATO gegen Jugoslawien, in dem anderen der
Schwache gegen den Schwächsten, Serbien gegen die Kosovaren, die Streitkräfte
Belgrads gegen die 'Befreiungsarmee des Kosovo', UÇK. Auf der einen
Seite also ein mit allen elektronischen und technologischen Raffinessen
geführter High-Tech-Krieg, auf der anderen Seite Massaker mit der
Motorsäge, Massendeportationen, Vergewaltigungen, Hinrichtungen."
Beide Seiten dieser Doppelstrategie sind einzig und allein gegen die
proletarisierte und endgültig zu proletarisierende Bevölkerung
der ganzen widerständigen Region gerichtet, was in dem bürgerlichen
Blatt unmissverständlich durchschimmert:
"Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten verfolgen
mit diesem Krieg je unterschiedliche Ziele, Zwecke und Absichten, die sie
der Öffentlichkeit allerdings vorenthalten. Die Europäische Union
führt diesen Krieg aus strategischen Erwägungen. (...) Worin
also besteht für einen opulenten Staatenzusammenschluss wie die Europäische
Union die strategische Bedeutung eines Territoriums? Im wesentlichen in
seiner Eigenschaft als Exporteur von Problemen: politischem Chaos, chronischer
Armut, illegalen Einwanderern, Kriminalität, Drogenmafia und dergleichen
mehr. Unter diesem Blickwinkel sind seit dem Fall der Berliner Mauer zwei
Regionen von allergrößter strategischer Bedeutung für Europa:
der Maghreb und der Balkan.
Die Kosovokrise spitzte sich erst nach der Implosion Albaniens
1997 zu, als das Land im Chaos versank. (...) Konnte es sich die Europäische
Union leisten, fünf bis zehn Jahre lang mit einem solchen Konflikt
vor ihrer Haustür zu leben? Und erst die vorhersehbaren Folgewirkungen
in Makedonien und im übrigen Balkan! (...) Die Antwort auf diese Fragen
sind die Bombenangriffe der NATO."
LeMondeDiplomatique,dt.Übers.inTaz4.6.1999,S.5
Wir können hier zusammenfassen: Analogie des deutschen NATO-Kriegs
zum Ersten und zum Zweiten Weltkrieg? Ja und nein:
Alle diese vom deutschen Staat betriebenen Kriege sind kapital-imperialistisch
im Klassenkarakter, aber 1999 ist dieser Imperialismus verändert,
weiterentwickelt, bedient sich einer anderen Strategie. Auf welchen Feind
ist sie jeweils gerichtet?
Entscheidender Unterschied: Stellung, Verfasstheit, Latenzzustand des
Proletariats.
1914 Resultat der SPD-"Realpolitik", 1999 der Grünen-"Real(o)politik":
stinkender
Leichnam (Rosa Luxemburg) traditionelle alte und
Neue Linke. Ihr jeweiliger "Abschied vom Proletariat" ist besiegelt durch
Preisgabe an die kriegführende Bourgeoisie.
Aber nach 1914 beginnt die proletarische internationale revolutionäre
Reorganisierung
aus den alten Organisationsstrukturen heraus. 1999 kann sich die "radikale
Linke" nur noch ihren Totenschein abholen, während die Proletarisierten
überhaupt erst wieder vor der Aufgabe stehen, sich als solche, d.h.
als Gesellschaftsklasse-an-und-für-sich in völlig veränderter
historischer Form selbst zu erkennen und in völlig neuer Form selbst
zur transnationalen direkten communistischen Revolution zu organisieren.
ImperialistischerKriegAnalogie3
1999 findet sich die vom Proletariat und damit von der überhaupt möglichen
Revolution endgültig verabschiedete "radikale Linke" zurückgeworfen
auf die Rudimente immer schon bürgerlicher (=jakobinistischer, anarchistischer,
idealistischer) "linker Moral". An diese klammert sie sich wie an einen
Strohhalm, um überhaupt noch gegenüber der "verantwortungs-ethischen"
moralistischen Erpressung der Kriegstreiber argumentieren zu können:
mit hilfloser "Gesinnungs-Ethik" statt mit revolutionär-humanistischer
Kampfmoral.
Die Proletarisierten und ihr communistisch-revolutionäres Element
aber stehen einstweilen ohne unmittelbare Perspektive auf die Möglichkeit
der Umkehrung des Bürger-Kriegs in den revolutionären Krieg gegen
die Bürgergesellschaft da. Dieses Dilemma wurde klassisch für
die zweite Jahrhunderthälfte des überentwickelten westlichen
Kapitalismus schon von der Situationistischen Internationalen angesichts
der Kriege des Imperialismus im Jahr 1967, angesichts des eskalierten Vietnamkriegs
formuliert:
"Ebenso hat die Abwesenheit des politischen Lebens des Proletariats
als Klasse-für-sich (und für uns ist das Proletariat revolutionär
oder es ist nichts) es dieser Linken ermöglicht, in einer Welt ohne
Tugend zum
Ritter der Tugend zu werden. Wenn sie aber darüber
klagt und jammert, dass 'die Weltordnung' ihren guten Absichten widerstreitet,
und wenn sie ihr armseliges Streben gegenüber dieser Ordnung aufrechterhält,
ist sie praktisch doch mit ihr als ihrem eigenen Wesen verbunden - wird
sie ihrer beraubt bzw. schliesst sie sich selbst aus ihr aus, so verliert
sie alles. Die europäische Linke ist so arm, dass sie sich
scheinbar nach dem bloßen dürftigen Gefühl einer abstrakten
Entgegnung wie nach einem Trost sehnt wie der durch die Wüste Reisende
nach einem bloßen Wassertropfen. Der Umfang ihrer Not kann durch
die Leichtigkeit ermessen werden, mit der sie sich zufriedengibt. Sie ist
der Geschichte fremd, genau so wie das Proletariat dieser Welt entfremdet
ist; das falsche Bewusstsein ist ihr natürlicher Zustand, das Spektakel
ihr Element und der scheinbare Zusammenstoß der Systeme ihr universeller
Bezug: immer wenn und überall dort, wo es einen Konflikt gibt, kämpft
das Gute gegen das Böse, die 'absolute Revolution' gegen die 'absolute
Reaktion'. Die Zustimmung des zuschauenden Gewissens zu fremden
Dingen bleibt irrational, und sein tugendhafter Protest versumpft in den
Windungen des Schuldgefühls. (...) In Wirklichkeit bekämpfen
alle diese guten Leute das nicht, was sie verurteilen, und kennen das nicht,
was sie billigen. Ihre Opposition gegen den US-amerikanischen Krieg verschmilzt
fast immer mit einer bedingungslosen Unterstützung des Vietcong -
auf jeden Fall bleibt sie aber für alle spektakulärer Art. Diejenigen,
die sich wirklich dem spanischen Faschismus widersetzten, gingen an Ort
und Stelle, um ihn zu bekämpfen. Keiner machte sich aber bisher auf,
um den 'Yankee-Imperialismus' zu bekämpfen. Eine ganze Auslage fliegender
Teppiche bietet sich den Konsumenten der illusorischen Beteiligung an (...)
Der Widerstand gegen den Krieg in den USA selbst ist auf Anhieb ernsthafter,
da der wirkliche Feind ihm gegenübersteht. Für einen Teil der
Jugend bedeutet er jedoch, dass sie sich mechanisch mit den scheinbaren
Feinden ihrer wirklichen Feinde identifizieren - was die Konfusion in einer
Arbeiterklasse noch verstärkt, die schon der schlimmsten Verdummung
und Mystifizierung unterworfen wird, und dazu beiträgt, sie in diesem
'reaktionären' Geisteszustand zu erhalten, der wiederum als Argument
gegen sie benutzt wird. (...)
Weder das manichäische Gewissen der tugendhaften Linken noch
die Bürokratie [der "sozialistischen" bzw. befreiungsnationalistischen
Staaten und Organisationen] sind fähig, die tiefe Einheit der heutigen
Welt zu verstehen. Die Dialektik ist ihr gemeinsamer Feind. Was die revolutionäre
Kritik betrifft, so setzt sie jenseits von Gut und Böse an - sie hat
ihre Wurzeln in der Geschichte, und ihr Feld ist die Totalität der
bestehenden Welt. Auf keinen Fall kann sie einem kriegführenden Staat
zustimmen oder die Bürokratie eines im Entstehen begriffenen ausbeutenden
Staates unterstützen. Vor allem muss sie die Wahrheit der aktuellen
Konflikte enthüllen, indem sie sie mit ihrer Geschichte verknüpft,
und die uneingestandenen Ziele der offiziell kämpfenden Kräfte
entlarven. Die Waffe der Kritik wird als Einleitung für die Kritik
der Waffen gebraucht. (...)
Seit der großen Krise im Jahr 1929 wird die Intervention des
Staats in die Marktmechanismen immer sichtbarer; die Wirtschaft kann ohne
die massiven Ausgaben des Staats, des Haupt'konsumenten' der ganzen nichtkommerziellen
Produktion (hauptsächlich durch die Rüstungsindustrie) nicht
mehr regelmäßig funktionieren. (...) Durch eine unerbittliche
Logik wird das System zu einem immer mehr staatlich kontrollierten Kapitalismus
getrieben, der ernste soziale Konflikte entstehen lässt. Die Unfähigkeit
des US-amerikanischen Systems, auf sozialer Ebene genügend Profit
zu erzeugen, macht seine tiefe Krise aus. Es muss also aussen das
schaffen, was es zuhause nicht zustandebringen kann - und zwar die Profitmasse
im Verhältnis zu der des vorhandenen Kapitals zu vergrößern.
Die besitzende Klasse, die auch den Staat mehr oder weniger besitzt, verlässt
sich auf seine imperialistischen Eingriffe, um diesen wahnsinnigen Traum
zu verwirklichen. (...) Das künstliche Funktionieren der monopolistischen
Wirtschaft als 'Kriegswirtschaft' sorgt vorläufig dafür, dass
die Politik der führenden Klasse die wohlwollende Unterstützung
der Arbeiter geniessen kann, denen die 'Vollbeschäftigung' und ein
spektakulärer Überfluss zugutekommen (...) Nach Rostow, dem 'Wirtschaftsaufschwungsexperten'
im State Department, ist Vietnam vorläufig nur das Übungsfeld
einer breitangelegten Strategie - die sich in der Zukunft vervielfachen
soll -, die mit einem zerstörerischen Krieg (der keine große
Aussicht auf Erfolg hat) beginnen muss, um ihren Ausbeutungsfrieden zu
sichern. Die Aggressivität des US-Imperialismus entsteht also nicht
aus der Verirrung einer schlechten Regierung, sondern sie ist für
die Klassenbeziehungen des Privatkapitalismus notwendig, der sich unaufhaltsam
zu einem technokratischen Staatskapitalismus entwickeln wird, wenn keine
revolutionäre Bewegung ihm ein Ende setzt. In diesen allgemeinen Rahmen
der unbewältigt gebliebenen Weltwirtschaft muss die Geschichte der
entfremdeten Kämpfe unserer Epoche eingefügt werden. (...)
Wie immer kann der Krieg - wenn es kein Bürgerkrieg ist - den
Prozess der sozialen Revolution nur einfrieren. In Nordvietnam bewirkt
er, dass die Bauernmassen der sie ausbeutenden Bürokratie zustimmen
- was diese bisher nie erreicht hatte. (...) Keineswegs können sich
die revolutionären Strömungen darin erkennen. Ihre Aufgabe liegt
am anderen Ende der gegenwärtigen Bewegung, deren absolute Negation
sie sein müssen.
Offensichtlich ist es unmöglich, heute eine revolutionäre
Lösung zum Vietnamkrieg zu suchen. Es kommt vor allem darauf an, der
US-amerikanischen Aggression ein Ende zu setzen, damit der wirkliche soziale
Kampf in Vietnam sich dann auf naturwüchsige Weise entwickelt
- d.h. also, es für die vietnamesischen Arbeiter möglich zu machen,
ihre inneren Feinde wiederzufinden: die Bürokratie im Norden und alle
besitzenden und herrschenden Schichten im Süden. Der Rückzug
der USA bedeutet die unmittelbare Übernahme des ganzen Landes durch
die stalinistische Führung - das ist eine unvermeidliche Lösung.
(...) Es kommt also nicht darauf an, den Vietcong bedingungslos (oder auch
kritisch) zu unterstützen, sondern konsequent und kompromisslos gegen
den US-Imperialismus zu kämpfen. Heute spielen die amerikanischen
Revolutionäre dabei die wirksamste Rolle, die die Kriegsdienstverweigerung
in sehr breitem Maße (...) befürworten und praktizieren. Die
Wurzel des Vietnamkriegs befindet sich in den USA selbst - dort muss sie
ausgerottet werden." Situationistische Internationale
No.11,1967, dt.1977 Bd.II,S.258-261,267
Auch hier springen die Analogien, oder vielmehr: die historische Homologie,
zu unserer heutigen Situation ins Auge, aber zugleich das Dilemma, dass
auch zum Vietnamkrieg und der westlichen Opposition kein Analogieschluss
auf 1999 zu ziehen ist. Gerade weil die damalige klarsichtige Einschätzung
der imperialistischen Entwicklung des Kapitalismus und seiner Linken sich
weit über die tatsächliche Verlaufsgeschichte des Vietnamkriegs
hinaus - wie wir heute sofort sehen - bestätigt hat, kann sie für
uns heute keine Handlungsanweisung sein sondern nur ein Dokument, aus dem
wir lernen können, die alten Fehler des links-radikalen Flügels
der bürgerlichen Gesellschaft nicht abermals zu wiederholen und fortzuschleppen,
an denen dieser Flügel schon damals auf den Tod erkrankt war und im
gegenwärtigen Krieg (als staatsgrünes wie als "ausserparlamentarisches"
linkes Lager) endlich ein für allemal zerbrochen ist.
Bruch als Aufbruch
Fazit: Die Linke ist endgültig tot, ein revolutionäres Proletariat
muss sich erst noch aus dem politisch-organisatorischen Nichts heraus wiederfinden,
dazwischen ist fürs revolutionäre, negatorische Element der heutigen
globalkapitalistischen Gesellschaft nur eines fällig: in aller rückhaltlosen
Klarheit der Bruch.
Bruch mit der Linken, Abnabelung von dieser verwesenden Mutter, aus
der wir alle gekommen sind. Bruch mit der dümpelnden spektakulären
Oberflächlichkeit vorfabrizierter Analogieschlüsse. Bruch mit
der aktionistischen Pseudopraxis, die sich um die theoretisch-analytischen
Analogien und Homologien der wirklichen Geschichte entlang der Kette von
Kriegen des Kapitalismus nie gekümmert hat, um dann den Analogieschlüssen
ins Messer zu laufen, die Wiederkehr des Immergleichen zu ritualisieren.
Bruch mit den überkommenen Organisationsformen, die dem heutigen,
zu sich gekommenen und sich katastrofisch über sich hinausentwickelnden
imperialistischen Kapitalismus nur noch gemäß sind, indem sie
dessen funktionale Anhängsel bilden. Dieser Bruch, die revolutionäre
Diskontinuität ist also erst durch den Aufweis der Kontinuität
des kriegstreibenden Kapital-Imperialismus möglich: als Aufweis des
historischen Kontinuums des imperialistischen Welt-Klassenkriegs, dessen
perennierender sozialer Grundlage. Dieser Aufweis ist aber kein bloßer
"Historikerstreit", sondern allererst Bloßlegen des Klassengegensatzes,
Entfachen des vor sich gehenden Klassenkriegs hier, im Hinterland, für
uns (= die Proletarisierten international).
Es ist auch nicht mit dem abstrakten Appell und der angeklebten Beschwörungsformel
"Für den Kommunismus!" getan - wie in den wenigen linksradikalen Aufrufen
(z.B. zur "linksradikalen Demo" in Köln während der 1.Fase des
Krieges), als Hinzufügen einer leeren Sprechblase - ebensowenig wie
mit dem billigen Abschwören von der linken Vergangenheit auf neu-linksradikal,
womöglich generationistisch festgemacht an "den 68ern" (die schliesslich
nicht nur aus den Kriegsgewinnlern der APO bestanden, die heute sozial
und politisch im spektakulären Lichte stehen, sondern wesentlich aus
denen, die im Dunkeln stehen und die man - in der Glotze und auf den Publizistenforen
- nicht sieht), eine falsche, verlogene Diskontinuität der Verdrängung
und Projektion, die derzeit den hinterbliebenen Szenespiessern von den
Lippen springt (Die Linke ist tot, es lebe die Linke!).
Der Aufweis von Kontinuität und Diskontinuität bleibt bloß
abstrakt, wenn wir ihn nicht als die Härte der objektiven Dialektik
(Lukács) zeigen können, in der wir uns
passiv oder aktiv bewegen. Das ist historisch-analytische Arbeit, mit der
die Rekonstruktion von revolutionärer Theorie und Organisation beginnt.
Das können wir nicht individuell, sondern nur in Kooperation. In ihr
findet die Arbeit am revolutionären Bruch statt, oder es findet nichts
mehr statt.
Allein mit der Arbeit am Aufweis von Kontinuität und Diskontinuität
des imperialistischen Kriegs des Kapitals gegen die Proletarisierten wäre
ein radikaler Neubeginn zu machen.
LinkeExpertokratie bleibt blind
In den Anstrengungen zur Konkretisierung dieses Aufweises (theoretisch
und praktisch, nicht als die laufende Pseudotheorie und Pseudopraxis, Aktionismus,
Abspaltung von den Leuten) besteht eine besondere Gefahr. Besonders nochmal
"in der Linken", darin, uns vom Heer der Experten vollsülzen zu lassen,
deren kleinster gemeinsamer Nenner schon jetzt in dem blinden Fleck besteht:
alle möglichen Analysen von allen möglichen Erscheinungen der
Kriegstotalität zu liefern, nur nicht von deren struktivem Zentrum:
der auf dem Tauschwert beruhenden Produktionsweise, d.h. der Wert- und
Warenform der heutigen Welt in ihren verschiedenen Fetischformen (Geld
- Kapital - trinitarische Form - spektakuläre Form etc.); dem Klasseneigentum
= Privateigentum (Firmen, Staat) an den gesellschaftlichen Produktions-
und Lebensbedingungen, das dieser totalitären Warenproduktion, dem
System der Lohnarbeit zugrundeliegt; dem Proletariat, das mit diesem privaten
Klasseneigentum gesetzt ist und dieses unfreiwillig selber setzt und das
wir selber sind; das einzig mögliches Subjekt des Handelns bleibt
und Produktivkräfte wie Destruktivkräfte, kapitalistischen Frieden
und kapitalistischen Krieg ermöglicht oder aufkündigen kann.
Kaum eine der uns überflutenden linken wichtigen und wichtigtuerischen
Analysen und Expertisen zum gegenwärtigen Krieg, die diese Kernfrage
nicht übergeht. Zwischen der dritten Person plural und singular, von
der uns die professionellen Bescheidwisser erzählen, und der ersten
Person singular, die von dieser Flut ersäuft wird, bleibt die entscheidende
Realität, die ebenso global wie unsichtbar gewordene erste Person
pluralis ausgeblendet.
Der Abschied "der Linken" vom Proletariat, von dessen Begriff und neuer
Wirklichkeit, seit dessen bisher erstem und letztem Ansturm in der westlichen
Welt: in der "Bewegung der Besetzungen" Frankreich 1968, und seit
dessen spektakulärer Rekuperation, Fälschung und oberflächlichen
Eliminierung aus dem Massenbewusstsein in den 1970ern und '80ern, die einhergingen
mit dem politischen und ideologischen roll-back durch Kapital&Staat
im Weltmaßstab und mit der Verschmelzung des diffusen Spektakels
(westlichen Typs) mit dem konzentrierten Spektakel (östlichen Typs)
zum integrierten Spektakulären (Guy Debord: Kommentare
zur"Gesellschaft des Spektakels"1988,IV), d.h. zur vollends totalitär
gewordenen spektakulären Warenproduktion des katastrofischen Stadiums
des Kapitalismus - dieser linke ideologische "Abschied vom Proletariat",
während
dieses sich dermaßen extensiv und intensiv totalisiert und ausdifferenziert
hat, dass man tatsächlich den Wald vor Bäumen nicht mehr sieht
- ist mit diesem Krieg endgültig und schockartig in die offenbare
Notwendigkeit des Abschieds von "der Linken" umgeschlagen. Ihr
endgültiges Versagen vor der traditionell ihr zugewiesenen Aufgabe
einer Organisierung wenigstens der Unterstützung von Desertionen und
Totalverweigerung - in dem Maße, mit der Bewusstheit in Richtung
eines revolutionären Defätismus, wie es hierzulande heute schon
möglich wäre bei der breiten, aber konfusen, diffus-pazifistischen
Ablehnung des Kriegs und des Militarisierungsschubs - ebenso wie ihr Versagen
bei der Organisierung effektiver, ernstgemeinter symbolischer Aktionen,
Nadelstiche usw. gegen die NATO-Logistik etwa im Raum Frankfurt am Main
... - dieser unmissverständliche Offenbarungseid, gerade in der Fixierung
auf den Grünen-Kriegsparteitag, in der bleibenden Negativfixierung
auf das Regierungslager "der 68er", drängt jetzt allen lebendigen
antikapitalistischen Elementen angesichts der Restlinken die Devise auf:
lasst die Toten ihre Toten begraben.
:
untergehen und abwenden, kein Zurück
Heute gibt es noch nicht einmal eine "Zimmerwalder Linke", es gibt allenfalls
die spektakuläre Farce von reformistisch-pazifistischen "Zimmerwalder
Konferenzen" für die weltstaatlich orientierten, weltbourgeoisen "Eliten"-in-spe
(siehe z.B. jetzt Friedensblättchen der Weltwirtschaftsgipfel-"Stürmer/innen").
War ab Sommer 1914 die Sozialdemokratie nur noch ein stinkender Leichnam,
so ist es ab Frühjahr 1999 "die Linke". Revolutionäre, communistische
Bestrebungen können nur noch den Bruch mit "der Linken", aus der sie
kommen, ins Auge fassen, wollen sie nicht mit dieser ihrer toten Mutter
zusammen ins Grab. Denn ein für allemal: "die Linke" war und ist nie
etwas anderes als der linke politisch-ideologische Flügel der bürgerlichen
Gesellschaft selbst, ihr "ewiges" Jakobinertum, und sie konnte auch nie
mehr als das sein. Die Jakobiner, die Linken, waren seit ihrer Geburt in
der Französischen Revolution ("Konstituierende Versammlung" 1789-1791,
dann Konvent und Wohlfahrtsausschuss bis 1794) patriarchalistisch und bleiben
es - trotz permanenter politisch-korrekter Gleichheitsfraseologie. Sie
standen von Anbeginn dem plebejischen "Vierten Stand" bald ambivalent bald
offen feindlich gegenüber, trotz permanenter überanstrengter
Sozial-Sansculotterie. "Die Revolte", für die ihre Politikanten, Militanten,
Tribune und Publizisten das proletarisierte Element von Anfang an idealistisch
unbewusst oder demagogisch bewusst vereinnahmten, parlamentarisch ausnutzten
und immer wieder gegen die proletarische Revolution, gegen Strategie und
Klassenkrieg spontaneistisch auszuspielen verstanden (dieser Vulgärspontaneismus
hat nichts mit dem proletarisch-revolutionären Spontaneismus etwa
einer Rosa Luxemburg zu tun, die theoretisch und strategisch argumentierte),
war und ist die Revolte des karrieristischen bürgerlichen Parvenü
als "Citoyen/ne", die Revolte des Möchtegern-Bürgers nach oben
hinein, der Ersten Person Singularis als junger Mann (oder Karrierefrau)
ins großbürgerliche "Erwachsensein" der Akkommodation; der "realpolitische"
triviale Roman der Revolte des antiproletarischen Ego gegen seine Proletarisierung.
Hätte die spontaneistische und dann aktionistische "radikale" Linke
der letzten zwei Jahrzehnte ihre eigene Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte
einigermaßen reflektiert, statt immer nur im Hier&Jetzt des nächsten
Kalendertermins, der nächstbesten "Aktion" in den Tag hinein zu leben,
dann wäre sie nicht in der Fixierung und jetzt noch Negativfixierung
auf diese "einer von uns"-Figuren wie "Dany" und "Joschka" usw. klebengeblieben,
mit denen sie - linksradikal und autonom - nun auch als deren dazugehöriges
spiegelverkehrtes Gegenstück untergehen muss.
Der Abschied vom Proletariat, das nie verschwunden ist, sondern sich
entwickelt und mannigfaltig verändert hat - verborgen in den verkehrt-realen,
warenfetischistischen Erscheinungsformen der Zirkulationsgleichheit (Geldfetisch)
und der freien Wahl der individuellen Bedingungen der Lohnarbeit (Lohnfetisch)
sowie der spektakulären, d.h. passiv-kontemplativen Wahlfreiheit seiner
fabrizierten Bilder und Träume vom eigenen eigentlichen Leben, in
denen ihm dasselbe, seine eigene Aktivität, lebendige Arbeit
und individuelle Gesellschaftlichkeit zur feindlichen Macht entfremdet
ist (die Gesellschaft des Spektakels) - dieser ideologische Abschied
vom Bezug aufs Proletariat-das-sich-selbst-aufhebt oder unsichtbar zerstückelt
bleibt, das revolutionär ist oder nichts ist, erweist sich jetzt als
jahrzehntelanger Selbstbetrug "der Linken", als ihre vergebliche Verdrängungsleistung,
woran "die Linke" in Wirklichkeit ihren langsamen Abschied von sich selbst
genommen hat. Mit dem - wenigstens traditionell linksbürgerlichen
=jakobinistischen Bezug aufs Proletariat - ob als Jakobiner gegens Volk
(Daniel Cohn-Bendit 1984 im "Pflasterstrand": "Wir sind Danton."), als
"Jakobiner mit dem Volk" (Lenin, ML=Stalinismus, Trotskismus und Neo-MLismus)
oder als "autonome" Enragé(e)s - haben sie alle, wir alle!,
die historische Funktion verloren bzw. selbst aufgegeben, so etwas wie
progressive Mittlerin zwischen bürgerlich-revolutionärer
Tradition, bürgerlich-substanziellem Emanzipationsversprechen (Demokratismus-Anspruch
"bis ans Ende") einerseits und proletarischem Emanzipationsvermögen
zur Klasse-an-und-für-sich, zur Aufhebung der Dualität der beiden
gesellschaftlichen Menschenklassen-Lager überhaupt zu sein.
Mit diesem letzten westlichen Krieg des kapital-imperialistischen Jahrhunderts,
der zugleich als Auftakt zur Kriegsära bloßen imperialistischen
Katastrofen-Managements in der totalen Verwertungskrise des globalisierten
Kapitals gelten soll, hat es sich endgültig ausgemittelt. Wenn die
winners und wannabe-winners der sixties-people der imperialistischen Metropolen,
d.h. der halbe Tross der klassischen "Neuen Linken", generationsweise auf
die Seite der offenen Reaktion, der als "Neue Mitte" deklarierten Rechten,
der als Klasse soziologisch praktisch ja schon abgetretenen Bourgeoisie
nun als Parvenu(e)s-"Elite", Schicht neuer Führungskräfte übergeht,
bleibt den "Restlinken" nichts übrig als sich diesem Tross klammheimlich
anzuschliessen (Indikatoren z.B.: JungleWorld goes taz, wir konnten es
jede Woche beobachten; oder das Straucheln von Figuren wie Mark Terkessidis
vor den Oktoberwahlen ...) - oder als losers ihren politisch-sozialen Untergang
zu überhöhen (z.B. die "Glücklichen Arbeitslosen" u.ä.),
neo-proudhonistisch und/oder apokalyptisch wieder mal einen "Ausstieg aus
der Arbeitsgesellschaft" zu stilisieren (mit Sprüchen wie z.B. vom
Schwätzer&Hetzer Franz Schandl: "Das Proletariat als Feind des
Kommunismus" usw.; die Wiederkehr der "Tunix"-Laller nach exakt 20 Jahren
in einem letzten Großangriff auf die Reste etwa noch irgendwo vorhandener
Marxscher kritischer Kategorien: ihr Zentrum der emanzipatorisch-materialistische
Arbeitsbegriff), bzw. gleich mehr oder weniger offen, mehr oder weniger
schamlos nach rechts unten zu gehen zur "nationalen und sozialen Revolution"
(der arrivierte Professor Rabehl e tutti quanti) -- oder sich für
den
Übergang zu entscheiden, sich auf die historische Option zu
besinnen, die den radikalen Linken seit jeher sozial allerdings
am nächsten liegt: die neu zu bestimmende communistische Revolution
des Proletariats-das-sich-selbst-aufhebt.
Aus der Defensive in die Offensive: das strategische
Zentrum ins Auge fassen
Die Vermittlung kann nämlich einzig noch in der von Theorie und Praxis
dieses Bewusstwerdungsprozesses als Klasse bestehen, nachdem alle blinde,
bewusstlose, theoriefeindliche Praxis der zurückliegenden drei Jahrzehnte
sich als Pseudopraxis fruchtlosen Reformismus und ohnmächtiger Scheinrevolten
erwiesen hat, mit diesem Krieg gescheitert ist. Der neue, umfassendere
und die Proletarisierten hierzulande erstmals wieder direkt erfassende
Barbarisierungs-Schub, den die Herrschenden (gemanaged durch ihre nachgerückten
rechten Neue-Mitte-Linken) mit diesem Krieg eingeleitet haben, lässt
keine revolutionäre Vermittlung mehr zu als die direkt selbstbewusst-proletarische;
keine radikale Aktion mehr als die jeweils direkt und "maximalistisch"
auf die realen Möglichkeiten des modernsten Communismus weisenden:
d.h. nichts anderes als theoretische und praktische Aneignungsvorstöße
auf den ungeheuren Reichtum der ungeheuren Warensammlung und der gesellschaftlichen
Produktions- und Lebensbedingungen selber - als nützlichen Gebrauchsdingen
für unsere (der Proletarisierten und Pauperisierten) enormen Bedürfnisse
- für die es keine "nationalen" und gesellschaftlichen Grenzen
gibt! Alles darunter mag zwar noch das schattenhafte Zombie-Nachleben
traditioneller "linker Politik" und "Utopie" vorführen, wird jedoch
lediglich den wohlbekannten Leichenduft von der Art welkender Rosen im
Schauhaus des integrierten politischen Spektakels stiften: "Die Linke ist
die Linke ist die Linke ..." im abgeschlossenen Raum ihrer Szene.
Nicht dieser restlinke selbstreferentielle Wiedergänger "unserer Utopie",
unserer Rituale, sondern nur eine neu zum Bewusstsein ihrer materiellen
und kreativen Möglichkeiten erwachende Aktivität selbstbestimmt
assoziierter proletarisierter und pauperisierter Individuen mit dem neuen,
direkt communistisch orientierten selbstbewusst- proletarischen Element
als nicht mehr von der Klasse abtrennbarer Kraft kann eine gezielte und
motivierte Aneignungspraxis auslösen, die von keiner rechten und keiner
linken politischen Partei mehr "repräsentiert" und in die bürgerliche
Gesellschaft zurückgelenkt werden kann, sondern den hier und dort
wieder beginnenden Aufbruch verkörpert zur Emanzipation der Proletarisierten
von ihrer Proletarisierung, der menschlichen gesellschaftlichen Individuen
von ihrer Klassifizierung, den gesellschaftlichen Produktions-Möglichkeiten
von der Lohnarbeit/Kapital-Form und allen ihr subsumierten Ausbeutungsformen,
Emanzipation der kombinierten und individuellen kreativen Arbeit von ihrer
Versklavung und Entfremdung in der Ware/Geld/Lohn-Form, gegen den "Standort"-
und Welt-Staat, gegen Familienform (Patriarchat), Rassismus und das Elend
der Religion.
Erst wer auf eine solche zielgerichtete. ergebnisorientierte Aneignungsbewegung
jetzt hinarbeitet - als Teil, aktives Element des heutigen Proletariatsprozesses
in und ausserhalb dem unmittelbaren Produktionsprozess des Kapitals - ,
arbeitet auf die reelle Möglichkeit des Umschlagens des kapital-imperialistischen
Krieges in den offen entbrennenden Klassenkrieg gegen "unsere" Abteilung
des Weltbürgertums hin, das ja so oder so auf uns schiessen und uns
zu vernichten versuchen wird, das aber stückweise auch taktisch
in die Defensive und seinen Untergang gezwungen werden kann, sobald wir
- die global Proletarisierten und Pauperisierten - in die strategische
Offensive gelangen können.
Gerade in Jugoslawien musste das Kapital (als westlich-imperialistisches
IWF- wie als bürokratisch-nationalistisches Staats-kapital) die widerständigen
Rudimente exemplarisch und exterministisch schleifen, gegen die ihnen schon
zu weit gehenden und unkontrollierbar scheinenden Positionen der Proletarisierten
dort ein Exempel statuieren. Die oben zitierte Einschätzung in "Die
Aktion" hält hinsichtlich der Klassenkämpfe im Jugoslawien nach
Tito zutreffend fest (S.39):
"Aber das bedeutet gerade in Bezug auf diese Bewegungen, nach der
Aneignungsperspektive solcher Kämpfe zu fragen. Die Arbeiterbewegungen
der Achtziger Jahre haben in Jugoslawien die existierenden Institutionen
lediglich für sich instrumentalisiert, sie haben die Ausbeutungsstrategien
auf ökonomischem Terrain blockiert und damit eine Macht bewiesen,
die eine Zeitlang stark genug war, um sich nicht selbst zur gesellschaftlichen
Alternative konstituieren zu müssen. Eben das beschreibt das Dilemma,
das hier zu einer regelrechten Tragödie wurde, in sozialistischer
Perspektive (...)"
Das Exempel, das hier von der internationalen Brüderschaft des
Kapitals (Karl Marx) statuiert wurde, heisst:
nirgendwo darf es das Proletariat in der Neuen Weltordnung wagen, aus der
strategischen Defensive, aus dem Nichts, sich herauszubewegen, in welche
das Kapital seit den 1970ern es zurückdrängen konnte. Unser
Dilemma - ob auf dem Balkan, ob in einer der imperialistischen "Metropolen"
- heisst: nicht unbewusst-spontan in taktische Offensiven hineinstolpern,
weil diese allein in der strategischen Defensive bleibend zu derartigen
"Strafaktionen" des Feindes führen, wie wir sie 1999 aufs blutigste
und demoralisierendste erleben. Sondern unser Dilemma lässt
sich nur in der klarsichtigen, illusionslosen und historisch belehrten
Orientierung auf die Aneignung der Produktions- und Lebensmittel der heutigen
Gesellschaft lösen: im langfristig-offensiv angelegten Zugriff aufs
strategische Zentrum des Feindes, viel eher in anfänglich scheinbar
nur taktisch-defensiven hit-and-run Nadelstichen, aber in der Wendung zur
strategischen Offensive. Diese Wendung aus dem Krieg, der Katastrofe heraus
- der allererst als verdeckter Klassenkrieg begriffen werden muss
(und kata–stréfein = altgriechisch:
ab-wenden, die Schicksalswende
einleiten, den Boden umwälzen, das Unterste nach oben kehren)
- ist nur kooperativ, nur organisiert als theoretisch-systematische und
praktisch-experimentelle Aneignungsbewegung möglich. Wir können
diesen neuen Anfang-aus-der-Katastrofe wagen, weil in ihr, d.h. in
diesem Krieg, trotz unserer Niederlage schon jetzt erkennbar ist:
Dieser Krieg gegen die Menschen in Jugoslawien - d.h. gegen uns
dort -, die gegen ihre Ausbeuter "drinnen" wie "draussen" widerständig
waren und sind, - und derselbe Krieg gegen die Menschen, die im Kosovo
besonders zähen Widerstand gegen ihre Unterdrücker gezeigt haben
und die in Albanien 1997 in einem bewaffneten Aufstand die unmittelbare
Macht und Versorgung regional für einige Wochen selbst in die Hand
genommen haben -- dieser Krieg gegen unseresgleichen heute dort sieht nach
einer Strafaktion fürs Proletariat auf dem Balkan aus und erweist
sich damit schon als imperialistische
Flucht-nach-vorn, als defensive
Reaktion. Die täglich schärfer und komplizierter sich entwickelnde
Konkurrenz im NATO-Raubtierrudel selbst, seine schnell lädierte "Zivilität"
und "Humanität" trotz angestrengtester, gigantischer psychologisch-propagandistischer
Kriegführung auf allen Kanälen gegen die "eigene" Bevölkerung
- lassen eine historisch-ökonomisch irreversible
strategische Defensivlage
der neu in den Sattel gelangten Abenteurer/innen der kapitalistischen
"Zivilgesellschafts"-Barbarei langsam aber sicher als solche erkennbar
werden. Wenn wir diese - unsere einzige realistische - Möglichkeit
zur Interventionsvorbereitung in diese Widersprüche hinein, d.h. zur
Vorbereitung
der strategischen Offensive unsererseits im heutigen Proletariatsprozess,
dessen Teil wir längst sind, nicht wahrnehmen und zu nutzen beginnen
wollen, dann können wir uns allerdings gleich selber als die Opfer
des nächsten oder übernächsten Kriegs des Kapitals proskribieren.
"Wie kritisch die Situation und die Verhältnisse, in denen ihr
euch befindet, auch sein mögen, verzweifelt an nichts; unter den Umständen,
wo alles zu fürchten ist, darf man nichts fürchten; wenn man
von allen Gefahren umgeben ist, darf man keine von ihnen fürchten;
wenn man ohne irgendwelche Mittel ist, muss man auf alle zählen; wenn
man überrascht wird, muss man den Feind selber überraschen."
SUN-ZI : DIE KUNST DES KRIEGES -
hier zit. als nicht naiv zu lesendes Motto für KOMMENTARE (1988) ZUR
GESELLSCHAFT DES SPEKTAKELS von GUY DEBORD |