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  KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Extra zum Krieg - 16.10.1999 - Onlineversion

Sascha Kimpel                                                                                     Juni 1999

Die Balkankriege im Frühjahr 1999

 
für die Materialsammlung zur Vorbereitung des 1. bundesweiten Treffens der Teilnehmer offener Kommunistischer Foren eingereicht von Sascha Kimpel <kimpel@zedat.fu-berlin.de> am 29.06.1999

Stoppt den NATO-Krieg gegen Serbien!
Stoppt die "ethnischen Säuberungen" der Milosevic-Regierung!
Solidarität mit den Kosovo-Albanern!

  1) Bei den derzeitigen militärischen Auseinandersetzungen im Balkan handelt es sich nicht um einen, sondern um zwei von einander zu unterscheidenden Kriegen, die ihre eigene Ursachen und Hintergründe haben. Auch wenn auf der militärischen Ebene sich beide Konflikte verknüpfen, so müssen wir die politischen Dimensionen aufdecken und nicht der Logik des "kleineren Übels" verfallen.
  a) Bei der Bomardierung Serbiens durch die teilnehmenden NATO-Staaten handelt es sich eindeutig um einen imperialistischen Krieg der weltweit führenden Mächte gegen ein halbentwickeltes kapitalistisches Land und seine bürgerliche Regierung zur Aufrechterhaltung des "Status Quo" und der "Stabilität" in Südosteuropa.
  b) Die Politik der Vertreibung und der "ethnischen Säuberungen" durch die reguläre "jugoslawische" Armee und die paramilitärischen Banden von Arkan und Seselj stellt einen Vernichtungskrieg zur Verwirklichung Großserbiens dar, dem strategischen Projekt des Milosevic Regimes.

  2) Der NATO geht es nicht um das Leben und das Selbstbestimmungsrecht der Kosovo-Albaner Unzählige Beispiele beweisen, daß Unterdrückung, Vertreibung, Massaker und Folter den imperialistischen Ländern gleichgültig sind, solange ihre Interessen berührt werden (siehe Unterdrückung der Kurden). Der Ursprung der NATO-Intervention liegt im Versuch den sich zuspitzenden Konflikt zwischen den Kosovo-Albanern und der serbischen Armee zu begrenzen und eine Ausweitung auf umliegende Länder zu verhindern. Die führenden imperialistischen Länder haben auf eine explosive Situation, die außer Kontrolle zu geraten drohte, reagiert und nicht den Krieg mit Serbien gesucht. Dies wird u.a. dadurch belegt, daß im Rambouillet-Abkommen explizit den Kosovo-Albanern das Recht auf Selbstbestimmung - welches das Recht auf einen unabhängigen Staat einschließt - verweigert und ein Abkommen mit Milosevic gesucht wurde. Darüber hinaus geht es der NATO und hierbei insbesondere den USA um eine Demonstration der Stärke gegenüber Rußland und allen anderen Atommächten und um die Weiterentwicklung der NATO zu einem weltweit einsetzbaren "Ordnungsinstrument".

  3) Spätestens seit 1989, als die serbische Regierung das Autonomiestatut im Kosovo innerhalb Serbiens abschaffte, spitzte sich der Konflikt zwischen dem serbischen Regime und der Kosovo-Bevölkerung über mehrere Etappen hinweg zu. Es bildete sich ein Apartheidsystem. Die Kosovaren wurden aus der staatlichen Verwaltung und aus staatlichen Betrieben gedrängt, die Bildungsinstitutionen fielen unter die Kontrolle des serbischen Nationalismus. Die Kosovo-Albaner unter der Führung von Rugova und seiner gemäßigten Demokratischen Liga bauten umfassende Parallelinstitutionen auf und führten ihre eigenen Wahlen durch. Die Regierung im Westen erkannten diese durch die große Mehrheit der Bevölkerung legitimierten Institutionen nicht an und zogen es vor mit Milosevic zu verhandeln.
  Mit der Zeit gewannen die Kräfte, die auf den bewaffneten Widerstand gegen die serbische Repression setzen an Zulauf. Spätestens im Sommer 1998 wurde die UCK in den Augen eines großen Teils der kosovarischen Bevölkerung zu glaubwürdigen Kraft. Die serbische Regierung konnte weder die Präsenz der UCK auf "jugoslawischen" Gebiet noch eine weitgehende Autonomie dulden. die Armee und insbesondere die rechtsradikalen paramilitärischen Banden begannen daraufhin einen Vernichtungskrieg gegen die Kosovo-Albaner mit dem ziel die UCK zurückzuschlagen und einen großen Teil der albanischen Bevölkerung, mittels der schon in Bosnien und Kroatien angewandten Methoden, (Plünderungen, Brandschatzung, Folter, Vergwaltigungen, Massaker ...) zu vertreiben. Bis zum heutigen Zeitpunkt sind circa eine Million Menschen zur Flucht gezwungen worden.1 Die Bomardierungen der NATO haben die Vertreibung der Kosovo-Albaner nicht verhindert. Genau das Gegenteil ist eingetreten. Erst durch den Abzug der OSZE-Beobachter und die Angriffe der NATO konnte Milosevic die Zerschlagung der UCK und die "ethnischen Säuberungen" in einem entsprechend kurzen Zeitraum durchsetzen. In Serbien wurde die nationalistisch Regierung gestärkt und die demokratische Opposition sowie die unabhängigen Medien sind verstummt. Seit dem 24. März ist ein Zurückdrängen des aggressiven serbischen Nationalismus und die Perspektive einer multiethnischen Bakanföderation in weite Ferne gerückt. Ebenso wurde die Region nicht "stabilisiert". Es besteht die Gefahr eines Übergreifens des Konflikts zumindestens auf Albanien, Mazedonien, Montenegro und Bosnien.
  Die imperialistische Intervention richtet sich nicht - oder zumindest nicht in erster Linie - gegen die serbische Regierung und ihre Generäle, sondern gegen die Bevölkerung und die Soldaten in Serbien, Montenegro und Kosovo. Präzise Angaben existieren nicht, aber wahrscheinlich sind sind mehrere Tausend Zivilisten umgekommen oder verwundet worden. Die Zerstörung der Infrastruktur (Brücken, Straßen, Kommunikationsmittel, Bahn usw.) durch die Bomben trifft zuallererst die einfache Bevölkerung und nicht das Militär und die politische Führung. Ein möglicher Einsatz von Bodentruppen würde für die gesamte Region unabsehbare Schäden mit sich ziehen und könnte zu einer möglichen militärischen Eskalation auf gesamteuropäischer Ebene führen.

  5) Die Schröder-Regierung beteiligt sich uneingeschränkt an diesem Krieg. Zum ersten Mal seit 1945 führt Deutschland wieder Krieg und das unter einer "linken" Regierung! Wieder einmal zeigt sich die deutsche Sozialdemokratie wozu sie fähig ist. Dies wird all jenen zu denken geben, die immer noch glauben, daß es unter Schröder-Fischer weniger schlimm wird als unter Kohl. Den Widerspruch zwischen der wirtschaftlichen und politischen stärke der BRD und ihrer militärischen Schwäche versucht die Regierung entsprechend zu lösen. Denn die Interessen der deutschen Kapitals sind ohne kriegerischen Einsatz bei fortschreitender "Globalisierung" nicht mehr wirksam zu vertreten. Bereits jetzt wurde angekündigt, das das deutsche Militär sich modernisieren und weiter umstrukturieren muß, um für zukünftige Aufgaben gewappnet zu sein.

  6) Die Haltung der revolutionären Sozialisten muß die Komplexität des Konflikts in Betracht ziehen. Das heißt wir müssen zu beiden Kriegen in gleicher Weise Stellung nehmen. Unser Ausgangspunkt kann nur die Verteidigung der Interessen der Bevölkerungen in dieser Region und die Perspektive einer Balkanföderation befreit vom Krieg, Massakern, Vertreibung und Armut. dies kann nur umgesetzt werden, wenn wir von der konkreten Situation ausgehen. Drei untrennbar miteinander zusammenhängende Losungen fassen die politische Position der Revolutionäre zusammen:
- Stop der Bombardierungen und die Ablehnung eines möglichen Bodeneinsatzes der NATO
- Stop der Politik der ethnischen Säuberungen des Milosevic-Regimes; Rückzug der serbischen Truppen aus dem Kosovo
- Selbstbestimmungsrecht für die Kosovo-Albaner bei uneingeschränkten Rechten für die serbische Minderheit
  Unsere Hauptstoßrichtung zum aktuellen Zeitpunkt besteht in der Kritik der NATO-Propaganda laut der er Krieg zum Schutz und im Interesse der Kosovo-Alabaner geführt wird (Wir dürfen diese Argumentation nicht überspringen und gleich auf die eigentlichen Gründe für die imperialistische Intervention eingehen. Unsere Aufgabe besteht darin zumindest einen Teil der Arbeiterklasse und der Jugend zu überzeugen und uns an ein vermeintlich anti-imperialistisches Lager zu wenden). Die Kritik an der Intervention und an den Bomardierungen muß konkret sein und von den Interessen der Kosovo-Albaner ausgehen: die NATO bombardiert weder um das Leben der Kosovo-Albaner zu retten noch um die Vertreibungen zu verhindern. Dies ist durch die Ereignisse der letzten 7 Wochen bestätigt worden. Das ist unser erstes Argument.
  Zweitens müssen wir uns unzweideutig für die Rechte der Kosovo-Albaner eintreten und die kriminelle Politik der ethnischen Säuberungen verurteilen. Wir dürfen in keinem Fall die Kriegsverbrechen der serbischen Truppen verschweigen und die Kritik an Milosevic als zweitrangig betrachten.2 
  Drittens müssen wir für das Selbstbestimmungsrecht der Kosovo-Albaner eintreten. Aber die Durchsetzung dieses Rechts setzt die physische Integrität der Menschen ebenso voraus wie die Rückkehr der Flüchtlinge in den Kosovo und die Beendigung der seit mindest einem Jahrzehnt andauernden Unterdrückung. Für die revolutionären Sozialisten kann kein Argument die Vertreibung von 1 Million Menschen, Massaker, Vergewaltigungen  usw. rechtfertigen. Dies steht nicht nur im Widerspruch zur sozialistischen Moral sondern ist vom Standpunkt der Selbstbefreiung der Unterdrückten und dem Aufbau einer emanzipatorischen Gesellschaft kontraproduktiv. (Ganz abgesehen davon, daß der ehemalige Stalinist Milosevic, ebenso wie die ehemaligen Stalinisten Karadcic und Mladic - heute uneingeschränkt für die freie Marktwirtschaft und den Kapitalismus eintreten). Die Selbstverteidigung der Kosovo-Albaner gegen die militärische, nationalistische und rassistische Vernichtungspolitik der serbischen Regierung ist für uns legitim. Dies heißt nicht, daß wir die UCK politisch unterstützen. Dennoch sei hier erwähnt, daß die Marxisten sowohl der II, III und IV. Internationale - allen voran Lenin und Trotzki - immer eine grundlegende Unterscheidung zwischen dem Nationalismus der Unterdrücker und dem Nationalismus der Unterdrückten zogen. Und es kann heute nicht daran gezweifelt werden, daß die Kosovo-Albaner - wie zuvor die Moslems in Bosnien - eine unglaublich barbarische Unterdrückung von Seiten des serbischen Staatsapparates erleiden.
  Viertens müssen wir unsere Kritik bezüglich der rot-grünen Regierung zuspitzen und in den Zusammenhang von Wirtschafts- und Sozialpolitik stellen.
  Fünftens müssen wir konkrete (permanente) Arbeitersolidarität entwickeln mit den Völkern des Balkans und in Betrieb und Gewerkschaften vorhandene Ansätze zum Thema machen und eine entsprechende Praxis aufbauen.
  Sechstens sollten wir alle Gelegenheiten nützen mit revolutionären, nicht-stalinistischen Kräften, zusammenzuarbeiten um gemeinsam einen Pol bei Demonstrationen und Diskussionen zu bilden, sowie sich gegenseitig in der Antikriegsarbeit im Betrieb und Gewerkschaft und an den Schulen und Universitäten zu unterstützen.

Marc Fischer, Simon Schuster (7.5.1999)

  1 Die Massaker und die Vertreibungen wurden von der serbischen Regierung geplant und durchgeführt. sie trägt demnach die hauptsächliche Verantwortung.
  2 Nicht zuletzt deswegen ist es erforderlich eine radikale Kritik an Positionen zu üben, wie sie von Teilen der radikalen und reformistischen Linken vorgebracht werden, die ihr Sprachrohr in Publikationen wie der UZ, Neues Deutschland, Junge Welt, konkret ... finden. Auch in der Soz wurden zum Teil ähnliche Positionen vorgebracht. In den Antikriegszeitungen der PDS, wo Winfried Wolf sich verantwortlich für zeichnet, hat sich bezüglich des serbischen Nationalismus und den ethnischen Säuberungen sehr zurückgehalten. Mit all diesen reaktionären und neostalinistischen Kräften, in welcher Form sie auch auftreten, haben wir nichts zu tun. Auch zehn Jahre nach Zusammenbruch des "sozialistischen Lagers" handeln diese Kräfte noch immer nach der Logik "der Feind meines Feindes ist mein Freund". 

 
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