für die Materialsammlung zur Vorbereitung des 1.
bundesweiten Treffens der Teilnehmer offener Kommunistischer Foren eingereicht
von Sascha Kimpel <kimpel@zedat.fu-berlin.de> am 08.06.1999
Der Krieg der serbischen Truppen gegen die Bevölkerung in
Kosova und der Krieg der NATO gegen Jugoslawien haben bei der Linken eine
tiefgehende Glaubwürdigkeitskrise offenbart. Grundlage jeder emanzipatorischen
und sozialistischen Politik ist die Unteilbarkeit von Menschenrechten,
Selbstbestimmung und Demokratie.
Gregor Gysi und die PDS haben wiederholt die völkerrechtliche
Illegalität des NATO-Angriffs hervorgehoben, letztlich aber nichts
anderes als weitere Verhandlungen mit dem Regime in Serbien vorgeschlagen,
um die ethnischen Säuberungen zu stoppen. Die drei von Winfried Wolf
herausgegebenen Antikriegszeitungen und die jüngste WSW-Zeitung der
PDS-Bundestagsfraktion handeln die Massaker und Vertreibungen in Kosova
als Randthema ab. Die Forderungen der kosovarischen Bevölkerung nach
demokratischer und nationaler Selbstbestimmung finden keinen Widerhall.
Die UCK wird als separatistisch und terroristisch verteufelt und auf die
gleiche Ebene mit dem serbischen Staatsterror gestellt. Demgegenüber
ist die Junge Welt unzweideutig und stellt sich zynisch auf die Seite der
serbischen Unterdrücker. Welche Debatte will die SoZ befördern,
wenn sie Werner Pirker von der Jungen Welt zu Wort kommen zu läßt,
der schlicht die Unterdrückung der Kosovaren negiert?
Letztlich scheint für die "deutsche Linke" die kosovarische
Bevölkerung als eigenständiges Subjekt mit politischen Ambitionen
nicht zu existieren. Winfried Wolf befürchtet, daß mit der Rückkehr
der Vertriebenen auch die UCK wieder nach Kosova eindringen könne
(SoZ 27.5.1999). Heißt das, die Vertriebenen sollen erst zurück
dürfen, wenn die UCK entwaffnet ist?
Selbstverständlich ist es richtig, den Angriff auf Jugoslawien
und die gesamte NATO-Strategie als imperialistische Expansion zu verurteilen
und bekämpfen. Aber es ist falsch, nicht zu erkennen, daß zugleich
ein anderer Krieg stattfindet, der Krieg des serbischen Regimes gegen die
kosovarische Bevölkerung. Dieser Krieg hatte lange vor den ersten
NATO-Bomben begonnen und wurde mit den Methoden der "ethnischen Säuberungen",
der Massenvertreibungen und Massenmorde geführt. Die Kosovaren, die
sich über ein Jahrzehnt friedlich für eine begrenzte Autonomie
und vor allem für kulturelle und demokratische Selbstbestimmung einsetzten,
wurden von der Linken in Europa nicht beachtet. Noch immer hielt sich in
linken Köpfen die betrügerische Illusion eines fortschrittlichen
und multiethnischen Jugoslawien. Ist den Kosovaren, Ibrahim Rugova und
der UCK wirklich zu verübeln, sich an den Westen zu wenden und um
Unterstützung zu bitten? An wen hätten sie sich sonst wenden
sollen? Hat nicht sogar Öcalan mit seinem Aufenthalt in Rom, die EU
verzweifelt angefleht und gebeten, den Kurden beizustehen? Versucht nicht
Arafat immer wieder den Westen für die Anliegen des palästinensischen
Volkes zu gewinnen? Diese Bemühungen sind so verständlich wie
illusorisch und erfolglos. Aber die Linke in Europa hat sich den Organisationen
der Kosovaren nie als glaubwürdige Gesprächspartnerin angeboten.
Selbstverständlich sind großalbanischer und serbischer Nationalismus
und Chauvinismus gleichermaßen zu verurteilen. Politische Irrwege
der UCK und dubiose
Inszenierungsmethoden können kein Vorwand sein, uns dem gerechten
Anliegen der kosovarischen Bevölkerung auf Selbstbestimmung zu verschließen.
Angela Klein hat in der SoZ (29.4.1999) richtigerweise darauf hingewiesen,
daß zu verstehen ist, warum die UCK einen Rückhalt in der Bevölkerung
gewann. In den Augen vieler Kosovaren tritt sie eben am konsequentesten
für ihre Rechte ein.
Warum ist die Linke in Deutschland nicht mehr in der Lage, dem
zentralen Grundsatz zu folgen, "alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen
der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches
Wesen ist" (Karl Marx MEW 1, S. 385), also gegen jede Unterdrückung
und Ausbeutung anzukämpfen, wo immer und unter welchem Vorzeichen
sie auch immer geschieht? Die deutsche Linke drückt sich konsequent
um die Frage des Selbstbestimmungsrechts der kosovarischen Bevölkerung
herum. Warum sorgt man sich mehr um die territoriale Integrität eines
repressiven Staates als um die elementarsten demokratischen und kulturellen
Rechte der Kosovaren? Aus Furcht vor einer nationalistischen Fragmentierung
des Balkans will man den Völkern (und das sind sie, solange sie sich
selbst als solche verstehen) das Recht auf Selbstbestimmung verweigern.
Wer, wenn nicht die kosovarische Bevölkerung selbst, soll über
die eigene Zukunft und die gewünschte staatliche Organisation entscheiden
sollen? Zwischen dem Nationalismus der Unterdrückten und dem Nationalismus
der Unterdrücker nicht zu unterscheiden, widerspricht den elementarsten
Grundsätzen emanzipativer und sozialistischer Politik.
Auch die NATO, die USA und die europäischen Regierungen
sprechen den Kosovaren bis heute konsequent das Recht ab, über sich
und die von ihnen gewünschte staatliche Organisation zu bestimmen.
In dieser Frage scheint eine ganz große Koalition von der NATO über
die verschiedenen Regierungen bis hin zur sogenannten "antinationalen"
deutschen Linken zu bestehen.
Sich allen Verhältnissen der Unterdrückung zu widersetzen,
kann in dieser Situation nur heißen, sich auf die Seite der Kosovaren
zu stellen, trotz und wegen der Ungeheuerlichkeit des NATO-Angriffskriegs.
Die Glaubwürdigkeit der Linken in Europa und in den USA mißt
sich daran, ob sie ein Kräfteverhältnis aufzubauen kann, das
einerseits der NATO eine Weiterführung der Bombardierungen verunmöglicht
und andererseits den Vertriebenen glaubwürdige Perspektiven für
die Rückkehr bietet. Schließlich muß der Bevölkerung
das Recht auf demokratische und nationale Selbstbestimmung gewährt
werden, was auch das Recht auf Unabhängigkeit und Selbstverteidigung
einschließt, sofern den Serben ihre Minderheitsrechte garantiert
bleiben. Aus sozialer und ökonomischer Sicht mag man die staatliche
Unabhängigkeit kritisieren. Aber erst das prinzipielle Recht auf Selbstbestimmung
schafft die Voraussetzungen, daß alle Beteiligten einen gleichberechtigten
Dialog über die staatlichen Formen des Zusammenlebens führen
und längerfristig die Perspektive einer Konföderation auf dem
Balkan ins Auge fassen können.
"Linke", die das jahrelange Leid der kosovarischen Bevölkerung
zu erst negierten und jetzt verharmlosen, haben sich nicht weniger als
Grüne und SPD ebenfalls vom zur Zeit schmalen Pfad einer solidarischen
und emanzipatorischen Politik verabschiedet. Wo die plumpe Logik, "der
Feind meines Feindes ist mein Freund" und Zynismus herrschen, können
keine Ansätze für Solidarität und glaubwürdigen Antiimperialismus
entstehen. Mehr als anderswo in Europa und in Nordamerika, scheinen hier
unter der sogenannten radikalen Linken ein geopolitisches Blockdenken und
ein "Pseudo-Antiimperialismus", die nahtlos in einen reaktionären
Neostalinismus abgleiten, besonders verankert zu sein. Jene, die André
Brie von der PDS wegen seiner Abgrenzung von der DDR und seiner Kritik
an taktischem Verhalten zu Menschenrechten als Rechtsabweichler denunzieren,
lassen nicht den Hauch einer solidarischen Alternative erkennen. Im Gegenteil,
wer auf Fragen der Menschenrechte, Selbstbestimmung und Demokratie nicht
eindeutig ist, fällt weit hinter praktische und theoretische Errungenschaften
der sozialistischen Bewegung zurück.
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Christian Zeller, Arbeitsbereich Wirtschaftsgeographie, Universität
Hamburg, Bundesstrasse 55, D-20146 Hamburg, Tel. +49-40-42838-5217, Fax.
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