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1997

Rubrik
1.Mai

Robert Schlosser

Der Kommunismus als Wolken-Kuckucks-Heim

Unter dem Titel "statt arbeit und nation: soziale revolution" hat das Freiburger "Bündnis gegen Arbeit" einen konsequent antinationalen und unbefleckt kommunistischen Maiaufruf verfaßt. Die Magenschmerzen, die mir das Pamphlet verursacht, liegen weniger an der schroffen Kritik der "nationalistischen Orientierung der Gewerkschaften" - die durchaus treffend formuliert ist - sondern in den eher naiven kommunistischen Vorstellungen. Mich stört:

  1. In bloßer Umkehrung des alten Refomistischen Mottos ist der Weg nun nichts mehr, das Ziel - Kommunismus -alles!
  2. Das Ziel selbst wird immer nebulöser, auch wenn man es zum nächst möglichen Zeitpunkt einführen will.

Zu 1.

Der Aufruf kennt nur eine Alternative zum nationalistischen Reformismus der Gewerkschaften, eben die "Einführung des Kommunismus zum nächstmöglichen Zeitpunkt".

Es geht hier offenbar weniger um einen Weg zu sozialer Emanzipation als um die Proklamation einer kommunistischen Gesinnung. An Fragen der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums im Kapitalismus zeigen sich die Autoren des Aufrufs systematisch uninteressiert; mehr noch, die Verteilungsfrage wird identifiziert mit dem Tellerrand sozialdemokratischen Denkens.

Mensch wird jedoch nicht aus dem Stand heraus KommunistIn oder gar als solche geboren. Es ist ganz selbstverständlich, daß sich die Kritik am Kapitalismus an der alltäglich erfahrenen sozialen Polarität und Polarisierung entzündet. Wer lohnabhängig ist und qualitativ besser leben will, wird für sich weniger Arbeit und einen größeren individuellen Anteil am (kapitalistische erzeugten) Reichtum anstreben. Schon die Erkenntnis, daß der Kapitalismus eine Klassengesellschaft ist, die systematisch den Klassengegensatz reproduziert und von daher eine an sozialer Gleichheit orientierte Verteilung des Reichtums nicht zuläßt, setzt jede Menge Erfahrung im "Streben nach individuellem Glück" und bewußte Reflexion der gemachten Erfahrungen voraus. Wer diese Erkenntnis gemacht hat, wird bereit sein, sich an kollektiven Widerstandsaktionen gegen den kapitalistischen Automatismus der ungleichen Verteilung zu beteiligen, ohne deshalb gleich die Grundlage dieser ungleichen Verteilung (Kauf und Verkauf der Ware Arbeitskraft) in Frage zu stellen.

Kommunismus schließlich setzt die Erkenntnis voraus, daß ein qualitativ besseres, auf soziale Gleichheit und gemeinschaftliche Bewältigung der gesellschaftlicher Reproduktion hin orientiertes Leben für die Massen der Menschen, die Überwindung des Kapitalverhältnisses und dazu die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln verlangen. Ohne einen komplizierten sozialen Lernprozeß wird niemand KommunistIn und ohne einen ebenso komplizierten Lernprozeß wird sich aus keiner kollektiven sozialen Widerstandsaktion gegen den im Lohnverhältnis angelegten Verteilungsautomatismus eine kommunistische Bewegung entwickeln.

Die sozialdemokratische Behandlung der Verteilungsfrage ist eine systemimmanente Beugung der Verteilungsfrage. In ihrer "linken" Variante behauptet sie, es sei genug Geld da, um den Kapitalismus sozial oder gar "sozialistisch" zu gestalten. In ihrer "rechten Variante" paßt sie die für möglich gehaltenen Reformen beständig dem knapper werdenden Geld an. Zu Recht macht sich das Freiburger "Bündnis gegen Arbeit" über diese Positionen lustig. Ihre Kritik hinterläßt aber den faden Nachgeschmack, daß weder die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall noch die (Lohn-)Arbeitszeitkürzung KommunistInnen ernsthaft etwas angingen.

Jede Behandlung der Verteilungsfrage, die soziale Reformen an die Frage der Bezahlbarkeit knüpft, also nur in den Kategorien politischer Ökonomie denkt, bleibt selbstverständlich systemimanent und muß die Systemzwänge verinnerlichen. Verteilungskämpfe, deren Akteure in solchen Denkstrukturen befangen bleiben, lernen auch etwas, nämlich die beständige bewußte Unterordnung der eigenen Ansprüche unter betriebs- und volkswirtschaftliche Vernunft.

Der Kommunismus hat keinerlei Realisierungschance, wenn sich die Vorstellung von ihm nicht in den tatsächlich stattfindenden sozialen Kämpfen entwickeln und behaupten kann, die KommunistInnen sich nicht selbst als Teil dieser Bewegungen verstehen und ihnen ausschließlich kritisch-ablehnend gegenübertreten. Tatsächlich entzündet sich der Kommunismus an den gleichen gesellschaftlichen Mißständen, wie der nationale Gewerkschaftsk(r)ampf. Er kann es sich lediglich einbilden von woanders her zu kommen, etwa aus besonders klugen Büchern. Behaupten lassen sich kommunistische Positionen letztlich nur, wenn sie in Lage sind, reale Verteilungskämpfe zu radikalisieren. Dazu ist es vor allem nötig, andere Begründungszusammenhänge, die aus der radikalen theoretischen Kritik des Kapitalismus gewonnen werden, in die Auseinandersetzungen um die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums einzubringen. Ein sozialer Reformismus, der nicht nach der Bezahlbarkeit, nach dem vorhandenen Geld, sondern nach dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte fragt und seine Argumente für die Realisierbarkeit sozialer Reformen (vor allem Verlängerung der Zeit zum Leben außerhalb der Lohnarbeit) daraus bezieht, wird sowohl die Forderungen selbst schärfer formulieren, als auch größere Energien und Hartnäckigkeit freisetzen können, um soziale Verbesserungen durchzusetzen. Die Bezugnahme auf den Entwicklungsstand der Produktivkräfte ermöglicht ferner die Vermittlung von sozialer Reform und sozialer Revolution, indem soziale Reformbewegungen die Systemschranke (Realisierung durch Bezahlung) nicht wie selbstverständlich für sich akzeptieren und als vorgegebenes Lernziel mit sich herumschleppen. Eine soziale Revolution wird es nur geben, wenn die verlangten Veränderungen des Alltags dies erfordern und der Anspruch auf soziale Revolution bereits in den Reformforderungen selbst steckt. Ansonsten wird der Kommunismus eine hilflose Floskel für VIPs einer esoterische Intelligenz bleiben und weiter verkümmern.

Zu 2.

Das "Bündnis gegen Arbeit" möchte den Kommunismus zum nächst möglichen Zeitpunkt einführen. Neben der Abschaffung der Nation soll dabei die Abschaffung der Arbeit auf dem Programm stehen. Das ist auch so eine zur Mode gewordene Sprechblase, mit der mensch sich vom gescheiterten "Kommunismus" abgrenzen will. Besser wird diese Sprechblase auch dadurch nicht, daß sie witzig umschrieben wird. "Arbeit ... eine durch und durch lästige Angelegenheit", "Arbeit, oder vornehmer, als wüßte man sonst nichts mit sich anzufangen." Es soll aber in diesem famosen Schlaraffenland unter dem Titel Kommunismus offenbar doch noch ProduzentInnen geben und folglich produziert werden. Weil mensch keinen Millimeter weiter ist, zitiert das Bündnis immer dann Marx, wenn es um das Ziel des Kommunismus geht. Von "freier Assoziation der ProduzentInnen" und von Beherrschung des Produktionsprozesses durch den Menschen ist da die Rede. Es bleibt letztlich ein Streit um des Kaisers Bart, ob die unmittelbar der Produktion dienenden Tätigkeiten Arbeit, "Tätigkeit" oder sonstwie genannt werden. Wichtig ist allein, daß es ohne diese produktiven Tätigkeiten auch bei einem hohen Grad an Automation im Kommunismus nicht abgehen wird und daß es darauf ankommt, die Arbeit - ich nenne es weiter so - jenseits von Lohnarbeit und Markt zu organisieren und zu verteilen. Worte lassen sich zweifellos leichter abschaffen als gesellschaftliche Formzusammenhänge. Und die Ächtung und Abschaffung des Wortes Arbeit ist eben niemals mehr als der hilflose Versuch ein Stück "radikaler" political correctness einzuführen.

Die Beseitigung des Privateigentums an Produktionsmitteln, die Skizzierung und Herausbildung gesellschaftlicher Produktionsverhältnisse, die das Produkt nicht zwangsläufig zur Ware werden lassen und die Skizzierung und Herausbildung von Verkehrsverhältnissen, die die Verteilung der verbleibenden Arbeit und des Produkts ohne Markt bewerkstelligen, ist jedenfalls ungleich schwieriger als die "Abschaffung der Arbeit" als Wortspielerei. Es wird höchste Zeit, daß KommunistInnen es nicht bei der "überlegenen Kritik am nationalistischen Reformismus der Gewerkschaften" bewenden lassen, sondern anfangen, den Mist vor ihrer eigenen Türe zu kehren. Statt fruchtlose Haarspaltereien zu betreiben und sich in pseudoradikaler Pose zu gefallen, wäre es nützlicher, sich an der Herausarbeitung positiver Vorschläge für die Erkämpfung sozialer Emanzipation abzu"arbeiten". Dazu müßten aber wenigstens Ansatzweise die Ziele der sich selbst kommunistisch nennenden Teile der alten ArbeiterInnenbewegung und deren Realisierung mit der Absicht kritisiert werden, Lehren daraus zu ziehen, die vielleicht auch mal einen Millimeter über den Stand der Erkenntnis des ollen Marx hinausgehen. Von all dem spürt mensch nichts in solchen Aufrufen.

Deshalb kann ich abschließend dem Eröffnungssatz des Freiburger Maiaufrufs nur zustimmen:

"same procedure as every year". Ich meine damit aber nicht die "Maifeiern" des DGB, auf die das sicher auch zutrifft, sondern die linke Begleitmusik zu diesem Scheiß!