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1997

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1.Mai
Aufruf zur Demonstration am 1. Mai 1997 um 12.00 Uhr / Platz der Synagoge Freiburg (am Kollegiengebäude II der Uni)

statt arbeit und nation: soziale revolution

Same procedure as every year: Auch am diesjährigen 1. Mai ist die gewerkschaftliche Forderung nach Arbeitsplätzen so sicher wie das Amen in der Kirche. Wie sich auch im Kürzel ABM die Widersinnigkeit des Kapitalismus ausspricht, indem eine durch und durch lästige Angelegenheit: Arbeit eben, bei Mangel noch im staatlichen Kraftakt beschafft werden soll, so haben auch die Gewerkschaffen nichts anderes im Sinn, als den Fortgang der Ausbeutung zu sichern. Arbeit, oder vornehmer, als wüßte man sonst nichts mit sich anzufangen: Beschäftigung, ist der gemeinsame Grund, auf dem sich ausnahmslos alle bewegen, die in der bürgerlichen Öffentlichkeit noch mitreden wollen, incl. jener Linken, die auch um den Preis der Aufgabe des spärlichen Restverstandes noch vermittelbar bleiben wollen.

Entgegen den Erfahrungen des Booms der 50er und 60er Jahre heißt flotte Akkumulation aber nicht immer auch gleich Vollbeschäftigung. Das sonst notdürftig verdrängte Wissen, daß prinzipiell jeder Einzelne für den Gang der Geschäfte so überflüssig werden kann, wie es große Teile der Weltbevölkerung heute bereits sind, bricht angesichts der Arbeitslosenzahlen offen hervor - was keineswegs zum Ergebnis hat, die Verhältnisse abschaffen zu wollen, sondern der latent immer vorhandenen nationalistischen Orientierung der Gewerkschaften zum Durchbruch verhilft. Sie berufen sìch auf den zufälligen Umstand, Untertanen des deutschen Staates zu sein, der mystifizierend zur Nation aufgepumpt wird. Wenn's auf dem Arbeitsmarkt eng wird, appelliert man an den deutschen Staat, der die Unterscheidung zwischen seinen eigentlichen Schäfchen und den bloß Gastrecht genießenden exekutieren soll. "Ich denke sehr wohl, daß wir zu verabredeten Quotierungen im Rahmen eines Einwanderungsgesetzes kommen müssen, um den deutschen Arbeitsmarkt zu entlasten und den sozialen Sprengsatz zu entschärfen" ließ IG Metall-Chef Zwickel Ende Januar verlauten, der seiner Klientel offensichtlich zutraut, den Brand- bzw. Sprengsatz bereits gebastelt zu haben.

Der wenig verhüllten Drohung an alle nicht-deutschen Arbeiterinnen folgten Taten, bspw. bei den Bauarbeiterprotesten in Berlin Mitte März, bei dem Illegale massiv angegriffen wurden. Der offenkundige Widerspruch im System, Lohnarbeit als einzige Existenzgrundlage zu setzen und gleichzeitig immer mehr Menschen aus eben dieser rauszukatapultieren, wird rassistisch zugekleistert: Die zunehmende Arbeitslosigkeit wird nicht gedeutet als Ausdruck der Möglichkeit, die Arbeit abzuschaffen, sondern führt dazu, sich auf seine Nationalität zu berufen, um noch irgendwo einen Job zu ergattern.

Die jüngsten nationalistischen Attacken von Zwickel & Co. sind dabei kein Verstoß gegen das vermeintliche Prinzip des gewerkschaftlichen Internationalismus , sondern im Gegenteil, Ausfluß der immer schon als deutsche gesetzten Vertretung der Lohnabhängigen, die nicht zufällig DGB heißt. Im Modell der Verhandlung zwischen den Tarifparteien, die Verträge abschließen, ist der Staat als Moderator der Verhandlungen wie Wächter über die Vertragstreue immer schon impliziert, ein Staat, der gezwungenermaßen sein Staatsvolk zu definieren hat, den Unterschied zwischen deutsch und nicht-deutsch also nur zu gut kennt. Ganz im Gegensatz zum Kapital, dem es einerlei ist, wer sich für seine Profite krankarbeitet, womit Konflikte zwischen Unternehmern und Staat wie im Baugewerbe vorprogrammiert sind. Immer häufiger kommt es zu Konstellationen, in denen das Kapital als vaterlandslos angegriffen wird, sei es wegen der Beschäfiigung nicht-deutscher, womöglich illegaler Arbeiterlnnen, sei es wegen Produktionsverlagerungen ins Ausland. Wenn das Kapital seinem ureigenstem Prinzip gerecht wird, nämlich soviel Profit wie eben möglich zu machen, sagt der DGB-Vorsitzende Schulte allen den Kampf an, die die BRD in einen "Tempel für Börsianer und Spekulanten" verwandeln wollen. Damit bewegt sich Schulte auf der latent antisemitischen Ebene der Trennung von (Arbeitsplätze) "schaffendem" und bioß egoistisch "raffendem" Kapital. In der NS-Ideologie fand dieser falsche Gegensatz seinen konsequentesten Ausdruck: die pseudo-antikapitalistische Agitation gegen die "Wall Street' ging einher mit dem Lob der deutschen Arbeit. Schulte und seine Gewerkschaften fordem das gemeinwohlverträgliche Kapital, das patriarchal ans Wohlergehen der dafür auch fröhlich die Kelle schwingenden deutschen Arbeiterlnnen denkt. Treten das Verwertungsinteresse des Kapitals und das Interesse der Lohnabhängigen an Arbeitsplätzen auseinander, muß der Staat in die Bresche springen. So im Falle des Kohle-Bergbaus, wo die Lohnabhängigen staatliche Subventionen erkämpften. "Es lohnt sich, für seine Arbeitsplätze zu kämpfen, so wie es die Bergleute in demokratischer Art und Weise unter Beweis gestellt haben. Und darauf kann ganz Deutschland stolz sein", freute sich ein IG Bergbau/Energie-Funktionär nach der gelungenen Rettungsaktion für den Kohle-Standort Deutschland.

Insofern man sich durch den Verzicht auf eine systemsprengende Perspektive freiwillig an das Wohlergehen des Kapitals gekettet hat, ist man den immer irrer werdenden Erfordernissen der Kapitalverwertung mit Haut und Haaren ausgeliefert. Der gewerkschaftliche Vorstoß, im nationalen Interesse gemeinsam mit Kapital und Regierung ein "Bündnis für Arbeit" zu schmieden, auf daß die Maloche nie enden möge, ist daher so folgerichtig wie praktisch fatal. Solange ein kapitalistischer Weltmarkt besteht, zeugt es von Realitätssinn, auf diesem bestehen zu wollen und die dafür notwendigen Verschlechterungen von Arbeitsbedingungen zu schlucken. Seine Ware Arbeitskraft zu verkaufen ist in den bestehenden Verhältnissen die einzige Möglichkeit, am gesellschaftlichen Reìchtum teilzuhaben. In immer mehr Regionen wird diese Ware nicht mehr nachgefragt, so daß sich, wie in größten Teilen Osteuropas, eine etwas andere Version der Gesellschaft ohne Ausbeutung ergibt als die, um die es gehen sollte. Es ist daher vollkommen konsequent, wenn die Hüter dieser eigenartigen Ware Arbeitskraft darauf schielen, daß der Abnehmer: das Kapital, im Land bleibt.

Auch die gegen Sozialabbau gerichtete gewerkschaftliche Argumentation, dem Standort Deutschland ginge es doch blendend und die Drohung mit Produktionsverlagerung sei nur Propaganda zur Einschüchterung der Lohnabhängigen, hat die Grundkategorien des warenproduzierenden Systems längst intus und zeigt die Bereitschaft an, ebenfalls jede Verschlechterung hinzunehmen, wenn es die Standortsicherung mal tatsächlich erfordern solite. Wenn in diesem Sinne die Freiburger Linke Liste sich zum Kassenwart der Nation aufschwingt und nach aufwendigsten Recherchen ermunternd feststellt: "Geld ist genug da!", ist der gute Wille sicher - und die Konsequenzen zum Davonlaufen. Kein Blick reicht mehr über den sozialdemokratischen Tellerrand der Verteilungsfrage hinaus. Von jeder Fundamentalkritik unbeschwert kann die Linke Liste sodann ein "Unser Land (!) ist reich, es gibt genügend Geld" ausstoßen und Forderungskataloge aufstellen - im Geiste haben sie schon selber auf den Regierungssitzen Platz genommen und deklinieren nun durch, wie sinnvoll man doch den Kapitalismus gestalten könnte, wenn Steuerhinterziehung bekämpft, auf Rüstung verzichtet und natürlich "beschäftigungswirksame Investitionsprogramme" angeleiert würden.

Die karitativ abgefederte Verlängerung der Misere hat mit Emanzipation exakt soviel zu tun wie Arbeit mit Vergnügen. Der Motor aller Entwicklungen, dìe rastlose Verwertung des Werts, bleibt in sämtlichen gewerkschaftlichen und sozialstaatlichen Ansätzen unverdientermaßen von Kritik verschont. Wenn jede Vorstellung vom guten Leben ohne Streß und Verblödung mit der Keule von Finanzierbarkeit und Standortsicherung erschlagen wird, drückt sich darin nur der ernüchternde Befund aus, daß wir in Verhältnissen leben , "worin der Produktionsprozeß die Menschen, der Mensch noch nicht den Produktionsprozeß bemeistert" (Marx), denen man nicht mit Korrektur, sondern mit Abschaffung begegnen sollte. Um der unvermeidlichen Forderung, konstruktiv und positiv zu sein, entgegenzukommen, schlagen wir daher die Einführung des Kommunismus, die freie Assoziation der Produzentlnnen jenseits von Staat und Kapìtal, zum nächstmöglichen Zeitpunkt vor. Von der Aussichtslosigkeit des Unterfangens sollte man sich nicht kirre, d. h. bescheiden machen lassen.

Bündnis gegen Arbeit / Freiburg