Aus CONTRASTE Nr. 169: Buchbesprechung Haensel und Gretel verliefen sich im Wald |
Die meisten klassischen Maerchen sind grausam - die Historie ist es oft auch. Die Deutschen tun sich schwer mit beiden. Die Amerikanisierung Europas bzw. Deutschlands hat wohl noch nie einen derartigen Hoehepunkt erlebt wie nach der Wende. Ihr Tiefpunkt lag eindeutig in den 60er und 70er Jahren zu Zeiten des Vietnamkrieges. Aber nicht nur im negativen Sinne wurden wir von den USA beeinflusst, auch die Alternativszene profitierte vom US-Widerstand gegen den Krieg (und gegen das heimische Establishment). Ob der LNS (Liberation News Service) hier die alternativen Medien beeinflusste, die amerikanische Kommune- und Hippibewegung oder selbst die Hells Angels nach Deutschland brachte. Die amerikanische Nationalhymne von Jimi Hendrix gespielt, war uns wesentlich lieber als der deutsche Schlager (was heute eindrucksvoll entgegengesetzt zu laufen scheint). Waehrend jedoch die amerikanische Alternativszene eher eine Aussteigerszene war (und es gab in den USA auch zahlreiche Freiraeume), wurde hier der Widerstand gegen Gott und die Welt gefuehrt, vielleicht auch einfach aus der Erfahrung mit der Nazi-Diktatur heraus, wo der Widerstand einfach nicht gross genug war (Deutschland musste - zurecht - militaerisch und moralisch besiegt werden). Aber die Sieger entpuppten sich bald danach nicht zwangslaeufig als die moralisch besseren, und so geriet der US-Imperialismus, als der groesste Feind der Menschheit, in das Visier der Widerstaendler - der RAF. Neben den zahlreichen Darstellungen der Geschichte der RAF, sowie den Selbstdarstellungen einzelner AktivistInnen erschien jetzt im Steidl-Verlag ein Fotoband mit Abbildungen aus den Jahren 1967 bis 1977, der Entstehungszeit der RAF. Die Herausgeberin Astrid Proll, selbst ehemalige Aktivistin, hat heute einen selbstkritischen Blick auf diese Zeit. Ohne zu jammern und zu zetern berichtet sie kritisch aber auch warmherzig (und somit aufrichtig) ueber diesen Abschnitt ihres Lebens, der fuer sie ein sehr einschneidender war. Der Text, der zweisprachig ist (dtsch/engl) haelt allerdings die eine oder andere Ueberraschung in der Uebersetzung parat, wenn es z.B. auf S. 9 "...begann der Aufbau einer illegalen Truppe", und im Englischen (korrekterweise, bzw. besser ausgedrueckt): "....we began to build an illegal group.", heisst. Astrid Proll, die ja illegal in England lebte, verfasste beide Texte. Sicher ist es kein Manko dieses Buches, wenn die RAF als "Truppe" im Deutschen bezeichnet wird, aber vielleicht eine Spracherkenntnis. Der Text ist leider zu kurz, gerade gegenueber einigen Quatschnasen, die sich zu diesem Thema in die Oeffentlichkeit draengen, scheint mir Astrid Proll hier wesentlich ehrlicher, unpathetisch ohne zu denunzieren ihren Blick auf diese Vergangenheit geworfen zu haben. Ausserdem ist Astrid Proll nicht nur wegen der historischen Naehe zu den Ereignissen praedistiniert einen solchen Fotoband vorzulegen, sondern auch wegen ihrer Eigenschaft als Fotografin, die ihr einen besonderen Blick auf die Dinge zuteil werden laesst. Die Visualitaet dieser Bilder erzaehlen verschiedenen Generationen auch verschiedene Geschichten, sie sind auch Ausdruck von Gefuehl und Zeit. Sie gehen ueber blosse Nostalgie hinaus. Es sind Dokumente von fluechtigem Herzflimmern, dem unbeugsamen Willen nichts beim alten zu lassen, und der traurigen Vergaenglichkeit einer Jugend deren existentielle Waghalsigkeit vielen als Arroganz erschien. Dass sie die Idee zu einem Fotoband bereits seit 13 Jahren hatte, muss nicht unbedingt heissen, dass der heutige Zeitpunkt fuer eine derartige Veroeffentlichung besser geeignet gewesen waere. Die Zeit heilt nicht alle Wunden: zwischen dem Bild vom laechelnden Andreas Baader in einem Pariser Café und dem toten Andreas Baader, der in seiner Blutlache im Stammheimer Gefaengnis abgebildet ist, bewegt sich nicht nur Freud und Leid, und deutsche Geschichte, sondern Erinnerungen, die einem rumoren in der Magengrube verursachen und an Traeume erinnern, um die es sich zu jeder Zeit lohnte zu kaempfen. Sicherlich, dreissig Jahre sind auch eine lange Zeit. Unsere Kinder werden ganz andere Gedanken haben, wenn sie diese Fotos sehen, sofern sie sich ueberhaupt dafuer interessieren. Im grausamen Maerchen koennen sich Haensel und Gretel befreien, indem sie die "boese Hexe" in den Ofen schieben und verbrennen. Hans und Grete (die Codenamen fuer Andreas Baader und Gudrun Ensslin) hatten es schwerer. In diesem Fall sind sie persoenlich gescheitert, aber es ist Wert auch ihre Geschichte immer wieder zu erzaehlen. Das endgueltige Resuemee werden zukuenftige Generationen ziehen. Ob es nun HeldInnen oder Geblendete waren, wir werden sehen. Heutzutage sind alle moralischen Schranken gefallen. Die Tatsache, dass das Konterfei von Che Guevara noch (!?) nicht zu Reklamezwecken von Coca Cola verwendet wird ist wohl nur eine Zeitfrage: "Wir wissen nicht, was die RAF empfohlen haette, wir empfehlen ...(blablabala)" Und ich empfehle dieses Buch... Knobi Astrid Proll (Hrsg.): Hans und Grete - Die RAF 1967-1977. Steidel Verlag Goettingen 1998 140 Seiten / 29,80 DM |