Editorial
Was wir wollen - Arbeiterkontrollen!


von Karl-Heinz Schubert

09/2020

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Auf dem TEACH-IN am 15.1.1969 in Westberlin anläßlich des 50. Jahrestages der Ermordung  von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg referierte Ernest Mandel, führender Kopf der IV. Internationale, über den Beitrag der Studentierendenbewegung zur Organisation der Arbeiter*innenklasse in Westeuropa. Seit Fazit lautete, dass die Studierenden "aus ihrer praktischen Erfahrung der Hochschulrevolte Elemente der Arbeiterkontrolle in die Betriebe hineinzutragen" hätten.

Ausgehend von der Richtigkeit des Hineintragens dieses Organisationskonzepts der Klassenorganisierung von "außen" in die Betriebe - kritisiert der Trotzkist Marco Blechschmidt in seinem Artikel Trotzkismus und Maoismus im Arbeitskampf das betriebliche Klassenkampfkonzept der MLPD in den Kämpfen bei Voith im bayrischen Sonthofen.

In zurückliegenden Beiträgen und Editorials haben wir mehrfach daraufhin gewiesen, dass wir für die "Einheit der Klassenlinken" als Weg der Überwindung des linken Zirkelwesens eintreten. Aus diesem Grund begrüßen wir es, wenn verschiedene Zirkel, die an einem Arbeitskampf beteiligt waren, sich zumindest im Nachhinein mit ihren unterschiedlichen Konzepten auseinandersetzen - besonders dann, wenn es das Ziel des Diskurses ist, zukünftig in einer Aktionseinheit zusammenzukommen. Gemessen an diesem Anspruch bewirkt der Artikel des Genossen Blechschmidt das genaue Gegenteil.


erschienen in Westberlin 1969

Spätestens seit dem roten 1. Mai 1969, der unter der zentralen Losung "Was wir wollen - Arbeiterkontrollen" stand, entfaltete auf der Grundlage des affirmativen Umgangs mit der Geschichte der internationalen Arbeiter*innenbewegung das trotzkistische Konzept der "Arbeiterkontrolle" seine etappenweise wiederkehrende folgenlose Aktualität. Im reziproken Verhältnis dazu wurden historisch-materialistische Untersuchungen und eine mit der Methode eines organisierten Theorie-Praxis-Verhältnisses erarbeitete Klassenanalyse unwichtig.

Von daher sind Trotzkis Schriften für den Genossen Blechschmidt ein sakrosankter Theoriesteinbruch. Für ihn reicht es aus, das notwendige Wissen für die Begründung der Parole "Arbeiterkontrolle" aus Trotzkis Brief an die Linke Opposition der KPD von 1932 zu ziehen - allerdings dabei dessen abschließenden Hinweis ignorierend, dass "das Studium der konkreten Bedingungen des Kampfes um die Arbeiterkontrolle" eine zentrale Voraussetzung für die Entwicklung und Anwendung dieses Konzepts darstellt.

Die Ignoranz gegenüber den heutigen historischen Bedingungen des Spätkapitalismus - so auch gegenüber den Chancen und Grenzen des Arbeitskampf bei Voith, kompensiert Genosse Blechschmidt mit dem schlichten Verweis: "Das Werkzeug, dass der revolutionäre Marxismus dafür entwickelt hat, ist das Übergangsprogramm.", geschrieben von Trotzki 1938 unter dem Titel "Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der IV. Internationale".

Um schließlich die zeitlose Praxistauglichkeit des Konzepts der "Arbeiterkontrolle" unter Beweis zu stellen, werden vom Autor die entsprechenden Erfahrungen der enteigneten argentinischen Fließenfabrik ZANON genannt. Nun handelt es sich aber bei Voith Sonthofen nicht um ein kapitalistisches Einzelunternehmen  - wie vormals Zanon - das zur "Verstaatlichung mit Arbeiterkontrolle" aufgerufen wird, sondern um den Betriebsteil  eines weltweit operierenden Konzerns.

Dass das "Arbeiterkontrolle-Konzept" bereits lange vor Zanon und gerade auch in Westeuropa als ein wenig erfolgreiches Mobilisierungskonzept bereits eine Rolle gespielt hat,  sucht Leser*in beim Genossen Blechschmidt vergeblich. (Siehe dazu z.B. Paul Barton, Die Arbeiterkontrolle, 1959)

Was summa sumarum durch diesen Beitrag rüberkommt, dass es offensichtlich noch dauern wird, bis die Zirkel der Klassen-Linken sich in "Aktionseinheiten" zusammenfinden  und ihre ideologischen Differenzen auf der Grundlage dieser Erfahrungen austragen. Vielleicht reagiert ja die MLPD auf die "RIO-Kritik"?

Dass es zum Arbeitskampf bei Voith durchaus Einschätzungsbedarf gibt, der zwischen mehreren Zirkeln gemeinsam bearbeitet werden könnte, ergibt sich zudem aus der Tatsache, dass bei diesem Arbeitskampf nicht nur RIO und die MLPD intervenierten. Stellvertretend für die anderen sei hier nur die DKP genannt, die eine entsprechende Einschätzung dazu veröffentlichte.

Zum Thema Arbeitskampf bei Voith siehe auch:

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