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1998

Rubrik
Theorie & Debatte
Krisis 10 (1991)

PRETTY WOMAN
von Johanna W. Stahlmann

Reflexionen ueber einen Kinobesuch oder  warum dem Ueberdruss des Raffens
keine Renaissance des Schaffens folgt

Fuer Theoretiker und Theoretikerinnen haelt das Leben, neben der ihnen seit der Romantik zugerechneten Einsamkeit, die von der Psychoszene um eine selbstverstaendliche Sexualneurose ergaenzt wurde, auch einige Genuesse bereit, die fuer den Alltagsverstand unerreichbar sind. Zentrales Gluecksmoment ist hierbei moeglicherweise die Aufhebung der Trennung von Arbeit und Vergnuegen, dahingehend, dass fuer die Theoretikerin und ihren Kollegen auch der Besuch eines Fussballspiels, das Durchblaettern der "Neuen Revue" oder der Besuch eines Landgasthofs, durchaus nicht nur Unterhaltung und Bauchbepinselung beinhalten, sondern im Sinne einer der Totalitaet und des Durchgehens durch alle "Ebenen" verpflichteten Gesellschaftstheorie auch Anregungen, empirisches Material fuer weitergehende theoretische Reflexionen zu liefern imstande sind. Fuer Otto oder Ottilie Normalverbraucher dagegen ist seine/ihre Arbeitzeit bis zur Absurditaet getrennt von seiner/ihrer Freizeit, erscheint ihm/ihr seine/ihre Arbeit als Beruf und Geldquelle, alles ausserhalb ihrer als Vergnuegen (oder auch nicht) in Reinheit - steht komplementaer zur Arbeit abstrakt die Freiheit abstrakt.
Selbstverstaendlich gibt es auch alltagsverstaendige Charaktermasken, wie etwa den Feulletonisten oder Kulturkritiker (Diese Spezies als Theoretiker zu bezeichnen waere angesichts ihrer inhaltlichen Verkommenheit ein allzu greulicher Euphemismus), die fuer die Beschreibung "privater" Freuden und Leiden mit Geld entlohnt werden; gerade dieser letztere Aspekt, die Entlohnung des kritischen Erfassens als beruflich beschraenkte Selbstverstaendlichkeit, fuehrt aber zu psychischen wie inhaltlichen Verkarstungen, die sich sowohl in der zum Satirestandard verkommenen Phrasenhaftigkeit der Kritiken, als auch im aeusserlichen Zustand ihrer Subjekte plastisch darstellen.
Schaut man sich neuere Entwicklungen an, so nehmen die Berufssparten sogar zu, die freizeitlich-vergnuegliches Interesse mit Arbeit verbinden, von der Mode-und Geschmacksberaterin bis zum Werbefachmann mit kuenstlerischem Hintergrund. Doch faellt schon auf den ersten Blick die inhaltliche Beschraenktheit auf das als Klientel zwanghafte Konkurrenz - und Konsumsubjekt auf, so auf den zweiten das ungleich zwingendere Hindurchmuessen durch das Nadeloehr des Geldes. Die Absolutheit dieses Zwanges setzt sowohl dem Vergnuegen als auch der Arbeit enge Grenzen, laesst zudem beide in ihrer Abstraktheit einander gegenueberstehen.
Das Glueck, sein Vergnuegen als Arbeit betrachten zu koennen und sich bei seiner Arbeit zu vergnuegen, steht somit nur dem Theoretiker frei, in seiner Freiheit vom Zwang des Geldes. In gewisser Weise ist es der Vorschein eines Absolutwerdens des Vergnuegens jenseits der Arbeitsgesellschaft, wenngleich nicht abzustreiten ist, dass die Isolation dieses Vorscheins im denkenden Subjekt jene zu Beginn geschilderte Verlassenheit gleichzeitig beinhaltet. Auf die fundamentale Absurditaet, welche in der Tatsache liegt, dass sich die Theorie gegenueber der Restgesellschaft in einem speziellen, berufsmaessigen Personenkreis verselbstaendigt, wollen wir hier nicht eingehen.
Wenn im Folgenden also ein wenig vom Anekdotischen in die Sphaeren der Theorie geschwebt wird, so ist dies der Sehnsucht nach Oeffentlichkeit geschuldet, in der sich das Leiden der Theoretikerin ausdrueckt, ihr Glueck nicht mit Anderen teilen zu koennen.
Vom Theoretiker im Allgemeinen zu sprechen, erweist sich allerdings schon beim Einstieg als fragwuerdig, da die Liebe zum Kino, speziell zur amerikanischen Schnulze, wie sie dieses Essay voraussetzt, so gar nicht der gaengigen Typisierung entspricht. Doch wie es schon Hegel ausdrueckt: "Es ist die Ohnmacht der Natur, die Begriffsbestimmungen nur abstrakt zu erhalten und die Ausfuehrung des Besonderen aeusserer Bestimmbarkeit auszusetzen". Hinzu kommt, dass zwischen jenen Archetypen, wie Hegel oder Marx, und dem was heute zu potentiellen Theoretikern und Theoretikerinnen heranwaechst, eine gesellschaftliche Entwicklung liegt, die an die Stelle einer Ausbildung mit Platon und Euripides, eine mit dem Universalmedium des Fernsehens setzt. Serie und Spielfilm sind Ersatz fuer Gedicht und Roman geworden, was nicht nur den Sprung in die theoretische Auseinandersetzung vergroessert, sondern auch der Anstrengung der Phantasie Abbruch tut. Zwingt jeder Roman, noch mehr die Poesie, zum Einsatz der Vorstellungskraft, sei er auch noch so "realistisch", so suggeriert auch der phantastischste Film die unmittelbare Realitaet des Dargebotenen, zeigt direkt was passiert. Bei regelmaessigen Konsumenten geht dies soweit, dass, vor allem bei Alltagsserien, der Unterschied zwischen Realitaet und Illusion verschwimmt, Ich und Nicht-Ich mit den jeweiligen Protagonisten identifiziert werden. Das auf Zelluloid gebannte Drama vermittelt nicht mehr die Distanziertheit des Subjekts von sich selbst, die dem Theater selbstverstaendlich ist. Dem Medium Film gebricht es so ganz prinzipiell an Kuenstlichkeit. Es mag aber gerade jene suggerierte Unmittelbarkeit sein, welche die Theoretikerin als "berufsmaessige" Vermittlerin, durch ihr Anderssein so unsaeglich reizt.
Was nun in jenem Film, von dem hier die Rede sein soll, vorging war folgendes: verpackt in schmelzende 50er Jahre- Musik, und mit der bei US-Schauspielern ueblichen Perfektion praesentiert, wird uns ein gefuehlskalter, aber in seinem Inneren grundanstaendiger Raider vorgestellt, der genauso, wie er Unternehmen nur uebernimmt, um sie auszuschlachten, also Einzelteile profitabel zu verkaufen, und ihnen dabei die hierfuer notwendige Kreditaufnahme zu ueberschreiben und so mit Null Eigeninvestition den groesstmoeglichen Reibach zu machen, auch mit seinen Gefuehlen verfaehrt und Frauen nur vernutzt ohne "wirkliche" Gefuehle zu investieren. Doch eine wunderschoene und zartfuehlende Prostituierte, die er eben aus dem Grund aufgabelt, weil er meint, hier keine Gefuehle investieren zu muessen, weckt schliesslich den schlummernden guten Menschen in ihm und bringt ihn dazu, von seinem schmaehlichen Tun abzulassen Es ist eine nachgerade wagnerische Erloesung des ungluecklichen Raffers durch Pretty Kundry, die sich hier anbahnt, jedoch zum Schluss in greulicher Biedernis versinkt. In der Schlusssequenz bietet er einem zur Uebernahme anstehenden, in Ehren ergrauten Ben-Cartwright-Kapitalisten die Hand zum gemeinsamen Aufbau eines wirklich produktiven und sinnvollen Unternehmens (Onkel Ben produziert unter anderem Schiffe fuer die Regierung, was einen grausamen Verdacht aufkeimen laesst) und verspricht seiner "Pretty woman" die Ehe. Aus dem raffenden Profitgeier mit verkorkstem Gefuehlshaushalt ist ein schaffender Tatmensch geworden, der sogar noch seine Herzdame dazu erzieht, sich anstaendig anzuziehen. Aschenputtel dagegen hat nun genuegend Kohle, sich soviel Klammotten zu kaufen, wie es will. Traenen gab es ob dieser ruehrenden Story im Kino nur wenige, wohnt doch in des Buergers Brust meist eine Seele zu viel - und empfindet die gute Seele auch problemlos die Glueckseeligkeit von Schaffen und Lieben nach, so wird die boese Seele sich wohl doch fragen, ob der Kerl nicht eine geniale Methode des Geldmachens hatte, und ob dem Grauen einer anstaendigen amerikanischen Vorstadtkleinfamilie nicht doch die Rolle der ungebundenen Monade vorzuziehen sei. Einige werden es wohl auch als Anachronismus empfunden haben, wie ungebrochen hier industrielle Produktion als gute Tat betrachtet wird, wo doch gerade in den letzten Jahrzehnten deren In-Frage-Stellen zur ideologischen Mode geworden ist, und dies angesichts der oekologischen und sozialen Folgen nicht zu Unrecht. Wir werden noch darauf zurueckkommen, dass jenes suggerierte Glueck heute das Schmunzeln der Beliebigkeit zeigt, wobei es gleichgueltig ist, ob bewusst oder unbewusst; doch stellen wir jenen Topos des raffenden und schaffenden Kapitals, der uns hier am guten Prinzen vorgefuehrt wird, zunaechst einmal in eine andere Zeit, wo er eine andere Attituede traegt.

1.

Wenn so ganz ungezwungen schaffendes gegen raffendes Kapital ausgespielt wird, so bietet sich als erste und bekannteste Assoziation natuerlich die faschistische Ideologie an, die diesen Widerspruch als ideologische Waffe mit nicht geringem Erfolg benutzte und sich damit sogar als, wenn auch rechter Kritiker von Geld und Kapital, im Bewusstsein sowohl der Alltagsmenschen als auch der Ideologen etablieren konnte. Die Kritik des Geldes als Spekulationsobjekt ist jedoch weit aelter.
Mit seiner Entstehung produziert der Kapitalismus auch seine immanenten Kritiker, die im Laufe seiner Entwicklung alle seine Widersprueche und Absurditaeten aufdroeseln und anprangern, ohne jedoch in der Lage zu sein, die Vermittlung und Aufhebung der einzelnen Momente zu vollziehen. Die Schmaehung des raffenden Kapitals ist dabei weder die neueste, noch die originellste Variante. Als Kritik der Spekulation kann sie allerdings erst entstehen, wenn diese bereits einen gewissen Entfaltungsgrad erreicht hat und zur Verherrlichung der Industrie bedarf es gruenderzeitlichen Pioniergeistes. Noch die Romantik ist in ihrer Kritik viel allgemeiner und diffuser, indem sie die Abstraktion als solches angreift und eine ebenso diffuse Sehnsucht nach der Einheit von Mensch und Natur, nach Unmittelbarkeit gegenueber den Vermittlungszwaengen von Geld und Rationalismus geltend macht. Sie sucht deshalb ihre Ideale in einer imaginaeren Vergangenheit, in der der Mensch dem Menschen und der Natur angeblich naeher stand, ohne Dazwischenkunft von Geld, Recht, Abstraktion. Mit dem "Schaffen um des Schaffens willen" kann sich der Romantiker so gar nicht anfreunden:

"Wie unvermoegend ist doch der gutwilligste Fleiss der Menschen gegen die Allmacht der Begeisterung."
Hoelderlin/Hyperion

Die Hilflosigkeit dieser diffusen Sehnsucht als Kritik liegt in ihrer Projektion auf die Vergangenheit und ihrem Apell an die blosse Freisetzung von Gefuehlen. Sie kann damit zwar leicht Sympathien gewinnen, aber schwerlich Konsequenzen zeitigen.
Unser Thema kam erst einige Jahrzehnte spaeter auf, in der Zeit der Eisenbahnen und Bankenkraeche, in der auch die Spezialisierung der Kritik weiter fortgeschritten war - die Kritiker waren nun nicht mehr Universalisten, sondern Empiriker, von der "Weltentruecktheit" zur Kritik bestimmter Missstaende fortgeschritten. War eines der Lieblingsthemen der romantischen Malerei die Ruine, als Inbegriff der schmerzlichen Sehnsucht nach vergangenen Zeiten gewesen, so wurde nun "Auferstanden aus Ruinen". Die in jener dem Aufstreben so zugewandten und fortschrittsglaeubigen Zeit sich geltend machende Kritik musste nun zur Funktion werden, Missstaende anprangern und damit selbst dem Fortschritt zutragen. Sie konnte nicht mehr fern der Welt stehen. Allgemeiner wird die Kritik lediglich da, wo auch die Missstaende ein weites Ausmass annehmen, wie eben in jenen Boersen- und Bankenkrisen der 60er Jahre.
Die Menschen als Geldmonaden waren Thema Balzacs, die Spezialisierung und Zuspitzung der Analyse lieferte Zola, der in der Untersuchung des Widerspruchs von raffendem und schaffendem Kapital als erstes Beispiel herhalten soll. Wir muessen ihn jedoch gleich zu Beginn in Schutz nehmen gegen Ideologen wie Ernest Mandel, der Zolas Boersenroman "Das Geld" ausschlachtet als Agit-Prop-Geschreibsel gegen betruegerische Spekulanten und damit die Dimension von Literatur ueberhaupt wegsprengt. Denn Zola geht es natuerlich in seinem Roman nicht um die Verdammung seines Hauptprotagonisten Saccard als zynischem Boesewicht; Literatur ist ueberhaupt niemals Kritik in diesem ideologischen Sinne. Im Roman geht es darum, den Zeitgeist eben dieser Industrialisierungsepoche auf den Punkt zu bringen; die Leistung eines Schriftstellers besteht eben darin, sowohl von der Person seiner Protagonisten abstrahieren zu koennen, sie quasi-objektiv darzustellen, als auch sich gleichzeitig in sie hineinzuversetzen. So werden Saccards Motive so weit als moeglich und vor allem in ihrer Ambivalenz analysiert, bis hin zur Ursache seines Scheiterns, dass er sich auf Dauer als zu phantasievoll und implusiv fuer die Kaelte und Trockenheit des Geldgeschaefts erweist. In ihm spitzt sich aber auch der analysierte Zeitgeistwiderspruch von raffendem und schaffendem Kapital bis ins Extrem zu, indem er einerseits derjenige ist, der die Spekulation als Selbstzweck bis zum Irrationalen anheizt, zudem aber seine letzte Sehnsucht darein legt, die guten Werke der Fuerstin d'Orviedo zu unterstuetzen, ihre Sozialinstitution "Werk der Arbeit"(auch das fuer moderne Ohren eher ein makaberer Witz), was ihm verwehrt bleibt.
Um nun naeher zu dem uns interessierenden Teil des Inhalts zu kommen, sei folgende kurze Einfuehrung gegeben. Die Spekulationswelle um die es sich im Roman, sowie in der Realitaet des Jahres 1866 handelt, hatte einen durchaus stofflichen Hintergrund; sie war notwendig, um die Kapitalmassen zur industriellen Erschliessung, des Aufbaus der Infrastruktur, sowie vor allem des Eisenbahnbaus zur Verfuegung zu stellen. Ziel der Protagonisten von Zolas Roman ist die Gruendung einer riesigen Handelsgesellschaft zur Erschliessung des Nahen Ostens, eine Aufgabe, die durch die Brille der eigentlich positiven Helden, des Ingeneurs Hamelin und seiner Schwester Caroline in fuer heutige Augen laecherlich romantisierenden Farben geschildert wird:

"Aber vor allem entwarf er ein sehr farbiges Bild von der abgelegenen Schlucht im Karmel, wo der Abbau der Silbererzvorkommen im vollen Gange war. Der wilde Ort wurde menschlich, in der Naehe des Bergwerks war schon ein ganzes Dorf erbaut worden, der Beginn einer Stadt die wachsen sollte, solange die Erzgaenge fuendig blieben... Von frueh bis spaet brummten die Foerdermaschinen, rumpelten Karren unter schallendem Peitschenknall ueber die Wege, sangen Frauen, spielten und schrien Kinder in dieser Einoede, in dieser Todesstille, wo frueher nur der langsame Fluegelschlag der Adler zu hoeren gewesen war"(Zola 1977, S. 326f).

Eine derartige Romantisierung von Dingen wie Bergwerken, brummenden Foerdermaschinen, und schallendem Peitschenknall kann nur in dieser Epoche einer beginnenden Industrialisierung gelingen, bei den Romantikern haette sie Entsetzen ausgeloest, bei den aufgeklaerten Konsummonaden Ende des 20sten Jahrhunderts wuerde sie bestenfalls als interessante Absurditaet durchgehen, Anklang hoechstens bei Freunden des Realsozialismus finden (dass Zola nicht subjektiv Bergwerksromantisierer ist, sondern wieder nur den Zeitgeist einfaengt, zeigt sein Roman Germinal). Der Raider aus unserem Film haette eine solche Schilderung jedoch kaum zum Einsatz bringen duerfen. Die Ideologie des "Etwas-Schaffens" hat dennoch ueberlebt als Vorstellung vom Tatmenschen, der scheinbar Konkretes, Praktisches tut, nicht nur mit Abstraktionen hantiert, wenn diese Illusion in der modernen Gesellschaft, in der das eigentliche Schaffen mehr und mehr Maschinentaetigkeit ist, auch bis zur Laecherlichkeit surreal wird. So etwa, wenn Versicherungsmakler einen Vertragsabschluss als Produktion bezeichnen, womoeglich um ihm den Heiligenschein des lebendigen Schaffens zu verleihen.
Erst hier zeigt sich natuerlich mit Notwendigkeit, dass der scheinbare Widerspruch von raffendem und schaffendem Kapital voellig falsch angelegt ist, indem in ihm die Oberflaechenabstraktion Geld um des Geldes willen kritisiert, ihre soziale Grundlage aber, Arbeiten um des Arbeitens willen, zur positiven Konkretheit erhoben wird. Weiter als bis zu dem Punkt, an dem nun das stoffliche Abstraktwerden (als Enteignung von Faehigkeiten) dieser fetischistischen Arbeit kritisiert wird, kann diese Kritik nicht kommen. Aber auch in diesem weitestgehenden Fall ergibt sich daraus nur die Forderung nach dem Erhalt des schaffenden Arbeiters. Dieser und sein lebendiger Arbeitsprozess werden der Verdinglichung im Geld gegenuebergestellt, dabei gaenzlich vergessend, dass es eben jenes Verhaeltnis abstrakter Wertproduktion ist, welches die lebendige Arbeit in tote Arbeit verwandelt und dadurch notwendig das Geld als Darstellungsform eines verdinglichten Verhaeltnisses hervorbringt. Dieses verdinglichte Verhaeltnis abstrakter Produzenten nicht erkannt, wird so entweder das Geld als dingliche Inkarnation kritisiert oder das empirische Abstraktwerden der lebendigen Arbeit. Im letzteren Fall geht die Konsequenz in Richtung Produktivkraftkritik oder dem Versuch die verbliebenen Qualifikationen des abstrakten Arbeiters zu erhalten; im ersteren Fall geht die Stossrichtung, wie wir noch zeigen werden, auf Personifikation aus, da das Ding Geld an sich neutral, nicht schuldfaehig ist, es sei denn es wird zum mystischen Gegenstand erklaert. Etwas von diesem Mythos haftet dem vertrakten Geld auch bei Zola an, einfach weil alle persoenlichen Schuldzuweisungen nicht funktionieren, im allgemeinen Gaerungsprozess der tragisch verstrickten abstrakten Individuen ihre Rechtfertigung finden. Die Kritik der Produktivkraft kann aber in seiner Zeit noch ueberhaupt nicht auf der Tagesordnung stehen und auch vom Schriftsteller nicht antizipiert werden. Wie wir gesehen haben, scheint das Bewusstsein vom geraden Gegenteil dominiert zu sein.
In Zolas Zeit hat die Verherrlichung der Industrie ihre einfache und durchaus rationelle Ursache in der im grossen Umfang beginnenden Industrialisierung, in der Notwendigkeit sowohl der Affirmation des abstrakten Produktivismus, als auch der abstrakten Arbeit. Das Geld darf dazu nur Mittel sein, das spekulative Geld oder fiktive Aktienkapital nur Mittel im erweiterten Sinne zur Ausdehnung der Groessenverhaeltnisse im Allgemeinen, und der dazu notwendigen Infrastruktur im Besonderen. Geld als Selbstzweck waere nur als Betrug denkbar:

"Da gewann Frau Caroline ploetzlich die Ueberzeugung, dass das Geld der Misthaufen war, auf dem diese Menschheit von Morgen wuchs... das Vergiftende zerstoererische Geld wurde zum Gaerstoff jeglichen sozialen Wachstums"(Zola 1977, S. 328f).

Jede darueber hinausgehende Spekulation aber faellt dem Verdikt der guten, der buergerlichen Seelen anheim. So kaempfen Hamelin und Caroline (die Frau wird in der dummen Arroganz des Literaten immer nur mit Vornahmen erwaehnt, wie bei Liebknecht und Rosa) bestaendig, und von staendigen moralischen Skrupeln gequaelt, gegen die Spekulationswut Saccards an. Denn letztlich ist ihnen das Geld ein Greuel, eine obskure Macht, welche sich nicht einfach auf ein Mittel reduzieren laesst, sondern schliesslich auch die "gute" stoffliche Entwicklung mit in den Abgrund ziehen muss, vor allem aber fuer eine Modernisierung steht, die nicht nur stoffliche Entfaltung und damit menschliche Erleichterung beinhaltet, sondern die Zersetzung der ueberkommenen Strukturen mit sich bringt.

"In diesen lautlosen, feigen Geldschlachten, wo man die Schwachen geraeuschlos niedermetzelt, gibt es keine Bindungen, keine Verwandschaft und keine Freundschaft mehr: es herrscht das graessliche Gesetz der Starken, die fressen um nicht gefressen zu werden"(Zola 1977 S.467).

Diese Kritik des Geldes oder hier spezieller, des raffenden Kapitals, also des Geldes als Selbstzweck, fuehrt prinzipiell eine Zuspitzung mit sich, die schlaglichtartig die Bedeutung scheinbar theoretischer Spitzfindigkeiten anzeigt: indem die Analyse nicht bis auf den Funktionsmechanismus des Geldes und den Wert als automatisches Subjekt, als verdinglichtes soziales Verhaeltnis zurueckgefuehrt wird, sondern die Protagonisten einer sozialen Situation fuer sich selbst, als letzthinniger Grund angenommen werden, kann die Konsequenz nur Personifikation von Schuld sein. Ohne es theoretisch zu wissen kann dies Zola an seinem Hauptprotagonisten bildhaft zeigen. Wie der Marxist Mandel in Saccard oder allen Spekulanten und Kapitalisten die Inkarnation des Boesen sieht, so hat auch Saccard selbst sein personifiziertes Boeses - die juedischen Bankiers:

"Aber das Sonderbare war, dass er, Saccard, dieser schreckliche Geschaeftemacher, dieser Henker des Geldes mit den schmutzigen Haenden, jede Selbstbesinnung verlor, sobald es sich um einen Juden handelte; er sprach dann von Seinesgleichen mit einer Schaerfe, mit der racheduerstigen Empoerung eines ehrlichen Menschen, der von seiner Haende Arbeit lebt und an jeglicher Art von Wuchergeschaeften nicht teilhat"(Zola 1977 S.128f).

Das Reizvolle an dieser Stelle ist, dass Saccard hier seine eigene boese Seele in eine andere Person, in den Juden, inkarniert, die Absurditaet jeglicher Personifikation von Funktionsmechanismen wird genial aufgezeigt. Ueber Zola hinaus sollten wir aber festhalten, dass die eigentliche Schizophrenie darin liegt, die Wertabstraktion im Begriff des schaffenden Kapitals zu affirmieren und zugleich Auswuechse des Geldraffens kritisieren zu wollen, was die Ideologie letzlich in den Ausweg der Personifikation treibt. Dass letztlich "die Juden" dafuer herhalten muessen, hat historische Ursachen; jedenfalls werden sie zum festen Bestandteil der Ideologie des raffenden Kapitals.
Zolas kleiner Kosmos des buergerliche Bewusstseins wird abgeschlossen, mit der tragischen Figur des Sigismond, der in einer abstrusen Mischung aus Romantik und Positivismus die Abschaffung des Geldes vertritt:

"Der Wert des Geldes nimmt also ab, warum sollte das Geld nicht ganz verschwinden, warum sollte nicht eine neue Vermoegensform die gesellschaftlichen Beziehungen regeln"(Zola 1977 S.420).

Dass schliesslich er selbst an Schwindsucht stirbt, und nicht das Geld, ist nur konsequent, da die Potenzen des Geldes zu seiner Zeit noch lange nicht ausgereizt sind. Dass sein Bruder der uebelste Wucherer ist und alle seine Liebe auf ihn projiziert, weist wiederum auf die gute und die boese buergerliche Seele hin. Der Raffer rafft und ernaehrt dabei seinen schaerfsten Kritiker, weil dieser seine Sehnsucht nach dem "Nichtmehrraffenmuessen" verkoerpert. Der Geldkritiker gilt als edlster Charakter unter allen Charaktermasken, von all den Raffern mit Ehrfurcht betrachtet.

2.

Vom kleinen Kosmos den uns Zola bietet, muessen wir nun fortschreiten in flachere und schmalere Sphaeren, in die Epoche der entfalteten Industrialisierung, die auch die Fordistische genannt wird, nach ihrem beruehmtesten Unternehmer und Ideologen - Henry Ford. Dieser hat sein Credo fuer die ihm nachfolgende Epoche hinterlassen, rhetorisch dick aufgetragen, stilistisch duerr, mit dem Pathos eines evangelischen Geistlichen, aber im Zuspitzen des Zeitgeistes Zola kaum nachstehend, nur dass er sich selbst Protagonist ist, zudem die primitive Ideologie vom raffenden und schaffenden Kapital in Reinkultur vertritt. Viel deutlicher und einseitiger kristallisiert sich bei ihm die Affirmation der abstrakten Arbeit heraus, der Arbeit als Naturprinzip, die Inbegriff allen menschlichen Handelns ist:

"Es ist natuerlich zu arbeiten und anzuerkennen, dass Glueck und Wohlstand sich nur durch ehrliche Arbeit gewinnen lassen... Ich habe nichts zu bieten, was ueber die rueckhaltlose Anerkennung dieses Naturprinzips hinausgeht"(Ford 1923 S.3).
"Freiheit ist das Recht eine angemessene Zeit zu arbeiten"(S.5).
"Dagegen vermag die Arbeit, Arbeit ganz allein, Gueter zu schaffen"(S.9).
"Das wirtschaftliche Grundprinzip ist die Arbeit. Die Arbeit ist das menschliche Element, das sich die fruchttragenden Gezeiten der Erde zu Nutze macht"(S.10).
"die Zivilisation hat keinen Platz fuer die Muessiggaenger"(S.15).

Das schaffende Prinzip wird hier in all seiner Abstraktheit als Arbeiten um des Arbeitens willen hervorgepredigt in wahrhaft rosenkranzbetender Wiederholung und wird zur Grundlage einer Epoche in der Arbeiten per se etwas Positives ist, ohne Ansicht ihrer Zwecke und Zusammenhaenge. Was sich also zunaechst wie seniles Gefasel eines Pfaffen anhoert, schlaegt durch bis in die heutige Zeit, in der das Erhalten von Arbeitsplaetzen immer noch als Rechtfertigung fuer den groessten Schwachsinn herhaelt. Henry Ford hat dies in der dem Arbeitsidiotismus entsprechenden Einfachheit ausgedrueckt.
Arbeit, Produktion - das waren Henrys Goetter und die nach ihm benannte Epoche tat es. Und auch das Geld, das mit Arbeit und Produktion verdient wird kritisierte er nicht, denn wer die Werte schafft darf auch den Rahm abschoepfen - ganz anders dagegen die Spekulanten, die abschoepfen, was andere schufen:

"Die Spekulation in bereits produzierten Dingen hat dagegen nichts mit Geschaeften zu tun - sie bedeutet nicht mehr und nicht weniger als eine angesehenere Form von Diebstahl"(Ford 1923 S.8).

Wie selbstverstaendlich trifft Henry hier den Punkt, dass es der geschaffene Wert ist der zaehlt, die Verdopplung der Werte durch Spekulation mit bereits produzierten Dingen, Werten, unproduktiv, und damit vom Standpunkt des Kapitals aus verwerflich ist. Doch hat die Ideologie des raffenden und schaffenden Kapitals mehrere Implikationen. Da ist natuerlich zunaechst der eben genannte rationale Kern, dass es das schaffende Kapital ist, welches den kapitalistischen, also wertmaessigen Reichtum schafft, waehrend die sich darueber erhebende Ebene des fiktiven Kapitals nur eine scheinbare Verdopplung darstellt, nicht real die Reichtumspotenzen erweitert.
Die Betonung des schaffenden Prinzips, der Arbeit um der Arbeit willen, hat aber noch den weiteren Sinn als Ideologie einer expansiven Ausdehnung der kapitalistischen Produktion und der damit verbundenen Notwendigkeit, Arbeitskraft in Massen einzusaugen, ohne dass damit ein selbstverstaendliches Prestige verbunden waere, etwa vergleichbar dem eines Kunsthandwerkers oder eines Arztes etc. Dem von vorneherein auf nicht sehr qualitativen Niveau taetigen Fabrikarbeiter, musste das Arbeiten als solches als Wert an sich verkauft werden, indem ihm die vereinzelte "Depperlestaetigkeit" des Drehers oder Schlossers als besondere Qualifikation verkauft wurde. Zudem musste klar sein, dass dem Wert an sich, Arbeit, auch der entsprechende Wert an Gegenleistung geliefert wurde.

"Wer schwer arbeitet dem gebuehrt ein bequemer Stuhl, ein behagliches Heim und eine angenehme Umgebung. Sie sind sein gutes Recht. Aber niemandem gebuehrt die Musse, der nicht zuvor seine Arbeit verrichtet hat"(Ford 1923 S.324).

Dem Abstraktum Arbeit steht das Abstraktum Genuss als Gegenleistung gegenueber, ihm wird geboten was dem Wert seiner Leistung entspricht - abgesehen vielleicht von ein bisschen Mehrwert fuer Henry. Dass der prinzipiell qualitaetslosen Arbeit sich entsprechend krude Genuesse gegenueberstellen, naemlich Fressen, Ficken, Fernsehen, wobei zweiteres im Laufe der Geschichte von Henry's Produkt, dem Massenauto abgeloest wird, duerfte klar sein. Jeder kriegt was er gibt! Aber was kriegt der, der nichts leistet?

"Hat er nichts an die Allgemeinheit entrichtet, so hat er von ihr auch nichts zu fordern. Die Freiheit zu verhungern bleibe ihm unbenommen"(Ford 1923 S.12).

Fuer einen Zola und auch die Industrieromantiker in seinem Roman waere eine derartige Brutalitaet, noch undenkbar gewesen. Es ist tatsaechlich erst der Fordismus, der das Zwangsarbeitsprinzip bei Geldentzugsstrafe durchsetzt und so ins Alltagsbewusstsein versteinert, dass es schliesslich zur Schande wird nicht zu arbeiten, sei man nun Bettler oder Spekulant; jegliches nichtarbeitende Einkommen erscheint als Betrug, Betrug an der Wertschoepfung. Die Verinnerlichung dieses Denkprinzips ist allerdings nicht als Indoktrination durch Ideologen zu verstehen, sondern entsteht in erster Linie als Selbstschutz der abstrakten Arbeitsmonade, die ihre eigene dequalifizierte Taetigkeit vor sich rechtfertigen muss. Dieser psychologische Mechanismus geht oft bis zur Absurditaet, wenn auch der letzte Maschinenhandlanger noch mit proletenstolz geschwellter Brust von seinem Fleiss und seinen Faehigkeiten schwadroniert. Die Ideologie des schaffenden Kapitals trifft so in ihrer Epoche auf einen vorgefurchten Boden und kann reiche Fruechte tragen.
Gleichzeitig geht aber noch eine weitergehende Faszination von der Verteufelung des raffenden Spekulanten aus, da sich in ihm die Abstraktion der Wertvergesellschaftung in ihrer ausgepraegten Oberflaechenform, dem Geld, personifizieren laesst. Waehrend die Arbeit als konkrete Taetigkeit betrachtet wird, durch welche eben nicht nur Wert, Geld, Profit, sondern auch reale fassbare Dinge geschaffen werden (wie fragwuerdig deren Nutzen in der Realitaet als totaler auch immer sein mag), erscheint das Geld als Aeusserliches, Fremdes, Abstraktes, das sich zwischen die Menschen schiebt, so wie es auch schon Romantik und Lebensphilosophie betrachtet hatten. Doch ist die Ideologie des raffenden Kapitals, wie wir bereits gefunden haben, ungleich moderner als die abstrakt-romantische Geldkritik; sie kann naemlich durchaus unterscheiden zwischen dem wohlverdienten Salaer, der guten Abstraktion fuer gute Arbeit, und dem spekulativen Geld, welches zum Selbstzweck wird und dadurch schon an der Oberflaeche als Abstraktion sichtbar ist. Der Hass gegen die Abstraktion, der sich eigentlich gegen die eigenen abstrakten Arbeits- und Lebensverhaeltnisse richten sollte, also selbstkritisch gegen die eigene Existenz als abstrakte Indivivualitaet, kann sich, auch im Sinne des oben genannten Selbstschutzes, nur gegen Andere oder Anderes richten, wobei die abstrakte Geldkritik der Romantik sich hier als weniger durchschlagskraefitg erweist, als die Personifikation des raffenden Prinzips im raffenden Spekulanten, "genauer" bestimmt - im Juden. Man braucht schon fast nicht mehr dazuzusagen, dass auch unser lieber Henry sich nicht gewisser Tiraden gegen jene Religion und ihre Bank- und Pressemaechtigen enthalten kann. Sein Herausgeber Kurt Thesing bringt dies 1923 treffend auf den Punkt:

"Sein Kampf gilt nicht dem einzelnen Juden, noch der juedischen Rasse, sondern nur gewissen sozialen und politischen Erscheinungen. Er haelt es fuer eine Gefahr, dass die Banken und die Presse Amerikas zum groessten Teil in juedischen Haenden sind"(Ford 1923 Vorwort S.VII).

Sein Kampf richtet sich nicht gegen Juden als Menschen, aber gegen Juden als Inbegriff des raffenden Kapitals, des Verbrechens mit geschaffenen Werten zu spekulieren, als Personifikation jener Oberflaechenabstraktion des Geldes als Selbstzweck und nicht als adaequater Entlohnung fuer abstrakte Arbeit.

3.

Die Affirmation des werteschaffenden Arbeiters gegen das Geldraffen als Selbstzweck wurde zur radikalen Ideologie allerdings nur in jenen Laendern, die ihr auf Grund gewisser Rueckstaendigkeiten in ihrer kapitalistischen Entwicklung, groesseren Nachdruck verleihen mussten. In der Sowjetunion wurde das Prinzip des Schaffens zum Kampfschrei fuer die Treibjagd in die Fabriken, fuer die treibhausmaessige Entwicklung eines Industrieproletariats als Grundlage fuer eine entfaltete Wertvergesellschaftung. In dieser ideologischen Abart wurden allerdings auch die Fords als Nicht-Werteschaffer entlarvt und demgemaess den Raffern zugeschlagen, aus der Notwendigkeit einer geplanten Nachholung heraus. In reinerer Form sollte Henry's Ideale der deutsche Faschismus verwirklichen, der zwar nicht unbedingt das Recht zu Verhungern durchsetzen konnte, sich vielmehr sogar zur Einfuehrung gewisser Sozialnetze gezwungen sah, aber die Entlohnung abstrakter Arbeit mit gerechtem Konsum auf ihre eigentliche fordistische Spitze trieb, mit dem Slogan: "Jedem Deutschen ein Auto." Der fordistische Nachholungsmotor Faschismus, schaffte so auf Grund des Zwangs zur ideologischen und praktischen Aggressivitaet, durch einen mangelhaft vorgefurchten Boden, eine viel konsequentere Verwirklichung der Ideologie des raffenden und schaffenden Kapitals, als sie die fordistische Arbeitsgesellschaft unter normalen Bedingungen schaffen kann.
Das schaffende Prinzip als Mittelpunkt nationalsozialistischer Ideologie braucht nicht erst lange nachgewiesen zu werden; nur zwecks der Anschaulichkeit und des Bezugspunkts hier ein paar Zitate:

"Der Nationalsozialismus stellt den Arbeiter und den Bauern, den Handwerker und den Angestellten, mit einem Wort, alle schaffenden Deutschen in den Mittelpunkt seines Denkens und Handelns und damit in den Mittelpunkt seines Staates, und den Raffenden und den Bonzen macht er unschaedlich"(Robert Ley 1933 Zit.n. Hofer 1957 S.60).

oder

"Erste Pflicht jedes Staatsbuergers muss es sein, geistig oder koerperlich zu schaffen... darum fordern wir. Abschaffung des Arbeits- und muehelosen Einkommens, Brechung der Zinsknechtschaft..... Die Partei bekaempft den juedisch-materialistischen Geist"(Programm der NSDAP 1920 Zit.n. Hofer 1957 p 29).

Die Weihe der Arbeit als hoeherer Wert und als wertschaffend, die Arbeit als a priori des Menschseins, als Abstraktum, welches jeder qualitativen Bestimmung vorausgesetzt wird, das ist der gleiche Inhalt den wir bei Ford fanden, nur dass die Zuspitzungen noch deutlicher sind, noch mehr im Alltagsbewusstsein Boden finden koennen, weil sie die politischen Konsequenzen beinhalten. Die Ausstrahlungskraft dieser Ideologie ist einleuchtend: sie greift die Abstraktion des Geldes als Selbstzweck, des arbeitslosen Einkommens, der Zinsknechschaft an, fordert ganz praktisch deren Abschaffung, geht aber nicht wie die Lebensphilosophie fort zur Kritik der Abstraktion als solcher, was fuer das Alltagsbewusstsein nicht nachvollziehbar waere, nicht unmittelbar und praktisch bleibt. Was sie den abstrakten Individuen aber laesst, ist ihre abstrakte Arbeit, deren Schalheit nicht auch noch unter ihren Fuessen weggezogen wird, sondern eine hoehere ideologische Weihe erhaelt. Hier leuchtet die Gemeinsamkeit mit der Lebensphilosophie auf, die zumindest ideologisch den Boden bereitete: Geld, Recht und Rationalismus als menschenferne, aeusserliche Abstrakta, die unmittelbare Arbeit, das Alltagsleben, das Gefuehl als Konkretionen, die der Abstraktheit entgegenstehen und affirmiert werden.
Die faschistische Ideologie, ebenso wie die marxistische oder auch die Lebensphilosophie, laesst als buergerliche die Kritik der abstrakten Arbeit aussen vor, kann nicht das Fundament ihrer eigenen Existenz einreissen; sie ist aber durchaus in der Lage an die Leiden der Monaden unter der Abstraktion des Werts, an die romantische Sehnsucht nach unmittelbaren Beziehungen, grossen Gefuehlen, Naturzusammenhang, anzuknuepfen. Hier liegt eine der Schwaechen des Marxismus gegenueber dem Faschismus: waehrend die "Kommunisten" sich bloss auf die Arbeiterfaust, das werteschaffende Prinzip als Inbegriff des Konkreten, Wirklichen beziehen koennen, damit ganz den Notwendigkeiten der sowjetischen Entwicklung angedienert, kann die Rechte all die scheinkonkreten Emotionen, vaterlandischen Gefuehle, Naturmystik, scheinbar feste, unmittelbare Bindungen gegen die Zumutung der Abstraktionen der Wertvergesellschaftung, ins Feld fuehren. Zudem ist der Faschismus in der Lage all diese Zumutungen im "geldraffenden, materialistischen, arbeitsscheuen" Juden zu personifizieren und damit die adaequate Form fuer das Alltagsbewusstsein zu finden, wobei er auf uralte Vorurteile zurueckgreifen kann.
Falsch waere es nun aber zu behaupten, der Faschismus sei damit in seiner Kritik etwa konsequenter gewesen als die Arbeiterbewegung, habe sie durch seine "Geldkritik" und seine Kritik am Abstraktwerden der Welt links ueberholt. Ueberhaupt arbeiten all die hier behandelten Ideologien in ihrer Kritik der Geldabstraktion mit puren Scheinkonkretionen und koennen damit kaum als mehr oder weniger revolutionaer eingestuft werden. Die gemeinsame und in ihrer Zeit durchaus angemessene Grundlage ist die Affirmation der abstrakten Arbeit, die Anbetung des werteschaffenden Arbeiters als scheinbar Konkretem gegenueber all dem Ueberbau - seien es Spekulanten oder Intellektuelle, seien es auch die Kapitalisten. Die eigentliche Basis des Ganzen, dass die abstrakte Vernutzung menschlicher Arbeitskraft der Prozess der Wertschoepfung ist, dass in dieser Produktion um der Produktion willen mit dem einzigen Ziele der Realisation von Wert im schlussfolgenden Austausch die Verwandlung von lebendiger in tote Arbeit stattfindet, konkrete Arbeit sich also als abstrakte darstellen muss, ist die crux all der Arbeitsideologien. Sie beinhaltet, dass, was der Abstraktion als Konkretes und Lebendiges entgegengeschleudert wird, selbst nur ein Totes und Abstraktes ist. Der Marxismus erweist sich hier sogar am Konsequentesten indem er die Anhimmelung des werteschaffenden Arbeiters am weitesten treibt, vor allem auch rein auf den Arbeiter zuspitzt, die wertmaessig unproduktiven Funktionen als minderwertige bezeichnet, in systematischer Abstufung bis hin zum raffenden Spekulanten.
Wie die Arbeit, so erweisen sich bei naeherer Betrachtung auch all die anderen Konkretionen als pure Abstrakta, sei es das Naturgefuehl der Romantik, der einheitliche Lebensstrom der Lebensphilosophie oder Blut und Boden des Faschismus. Dennoch gewinnen sie eine ungeahnte Ausstrahlung einfach dadurch, dass sie die kokrete Lebensunmittelbarkeit suggerieren und damit eine Sehnsucht des abstrakten Individuums ansprechen, ohne ihm seine Lebensgrundlage, seine Taetigkeit als Arbeitsmonade streitig zu machen und den Selbstschutzwall abzubrechen. Der Erfolg des Faschismus lag darin, dass er nicht wie der Marxismus nur den werteschaffenden produktiven Arbeiter selbst affirmierte, sondern auch alle abgeleiteten Lebensformen, ausser eben jener des Spekulanten um des reinen Geldes willen. Nicht der geringste Vorteil war dabei, dass auch der proletarische Alltagsverstand merkte, dass produktiver Arbeiter sein kein Glueck ist, sondern ein Pech, dass der Ausstieg aus dem Wertschoepferdasein vielleicht angenehmer sein koennte, als der Stolz auf den Status quo.

4.

Die Ideologie des raffenden und schaffenden Kapitals kann natuerlich nur in einer Zeit massenhafte Ausstrahlungskraft beweisen, in welcher der produktive Sektor, die Masse der werteschaffenden Arbeiter in Expansion befindlich ist, die spekulative Sphaere selbst in ihrer Ausdehnung noch auf diese ihre Basis bezogen ist. Hier stellt der produktive Arbeiter noch die Masse dar, der eigentliche Spekulant laesst sich noch als bestimmte Schicht definieren, die zudem personell eng begrenzt ist. In einer Zeit, in der Arbeiter, Studenten, Hausfrauen statt zu sparen lieber spekulieren, in der so nebenbei 4000 Spekulanten von einer Grossbank auf die Strasse geworfen werden, ist sie ein Anachronismus, weil "raffen" im allgemeinen Bewusstsein zur Normalitaet, der "Raffer" selbst moeglicherweise Gewerkschaftsmitglied, geworden ist. Noch 1929 galt es als Grund auszusteigen, "wenn die Dienstmaedchen an die Boerse gehen" und dies geschah nur in den USA; der gaengige Symboltypus eines Kapitalisten war eben der asketisch-evangelische Henry Ford, dem beim Anblick der Symbolgestalten der 80er Jahre, Campeau, Trump, Bond etc das Feuerzeug in der Hosentasche aufgegangen waere. Wie aufteigend produktiv und romantisch pionierhaft ein Kapitalist in jener Zeit war, zeigt eine Anekdote aus Henry's Jugend:

"Das wichtigste Ereignis jener Knabenjahre war mein Zusammentreffen mit einer Lokomobile etwa acht Meilen von Detroit, als wir eines Tages zur Stadt fuhren. Ich war damals 12 Jahre alt. Das zweitwichtigste Ereignis, das noch in das gleiche Jahr fiel, war das Geschenk einer Uhr. Ich kann mich an die Machine erinnern als waere es gestern; war sie doch das erste nicht von Pferden gezogene Fahrzeug, das ich in meinem Leben zu Gesicht bekam. ...Jene Lokomobile war daran Schuld, das ich in die Automobiltechnik hineingeriet. Ich versuchte Modelle herzustellen und brachte einige Jahre spaeter auch ein recht brauchbares zusammen. Von jener Zeit an, bis auf den heutigen Tag hat mein staerkstes Interesse dem Problem der Herstellung einer selbsttaetig fahrenden Maschine gegolten"(Ford 1923 S.26f).

Welch ein grandioser Weg, von technisch interessierten Bauernbuben zum epochemachenden Automobilfabrikanten, american dream und Inbegriff von Fleiss und Ehre in einem. Ein Protagonist der 80er Jahre beschreibt seinen Anreiz, ein grosser Mann zu werden, vollkommen anders:

"Eines Tages spielten wir in unserem Kinderzimmer mit Baukloetzen. Ich wollte einen hohen Turm bauen, stellte aber fest, dass ich nicht genuegend Steine hatte. Ich fragte Robert, ob er mir seine geben koenne, und er antwortete: "In Ordnung aber ich will sie zurueckhaben, wenn du fertig bist." Ich verbaute also zuerst meine eigenen Kloetze, danach seine. Als der Turm stand, gefiel er mir so gut, das ich die Baukloetze kurzerhand zusammmenleimte. Robert hatte wie so oft das Nachsehen"(Trump 1989 S. 67).

Trump koennte nun als die Idealgestalt von Fords Spekulanten dastehen, doch ist dem mitnichten so. Zum einen haette sich wohl Ford einen fiktiven Spekulationsueberbau von heutigen Ausmassen und Geschaefte im Umfange eines Trump kaum vorstellen koennen, zum anderen ist einfach das Schwergewicht verschoben: die Dinosaurier a la Ford sind einfach ausgestorben, waehrend die Spezies der Trumps in kleinerer oder groesserer Form die Erde uebervoelkert. Doch ist dies nicht allein eine subjektive Frage, so als haetten sich die Gene der Menschen veraendert, es ist eine Frage gesellschaftlicher Entwicklung ueberhaupt, subjektiv-objektiv. Der zu Ende gehende Fordismus zeigt ein wirtschaftliches Wachstum, welches in erster Linie ein fiktiv-spekulatives ist, nicht reale Wertschoepfung, als massenhafte Einsaugung abstrakter Arbeit, zur Grundlage hat, sondern durch eine kuenstliche Aufblaehung der Geldmenge gepusht wird. Selbst die produktiven Sektoren werden nicht selten durch immense Verschuldung und Subventionen am Leben erhalten. Nicht zuletzt Henry's ganzer Stolz, der einstige Fels Automobilindustrie, erweist sich als maroder Pudding, dessen Gewinne mit der Banken und Boersenkrise einbrechen, weil sie nicht zuletzt auf dem Wege der Spekulation kreditfinanziert waren. Als blosses Schlaglicht hier das Statement eines eher optimistischen US-Analysten ueber das Untenehmen eines im oeffentlichen Ansehen durchaus wuerdigen Ford-Nachfolgers namens Iacocca:

"Von den sich um Chrysler rankenden Uebernahmengeruechten (Fiat) haelt Glantz nichts. Chrysler sei ein schwieriger Fall. Von den oftmals beschworenen 33 Dollar Substanz je Aktie entfielen nicht weniger als 22 Dollar auf Goodwill. Es verbleiben an wirklicher Substanz nur 10,83 Dollar, und ein Aufkaeufer saehe sich mit Milliarden von Dollar nicht ordentlich finanzierter Sozialverpflichtungen konfrontiert. Letztere haetten 1989 nicht weniger als 340 Dollar je Aktie ausgemacht.... Bei moeglichen Kurssteigerungen, aufgrund von Uebernahmespekulationen, sollte man die Aktie verkaufen." SZ 17.8.90

Natuerlich kann Glantz nur den aeussersten Schein der Medaille treffen, die fundamentalen Grundlagen und Konsequenzen der Krise sind nicht sein Thema (siehe dazu: Flugschrift Nr. 2 zur Krise des Geldes), dennoch reichen selbst diese schmalen Fakten bereits hin, die Tatsache zu beleuchten, dass die wertproduktive Aufstiegsphase, in welcher die Ideologie des raffenden und schaffenden Kapitals zuenden konnte, laengst vorbei ist, dass der Phase der arbeitseinsaugenden Innovationen eine Periode spekulativen Kampfes um die letzten Stueckchen Kuchen gefolgt ist. Wie stark die kapitalistische Produktionsweise spekulativ geworden ist, laesst sich auch an einem anderen ihrer Produkte, vielleicht dem grossartigsten, verfolgen - dem Teddybaer. Seine wechselhafte Geschichte ist zugleich die Entwicklung der Wertvergesellschaftung von ihrer aufsteigenden produktiven Phase in ihre mehr und mehr spekulative Krisenperiode.
Als Margarete Steiff (ein Gretchen aus Schwaben) 1880 ihre ersten acht Elefaentles naehte, tat sie dies nur fuer ein paar Bekannte, doch bald gesellten sich Esel, Baer, Kamel und Loewe hinzu und bereits 1893 wurde eine kleine Spielwarenfabrik gegruendet, in der 4 Mitarbeiterinnen und 10 Heimarbeiterinnen gemeldet waren. Der Gesamtumsatz betrug 40000 Mark. Die Stofftiere wurden schnell erfolgreich und das Unternehmen zum Inbegriff deutschen Fleisses und handwerklicher Qualitaet. Den entscheidenden Kick aber brachte ein Ereignis des Jahres 1902, als der amerikanische Praesident Theodor Roosevelt sich auf einer Jagd entruestet weigerte, einen hilflosen Jungbaeren zu erschiessen. Zeichnungen davon gingen um die Welt und eben auch nach Giengen - eines der bedeutendsten Produkte des 20sten Jahrhunderts war geboren - der Teddybaer. Von vorneherein mit den hoeheren Weihen einer Praesidententat geehrt, wurde er in den USA zum Inbegriff der Liebe des amerikanischen Volkes zu seinem Praesidenten, weltweit aber als Symbol moralischer Werte wie Mildtaetigkeit, Naturverbundenheit und Ehrbarkeit zu einem grandiosen Erfolgsschlager. Bereits im Jahre 1907 verkaufte Steiff 975ooo Stueck.
Der Teddybaer stand fuer die gute Seele in der Brust des buergerlichen Individuums, seiner Sehnsucht nach Einheit mit der Natur, nach Liebe und Verstaendnis, er galt zugleich als Symbol deutschen Fleisses und deutscher Qualitaet, als stoffliches Konkretum schlechthin. Die Kritik des Teddybaeren, die hier natuerlich nicht erschoepfend zu leisten ist, muesste dagegen zeigen, dass es nur der verdrehten Phantasie abstrakter Individuen und deren versteinerter Verhaeltnisse entspringen kann, an die Stelle der direkten Beziehungen zu anderen Menschen und eines offenen Verhaeltnisses zur Natur, die Liebe zu einem weichgestopften Stofftier zu stellen. Diese absurde Vorstellung gipfelt in den perversen Lobeshymnen der Spiessbuerger ueber ein achgottsobraves Kind, welches statt mit anderen Kindern in der Gegend herumzutoben, lieber in seinem Zimmer mit seinen Teddybaeren spielt. Doch wuerde es zu weit gehen dem Teddybaer dafuer die Schuld in die Schuhe zu schieben, denn auch er ist nur Opfer der Verhaeltnisse in die er hineingenaeht wurde. Zudem wissen wir aus eigener Erfahrung, dass der Umgang mit Teddybaeren nicht nur zu einem zwanghaften Zuneigungsverhaeltnis zu Dingen (Stoffbaeren, Bildern, Autos, Buechern) fuehren, sondern ebenso auch Phantasie und Kreativitaet anspornen kann. Wer liebte nicht jene Geschichten von mit Leben begabten Teddybaeren und Schaukelpferden etc.? Doch sind auch sie natuerlich nur Erlebnisersatz, basieren eben auf einer Gesellschaft in der sinnvolle und direkte Beziehungen zwischen Menschen noch nicht hergestellt sind. Die Negation dieses Verhaeltnisses waere in der Zukunft zu suchen, nicht in naturhaft-sinnlichen Zustaenden der Vergangenheit, in der die Menschen noch zwischen echten Baeren lebten - demgegenueber ist der Teddybaer tatsaechlich ein Fortschritt.
Auch Gretchens Qualitaetsprodukt wurde allerdings, ebenso wie Henry's Auto, Objekt der Spekulationswelle der 80er Jahre und kann dabei mit der Boerse und dem Kunstmarkt durchaus mithalten. So wurde juengst ein Teddybaer aus dem Jahre 1926 fuer 168000 DM versteigert, noch krasser aber: ein limitierter Teddy, der 1989 fuer 250 DM in den Handel kam, ist heute nicht mehr unter tausend Mark zu haben (Welt 28.10.90) - ein knallhartes Beispiel wie durch den Versuch, Spekulationen durch stoffliche Grundlagen abzusichern - Immobilien, Kunstwerke, Teddybaeren - diese Grundlagen selbst spekulativ werden.

5.

Die gesellschaftlichen Verhaeltnisse haben sich also geaendert, was nichts anderes heisst, als dass sich ihre menschlichen Protagonisten veraendert haben, ihr Bewusstsein einer veraenderten Wirklichkeit angehoert. In diesem Zustand nun gehen sie ins Kino, nicht wissend, dass ihnen nun die Moral vergangener Zeiten vorgebetet wird, verpackt in die Gewaender der neuesten Entwicklungen, sei es der Mode, sei es der Finanzmaerkte. Dass die Folge nicht Hass gegen die im Film personifizierte Spekulation sein kann, Raiderpogrome nicht die soziale Folge, duerfte schon aus der einfachen Tatsache klar sein, dass vielleicht ein nicht unbetraechtlicher Teil der zumeist jungen Kinobesucher selbst spekuliert oder zumindest mit Geld und Aktien konfrontiert wird. In der BRD sind 60% der Berufstaetigen im Dienstleistungsbereich taetig, was nichts andereres bedeutet, als dass sie Unschuldigen Versicherungen aufschwatzen, Aktienportefeuilles verwalten, verduennten Alkohol oder schlechtes Essen verkaufen und zu horrenden Preisen Haare schneiden. Sie haben schon als Kinder ihre Oma nur besucht, um Kohle abzuzocken und haben seit ihrem 15ten Lebensjahr einen Ueberziehungkredit auf ihrem Girokonto. Sie sind auch jederzeit bereit, dieses letzte bisschen Berfufsethos noch aufzugeben, zu studieren und dabei BaFoeG oder Sozialhilfe zu kassieren, um anschliessend Broker oder Werbefachmann zu werde. Diese Moeglichkeit ins Studium auszuweichen, verbreitert sich uebrigens stetig, im Rahmen einer statistisch nachgewiesenen Tendenz zum Abitur als normalem Schulabschluss, eine Tatsache, welche die Distanz zur halbgebildeten und selbsternannten Theoretikerin objektiv verkleinert, auch diesen Sprung wieder etwas erleichtert.
Nun geht es nicht darum, dass alle Kinoinsassen oder gar die empirische Bevoelkerung, geradeso denken und handeln, sondern nur darum, dass in jedem der von der Filmmoral angesprochenen Alltagsbewusstseine ein Teil dieser Lebensverhaeltnisse und Vorstellungen eingenistet ist, woraus sich eine moderne Reaktionsebene ergibt, die des immanenten Unverstaendnisses: Jetzt hat dieser Kerl eine derart perfekte Methode des Geldschoepfens gefunden, ist ebenso perfekt in ihrer Ausfuehrung, ist ein "Master of the Universe" (Tom Wolfe) geworden, um schliesslich sang und klanglos im Spiessermuff einer Kleinfamilie zu versinken und einen stinkenden Industriebetrieb zu organisieren, statt sein Leben zu geniessen. Dies waere vielleicht die Reaktion von Seele Nummer eins (wir gehen inzwischen von der "Multiseeligkeit " des buergerlichen Busens aus) im Busen des modernen Jungbuergers, die ihr rationales Moment in der veraenderten gesellschaftlichen Realitaet und des damit veraenderten Selbstschutzmechanismus hat: das neue Alltagsbewusstsein muss eher seine Existenz als spekulierendes und spekulativ (beliebig) werdendes Individuum rechtfertigen, als seine Existenz als werteschaffender Arbeiter. Freilich erweist sich dies als einiges schwieriger als die Selbstverehrung des Proletariers, was zu jener seltsamen Erscheinung fuehrt, dass es jenen Jungmonaden oft eher peinlich ist Bankangestellter, Sozialpaedagogikstudent, Friseurlehrling oder Bekleidungsfachverkaeufer zu sein, der Sprung ins angebotene Beliebigkeitsjobberdasein leicht faellt.
Diese Beliebigkeit und Flexibilitaet der modernen Existenz macht uebrigens auch die Ausstrahlung und den Erfolg von "Pretty woman" aus, weil die Protagonisten in scheinbar voelliger Freiheit und Beliebigkeit ueber ihr Leben, ihre Arbeit, ihre Gefuehle, ihren Konsum verfuegen koennen, auch wenn man ihre "Entscheidung" am Schluss vielleicht schwachsinnig findet (Man koennte hier fast von einer Popularisierung existentialistischen Theaters sprechen).
Unsere Zuschauer werden also auf Grund ihrer Flexibilitaet auch durchaus nicht gewillt sein, das grosse Leben des Spekulanten gegen den Muff des schaffenden Familienoberhaupts zu verteidigen. Seele Nummer 1 ist eine gespaltene, was dazu fuehrt dass auch der flippige Jobber im naechsten Moment auf seinen Job in einer richtigen Fabrik furchtbar stolz ist, weil fuer die Restexistenz als Betriebswirtschaftsstudent nicht mit Stolz bezahlt wird. Dass allerdings die abstrakte Arbeit in diesen Verhaeltnissen kein Wert an sich mehr ist, sondern eine hoechst scheel beaeugte Notwendigkeit, duerfte klar sein. Objektiv wie subjektiv ist die Zeit des produktiven Arbeiters vorbei; wo er noch existiert, ist er eine peinliche Existenz neben anderen, hat er weder als marxistisches Wertschoepfungsvehikel noch als schaffender Arbeitsmensch irgendeine Ausstrahlung, nicht einmal auf sich selbst.

Den produktiven Arbeiter zu Grabe zu tragen heisst allerdings die Basis kapitalistischer Produktion anzunagen, was unsere Seele Nummer eins bereits unbewusst tut, indem sie nicht nur nicht mehr produktiv schafft, sondern dies auch nicht mehr erstrebenswert findet. Sie deutet damit rein negativ ein Anderes an (um es adornoesk auszudruecken), eine Gesellschaft jenseits der Arbeitsgesellschaft, allerdings eben nur unbewusst und negativ, als noch zu aktivierende Potenz (das ist allerdings die Tragik der Theoretikerin, dass sie zwischen ihrer Potenz sitzt und sie nicht aktivieren kann).
Noch mehr in Frage gestellt wird allerdings vom modernen Bewusstsein, die unkritische Haltung gegenueber industrieller Produktion, wie sie bei Zola's Protagonisten, bei Ford und auch im Film vorausgesetzt wird. Die zweite Seele in des modernen Buergers Brust wuerde sofort nachfragen, was denn da produziert wird, welche Umweltschaeden die Folge sind, welche Gifte das Produkt enthaelt, welche Folgen sich aus dem Abbau der Rohstoffe ergeben, wieviel Tiere bei der Erforschung verkabelt werden; ein Kosmos von Zweifeln, geschuert von einem mit diffuser Empirie gestopften Halbwissen, wuerde sich ueber den Unternehmer ergiessen. Als ungebrochen positiver Wert jedenfalls wuerde das Schaffen kaum durchgehen. Natuerlich steckt hierhinter noch kein Durchschauen der notwendigen Effekte betriebswirtschaftlicher Vernutzung von menschlicher Arbeitskraft und natuerlicher Ressourcen, aber immerhin die grauenvollen Erfahrungen mit seiner Anhaeufung von Umweltkatastrophen und stiller wirkenden "Zivilisationskrankheiten". Wer wuerde wohl noch die Erschliessung eines einsamen Tals im Karmel durch Bergwerke als positiv empfinden, wer hat noch ein so voellig romantische Verhaeltnis zu Maschinen wie Henry? Selbst unser lieber Teddybaer wuerde befragt, ob sein Fuellmaterial krebserregend ist, seine Knopfaugen aus Kunststoff oder Naturhorn sind. Der Fortschritt hierin gegenueber dem platten Verherrlichen der schaffenden Kraft ist klar - es wird ploetzlich nach den Inhalten der Produktion und ihren stofflichen Folgen gefragt, die abstrakte Produktion um der Produktion willen hinterfragt, und damit die Suche nach Konkretion, nach Herstellen der Zusammenhaenge ein Stueck weitergetrieben. Klar duerfte natuerlich sein, dass dieses Hinterfragen der abstrakten Arbeit durch die abstrakten Individuen, selbst kaum unmittelbar auf gesellschaftlichen Zusammenhang und Totalitaet zielt, somit selbst abstrakt bleibt und nicht selten Absurditaeten erzeugt. Auf grausame Weise laecherlich ist etwa der Fall einer jungen Waffenverkaeuferin, die Verpackungsmaterialien an die Lieferanten zurueckschickt, um etwas gegen das Ozonloch zu unternehmen, gleichzeitig aber Schnappmesser, Wurfsterne und Gaspistolen an die Jugendlichen im Stadtviertel verkauft. Die Beispiele fuer Aehnliches sind Legion. Und dennoch liegt auch hier eine Potenz brach, die weit ueber das hinausgehen koennte, was der Verwertungslogik entspricht, die immerhin Ansatzpunkte fuer eine bewusste gesellschaftliche Organisation, jenseits der organisierten Bewusstlosigkeit, bietet.
Klarzustellen ist allerdings, dass hier nicht eine eingleisige Entwicklung in Richtung Glueckseeligkeit stattfindet, sich im Gegenteil erst einmal eine Zuspitzung der Widersprueche ergibt. Der erste Aufschein etwa der Kritik des Autos und der Perversitaet des Individualverkehrs, faellt zusammen mit dem Hoehepunkt von dessen Ausbreitung, sowie dem nahen Zusammenbruch dieses Systems. Der Hoehepunkt der Entwicklung und der Hoehepunkt der Krise sind identisch.
Auch Seele Nummer zwei lebt zudem im permanenten Widerspruch, ist doch das Subjekt der Kritik gleichzeitig Subjekt des kritisierten Prozesses, in irgendeiner Form daran beteiligt. Die Konsequenzen aus diesem verzwickten Problem koennen sowohl in Resignation, als auch in Verzweiflung, aber genausogut in der Selbstsuggerierung des Aussenstehens liegen, sie koennen in der Opferpose ebenso muenden, wie im bemuehten Zynismus; eins allerdings koennen diese Subjekt-Objekte keinesfalls: ihren Frieden schliessen mit der Wertvergesellschaftung, indem sie irgendeine Perspektive in ihr finden, sie werden auch beim besten Willen keine schaffenden Helden mehr werden, hoechstens selbst die Personifikation des raffenden Geldhechts. Letztere Perspektive ist allerdings ein schale, kurzatmige, deren Ende sich bereits aktuell in den kleinen und grossen Farcen der Finanzmaerkte abspielt.
Aus diesem Blickwinkel heraus erklaert sich auch, warum jener unterhaltsame Film nichts weiter als das Laecheln der Beliebigkeit zeigen konnte. Er ist gemacht von und fuer Menschen, die sich selbst peinlich sind.


LITERATUR:

Ford Henry/ Mein Leben und Werk, Leipzig 1923
Hofer Walter (Hrsg.)/ Der Nationalsozialismus,
Frankfurt 1957
Trump Donald/ Die Kunst des Erfolgs, Muenchen 1990
Zola Emile/ Das Geld, Muenchen 1977