online archiv 1998
Rubrik Theorie & Debatte |
aus: z-netz.forum.diskussion.politik
von Ulrich P. Unger
Täter mit Bundesverdienstkreuz
Ernst Klee stellte im Willy-Brandt-Haus sein neues Buch über
NS-Medizin und ihre mörderische Forschung vor.
Kein Räuspern war zu hören. Die Stille im Atrium war so
eindringlich wie die Gelassenheit, mit der Ernst Klee über eines der
grausamsten Kapitel der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts sprach:
die Menschenversuche und Morde der NS-Medizin.
"Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer" heißt Klees jüngstes
Werk, das er zusammen mit seinem Lektor Walter Pehle im Willy- Brandt-Haus
vorstellte. Dafür recherchierte er anhand von bisher unbekannten Akten
gegen die Täter im Ärztekittel. Für diese Dokumentation ist
der mehrfach ausgezeichnete Autor ver- gangenes Jahr mit dem renomierten
Geschwister-Scholl-Preis geehrt worden. Es ist nicht sein erstes Buch
zu diesem Thema. Bereits 1983 ver- öffentlichte er "Euthanasie"
im NS-Staat. Die Vernichtung *"lebensunwertes Lebens"*, über
das die Zeit schrieb, dass erst Ernst Klee den Massenmord an *Behinderten*,
die Beteiligung namhafter Ärzte und den Einsatz der Täter bei der
Ermordung der Juden "wieder der Vergangenheit entrissen hat".
Losgelassen hat ihn das Thema nie wieder. Mit seinem neuem Buch hat
sich Klee unter Medizinern und Pharmaherstellern keine Freunde gemacht. Im
Gegenteil. Ein Aufschrei ging durch die Branche, Rechtsabteilungen wurden
bemüht, die Veröffentlichung zu verhindern. Denn das Buch
leuchtet nicht nur das Tun der Ärzte in der NS-Zeit aus, sondern wirft
auch ein aufschlussreiches Licht auf die Nachkriegszeit. Die aufgelisteten
Namen der Ärzte, später gerne als entartete Monster dargestellt
wie der KZ-Arzt Josef Mengele, gehörten, so Klee, allesamt der
medizinischen und naturwissenschaftlichen Elite an. Ihre Kollegen
beneideten sie um ihre Forschungsmöglichkeiten: "Das waren keine
fehlgeleiteten Sadisten, sondern Mediziner auf dem neuesten Stand der
Forschung". Eugenisches Denken war damals modern, nicht nur in
Deutschland. Die Karrieren der Täter, und das ist der Skandal von
heute, gingen meist ungebrochen weiter. Heissbegehrt von den
Alliierten und auch den Russen, wurden deutsche Wissenschaftler nach dem
Krieg in Massen eingekauft. Verurteilt wurde hierzulande kaum einer, schon
eher stieg man auf zum Prominentenarzt. Klee: "fast alle Täter
haben Bundesverdienstkreuze".
Ernst Klee, Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer", S.Fischer
Verlag, Frankfurt 1997, 544 Seiten, 58 Mark |