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1998

Rubrik
Theorie & Debatte

ANTIFA-INFO-BLATT NR. 37
SCHWERPUNKT: OSTEUROPA
EINLEITUNGSARTIKEL

DER OSTEN IST FREI...

... FUeR DIE IMPERIALISTISCHE EXPANSION
EINES VON DEUTSCHLAND GEFUeHRTEN EUROPAS


"Wir betonen, dass wir die Bringer der Freiheit waeren. (...)
Grundsaetzlich kommt es also darauf an den riesenhaften
Kuchen handgerecht zu zerlegen, damit wir ihn erstens
beherrschen, zweitens verwalten und drittens ausbeuten
koennen."
(1)

Antifaschismus in der BRD kreist um die deutsche
Innenpolitik, aussenpolitische Themen werden zumeist nur
aufgenommen, wenn es sich um neofaschistische Tendenzen in
anderen Laender wie z.B. der Haiderisierung Oesterreichs oder
den Aufstieg Le Pens und der Entstehung des Kernbereichs der
Neuen Rechten in Frankreich handelt. Eine Analyse der
deutschen Aussenpolitik im Licht der historischen Erfahrungen
mit dem NS und unseres Wissens ueber den Neofaschismus
geschieht vergleichsweise selten.(2) Doch insb. in der
Politik
des wiedervereinigten Deutschlands gegenueber dem Osten
zeigen sich Ueberschneidungen zwischen Strategien des
historischen und aktuellen Faschismus mit der offiziellen
und inoffiziellen (3) deutschen Aussenpolitik.

Der alte deutsche Drang nach Osten entwickelt sich auch
heute, wie seit dem Kaiserreich, entlang einer voelkischen
oder neudeutsch: "ethnischen" Kontinuitaetslinie, in der
Auslandsdeutsche oder Aussiedler ebenso konstruiert werden,
wie andere sogenannte unterdrueckte "Volksgruppen" und
"Voelker", um anschliessend als Manoevriermasse im Interesse
der deutschen Expansion nach Osten zu dienen. Seit dem Ende
des von Deutschland provozierten I. Weltkrieg steht die
deutsche Ostexpansion auch im Zeichen des Revanchismus, also
des Versuchs, die Grenzen in Europa und insb. im Osten zu
revidieren. Und immer waren Kapitalstrategen massgeblich an
der Entwicklung von Plaenen zur Ostexpansion beteiligt.

Deutsches Kapital und der Osten

Die Strategen des deutschen Kapitals pendelten waehrend der
Weimarer Republik zwischen der Variante, "fuer den
'Wiederaufstieg' Deutschlands die fruehere wirtschaftliche
Vormachtstellung in Osteuropa wiedererringen zu koennen"(4),
den Osten also als verlaengerte Werkbank der deutschen
Industrie zu nutzen und der Variante, "Osteuropa lediglich
als Absatzmarkt fuer Industrieprodukte und als Lieferant von
Rohstoffen"(5) zu nutzen(6). Die Strategie, wie sie waehrend
des
NS von der deutschen Industrie favorisiert wurde lautete:
"Durch eine 'nationale Zersetzung Russlands' und eine
Zusammenarbeit mit den verschiedenen Voelkern sollte die
deutsche Vorherrschaft gesichert, der wirtschaftlichen
Durchdringung des Landes der Weg bereitet und die erreichte
Weltmachtstellung des Reiches abgesichert werden."(7)

Unter dem Titel: "Oekonomie in Mittel- und Osteuropa -
Perspektiven abhaengiger Wirtschaften" stellen wir den
erneuten Versuch des deutschen Kapitals vor, sich den
riesenhaften Kuchen einzuverleiben, von dem der Leiter der
Parteikanzlei der NSDAP Martin Bormann als einen zu
zerlegenden sprach. Denn nun, nach dem Fall des sog.
"eisernen Vorhangs" setzt man sich wieder zu Tisch. Das Mal
ist bereitet, der Osten fuer die imperialistische Expansion
serviert. Es gilt, sich die Sahnestueckchen zu sichern.

Deutschtumspolitiker und der Osten

Zum Teil in Konkurrenz, zum Teil in Ergaenzung zu und in
konsequenter Weiterfuehrung der Instrumentalisierung sog.
unterdrueckter "Volksgruppen und Voelker" wurde insb. aus den
Reihen der SS an "Deutschtumswaellen" gegen, oder
"Deutschtumsinseln" im Osten gebastelt. Die Strategie des
"Generalplans Ost" war es, langsam voelkisch den Osten zu
durchdringen, alle Nichtdeutschen in den Stand von Sklaven
zu druecken und so endgueltig unter deutscher Herrschaft zu
bringen.

Mangels orginaerer deutscher Volksmasse, um den Osten deutsch
zu durchdringen, behalf man sich mit einem Konstrukt, das
lange vor dem NS das Licht der Welt erblickte. Gemeint ist
das sog. "Auslandsdeutschtum", deren Vertreter, egal wann
ihre Vorfahren einmal Deutschland wegen wirtschaftlicher Not
oder politischer Verfolgung den Ruecken gekehrt hatten, als
"Volksdeutsche" betrachtet wurden und noch immer werden.
Weiter wurden sog. "Umvolkungen" vorgenommen, d.h. nach
bestimmten koerperlichen Merkmalen wurden Kinder selektiert,
von denen man glaubte, sie zu "arischen" Germanen machen zu
koennen. Jene, die man als nicht "umvolkungsfaehig"
klassifizierte, wurden der Vernichtung preisgegeben(8).
Weiteren Anteil am Bau der Deutschtumsinseln und
Deutschtumswaelle sollten die "verdienten" Veteranen der
Wehrmacht haben und hier sicherte sich insb. die Generalitaet
das ein oder andere Rittergut.(9)

In genau dieser Tradition der Verinselung des "Deutschtums"
im Osten und des Baus von Deutschtumswaellen gegen den Osten
stehen die Aktivitaeten der bundesdeutschen Revanchisten, die
dabei von der Bundesregierung Unterstuetzung erfahren. Anders
ist es nicht zu verstehen, wenn VDA und
Bundesinnenministerium sich der sog. "Russlanddeutschen"
annehmen, um sie in deutschen Rayons - frueheren Plaenen nach
sogar in einer deutschen Wolgarepublik - zusammenzufassen.
Fuer diese heutigen Deutschtumspolitikern sind die
Auslanddeutschen im Osten eine Manoevriermasse, die man je
nach Bedarf zur Abstimmung gegen den Kommunismus mit den
Fuessen, also zur Aussiedlung motivierte oder nun wieder als
ethnische-voelkische Minderheit der Deutschen im Osten
aufbauen will.(10)

Aehnlich in Polen: Hier wird die "deutsche Volksgruppe" in
"Deutschen Freundschaftskreisen" (DFK) zusammengefuehrt und
organisiert. Diese DFK's stehen unter dem Einfluss des BdV
und anderer deutschen Stellen. Neofaschisten, wie Johanna
Grund z.B., wurde der Einfluss auf diese
Kritallisationspunkte des Deutschtums in Polen erst nach
massiven Protesten streitig gemacht. Wie weit die
Deutschtumspolitiker bereits in Polen vorangekommen sind,
zeigen wir im Artikel "Nur nnicht unter Gewalt" in dieser
Ausgabe des AIB.

Neofaschisten und Revanchisten
der Vertriebenenverbaende und der Osten

Wenn bereits offizielle und halboffizielle deutsche Stellen
sich diese Politik auf die Fahnen geschrieben haben, dann
stehen Neofaschisten selbstverstaendlich nicht abseits.
Insbesondere der Kaliningradskaja Oblast, also das ehemalige
noerdliche Ostpreussen ist ihr Betaetigungsfeld. Hier agieren
Neofaschisten wie Dietmar Munier mit seinen diversen
Organisationen, der Rechtsterrorist Manfred Roeder mit
seinem "Deutsch-Russischen Gemeinschaftswerk" oder der NPD-
Mann Hans-Dietrich Otto mit seiner Firma "Basis Hoch- und
Tiefbau". Ihr Projekt: Die Ansiedlung von sog.
"Russlanddeutschen", mit dem Ziel der Regermanisierung dieser
Region. In diesen Kreisen schmiedet man bereits Plaene fuer
die Zeit, wenn die Manoevriermasse "Russlanddeutsche" in
genuegend grosser Zahl vor Ort sein sollte. Ein Freistaat
Preussen schwebt z. B. dem DL-Aktivisten Rigolf Hennig aus
Verden vor, und so erklaerte er sich flugs zu dessen
Staatspraesidenten im Exil. Und auch Roeder schwaermt von der
Idee eines Freistaates Preussen, der einst wieder den
Anschluss ans deutsche Mutterland fordern koennte.

Dass Neofaschisten von der Couleur Muniers, Roeders oder
Ottos sich solcher Projekte hingeben, duerfte nicht weiter
erstaunen. Alarmierend ist es aber, wenn z.B. die
Landsmannschaft Ostpreussen mit ihren Untergliederungen die
Zusammenarbeit mit diesen Neofaschisten nicht scheut, ja,
den fuer diese Zusammenarbeit verantwortlichen Personen sogar
demonstrativ den Ruecken staerkt, indem sie in den Vorstand
der Landsmannschaft gewaehlt werden. Exemplarisch haben wir
im Artikel "Die Speerspitze des Revanchismus und wie man sie
brechen kann" einen solchen Fall aufgegriffen. In diesem
Artikel wird es weniger um die konkrete Zusammenarbeit von
Revanchistenverbaenden und Neofaschisten gehen11, als
vielmehr darum, wie die antifaschistische Arbeit vor Ort
gegen solche Tendenzen aussehen kann.

Dass diese Arbeit notwendig ist, belegen Tendenzen in den
Landsmannschaften, wo offen fuer die Projekte der
Neofaschisten geworben wird. So erwaermt sich die
Landsmannschaft Ostpreussen fuer das Projekt eines Freistaates
Preussen und stellte Rigolf Hennig im Ostpreussenblatt eine
Seite fuer die Darstellung dieses Projektes zur Verfuegung.
Ebenso peilt man in den Fuehrungsetagen der Jungen
Landsmannschaft Ostpreussen eine Autonomie fuer den
Kaliningradskaja Oblast an, in der Hoffnung dieser moege sich
im weiteren Deutschland angliedern.

Deutsches Militaer und der Osten

Nicht die Tatsache, dass Neofaschisten diese Projekte
betreiben, oder an ihrer Umsetzung beteiligt sind, macht
diese Projekte zu friedensgefaehrdenden Projekten, sondern
der Umstand, dass sie in einem oekonomischen und militaerischen
Umfeld eingebettet sind, der fuer die kuenftige deutsche
Aussenpolitik schlimmstes befuerchten laesst.

Um also die Relevanz des Treibens von Neofaschisten,
halbstaatlichen Deutschtumspolitikern und Revanchisten der
Vertriebenenverbaende ermessen zu koennen, ist es fuer
AntifaschistInnen wichtig, auch die Buehne der "grossen
Politik" unter die Lupe zu nehmen. Dies versucht der Artikel
"Kanonenboote gegen den Osten" in dieser Ausgabe des AIB.

Wenn im Theorieorgan der bundesdeutschen Militaers, der
"Europaeischen Sicherheit" (ES), eingehend und mehrfach ueber
die Perspektiven fuer den Kaliningradskaja Oblast berichtet
wird, laesst dies aufhorchen. "Bonn waere gut beraten, (...)
die Einflussmoeglichkeiten vor Ort (gemeint ist der
Kaliningradskaja Oblast, Anm.d.A.) so rasch wie moeglich zu
nutzen, um die weitere Entwicklung in dieser Region
mitgestalten zu koennen."(12) "Denn schon keimt die
Begehrlichkeit der Polen und Litauer."(13) Und als Beleg
dafuer, dass es zu handeln gilt, wird der Neofaschist Wolfgang
Venohr zitiert, der schreibt, "dass man in Warschau heute
schon begehrlich nach Koenigsberg blickt und mit dem Gedanken
spielt, sich das deutsche Nord-Ostpreussen (...)
anzueignen."(14)

Vielleicht liegt in diesen Tendenzen der Grund dafuer,
weshalb in den Kreisen deutscher Militaers die
Praeventivschlagthese gegen die Tatsache ins Feld gefuehrt
wird, dass Deutschland die Sowjetunion ueberfiel? Vielleicht
ist dies auch der Grund dafuer, weshalb man sich aufs
Schaerfst gegen die Ausstellung des Hamburger Institutes fuer
Sozialforschung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht
- 1941 bis 1944" ausspricht? Es gilt zunaechst die Geschichte
zu saeubern und umzuschreiben, um wieder als Ordnungsmacht im
Osten auftreten zu koennen.

QUELLEN UND ANMERKUNGEN:

1 Aktenvermerk Martin Bormanns ueber eine Besprechung mit
Rosenberg, Lammers, Keitel und Goering vom 16.7.1941,
zitiert nach: Klee, Ernst u. Dressen, Willi (HG): "Gott
mit uns" - Der deutsche Vernichtungskrieg im Osten 1939-
1945, S.22f., Frankfurt/M 1989

2 Die AIB Sondernummer "Das wiedervereinigte Deutschland -
Die neue Gefahr" und auch das AIB Nr. 36, in dem es u.a.
um "Regionalismus als Instrument fuer rechte Konzepte"
ging, stellen eher Ausnahmen dar.

3 Mit "inoffizieller deutscher Aussenpolitik" ist gemeint,
dass in der BRD eine Vielzahl von Organisationen
existieren, die am finanziellen Tropf oeffentlicher
Haushalte haengen, z.T. personell insb. mit der CDU/CSU
verflochten sind und in ihrer Politik vom Auswaertigen Amt
oder dem Bundesinnenministerium beeinflusst werden. Ihre Namen
sind u.a. Bund der Vertriebenen mit seiner fast
unueberschaubaren Zahl von Untergliederungen, Verein fuer
das Deutschtum im Ausland oder Foederalistische Union
Europaeischer Volksgruppen.

4 Mueller, Rolf-Dieter: Hitlers Ostkrieg und die deutsche
Siedlungspolitik, Frankfurt/M 1991, S.49

5 ebd., S.50

6 Die Variante Alfred Herrhausens stellt in diesem Lichte
betrachtet ein Kompromiss dar, Teile des Ostens werden
eine verlaengerte Werkbank des deutschen Kapitals, andere
Rohstofflieferanten. (vgl. dazu den Artikel "Oekonomie in
Mittel- und Osteuropa - Perspektiven abhaengiger
Wirtschaften" in dieser Ausgabe des AIB)

7 ebd., S.79

8 An diesen "Umvolkungsmassnahmen" waren in leitender
Position Funktionaere des "Vereins fuer das Deutschtum im
Ausland" beteiligt. (Minow, H.-R. u. Goldendach Walter
von: "Deutschtum erwache!", Berlin 1994, S.203-215)

9 Selbst noch 1944 war der Drang nach dem Rittergut im
Osten unter der deutschen Generalitaet ungebremst. Die
Vermutung liegt angesichts der Kriegslage 1944 nahe, dass
nicht der aktuelle Wille sich im Osten niederzulassen,
dieses Streben motivierte, sondern die Aussicht, sich
nach dem Krieg fuer das eben erworbene Rittergut entschaedigen
zu lassen und Regressansprueche gegen die Staaten im Osten
zu erwerben. (vgl. dazu Mueller, Rolf-Dieter: a.a.O., S.36)

10 vgl. dazu den Artikel "Aussiedler - Manoevriermasse der
Deutschtumspolitiker" in dieser Ausgabe des AIB.

11 dazu moechten wir auch an dieser Stelle ausdruecklich auf
die Broschuere der VVN-BdA Stade, verweisen, die zum Preis
von 5,-DM, (Pressespiegel 7,-- DM) plus 3,-- Porto bei
der VVN-BdA Stade, Postfach 2105, 21661 Stade bezogen werden
kann.

12 Range, Clemens: Nord-Ostpreussen - Ein vergessenes Land
ohne Zukunft?, in: ES 10/94, S.512-514 (Clemens Range ist
politischer Redakteur der Tageszeitung Die Welt)

13 ebd.

14 ebd.