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1998

Rubrik
Theorie & Debatte

"Das Geld ist nichts als ein kleines Stueck Faulheit. Je mehr man
davon hat, desto ausgiebiger wird man die Glueckseligkeit der Faulheit
kennenlernen. (...) Im Kapitalismus ist die Arbeit auf eine Weise organisiert, die den Zugang zur Faulheit nicht allen Menschen
gleichermassen ermoeglicht: Geniessen kann die Faulheit nur, wer durch
Kapital abgesichert ist. So hat sich die Klasse der Kapitalisten von
dieser Arbeit befreit, von der sich die gesamte Menschheit
befreien muss."

Kasimir Malewitsch,

"Faulheit - eigentliche Wahrheit der Menschen" , 1921


Die Automatisation ist immer ein Traum der Menschheit gewesen. Nun hat
sich dieser Traum verwirklicht, und alle empfinden es als einen
Alptraum, da sich die sozialen Bedingungen nicht so rasch wie die
Technik gewandelt haben. Dieser Prozess ist unumkehrbar, denn Roboter
und Automaten werden nicht wieder von Arbeitern abgeloest.
Niemand glaubt doch noch ernsthaft an die Wiederkehr der
Vollbeschaeftigung. Wir wissen alle, dass Arbeitslosigkeit nicht mehr
abgeschafft werden kann:Laeuft der Betrieb schlecht, dann wird
entlassen, laeuft er gut, dann wird in Automatisation investiert und
auch entlassen. In frueheren Zeiten wurden Arbeitskraefte gefordert,
weil es Arbeit gab. Nun wird verzweifelt Arbeit gefordert, weil es
Arbeitskraefte gibt, und keiner weiss, wohin mit ihnen, denn Maschinen
arbeiten schneller, besser und billiger. Was tun?
Offiziell herrscht der "Kampf gegen die Arbeitslosigkeit", eigentlich
ein Kampf gegen die Arbeitslosen: Zu diesem Zweck werden Statistiken
verfaelscht, Pseudoarbeitsplaetze beschafft und schikanoese Kontrollen
durchgefuehrt. Da solche Massnahmen immer unzureichend sind und nie zu
dem propagierten Ziel fuehren, wird herummoralisiert und behauptet, der
Arbeitslose habe seine Situation selbst verschuldet.Der Begriff der
"Arbeitslosigkeit" ist dabei ein hilfreiches Instrument, weil er
Menschen, die nicht lohnabhaengig beschaeftigt sind, im oeffentlichen
Bewusstsein entwertet und reduziert. "Arbeitslosigkeit" ist ein
schlechtes Wort, ein negativ besetzter Begriff, die Kehrseite der
Medaille der Arbeit. Ein Arbeitsloser ist bloss ein Arbeiter ohne
Arbeit. Dabei wird ueber den Menschen als Poet, als Reisender, als
Suchender, als Atmer nichts gesagt. In der Oeffentlichkeit darf nur von
Arbeitsmangel die Rede sein, erst in privaten Sphaeren, abseits von
Journalisten, Soziologen und anderen Schnuefflern, wagt man, aufrichtig
zu sein. "Ich wurde entlassen, geil! Endlich habe ich Zeit, jeden Tag
auf Parties zu gehen, brauch nicht mehr aus der Mikrowelle zu essen
und kann ausgiebig voegeln." Soll diese Trennung zwischen privater
Weisheit und oeffentlicher Luege aufgehoben werden? Heute muessen
diejenigen, die noch Arbeit haben, Zufriedenheit heucheln, und die
Arbeitslosen muessen, nur weil sie keine Arbeit haben, Unzufriedenheit
heucheln. Geblieben ist die Angst vor der Arbeitslosigkeit, die beste
Peitsche zur Steigerung des Kriechertums.
Immer wieder wird das Recht auf Arbeit eingefordert, als ein
Urbeduerfnis des Menschen. Doch welchen Wert hat Arbeit heutzutage?
Alleiniges Ziel jeder einzelnen Arbeit ist doch, den Gewinn des
Unternehmens zu steigern, und ebenso ist auch die alleinige Beziehung
des Arbeiters zu seiner Arbeit sein Gehalt. Gerade deshalb, weil Geld
das Ziel ist und nicht gesellschaftlicher Nutzen, existiert
Arbeitslosigkeit. Vollbeschaeftigung bedeutet oekonomische Krise,
Arbeitslosigkeit bedeutet gesunder Markt. Was passiert, wenn ein
Konzern ankuendigt, dass er so und so viele Arbeitsplaetze vernichtet?
Alle Boersenspekulanten loben seine Sanierungsstrategie, die Aktien
steigen, und bald darauf wird die Bilanz die entsprechenden Gewinne
aufweisen. Auf diese Weise schaffen die Arbeitslosen mehr Profit als
ihre Ex-Kollegen. Logischerweise muesste man also dem Arbeitslosen dafuer
danken, dass er wie kein anderer das Wachstum foerdert. Statt dessen
kriegt er nicht einen Furz des Gewinns ab, den er selber schafft. Der
Glueckliche Arbeitslose ist der Meinung, dass er fuer seine Nicht-Arbeit
entlohnt werden muss.Wenn der Arbeitslose ungluecklich ist, so liegt das
nicht daran, dass er keine Arbeit hat, sondern dass er kein Geld hat.
Also sollten wir nicht mehr von "arbeitslos", sondern von "geldlos",
nicht mehr von "Arbeitsuchenden", sondern von "Geldsuchenden" reden,
um die Dinge klarer zu stellen.
Wo koennen wir unser Geld herholen? Nun, man rechne einmal nach,
wieviel Geld insgesamt von den Steuerzahlern und Betrieben "fuer
Arbeitslosigkeit" offiziell ausgegeben wird, und dividiere durch die
Zahl der Arbeitslosen: Na, da sind eindeutig mehr Nullen dran, als wir
auf unseren Konten finden, nicht wahr? Ausgegeben wird nicht
hauptsaechlich fuer den Wohlstand der Arbeitslosen, sondern fuer seine
schikanoese Kontrolle, durch zwecklose Termine, sogenannte "Um-, Aus-,
Fortbildungsprogramme", die nirgendwoher kommen und nirgendwohin
fuehren, Scheinbeschaeftigungen fuer einen Scheinlohn - nur um die
Statistiken kuenstlich herunterzudruecken. Also nur, um ein
wirtschaftliches Trugbild aufrecht zu erhalten. Unser erster konkreter
Vorschlag ist sofort umsetzbar:Die Beendigung aller Kontrollmassnahmen
gegen Arbeitslose, Schliessung saemtlicher Statistik- und
Propagandabueros (das waere unser Beitrag zum Sparpaket) und
automatische, unbefristete Zahlung der Unterstuetzung inklusive der
gesparten Summen.Die herrschende Politik sagt, die Arbeitslosen laegen
Vater Staat auf der Tasche, seien unfaehig, auf eigenen Fuessen zu
stehen, und so weiter und so fort. Nun, soweit wir wissen, existiert
der Staat immer noch, und kassiert auch Steuern ein. Deshalb sehen wir
keinen Grund, weshalb wir auf seine Unterstuetzung verzichten sollten.
Aber staatsfixiert sind wir nicht. Unseretwegen mag das Einkommen der
Gluecklichen Arbeitslosigkeit sehr wohl vom privaten Sektor finanziert
werden, sei es durch Sponsoring, extra Kapitalertragssteuer oder
"Erpressung". Wir sind nicht waehlerisch.Wenn der Arbeitslose
ungluecklich ist, dann liegt das auch daran, dass der einzige
gesellschaftliche Wert, den er kennt, die Arbeit ist. Er hat nichts
mehr zu tun, er langweilt sich, er hat keine Kontakte mehr, da ja die
Arbeit oft auch einzige Kontaktmoeglichkeit ist, das gleiche gilt
uebrigens auch fuer Rentner. Der Grund dieser existentiellen Misere ist
natuerlich die Arbeit, und nicht die Arbeitslosigkeit. Der glueckliche
Arbeitslose weiht neue gesellschaftliche Werte ein, auch wenn er
nichts anderes schafft. Er entwickelt die Kontakte mit einem Haufen
sympathischer Menschen. Er ist sogar bereit, Resozialisierungskurse
fuer gekuendigte Arbeitnehmer zu geben. Immerhin verfuegen alle
Arbeitslose ueber eine preiswerte Sache: Zeit. Das koennte ein
historisches Glueck sein, die Moeglichkeit, ein vernuenftiges, sinn- und
freudevolles Leben zu fuehren. Man kann unser Ziel als eine
Zurueckeroberung der Zeit kennzeichnen.Und Zeit brauchen wir, um mit
neuen sozialen und wirtschaftlichen Raeumen zu experimentieren, in
deren Mittelpunkt nicht der Erwerb von Geld, sondern die Befriedigung
und Entwicklung unserer Beduerfnisse stehen. Dafuer brauchen wir nicht
nur konkrete Orte, sondern auch eine materielle Basis. Hier kommt uns
das Effektivitaetsdenken des Kapitalismus zugute, der zunehmend
Ressourcen (Fabriken, Gebaeude, Maschinen, Investmentruinen, Grund und
Boden usw.) fuer ueberfluessig erklaert, brach liegen laesst.
Diese Ressourcen gilt es zu entdecken, einzufordern und anzueignen.


Kontakt: Die gluecklichen Arbeitslosen von der Kooperative Haina,Burgmuehle,
D-99869 Haina, Tel.: 036254 / 71 300

Geliehene, ueberarbeitete und gekuerzte Fassung von:
Manifest der Gluecklichen Arbeitslosen aus Berlin. Selbstdruck 1996