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1998

Rubrik
Theorie & Debatte

Abs.: PDS-VOGTLAND@LINK-C.cl.sub.de

Sozialismus, PDS und Mittelstand

von Dr. Klaus-Peter Schwarz - Dresden

Aus: Der Vogtlandbote Nr. 01/98

Die GewerkschafterInnen unter uns tun es zumeist, die meisten jungen GenossInnen und die alten DogmatikerInnen sowieso. Das ist das eine. Das andere: bestimmt spricht nicht die marxistisch fundierte Sozialismusauffassung gegen eine neue, unserer Zeit angemessene Konkretisierung unseres Verhältnisses zum Mittelstand.

Marxismus erklärt das Geworden Sein und Werden von sozialen Gruppen, erklärt die Notwendigkeiten ihres sozialen und politischen Verhaltens (selbst wo die Gruppen sich dieser Zusammenhänge nicht bewußt sind). Moralisierende Wertungen hat sich der Marxismus immer verboten, sowohl Verteufelungen wie Heiligsprechungen. Einer der Verpflichtungen des modernen Sozialismus stellen sich die VorkämpferInnen der neuen Mittelstandspolitik der PDS durchaus. Sie beachten das Geworden Sein des ostdeutschen Mittelstandes, seine Entstehung als eine Form der Selbstbehauptung unternehmerischer Ostdeutscher, nicht selten ehemaliger Angehöriger der "sozialistischen Intelligenz". In signifikantem Maße hat der ostdeutsche Mittelstand etwa 1994 links, PDS, gewählt: prozentual waren mehr unserer WählerInnen dem "Mittelstand" zuzurechnen als der "Arbeiterklasse".

Alle anderen Folgerungen materialistischer Weltanschauung lassen die VorkämpferInnen der neuen Mittelstandspolitik dann aber außer acht. Es wimmelt in jedem Papier, das ihre Orientierung rechtfertigen soll, von Lobsprüchen auf das Unternehmerische, auf den Optimismus der ExistenzgründerInnen und die von ihnen geschaffenen Arbeitsplätze. Solche Papier könnten ohne Stilbrüche in jedes Volkshochschul-Lehrbuch der Betriebswirtschaft eingelegt werden, hätten sie nicht ein einziges Manko:

Vor der Betriebswirtschaft ist ein Betrieb, der nicht wenigstens seinen Betreiber ernährt, kein mittelständischer, sondern ein Bankrottunternehmen, das mit Recht geschlossen werden muß. Wenn die FürssprecherInnen des Mittelstandes uns anführen, wie die armen kleinen Unternehmerlein überschuldet, ohne eigene Arbeitslosenversicherung und ohne Überstundenbezahlung und (ganz am Ende kommt auch das) ohne Tariflöhne für ihre Angestellten ihren Laden schmeißen und in den ostdeutschen Industriebrachen Blumenbeete der Marktwirtschaft pflegen, dann offenbaren sie es im Grunde ja selbst: nicht zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen so, sondern die düstere Zukunft der Arbeit ist dort schon vorweg genommen.

Nicht Aufschwung ist dort in Vorbereitung, sondern Absturz programmiert und eingeleitet - tiefer als er aus dem marodesten Großbetrieb denkbar wäre. Der ostdeutsche Mittelstand schafft in der Regel Arbeitsplätze, auf denen sich große Teile der heute noch Arbeitenden ihre künftige Armut selbst produzieren dürfen.

So ist die neue PDS-Mittelstandspolitik, die sich gern als modern über die alte Gewerkschaftspolitik erhebt, ein tieferer politischer Sturz als ihn der reformistischste Ansatz der traditionellsten Gewerkschaft darstellen könnte: die ArbeitnehmerInnen sollen den Standpunkt der UnternehmerInnen verstehen, als unvermeidlich akzeptieren und bei der Planung ihrer Zukunft und der Artikulation ihrer Interessen als erstes ins Kalkül ziehen: ich darf doch meinen Arbeitgeber nicht ruinieren! Tatsächlich ist das die Denkart der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, und sie spricht allerdings nicht gegen den Mittelstand. Dieser kann gerade in Ostdeutschland nicht anders, als von quasi leibeigenen ArbeiternehmerInnen zu träumen, und daß er sich zum Teil im politischen Umfeld der ostdeutschen PDS orientieren möchte, ist ebenso verständlich. Die CDU hat ihre wirtschaftspolitische Bestätigung und Orientierung von ihren Westverbänden übernommen, solange es sie gab, auch die F.D.P.,die SPD, noch immer eine Westpartei, orientiert sich auch an den westdeutschen gewerkschaftlichen Maßstäben.

Nur die PDS, ohne organische "wirtschaftliche" Basis und darum in hohem Maße vom aktuellen Gewinn von WählerInnen-Stimmen in Ostdeutschland abhängig, steht also für den ostdeutschen Mittelstand objektiv zur Disposition. Auf die Stimm-Ausbeute dieser vermeintlichen Interessenübereinstimmung zielt die 4."zentrale Botschaft" im Entwurf der Grundsatzkommission zur Wahlstrategie der PDS in Sachsen: "Die PDS versteht von Wirtschaft im Osten mehr als CDU und SPD." Deshalb ist die Öffnung der AG Betriebe und Gewerkschaften für die Option, auch UnternehmerInnen als KandidatInnen der PDS zu gewinnen, wenn diese tariflich bezahlen, Frauenarbeit und Mitbestimmung fördern usw., bei den PDS-MittelständlerInnen nicht etwa auf Gegenliebe, sondern auf heftigste Ablehnung gestoßen. Das sei ideologisch und anmaßend, verständnislos und... und..., und das sei nicht gemeint gewesen.

Genau! Schon die kurze Problembeschreibung erhellt ja, was tatsächlich gemeint ist, und diese Forderung ist allerdings ideologisch (modern sozialistisch), anmaßend (nach dem Maß der modernen Wirtschaft) und nicht vom Verständnis für den Standpunkt der UnternehmerInnen getragen.

Ob noch in Arbeit oder nicht: die Mehrzahl der Menschen sind keine UnternehmerInnen und können und werden nie welche werden. Um ihre Lebensinteressen dennoch gegen den Kapitalismus durchsetzen zu können, erfanden sie einst Sozialismus und Gewerkschaftsbewegung, und das sollte auch künftig die Bestimmung der Partei bleiben, die sich "des demokratischen Sozialismus" nennt.