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1998

Rubrik
Repression & Widerstand

Solidaritätskomitee
FÜR DIE OPFER DER POLITISCHEN VERFOLGUNG IN DEUTSCHLAND
Kontaktadresse: Klaus Feske, ( Togostraße 11, 13351 Berlin,
( ( 030/4513063 oder 030 45020428 ( BTX 0304513063-0001
solikomitee@t-online.de
Spendenkonto: CITIBANK, BLZ: 30020900, Kontonummer. 0208342211

Pressemitteilung

Argentinische Demokraten fordern Einstellung der Verfolgung
und der Gerichtsverfahren gegen ehemalige DDR-Mandatsträger.

Die Erklärung, die unserem Komitee übermittelt wurde, hier im vollen Wortlaut:

Buenos Aires, 12. Februar 1998

An die Mitglieder des
Solidaritätskomitees für die Opfer der politischen
Verfolgung in Deutschland
Berlin

Ihr Schreien

Mit unserem größten Respekt:

Wir, die Unterzeichner, Vertreter von Bürger- und Menschenrechts-
organisationen in Argentinien,
wenden uns an Sie, um unsere Forderung nach sofortiger Beendigung
der Strafprozesse, der
Verfolgung und Verurteilung ehemaliger Funktionäre der früheren
Deutschen Demokratischen Republik in Ihrem Land zum Ausdruck zu 
bringen.

In Nichterfüllung des Einigungsvertrages erfolgte eine vollständige
"Absorption" der früheren DDR
durch die Bundesrepublik Deutschland. Und seit vielen Jahren 
erfolgen, in Mißachtung der eigenständigen Geschichte der DDR, 
strafrechtliche Anklagen gegen etwa 60.000 ihrer ehemaligen Bürger
wegen unterstellter "Verbrechen", die sie begangen haben sollen.

Der alte Haß gegen den östlichen deutschen Staat erhebt sich heute 
erneut, nackt und bloß und voller Revanchismus. Es ist ein 
Paradoxon. Unsere Völker des lateinamerikanischen Südkegels haben 
während der schrecklichen Diktaturen, die wir bis vor wenigen
Jahren 
erlebten, Hilfe und Unterstützung sowohl vom westlichen als auch
vom östlichen deutschen Staat erhalten. Aber lauter zu vernehmen 
sind die Stimmen, die ihm Dankbarkeit gegenüber den Ostdeutschen 
zum Ausdruck bringen - für ihr in höchstem Maße solidarisches
Verhalten gegenüber den verfolgten Lateinamerikanern.

Besonders betroffen gemacht hat uns die Verurteilung der früheren 
Richterin Jendretzky-Eisermann, 79 Jahre alt, Ende vergangenen
Jahres zu vier Jahren Gefängnis, durch ein Gericht in Leipzig, weil 
sie vor 47 Jahren Mitglied eines Berufungsgerichts war und die 
Todesstrafe gegen verschiedene Nazi-Militärrichter bestätigte, die
ihrerseits zahlreiche Menschen in Frankreich, der Tschechoslowakei,
der UdSSR und sogar im Konzentrationslager Auschwitz zum Tode 
verurteilt hatten. Auf diese Art und Weise betreibt die BRD die
"Rehabilitierung" der in der unmittelbaren Nachkriegszeit 
verurteilten Nazis und beerdigt so den Geist und die Buchstaben der 
Nürnberger Prozesse.

Uns macht die Tatsache besorgt, daß Zehntausende Menschen ihre 
Arbeit verloren, daß es ihnen in einigen Fällen auf Lebenszeit
unmöglich gemacht wurde, ihren Beruf auszuüben, und daß etwa
60.000 Strafverfahren eingeleitet wurden, in deren Verlauf bisher 
300 Urteile, gegen Politiker, Parlamentarier, Militärs u.a., 
gefällt wurden.
Die DDR war durch 130 Staaten, einschließlich der BRD, und die UNO 
anerkannt, lediglich durch Paraguay, Israel und Südafrika war sie 
in dem gegeben Moment nicht anerkannt. Sie war ein eigenständiger
Staat, der sich seine eigenen Gesetze gab, unabhängig davon, ob 
sie immer dem Wunsch der jetzt "wiedervereinigten Deutschen" 
entsprachen. Auf Grundlage dieser Gesetze haben ihre Funktionäre
gehandelt. Nur die DDR verfolgte die Angehörigen der Nazi- 
Hierarchie,(die heute wieder freigelassen, entschädigt und 
rehabilitiert werden), während diese In der BRD zu Zehntausenden 
freigesprochen wurden. Heute führt man dagegen Prozesse durch gegen 
Otto Jürgens, 88 Jahre alt, durch die Nazis eingekerkert und 
gefoltert, weil er als Richter viele Nazis verurteilt hat, oder 
gegen Erich Mielke wegen einer Straftat im Jahre 1932 (unmittelbar
vor der Machtergreifung durch Hitler). Nicht zu vergessen der 
Oberstaatsanwalt Jahntz, der in einem Buch die Tatsache feiert, daß
es gelungen sei, die Strafverfahren gegen 59 der 60 Mitglieder des
Volksgerichtshofes der Nazis niederzuschlagen ...; Heute Ist er der 
Ankläger gegen Krenz, wie wir Hörten.

Die Gründung der DDR (im Oktober 1949) war keine Laune der 
Geschichte, Ihr war vorausgegangen (im Mai 1949) die Gründung der 
BRD. Diese Spaltung hat dazu geführt, daß die eine Seite Mitglied 
der NATO und die andere Mitglied des Warschauer Vertrages wurde. 
Die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs haben im Rahmen des
unglückseligen "Kalten Krieges" ihren Einfluß über beide ausgeübt.
Genauso wenig kann man behaupten, daß die DDR für die
Spaltung verantwortlich war, verantwortlich war die Niederwerfung
des Faschismus durch die siegreichen Mächte. Auch der Warschauer
Vertrag wurde erst geschaffen, als die BRD bereits Mitglied der
NATO war.

Heute verhängt man Strafen gegen die Bürger der DDR auf der
Grundlage der Gesetze eines anderen, ihnen fremden Staates, für
Taten, die sie vor der Vereinigung am 3.10.1990 begangen
haben und für die, laut Einigungsvertrag, diese Gesetze nicht 
angewendet werden dürfen. Auf diese Weise wird die
antisozialistische Tradition, die ihren Ursprung im vorigen 
Jahrhundert hat,weitergeführt Und das geschieht über Sonderrichter
Und Sonderstaatsanwälte, unter Verletzung des Rückwirkungsverbotes 
(niemand darf für Taten bestraft werden, die zu dem Zeitpunkt, als 
sie begangen wurden, In der DDR keine Straftaten waren.) und der
geltenden Verjährungsfristen. Die DDR war niemals ein Bundesland der 
BRD. Exemplarisch ist der Fall von Egon Krenz, der als Vizepräsident 
der DDR mit allen offiziellen Ehren bei seinem Besuch in der BRD im 
Juni 1989 empfangen wurde (Die Vereinigung fand am 3-10.1990 statt.

Nach dem Einigungsvertrag gilt nur das Recht der DDR für die
juristische Bewertung der Ereignisse der früheren Jahre. Heute 
versucht man, den "Kalten Krieg" mit anderen Mitteln Fortzusetzen.

Wir haben auf schriftlichem Weg von hohen Funktionären der Liberal-
Demokratischen Partei, der Christlichen Demokratischen Union, der
Demokratischen Bauernpartei, der National-Demokratischen, der 
Sozialistischen Einheitspartei, dem Präsidenten der Vereinigung der 
Juristen usw. Informationen erhalten, die sehr ernst sind.

Deshalb fordern wir nachdrücklich, daß jene Politik beendet wird, 
die von einer willkürlichen Anwendung des Rechts gekennzeichnet
ist, und daß die Verfolgung aufhört.

Wir grüßen Sie sehr herzlich

Argentinische Liga für die Menschenrechte
Argentinische Kommission für die Freiheit der politischen
Gefangenen
Argentinisches Atheneum "Alexander von Humboldt"
Bewegung gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung
Bewegung für den Frieden, die Souveränität und die Solidarität
zwischen den Völkern
Katholische Gruppe der Brüderlichkeit Jesu
Zentrum der Militärs für Demokratie in Argentinien
Kommission für die Menschenrechte der in Buenos Aires ansässigen
Paraguayer
Töchter und Söhne für die Gerechtigkeit und gegen das Vergessen und 
das Schweigen
Sozialistisches Zentrum "Vorwärts"
Koordinationsrat gegen die politische und institutionelle 
Unterdrückung