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1998

Rubrik
Repression & Widerstand

WIR DOKUMENTIEREN:

Massive Repressionswelle gegen besetzte Häuser in Turin

Die Vorgeschichte:

In den letzten Jahren gab es in der Val di Susa, einem Tal in Norditalien, immer wieder direkte Aktionen gegen die in Bau befindliche Bahnstrecke für den "TAV" - den Hochgeschwindigkeitszug (sowas wie der ICE - A.d.Ü.). Genau genommen gab es verschiedene Brandanschläge auf Bohrköpfe für den Tunnelbau, auf Stromverteiler, Signalverstärker der italienischen Telekom und kleinere Anlagen anderer Medien- und Telokomunikations-Gesellschaften die hinter dem Projekt "TAV" stehen.

Diese Bahnstrecke wird gegen den Willen der gesamten Bevölkerung im Tal gebaut, auch lokale PolitikerInnen und die örtliche Bezirksverwaltung sind gegen das Projekt.

Die Anschläge begannen im August 1996 und gingen bis Ende 1997. Im Laufe der Zeit tauchten Flugblätter einer Gruppe namens "Graue Wölfe" auf (Boskurt scheint es in Italien nicht zu geben? - Verwundert d.Ü.), die von den Behörden als UrheberInnen dieser direkten Aktionen ausgemacht wurden.

Den Ermittlungen zufolge sollen sich diese nun zuletzt in Turin - in besetzten Zentren - aufgehalten haben.

Was folgt, ist eine chronologische Zusammenfassung der vielen Nachrichten, die seit dem 6.3. zur Repressionswelle gekommen sind.

Solidaritätskomitee Italien

Abs.: freddy@mail.nadir.org

Donnerstag, 5.3.98

Drei besetzte Häuser (Squats) wurden von der DIGOS (Politische Polizei) und den ROS - auf Befehl des Staatsanwaltes Marcello Tatangelo - durchsucht:

  • Der Squat "La Casa di Collegno", dort wurden drei Personen festgenommen weil sie angeblich Anschläge auf die im Bau befindliche Trasse des neuen Hochgeschwindigkeitszuges ("TAV") in Val di Susa verübt haben sollen;
  • Das "Asilo Occupato" wurde Durchsucht wobei Geschirr, Türen, Fenster, Toiletten zertrümmert, auf die Matratzen der BesetzerInnen gepisst und Broschüren, Comics, Flugblätter, eine kaputte Schreibmaschine und Photos beschlagnahmt wurden; anschließend wurde das Gebäude von den Bullen zugemauert, mit der Begründung die Durchsuchung sei "positiv"verlaufen;
  • Die "Alcova Occupata" wurde für 5 Stunden durchsucht und dann - um 2:00 Uhr nachts - mit Gewalt von einigen Dutzend UnterstützerInnen wieder eingenommen, indem sie die Bullen wortwörtlich verjagt haben.

Freitag, 6.3.1998

Um 15:30 Uhr begann eine Blockade vor dem Rathaus. Ca 100 Personen aus Squats und sozialen Zentren waren anwesend und haben mit Böllern und Rauchbomben die Via Milano blockiert. Dann sind die Bullen in Aufstandsbekämpfungs-Uniformen gekommen, haben die DemonstrantInnen von drei Seiten eingekesselt, angefangen zu Knüppeln und die ersten Personen wegzuzerren. Einige DemonstrantInnen sind dann geflüchtet, andere gingen in Richtung Stadtzentrum, verfolgt von etlichen Bullen und Streifenwagen; einige Scheiben wurden eingeschmissen und eine regelrechte Menschenjagd begann. 14 Menschen wurden festgenommen, eine davon liegt im Krankenhaus. Während den Krawallen im Stadtzentrum wurde - um 16:00 Uhr - das "Asilo Occupato" wieder besetzt, obwohl das Haus seit dem Abend des Vortages von Bullen umzingelt war. Am Abend befanden sich die BesetzerInnen auf dem Dach, mit Rauchbomben und einem Transparent: "Hochgeschwindigkeits-Besetzungen" - während vor dem Haus ein großer Haufen UnterstützerInnen ein Fest mit Volxküche organisierte.

Die Tagesschau berichtete von 200 Personen die das Rathaus blockiert haben und ca 40 die sich an den Krawallen beteiligt haben - "jugendliche Asoziale", Gewalt, Plünderungen und Vandalismus, 23 eingeworfene Schaufenster, 15 Geschäfte, Autos, Werbeplakate und Mülltonnen. Weiterhin wurde gesagt, die BesetzerInnen des "Asilo Occupato" würden die Anschläge auf den Hochgeschwindigkeits-Zug verherrlichen.

Die Adressen der drei Inhaftierten:

  • Silvano Pelissero, c/o carcere speciale, via Roncata, Cuneo 12100
  • Edoardo Massari, c/o casa circondariale delle Vallette, via Pianezza 300,10151 Torino

(Diese beiden werden der "Bewaffneten Bande", terroristischer Vereinigung, Waffenbesitz und Herstellung von Sprengkörpern beschuldigt)

  • Soledad Bruno, c/o carcere Le Vallette, via Pianezza 300, 10151 Torino

(Sie wird der Mittäterschaft beschuldigt, seit die Bullen behaupten in der Casa di Collegno Sprengstoff gefunden zu haben)

(Es folgt die Presseerklärung eines "CSOA" aus Turin - einem autonomen (beachte: Italienische Autonome sind "ML" - CSOA's sind legale Zentren, die oft KP's und ähnlichem nahe stehen) sozialen Zentrum - A.d.Ü.)

In Bezug auf die Dinge, die in der Nacht des 5.3. und heute Nachmittag im Zentrum Turins passiert sind, erklärt das soziale Zentrum Gabrio folgendes:

1. Die politisch Verantwortlichen sind: Die Lega Nord, Alleanza Nazionale und Forza Italia (Offen faschistische bzw. Nationalkonservative Parteien - A.d.Ü.), die in den von ihnen regierten Bezirken eine Kampagne gegen soziale Zentren los getreten haben. Die Stadtverwaltung, und - vor allem - der zweite Bürgermeister Carpanini, der sich das geschehene erhofft hat um daraus eine Angelegenheit der öffentlichen Sicherheit zu machen. Die Staatsanwaltschaft, die seit Monaten gegen die anarchistische Bewegung hetzt und das turiner Polizeipräsidium, das auf DemonstrantInnen hat einknüppeln lassen um eine für die Öffentlichkeit unmögliche Situation zu schaffen, in der ungestört mit repressiven Mitteln gehandhabt werden kann.

2. Wir verurteilen das Verhalten der sog. "Ordnungskräfte", die gestern Abend auf die Betten der BesetzerInnen des Asilo Occupato gepisst und geschissen haben und ihre persönlichen Gegenstände zerstört haben, die heute Nachmittag wild auf eine junge Frau eingeprügelt haben - welche sich jetzt auf der Intensivstation befindet - und die während der Krawalle ihre Schusswaffen offen gezeigt haben.

3. Das soziale Zentrum Gabrio bekennt sich zu den Aktionen von heute Nachmittag, die in den Medien als Vandalistisch dargestellt wurden, und sieht sie als richtig und berechtigt an. Die Geschäftsleute, die die Bärber aus der Innenstadt raus haben wollen tun uns sicherlich nicht leid!

4. Wir lehnen den Versuch der Stadtverwaltung strikt ab, die sozialen Zentren und die besetzten Häuser in gute und Böse zu spalten. Solange auf soziale Fragen mit Repression geantwortet wird werden wir eben entsprechend Antworten.

Freiheit für die inhaftierten KommunistInnen und AnarchistInnen!

CSOA Gabrio

Samstag, 7.3.98

Am Morgen haben ca. 30 Personen vor dem Gericht in Via Corte d'Appello demonstriert und ihre Solidarität mit den drei Festgenommenen (Edoardo, Silvano und Soledad) zum Ausdruck gebracht. Den Festgenommenen werden schwere Vorwürfe im Zusammenhang mit den Anschlägen auf den TAV (Hochgeschwindigkeitszug) gemacht. Der Haftprüfungsrichter hat die Entscheidung auf Montag, 9,3, vertagt.

Am Nachmittag um 16:00 Uhr haben ca. 200 DemonstrantInnen das Filmset für Gianni Amelios "Così ridevano" (So lachten sie - A.d.Ü.) besetzt. Das Filmset wurde für eine halbe Stunde blockiert, die Anwesenden haben ihre Solidarität mit den von der Repression betroffenen Squats erklärt und es gab einen Ausführlichen Redebeitrag zu den Geschehnissen der letzten Tage.

Dann gab es eine Spontandemonstration zum Platz der Republik wo ein Autofahrer einen Demonstranten angefahren hat (ohne schlimmere Folgen). Die Demonstration ging dann ständig wachsend zum Asilo Occupato wo sie abgeschlossen wurde.

Presseerklärung des El Paso Occupato:

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag begann in Turin eine weitere Repressionsmaßnahme der Carabinieri der ROS ( = SEK - A.d.Ü.): Nach den seit Jahren ergebnislos laufenden Ermittlungen des Staatsanwaltes Maurizio Laudi anläßlich der 13 Anschläge gegen die Arbeiten am TAV (Hochgeschwindigkeitszug) in Val di Susa sind die Militärs (Carabinieri gehören zum Militär - A.d.Ü.) in drei besetzte Häuser der turiner libertären Szene eingedrungen: Das Alcova, das Asilo Occupato und das Casa di Collegno. Sie haben einen Durchsuchungsbefehl gegen Edoardo Massari, einem Anarchisten aus Ivrea der bereits 1992 von einem groben und niederträchtigen Konstrukt der Polizei und Presse betroffen war und deshalb ein Jahr im Knast saß; der andere Durchsuchungsbefehl ist gegen Silvano Pelissero, Anarchist aus der Val di Susa, der sich in Turin niedergelassen hat. Gegen die beiden wird ermittelt wegen: "Bewaffneter Bande", Terroristische Vereinigung, Besitz und Herstellung von Waffen und Sprengkörpern.

Nach drei Stunden Durchsuchung in der Casa di Collegno gehen die ROS alleine in den Keller und tauchen wundersamerweise wieder auf mit Materialien, die unterschiedlich definiert werden (Sprengkapseln, Zündschnüre, Explosivstoffe...). Die Carabinieri verhaften Silvano, Edoardo und Sole, eine junge Argentinierin die dort lebt.

Im Alcova begegnen die ROS einem größeren Widerstand, beenden den Einsatz aber trotzdem in kurzer Zeit.

Im Asilo Occupato kommen sofort während der Durchsuchung durch die Militärs auch noch zahlreiche DIGOS (Politische Polizei - A.d.Ü.), Carabinieri und PolizistInnen, die sich der laufenden Durchsuchung anschließen, sich des Hauses bemächtigen und beginnen, alles systematisch zu zerstören: Türen, Fenster, Möbel, Waschbecken, Toiletten, Kücheneinrichtung, alles zerstört. Sie beenden den Einsatz indem sie auf die Betten der BesetzerInnen pissen, während diese auf der Straße von einer wahrhaftigen Armee auf Distanz gehalten wurde.

Die Räumung wird danach mit der kompletten Zumauerung des Gebäudes gekrönt. Am Nachmittag findet eine Blockade des Rathauses statt. Nachdem eine Rauchbombe geworfen wurde beginnen die in großer Zahl anwesenden Carabinieri und Polizei, wild auf die DemonstrantInnen einzuknüppeln und eine Menschenjagd durch die Innenstadt beginnt.

Im laufe der Krawalle zerspringen dutzende Schaufensterscheiben. Diese besondere Gegebenheit, wegen der die ChronistInnen und PolitikerInnen so sehr erzürnt waren, interessiert uns nicht: Der soziale Friede ist nicht Bestandteil unserer Programme.

Die Polizei hat erfreut die ihnen von den ROS gebotene Gelegenheit ergriffen, um einen Einsatz durchzuziehen der etwas unglaubliches hat.

Wir wissen nicht, ob sich die rote Stadtregierung zu diesem Handschlag bekennen wird, diese Regierung die in den jetzigen Zeiten der Diskussion über die sog. "Sozialen Zentren" wohl von "rechts" zuschlagen wollte um nach "links" eine Nachricht abzugeben: Entweder Kollaboriert Ihr indem ihr Euch darauf beschränkt soziale Dienste und Kreativität verteilt, oder Euch passiert dieses.

Diese schwerstwiegende Einschüchterung hat jedenfalls nicht den gewünschten praktischen Effekt gehabt: Das Asilo Occupato ist nach einer langen Belagerung durch die Polizei wieder besetzt worden.

Den BesetzerInnen unsere Solidarität, den Herrschenden unserer Stadt eine Ermahnung: In Wettrennen im Rowdytum könnt ihr ausschließlich zahlreicher sein, aber sicherlich nicht besser.

Aber kommen wir jetzt zur etlichsten Geschichte von AnarchistInnen und Bomben.

Seit längerem kommen die Einsätze der ROS mit den italienischsten Geschichten von Konstruktionen, Einschüchterungen, heimlichen Absprachen, Knüppeleien etc. einher, vom Fall Riccio (Erschaffung von "ZeugInnen" und "Beweisen", um unerwünschte verurteilen zu können - A.d.Ü.) zu den Massakern in den 70er Jahren, vom Fall Di Donno zum Konstrukt Marini. Und parallel dazu - wenn die Ermittlungen in bestimmten Fällen ins nichts führen: Irgend ein Anarchist zum anklagen läßt sich immer finden.

ABER DAMIT WIR UNS RICHTIG VERSTEHEN:

Wir sind absolut solidarisch mit all denjenigen, die in der Val di Susa - nachdem sie die Nutzlosigkeit der Delegation an institutionelle Kräfte festgestellt haben - dazu übergegangen sind, ihren Widerstand gegen das Projekt des Hochgeschwindigkeitszuges in Form von direkten Aktionen zu zeigen, indem sie die Arbeiten sabotiert haben und Anschläge gegen die Firmen verübt haben, die dieses monströse Projekt finanzieren.

Wir sind ebenso gegen den TAV wie es einstimmig die Gemeinde in Val di Susa ist, ein Fakt das nichts daran geändert hat daß dieses Projekt - gewollt von großen Firmen, FIAT an der Spitze - trotzdem startet.

Wir erkennen in der Methodik der Aktionen - alle gegen Maschinen und Strukturen gerichtet, gegen die unterschiedlichen Strukturen der sozialen Kontrolle, die Telekom, Mediaset, RAI (Staatsfernsehen), alle mit zuhause herstellbaren Sprengkörpern ausgeführt - eine totale Übereinstimmung mit unseren Ideen, unseren Analysen und unserer Praxis. Und daher, weit davon entfernt über Opfer zu klagen erklären wir unsere

TOTALE SOLIDARITÄT MIT SILVANO, EDOARDO UND SOLE

TOTALE SOLIDARITÄT MIT DEN MENSCHEN IN VAL DI SUSA, DIE GEGEN DEN

HOCHGESCHWINDIGKEITSZUG KÄMPFEN

Sonntag, 8.3.98

Am morgen hat der Haftrichter in einem Schnellverfahren über die am Freitag festgenommenen entschieden, die am Nachmittag freigelassen werden.

Montag, 9.3.98

El Paso Occupato angezeigt wegen "Befürwortung von Straftaten"

Die Tageszeitung "La Stampa" hat heute Morgen die Nachricht gebracht, daß "... Die Carabinieri der Provinzcomandatur die Verantwortlichen des El Paso Occupato wegen Befürwortung von Straftaten angezeigt haben [...] Die Carabinieri haben eine Kopie der Erklärung sichergestellt, die am Samstag Abend vom El Paso verteilt wurde - zwei Seiten in denen die Demonstrationen der letzten zwei Tage zusammengefaßt werden, gekrönt von einer Drohung: « Den BesetzerInnen unsere Solidarität, den Herrschenden unserer Stadt eine Ermahnung: In Wettrennen im Rowdytum könnt ihr ausschließlich zahlreicher sein, aber sicherlich nicht besser. »

Dann, nach einem Angriff auf das Sonder-Einsatz-Kommando (ROS) der Carabinieri, die "Verantwortlichen" für die antiterroristische Aktion, hier die Zeilen die den Tatbestand der Befürwortung von Straftaten erfüllen: « Wir sind absolut solidarisch mit all denjenigen, die in der Val di Susa - nachdem sie die Nutzlosigkeit der Delegation an institutionelle Kräfte festgestellt haben - dazu übergegangen sind, ihren Widerstand gegen das Projekt des Hochgeschwindigkeitszuges in Form von direkten Aktionen zu zeigen, indem sie die Arbeiten sabotiert haben und Anschläge gegen die Firmen verübt haben, die dieses monströse Projekt finanzieren. [...] Wir erkennen in der Methodik der Aktionen - alle gegen Maschinen und Strukturen gerichtet, gegen die unterschiedlichen Strukturen der sozialen Kontrolle, die Telekom, Mediaset, RAI (Staatsfernsehen), alle mit zuhause herstellbaren Sprengkörpern ausgeführt - eine totale Übereinstimmung mit unseren Ideen, unseren Analysen und unserer Praxis. [...] »

Presseerklärung des El Paso Occupato

Zwei Überlegungen anläßlich dem Artikel in der Tageszeitung "La Stampa" vom 9.3. über die Ermittlung gegen die Verantwortlichen im El Paso Occupato wegen "Befürwortung von Straftaten" in der Presseerklärung vom 7.3. anläßlich der Verhaftungen und Krawalle Ende letzter Woche

Derweil bestätigen wir unser mehr als totales Desinteresse gegenüber der Aufregung um die eingeworfenen Schaufensterscheiben. Erstens, weil - wenn sie Dir wie Rowdys das Haus verwüsten und alles voll pissen, und es die BeschützerInnen der demokratischen Ordnung sind die das tun, diejenigen, die von den BürgerInnen demokratischerweise toleriert und finanziert werden, dann ist es nicht verwunderlich wenn in Anbetracht einer mangelnden militärischen Kraft um darauf angemessen zu antworten mensch sich gegen die Symbole jener zivilen Gesellschaft wendet, die still und leise derartige Schweinereien legitimiert.

Zweitens, wenn die Menschen, die auf der Straße protestieren zusammengeknüppelt werden BEVOR irgend etwas von ihnen ausgeht, wenn sie von einem Dutzend Bullen verfolgt und blutig geschlagen werden - egal wer diese Menschen sind, dann ist es nicht verwunderlich daß sie Schaden anrichten.

Wir wollen garnicht erst an die vielen Male erinnern, wo die Medien es nicht für nötig gehalten haben über 10 Jahre kleinerer und größerer repressiver Fälle gegen diejenigen, die nicht im Reih und Glied leben wollen, zu berichten. Es ist auch nicht nötig auf die Schizophrenie der zivilen Gesellschaft hinzuweisen, die gegen die Massaker an Walen protestieren und sich nicht um die Zerstörung ihrer Umwelt kümmern, oder die ohnmächtig die Nachrichten über die Verantwortlichkeit des Staates und seiner DienerInnen an Massakern, Bomben, Züchtigungen und Prügeleien hinnehmen sobald mindestens 20 Jahre vergangen sind.

Angesichts der Ermittlungen gegen uns wegen "Befürwortung von Straftaten" erklären wir unsere Solidarität mit all denen, die weder ihr eigenes Leben noch ihr eigenes Überleben und vor allem nicht ihre eigene Selbstverteidigung an diejenigen Delegieren, die sie Bedrohen. Die gesamte Val di Susa ist gegen den TAV (Hochgeschwindigkeitszug), die institutionellen Kräfte mit eingeschlossen; die Medien berichteten vor einigen Monaten, angesichts der Ergebnislosigkeit der Ermittlungen, über die offensichtliche Sympathie der Bevölkerung gegenüber den Menschen, die die Anschläge verübt haben. Aber nichts wird den TAV stoppen außer der direkten Aktion - mit Sicherheit nicht Petitionen und (Trauer)Märsche.

Wir haben - wie immer - eine genaue Position eingenommen, sowohl um unsere Ideen und Praktiken zu bestätigen, als auch weil wir nicht wollen das zum etlichsten Male diejenigen, die Einfahren, nach wenigen Tagen vergessen sind bis sie, wie es gewöhnlich passiert, nach vielleicht einem Jahr immer noch nicht wieder frei sind, in aller Stille, von allen unbeachtet.

All diejenigen, die von sich behaupten gegen die Ausbeutung des Menschen und der Umwelt zu kämpfen, all diejenigen, die meinen gegen den gegenwärtigen Stand der Dinge zu sein, müssen eine klare Position sowohl zur Verhaftung von Silvano, Edoardo und Sole einnehmen, als auch zu den Ereignissen in Val di Susa. Nicht nur die Revolution in anderen Teilen der Welt soll schön sein.

Wir haben zu dieser lächerlichen Kriminalisierung, die nur nach Einschüchterung stinkt, klar Stellung genommen: Wir werden unsere Ideen auch dann nicht ändern, wenn wir die einzigen wären die sie ohne Ängste offen zeigen. Was die Versöhnung mit der bürgerlichen Gesellschaft betrifft - nochmal - bestärken wir unsere mehr als totale Aversion gegen sie. Wir sind nicht hier um uns einzubringen.

KRIEG DER GESELLSCHAFT

Sonnabend, 14.3.98

"Hochgeschwindigkeits-Demonstration" in Turin

Dokumentation eines Flugblattes diverser besetzter Häuser

WIR SIND HEILIGE, ABER WIR WOLLEN KEINE MÄRTYRER

Am Donnerstag, den 8. März durchsuchen ROS und Polizei drei Squats und verhaften Soledad, Silvano und Edo in der Casa occupata di Collegno. Dieser Einsatz, der durch das entdecken einer Abhörwanze beschleunigt wurde, diente dazu die Öko-"Terroristen" der "Grauen Wölfe" einzuknasten, die sich laut Staatsanwaltschaft in den besetzen Häusern Turins versteckt hielten. Die phantomatischen "Grauen Wölfe" sind angeklagt, verantwortlich für eine Serie von Anschlägen auf die in Bau befindliche Trasse für Hochgeschwindigkeitszüge (TAV) zu sein, die quer durch die bereits geschundene Val di Susa geht. Dieses Tal ist uns, wohlgemerkt, ans Herz gewachsen weil wir dort mehrmals die Gartenzwerge ausgesetzt haben, die wir vor der Betonierung gerettet haben.

Im laufe des Bulleneinsatzes wurden einige mit Benzin gefüllte Flaschen gefunden, mit der Aufschrift "im Fall der Räumung einsetzen", spritzen und Silikonspritzen (was für'n Zeug) und eine "tödliche" Rohrbombe, die sich danach als harmloses bengalisches Feuer entpuppt hat, wie wir es z.B. Neujahr vor den Knästen benutzen, auf den Dächern neuer Besetzungen und während unserer schwarzen Messen.

Nach drei Monaten abhören, filmen und Verfolgung per Satellit sind einige Diebstähle das einzige, was sie den drei nachweisen können - und wir sehen nichts schlimmes darin sich das zu nehmen, was mensch braucht und sich dabei von Mal zu Mal die kreativste und gültigste Methode aussucht.

Unsere Praxis ist die der direkten Aktion, der Selbstverwaltung, des gelebten Lebens. Wir versuchen unvorhersehbar, teuflisch, anarchisch und blasphemisch zu sein. Uns gefällt es, aufzutauchen und zu verschwinden, jedes Mal in einer anderen Form, als Spiegelbild in einem Schaufenster oder als BesetzerInnen des Filmsets von Amelio, oder auf einer genehmigten Demonstration - wie heute. Wir sind weder politische Militante noch islamische Integralisten. Wir sind heilige, aber wir wollen keine Märtyrer.

Wir sind HausbesetzerInnen und seit Jahren gehen wir in Turin auf Kaperfahrt. JedeR mit den eigenen Eigentümlichkeiten, Unterschieden, der eigenen Autonomie in der Aktion und den eigenen Entscheidungen.

Die Stadtverwaltung, Eigentümerin diverser Häuser, hat versucht diese hinterhältige Polizeiaktion auszunutzen um drei davon zu schließen. Es ist ihr nicht gelungen, aber die AvantgardistInnen des Gutgemachten werden weiterhin versuchen die Stadt zu "Säubern" angesichts den baldigen kommen von Pilgerern und Papst. Oder des nächsten Zirkus.

Die Staatsanwaltschaft produziert Hirngespinste, die Presse - gefüttert und gehätschelt - macht sie glaubhaft, bläht sie auf und jubelt sie den Leuten unter: sie schneidert den BesetzerInnen den Stereotypen des Idiots an den Leib. Glaub den Medien nicht!

UNSERE GANZE SOLIDARITÄT FÜR SILVANO EDOARDO UND SOLEDAD SOFORT FREILASSEN - ALLE FREILASSEN

Dies ist eine (genehmigte) Demonstration, eine Initiative für Gegenöffentlichkeit, wir sind heute hier um mit den Menschen zu reden und nicht mit den Schaufenstern. Wir wollen keine Provokationen.

"Lebe ruhig, weit weg vom ärger, und warte auf den Tag an dem Du stirbst" (Heiliger Antonius)

ALCOVA OCCUPATO - ASILO OCCUPATO - BAROCCHIO OCCUPATO - CASCINA OCCUPATA - DELTA HOUSE OCCUPATA

rechtschreibfehler und grammatikalisch wirre konstruktionen sind beabsichtigt und dienen der belustigung