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1998

Rubrik
Repression & Widerstand

Abs.: T.SILLO@CL-HH.comlink.de

Solidaritätsgruppe "Keine Auslieferung von Petra Elser"

DRITTE WELT HAUS, Westerbachstr. 47/3, 60489 Frankfurt

Keine Auslieferung von Petra Elser an den Folterstaat Spanien

"Zur Erinnerung an Christine Ghodbane..."

Am 21. August 1997 hat sich Christine Ghodbane im Bunker des Gefängnisses Fresnes umgebracht. Sie war dreissig Jahre alt und kam aus dem Stadtteil an der Bastille in Paris. Ihr Mann war auch im Knast. Ihre Tochter und ihre Mutter kamen sie jede Woche besuchen. Sie redete gerne, und sie lachte laut und viel. Sie machte Witze und war voller Lebenslust. Sie hatte nicht nur Freundinnen, aber die meisten von uns Gefangenen mochten sie sehr gerne. Wir trafen uns jeden Tag beim Hofgang, wo wir über alles mögliche sprachen. Schon bevor sie verhaftet wurde, hatte sie psychische Probleme und war in Behandlung. Aber sie hatte offensichtlich den festen Willen, da rauszukommen. Anfang August bekommt sie aufgrund großer familiärer Probleme eine starke Depression, und sie versucht mehrfach, sich die Venen aufzuschneiden. Nach einigen Tagen im Krankenhaus kommt sie wieder zu uns. Im Gespräch mit ihr wird uns klar, daß sie nicht sterben wollte. Der Selbstmordversuch war ein Schrei, ein Hilferuf, eine Art zu sagen, daß sie nicht mehr mit dieser Situation zurechtkam, aus der sie alleine nicht rauskam. Alle, sowohl wir, ihre Mitgefangenen, als auch die Wärter, der medizinische Dienst und die Knastleitung, sahen genau, daß sich ihr Zustand ständig verschlechterte.

In diesem Moment entscheidet das "Disziplinargericht", unter Vorsitz des Knastdirektors, sie zu fünfzehn Tagen Bunker zu ",verurteilen"', weil sie Widerstand gegen einen Wärter geleistet hatte, als sie sich die Venen aufgeschnitten hatte. Damals hatte der Wärter sie am Hals gepackt und an den Armen verletzt. Der Psychologe hatte gesagt, daß sie nicht alleine in der Zelle sein sollte, und daß sie wegen ihrer Selbstmordgefährdung nicht in den Bunker gebracht werden sollte. Trotzdem wird sie dort hingebracht, obwohl bekannt ist, daß dies der Ort in Fresnes ist, an dem die meisten ,erfolgreichen' Selbstmorde stattfinden. Sie findet sich im Bunker wieder, sie hat das Gefühl, lebendig begraben zu sein. In dieser völlig unmenschlichen Umgebung hängt sich Christine zwei Tage später mit zusammengeknoteten Bettüchern am Gitter auf. Die Nachricht ihres Todes überfällt uns, am Anfang will es niemand glauben. Das konnte doch nicht wahr sein, diese Frau mit ihrer starken Stimme und ihrer Energie müßte doch jeden Moment wieder beim Hofgang auftauchen und uns ihre Geschichten erzählen. In diesem Augenblick spüren wir die Macht, die sie haben, und auch unsere Verwundbarkeit ihnen gegenüber die Macht, einen Menschen durch eine Unterschrift einfach in den Tod zu schicken. Als wir Gewißheit darüber haben, was passiert ist, schreiben wir mithilfe eines Steins auf die Mauer im Hof ,Zur Erinnerung an Christine Ghodbane'. Man kann es nicht sehr gut lesen, denn es schreibt sich nicht gut mit einem Stein. Wir wissen nicht, ob wir weinen oder schreien sollen vor Trauer und Wut, wir finden keine Worte... Dann erscheint ein Wärter mit einer "Helferin" und mit Putzzeug und Schrubber im Hof. Sie wollen nicht nur ihre Verantwortung vertuschen sondern auch noch alle Spuren, sie wollen unsere Erinnerung wegwischen. Als sie die Inschrift weggewischt haben, beschließen wir, sie neu zu machen. Kaum zwei Minuten später erscheint der Chef in Begleitung von mehreren Wärtern. Sie haben mich schreiben sehen, sie befehlen mir, sofort in meine Zelle zurückzugehen. Mehrere andere Gefangene schalten sich ein und erklären, daß ich nicht zurückgehen werde, denn auch wenn ich geschrieben hatte, hätte ich es doch im Namen aller getan. Für mich war das ein sehr bewegend er Augenblick. Einige erklären, daß wir nicht noch einmal anfangen würden, und daß sie selbst die Inschrift wegmachen wurden. Schließlich gehen die Warter, und wir bleiben alle zusammen da. Diese Solidarität in diesem Knast, in dem üblicherweise der Individualismus herrscht, war wirklich eine Entdeckung.

Wir sind immer noch aufgewühlt von den Ereignissen und beschließen, Christine mit einer Schweigeminute im Hof eine letzte Ehre zu erweisen. Der Wärter hatte mir angekündigt, daß ich eine Strafe bekommen wurde, aber es passierte nichts, und meine Mitgefangenen ermutigten mich und sagten mir, ich sollte mir keine Sorgen machen, da wurde schon nichts passieren. Vier Tage später werde ich informiert, daß ich vor ihrem "Gericht" zu erscheinen hätte. Schon das Szenario dieses "Prozesses" ist lacherlich. Hinter einem riesigen Tisch befindet sich der Direktor mit seinen Helfern. Das Ganze gleicht der Heiligen Inquisition. Ich muß stehen bleiben, die Füße auf einer weißen Linie, die ich nicht übertreten darf. Rund um die Knastleitung befindet sich eine große Anzahl von Wärtern. Ich erkläre, was passiert ist; der Direktor schneidet mir das Wort ab und sagt: "Halten Sie mich nicht für einen Idioten; hören sie auf, die Gefangenen für Ihre eigenen Interessen zu benutzen." Einige Minuten später wird mir das "Urteil" übermittelt: Fünf Tage Bunker wegen "Anstiftung der anderen Gefangenen, mich zu decken", wegen dem "Versuch, Druck auf die Institution Gefängnis auszuüben" und wegen "Agitation der Gefangenen unter dem Vorwand des Todes von Christine"'.

Als ich aus diesem "Prozeß" komme, rufe ich:"Hier spricht Petra, sie bringen mich in den Bunker",um meine Mitgefangenen aufmerksam zu machen, weil schon mehrfach Gefangene "verschwunden" sind und tagelang niemand wußte, wo sie gelandet sind. Mit Edurne ist das vor drei Monaten passiert In diesem Moment packt mich ein Wärter und hält mir mit der Hand den Mund zu, um mich am Schreien zu hindern. Ich finde mich im Bunker wieder, man schließt das Gitter hinter mir und die Tür. Ich werfe einen Blick auf die Zelle. Es wundert mich nicht, daß manche, denen es auch vorher schon schlecht ging, hier Lust bekommen, zu sterben...

In allen Einzelheiten ist diese Zelle dazu gedacht zu erniedrigen und dir die Würde zu nehmen. Einenuf den Boden geschmissene Matratze, ein Waschbecken aus Metall, ein Loch für die Notdurft, ein winziges Fenster unter der Decke, und Gitter, die dich von dem Wärter trennen, der die Tür aufmacht. Und es ist nicht nur der Ort, an dem du dich befindest. Alle deine Sachen werden in Kartons gestopft, dir bleibt nur das Minimum. Dein Lebensmittelvorrat verschwindet, deine anderen Einkäufe auch. Besuche sind verboten, du hast das Recht auf eine Stunde Einzelhofgang pro Tag.

Am Nachmittag informiert man mich, daß ich noch einmal ,vor Gericht' muß, weil ich beim Rauskommen aus dem vorherigen ,Prozeß' geschneen habe. Am nächsten Tag finde ich mich in derselben Szene wie am Vortag wieder. Ich sage, daß es keinen Sinn hat, wenn ich versuche, etwas zu erklären, weil sie sowieso machen, was sie wollen. Die Urteilsbegründung liest sich, als hätte ich versucht, die Wärter zu lynchen. Ich werde zu weiteren zehn Tagen verurteilt wegen "kollektiver Anstiftung gegen die Institution Gefängnis".

Sie müssen wirklich Angst vor uns haben, daß sie zu solchen Konstruktionen greifen. Wenn sie so reagieren, fürchten sie tatsächlich unsere Solidarität. Oft sind wir uns darüber gar nicht bewußt, und so müßten wir ihnen fast danken.

Ich denke an Christine. Wie wird sie ihre letzten Tage in dieser Umgebung verbracht haben? Ich denke, daß es ihr gefallen hatte, ihren Namen dort im Hof geschrieben zu sehen. Aber anscheinend ist der Bunker der geeignetste Ort, etwas zu ihrer Erinnerung zu schreiben - was ich beschlossen habe, mit diesem Brief zu tun.

Petra Elser Gefängnis Fresnes (Frankreich), 1. September 1997