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1998

Rubrik
Frauen/Lesben
Schwule & Patriarchat


Alle Schwestern werden Bürger?

Die Karriere eines Begriffes

Seit 1991 werden die Forderungen von Lesben und Schwulen an Staat und
Gesellschaft in die Vokabel "Bürgerrechte" gekleidet, und die
Funktionäre nennen sich "Bürgerrechtler". Ein Umstand, dem weder eine
Revolution noch eine organisierte Gehirnwäsche zugrunde liegt. Erfinder
und Meinungsmacher "schwuler Bürgerrechtspolitik" ist der
Schwulenverband in Deutschland - SVD. Im Mai 1990 als "Schwulenverband
in der DDR - SVD" gegründet, erstreckt sich sein Tätigkeitsbereich seit
1991 auf die gesamte Bundesrepublik. Diesem Prozeß voraus gegangen war
die Einrichtung eines Sprecherrates West". Diesem Gremium gehörten
Personen an, die in den "alten" Bundesländern einen hohen
Bekanntheitsgrad hatten und allesamt Mitglieder oder Funktionäre des
Bundesverbandes Homosexualität - BVH waren. Die Promis dieses
"Sprecherrates West" waren Manfred Bruns und Volker Beck, beide Jahre im
BVH aktiv. Letzterer hatte in einem "geheimen" Strategiepapier 1988
beklagt, das "rechte und bürgerliche Potential (der Schwulen)" sei
"zersplittert und politisch nicht organisiert". Um diesen Zustand zu
beenden, investierte Beck viel Zeit und Kraft. Nachdem sein Versuch
scheiterte, die sog. "Homo-Ehe", die Öffnung der BGB-Ehe für Lesben und
Schwule, als Forderung des BVH aufzustellen, orientierte Volker Beck
sich um. Der Zusammenbruch der DDR und die Gründung des
"Schwulenverbandes in der DDR - SVD" kamen Beck & Co zur Hilfe.
Der SVD verfügt personell (in abnehmender Tendenz!) zwar über eine
gewisse Tradition, die der "DDR-Bürgerrechtsbewegung" entstammt, aber
der Verband war durch seine Gründung nie Bestandteil oder gar
Organisator der "DDR-Bürgerrechtsbewegung". Alle anderen durch den SVD
seit einiger Zeit aufgestellten Behauptungen gehören in die schöne Welt
der Sagen und Märchen. Die Dualität von Form und Inhalt des Begriffes
der "schwulen Bürgerrechte" gehören in ihrer Perfektion zu den
Meisterleistungen des schwulen Schwaben-Duos Dworek und Beck. Paßt doch
das Einklagen schwuler "Bürgerrechte" in den Zeitgeist der achso
aufgeschlossenen Bundesrepublik. Vergessen sind die Kämpfe der
Schwulenbewegung vergangener Tage.
Dabei hatte die zweite deutsche Schwulenbewegung eine beachtliche
Tradition. Ihr ist es zu verdanken, daß Homosexualität sichtbar wurde.
Ihr ist es zu verdanken, daß der deutsche Bürger mit anderen sexuellen
Identitäten und Lebensformen konfrontiert wurde. Die rechtliche
Dimension homosexuellen Lebens spielte nur dann eine Rolle, wenn
Emanzipation verhindert wurde (z. B. § 175). Emanzipation bedeutete, die
eigene Geschlechterrolle zu hinterfragen, sich von Rollen- und
Verhaltensklischees zu befreien, zur eigenen Identität zu finden. Aber
auch die Bewußtwerdung der Homosexualität, das Coming-Out, spielte in
der Arbeit der zweiten deutschen Schwulenbewegung eine enorme Rolle. Nur
von dem Hintergrund dieser Geschichte sind der Aufbau und die
jahrzehntelange Arbeit der schwulen Selbsthilfegruppen und Vereine zu
verstehen. Sie gehören nicht zur Geschichte des SVD und seiner schwulen
"Bürgerrechtsbewegung". Und auch die einstigen Bündnispartner der
Schwulen, linke Gruppen und Parteien, aber auch Feministinnen und ihre
Gruppen gehören nicht zum Kreis der selbsternannten "Bürgerrechtler".

Der deutsche Bürger

Die Wiege der Bürgerrechte ist die berühmte französische Revolution.
Gleichheit und Brüderlichkeit wurden zum Ziel allen gesellschaftlichen
und politischen Strebens erklärt. Von der Woge dieses Fortschritts wurde
Deutschland nur mit mäßigem Resultat gestreift. Ein Ausdruck dafür ist
das Staatsbürgerrecht. Ihm liegt das "(Reichs-)Abstammungsrecht"
zugrunde. Demnach ist jeder Bürger, dessen Vorfahren Deutsche sind.
Hierbei ist das "Blut" entscheidend. Nur so ist es erklärlich, daß
Menschen die im Ausland (z. B. Rumänien, ehemalige UdSSR oder Polen)
geboren wurden, Deutsche und somit (Staats-)Bürger sind. Demgegenüber
wird das Territorialprinzip der USA, in dem jeder Mensch, der auf dem
Gebiet der USA geboren wird, als Amerikaner und somit als Staatsbürger
gilt, als rechtshistorisch fortschrittlich bewertet.

Die Konsequenz

Die Schwulenbewegung orientierte sich an politischen Konzeptionen, die
auch den deutschen Staat und sein System an bestimmten Punkten
infragestellten. Die schwulen "Bürgerrechtler" brechen mit dieser
Tradition und stellen ihr die "SVD-Lobbyarbeit" gegenüber. So wurde zum
Beispiel 1997 die "Anerkennung bi-nationaler Partnerschaften" zum
Kernstück der SVD-Arbeit erklärt.
Allein die Begriffskreation "bi-Nationale Partnerschaft" zeichnet den
Charakter dieser Forderung. Eine Partnerschaft von Menschen
unterschiedlicher staatlicher Herkunft wird zum Gemisch eben "bi"
erklärt. Ein Umstand der vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte
recht fragwürdig erscheint. Denn das Vorgehen gegen die repressive
Flüchtlingspolitik, die zum Teil durch rückwärtsgewandten Geist
geprägten Ausländergesetze und die Straftaten gegen Menschen anderer
Herkunft, Hautfarbe, Religion oder politischer Weltanschauung kommen in
der SVD-Politik und bei ihren Bürgerrechtsstrategen nicht vor. Die
gesellschaftlichen, sozialen und politischen Lebensbedingungen dieser
Menschen werden von dieser Politik nicht angetastet. Sie erfahren bei
alltäglicher Diskriminierung, rassistischen Angriffen und Überfällen
keine Solidarität. Ausgenommen sind die Homosexuellen unter ihnen. Aber
auch hier nur die, die in einer "gemischten" Partnerschaft (d. h. mit
einer Deutschen oder einem Deutschen) leben.
Dieses in seiner Konsequenz überspitzt dargestellte Beispiel zeigt sehr
anschaulich wie weit eine schwule Lobbypolitik gehen kann.
Aber auch ohne über den schwulen Tellerrand hinauszugehen, kann der
Inhalt und die daraus resultierenden Folgen verdeutlicht werden. Auch
die "schöne schwule Welt" hat ihre Minderheiten. Zu ihnen zählen
Bisexuelle, Transen, Tunten, Pädos, Sados, Masos, Ledermänner,
Flagellantisten, Intersexuelle und viele andere. Sie haben sich über
Jahrzehnte Nischen oder gar Ghettos geschaffen um sich ihre
Andersartigkeit zu erhalten. Ihre gesellschaftliche Anerkennung gibt es
nicht. Ihre Angreifbarkeit ist in den letzten Jahren stark gestiegen.
Die Entsolidarisierung hat begonnen.

Der schwule "Bürger"

Spießbürgerlichkeit und eine romantische Verklärung schwuler
Lebensrealitäten hat es zu jeder Zeit gegeben, auch war sie immer
Bestandteil des lesbisch-schwulen Diskurses. Doch mit dem organisierten
Durchmarsch der schwulen "Bürgerrechtler" um SVD und Volker Beck hat sie
an medialer, finanzieller und somit politischer Macht gewonnen.
Sexuelle, soziale, und politische Minderheiten werden als politische
Gegner definiert und bekämpft. Die Vorstellungen schwuler Politik von
SVD und Beck gehen einher mit bürgerlicher Weltanschauung und verengtem
Politikverständnis. Die Adressaten sind, wie der Publizist Elmar
Kraushaar formulierte, "die da oben". Ihr Resultat ist der
"Heterosexuelle mit fatalem Hang zum Analverkehr" (Matthias Frings).
Diesem Konzept sollten alle entgegentreten, die sich nicht in die von
SVD und Volker Beck gefertigten Schablonen pressen lassen wollen.
Für freie selbstbestimmte Lebensweisen! Für eine emanzipatorische
Gesellschaft!

aus:
http://QueerLinx.home.pages.de