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1998

Rubrik
Zensur und Providerwillkür gegen trend

Offener Brief an die linken&radikalen Internetprojekte beim "Berlinet"

Verteiler: Kurdistanrundbrief, ARI/ZAG RAG, Bahamas, A-Kurier, Espero, Juckreiz, Berliner Berichte, Rote-Hilfe Berlin, Poonal, Stressfaktor, Kalaschnikow, Übergänge, Interim und Offenes Kommunistisches Forum

Liebe Leute,

da wir nach der willkürlichen Löschung der trend-Seiten auf dem Berlinetserver am 28.1.1998 durch einen weiteren Willkürakt des Herrn Baumann von der Firma IMU nun aus den Berlinetinternen Brettern ausgeschlossen wurden, wählen wir diesen Weg, Euch unsere Sicht von diesem im deutschsprachigen Internet einmaligen Fall von Providerwillkür näher zu bringen. Wir knüpfen daran öffentlich die Frage an Euch, wie Ihr mit diesem Willkürakt umzugehen gedenkt.

"Der trend als Onlinezeitung ist das Berliner Projekt für eine linke&radikale Gegenöffentlichkeit im Internet und die Vernetzung lokaler Aktivitäten." Mit diesem Anspruch ging der trend am 18.1.1996 bei CompuServe online. Im Frühsommer wurde uns vom BerliNet e.V., vertreten durch Bernd Rockmann, vorgeschlagen, unser Webprojekt auf dem BerliNetserver kostenlos (d.h. ohne Account) und ohne Webspacebegrenzung abzulegen. Auf der Grundlage der zwischen Bernd Rockmann (BerliNet e.V.) und der trend-Redaktion besprochenen politischen Eckpunkte für eine Internet-Publizistik wechselte der trend im Juni 1996 zusammen mit RAG, Bahamas, A-Kurier, Espero und den Irisch Republikanischen Nachrichten von CompuServe zum BerliNet e.V.. Zusätzlich schlossen zwei Redakteure (später weitere zwei) Nutzungsverträge mit dem BerliNet e.V. ab. Dies geschah teilweise wegen der Onlinepublizistik diente aber auch zu rein privaten Zwecken.

Mit dem Kurdistanrundbrief und ARI/ZAG waren es nun acht linke&radikale Ezines, die begannen, das Profil des BerliNet e.V. in der Weböffentlichkeit zu prägen. Bald kamen weitere Zeitschriften und Projekte dazu. Hier wären vor allem zu nennen: Juckreiz, Berliner Berichte, Rote-Hilfe Berlin, Poonal; und von Seiten des trend vor allem: Stressfaktor, Kalaschnikow, Übergänge, Benno-Ohnesorg-Kongreß und Offenes Kommunistisches Forum. Ab Winter 1996/97 gab es vielfältige gemeinsame politische und publizistische Aktivitäten, die von einem regelmäßig tagenden Kreis, gebildet aus den Redaktionen der Ezines beim BerliNet e.V., besprochen und getragen wurden. Die Organisation trugen vornehmlich die "Berliner Berichte" und der "trend". Die elektronische Kommunikation lief über eine eigens dafür von Bernd Rockmann eingerichtete Mailingliste.

Nach dem schwer durchschaubaren Ausscheiden des Bernd Rockmann aus dem BerliNet e.V. im Mai/Juni 1997 zerbrach diese gemeinsame politisch-publizistische Praxis. Inetwa von da an traten nun Herr Andreas Baumann und Herr Anton Peter als neue "Vorsitzende" des BerliNet e.V. auf, sowie Herr Lars Lomoth als Systembetreuer.

Als im Juni 1997 die Interim-Redaktion von 500 Polizisten in neun Berliner Wohnungen gesucht wurde, erhielt der BerliNet e.V. anonym die Dateien der Online-Interim zum Spiegeln zugesandt. Herr Andreas Baumann, der bis dahin eher als "der von der IMU" aufgetreten war, die in der Friedrichstr. auch Räume hatte, lehnte die Spiegelung mit dem Hinweis auf die Anonymität und in seiner neuen Eigenschaft als Vorsitzender des BerliNet e.V. ab. Der trend hingegen, nahm die Verfolgung der INTERIM gerade zum Anlaß, um von diesem Zeitpunkt ab bis zur Löschung am 28.1.1998, die Onlineausgabe zu spiegeln.

Mitte des Jahres 1997 verzog die Firma IMU (bzw. das "BerliNet-Team") in die Räume auf einem Reinickendorfer Gewerbegelände eines ihrer Kunden, einem mittelständischen Zulieferer von Autoteilen, der Firma GEMO. In der Friedrichstr. blieb lediglich das Internet-Equipment zurück. Von diesem Zeitpunkt an war das politische "Vereinsleben" erloschen und mit dem Umzug in ein menschenleeres Gewerbegebiet der politische Vereinzweck kaum mehr zu erfüllen. Die neuen "Vorsitzenden" kümmerten sich um Ihre IMU und zeigten dagegen keinerlei Interesse an der Wiederbelebung der politischen Onlinepublizistik.

Unterzeichnet mit "BerliNet-Team", erhielten im November 1997 diejenigen, die einen Account beim BerliNet e.V. hatten, die Mitteilung, daß der "personelle Umzug" ins Gewerbegebiet abgeschlossen sei und der "Umzug der Technik" unmittelbar bevorstünde, jedoch in den "Berlinet-Brettern" rechtzeitig angekündigt würde. Dem war dann am 16.1.1998 bekanntlich nicht so. In einer Nacht und Nebelaktion erfolgte der Umzug der Technik des "Spielzeugproviders" (Wau Holland über die IMU) nach Reinickendorf. Ein mehr als 14 Tage dauerndes Chaos sollte folgen.

Den "trend" als politisch-publizistisch arbeitendes Projekt traf diese Situation völlig unvorbereitet. Ob wir baten, unsere Emails zu kriegen oder Updaten zu dürfen oder zumindest das Ende der Störungen zu erfahren, oder dies schließlich forderten, Auskünfte gab das "Berlinet-Team" nicht. Andere technische Lösungen, obwohl sie möglich gewesen wären, wie dies bei früheren Störungen der Fall war, wurden nicht angeboten. Den "trend", dessen Aktualität sowohl in der bürgerlichen als auch in der linksradikalen Presse gelobt worden war, gab es auf einmal - und das war für uns per Internet nicht einmal vermittelbar - in diesem Sinne nicht mehr. Die IMU hüllte sich in Schweigen und ließ andere - nämlich die Junge Presse Berlin - für sich verlautbaren, drohen und schließlich den Rausschmiß des "trend" fordern.

Aus diesem Kontext heraus erhob ein BerliNet-User die Forderung nach Transparenz über Staatsknete, Provider und Junge Presse Berlin und die daraufhin gegebenen Anworten der JPBerlin veranlaßten die "trend"-Redaktion zu einigen DENIC-Recherchen. Diese ergaben, daß für die Firma SITEC, von der JPBerlin ihren Domainnamen bezogen hatte, der Bundesgrenzschutz für Technik, Recht und Administration als "alleiniger Ansprechpartner" eingetragen ist. Wir veröffentlichten dies auf den Berlinetinternen Brettern . Statt für diese Information dankbar zu sein und die einzige, für Linke akzeptable Konsequenz daraus zuziehen, nämlich zu erklären, daß, wenn dies zuträfe, man sich schleunigst einen neuen Geschäftspartner nähme, wurde nicht gezogen. Statt dessen wurde von Seiten der JPBerlin unmißverständlich erklärt, daß ihr dieser Zusammenhang völlig "egal" sei. Und die Firma IMU ergänzte nur, daß es sich bei der SITEC um eine von ihr empfohlene Firma handele.

Das Ende ist bekannt. Herr Baumann löschte in der Nacht vom 28.1.zum 29.1.1998 willkürlich 35 MB "trend"-Daten und vertrieb mehr als 30 Projekte, Magazine und Archive aus dem Internet. Danach wurden alle Privatzugänge zu Zelator, Newserv und TBX den Leuten geschlossen, von denen Herr Baumann der Meinung ist, daß sie zum "trend" gehören.

Da uns für die Willkürhandlungen keine Gründe genannt wurden, wir auch nicht welche erfinden wollten, verfertigten wir am 30.1.1998 eine Presseerklärung zum Rausschmiß, die auf politisch bewertete Gründe bewußt verzichtete und im wesentlichen die Facts und den Ablauf wiedergaben.

Am 1.2.1998 gelangte eine nicht personalisierte "Erklärung des BerliNet e.V." in die Netzöffentlichkeit, in der als alleiniger Grund für den Rausschmiß die "vertragswidrige Nutzung" von Webspace genannt und eine entsprechende Regreßdrohung in den Raum gestellt wurden. Gegenüber der Presse gab der als BerliNet-Vorsitzender auftretende IMU-Inhaber, Herr Baumann, gleichlautende Begründungen ab (siehe taz vom 5.2.98).

Gehen wir an den Ausgangspunkt - also zur politisch-publizistischen Zusammenarbeit mit dem BerliNet e.V. und den anderen Ezines zurück - so läßt diese Argumentation nur einen Schluß zu: Herr Baumann möchte als "Spielzeugproviders" die Inhalte, die mittels seines Internet-Equipment - nach seiner Erklärung besitzt der BerliNet e.V. keine Kommunikationssysteme (mehr) - verbreitet werden, allein bestimmen. Und indem er sich gegen "inhaltliche Gründe" als Rausschmißgründe verwahrt, versucht er, den praktischen Konsequenzen zu entfliehen, die normalerweise durch politische Zensur auf Seiten der Betroffenen hervorgerufen werden. Und es entlarvt sich schließlich sein rein kommerzielles Interesse, den linken BerliNet-Kundenkreis zu behalten.

Das heißt aber auch , AUS & ENDE für jedes linke Projekt auf dem IMU-Server ist dann angesagt, wenn Herr Baumann es will, nämlich wenn er sich, scheinbar völlig neutral, also jenseits politischer Gründe, auf einen Vertrag berufen kann.

Betrachten wir nun unter diesem formalen Gesichtspunkt den Rausschmiß, dann sehen wir, daß selbst die formale Argumentation in unserem Falle keineswegs trägt:

  1. Gehen wir sorgsam alle gelöschten trend-Projekte durch, dann bleibt nach Baumannscher Lesart der BerliNet e.V. Satzung und der darauf basierenden Verträge höchstens als "vertragwidriges" Objekt nur noch die INTERIM übrig. So wird die u.E. unter politisch-ideologischen Gesichtspunkten eher bedeutungslose INTERIM im vorliegenden Fall zum wichtigen Gradmesser für FREE SPPEECH. In der Tat focussiert sich an ihrer Löschung, daß die politischen Strukturen und Ziele des BerliNet e.V. tot sind.
  2. Am Beispiel des Offenen Kommunistischen Forums erweist sich die Baumannsche Begründung schließlich als blanke Lüge. Herr Baumann hatte dem OKF 1997 persönlich direkten telefonischen Zugang zum FTP-Server gewährt, damit sie ihre Onlinepräsenz im Kontext des "trend"-Projekts direkt verwalten konnten. Als im September 1997 der Zugang zu ihren Web-Seiten plötzlich unmöglich war, setzte sich das OKF mit Herrm Baumann erneut persönlich in Verbindung. Er entschuldigte sich für diese Panne und gewährte dem OKF seitdem uneingeschränkten Zugriff bis zum 28.1.1998.
  3. Der eigentliche Skandal besteht aber darin, daß der sich hier auf den Vertrag BerliNet./.trend berufende Herr Baumann, dazu gar nicht befugt ist. Obgleich das Berliner Vereinsregister unter Aktenzeichen 95/VR12316 NZ die Studenten, Peter Balzar und Sebastian Hetze, als Vorsitzende des im November 1991 gegründeten BerliNet e.V. ausweisen, tritt Herr Baumann seit Sommer 1997 frech als Vorsitzender des BerliNet e.V. in Erscheinung und verlangt unter Vorspiegelung dieser falschen Tatsache nun die Erfüllung von Verträgen, die er weder abgeschlossen hat, noch für die er die Vertretungsbefugnis besitzt.
    Red. Anmerkung vom 13.2.1998
    Die Redaktion hat zwischenzeitlich versucht, Kontakt mit den beiden Vorsitzenden zu bekommen. In den Gesprächen, die wir daraufhin hatten, teilte uns Sebastian Hetze folgendes mit: Er und Peter Balzar sähen sich nicht in der Verantwortung für den BerliNet e.V., da sie am 2.2.1996 auf einer Mitgliederversammlung des BerliNet eV. entlastet wurden. Sodann seien Bernd Rockmann als 1.Vorsitzender, Andreas Baumann als 2.Vorsitzender und Anton Peter als Schriftführer gewählt worden. Er stellte uns das Protokoll der MV zur Verfügung. Daraus ist ersichtlich, daß seine Angaben zutreffen. Trotzdem liegt die formalrechtliche Veranwortung ( und darum ging es ja im Kontext der Regreßdrohung gegen uns durch Herrn Baumann) nach wie vor bei den beiden Studenten, da ihre Nachfolger die Ummeldung im Vereinsregister nicht vorgenommen haben. Wir wiederholen daher an dieser Stelle öffentlich das, was wir in den Gesprächen mit Sebastian Hetze besonders hervorgehoben haben: Unsere Bemühungen, Licht in das Dunkel des BerliNet e.V. zu bringen, hat absolut nichts mit ihnen zu tun, sondern ausschließlich mit den "Kommunikationsverbrechen" des Herrn Baumann gegen uns. KHS

Für die Durchsetzung der unternehmerischen Absichten der IMU war die formale Hülle BerliNet e.V. allerdings nahezu formidabel. Vorstandsposten, Verfügungsgewalt über Namen, Konten und Equipment dienten beim Rauschmiß des "trend" als Legitimationskrücke, mit der Herr Baumann die Vereinsmentalität der überwiegend aus dem Mailboxzusammenhang kommenden BerliNet-Userschar für seine Zwecke hervorragend instrumentalisieren konnte. So fand er sehr bald unter den politisch wenig erfahrenen jungen Leuten wie z.B. bei der JPBerlin Stichwortgeber und Claqueure für seine Willkürakte.

Hier endet unsere parteiliche Darstellung mit der Wiederholung der eingangs an Euch gerichteten Frage: Wie werdet Ihr nun mit dem Willkürakt gegen den "trend" umgehen?

Und wir fragen weiter: Werdet Ihr solidarisch mit dem "trend" sein und wenn ja wie? Geht Ihr weiterhin von der Existenz einer BerliNet e.V. aus und erkennt die IMU-Inhaber als Vereinsvorsitzende an? Wenn nicht, was passiert mit dem BerliNet e.V., was passiert mit Eurer Onlinepräsenz auf den IMU-Servern? Was geschah mit dem Internet-Equipment des BerliNet e.V.? Was passiert(e) mit Euerm Geld auf Herrn Baumanns Konto? Was passiert mit Euren (persönlichen) DATEN auf dem IMU-Server?

Und last not least: Ist nicht der laxe Umgang mit der Möglichkeit des Ausspürens von Server- und NutzerInnenstrukturen durch den BGS (und/oder wen auch immer) symptomatisch für das Ende eines linken&radikalen Internetprojekts namens BerliNet e.V.?

  • Wir möchten mit Euch diskutieren, um gemeinsam mit Euch (wieder) aktiv zu werden - im und jenseits des Cyberspace!
  • Wir laden Euch daher am 14.2.1998 um 18.00 Uhr ein. Ort bei der Redaktion erfragen!

Redaktion trend

Berlin am 6.2.1998