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1998

Rubrik
1.Mai
 

aus:  ak 414 vom 7.5.1998

Stiefelnazis in Leipzig
AntifaschistInnen behindern 1. Mai-Kundgebung

In den bürgerlichen Medien herrschte Erleichterung: "Nur"
4.000 bis 5.000 Neonazis hatten den Weg zur 1. Mai-Kundgebung
nach Leipzig gefunden  wesentlich weniger als erwartet. Trotz-
dem ist es falsch, über die scheinbar niedrige TeilnehmerIn-
nenzahl erleichtert zu sein. Schließlich gelang es der NPD,
einige Tausend militante Neonazis aus der gesamten BRD nach
Leipzig zu bewegen. Vor allem junge AktivistInnen der JN/NPD
und sogenannte "freie Nationalisten" waren erschienen. Die un-
gefähr 5.000 GegendemonstrantInnen konnten die Kundgebung
nicht verhindern. Kurz vor dem Völkerschlachtdenkmal stoppten
PolizistInnen die AntifaschistInnen und drängten sie mit Was-
serwerfern und Schlagstöcken in die Seitenstraßen des Stadt-
teils Stötteritz zurück.

Schon vor knapp einem Jahr hatte die NPD die diesjährige De-
monstration in Leipzig angemeldet. So sollte ein Debakel wie
am 1. Mai 1997 verhindert werden. Damals war der ebenfalls in
Leipzig geplante Aufmarsch der Neonazis an einem Verbot ge-
scheitert  es stünden nicht genug PolizeibeamtInnen zur Verfü-
gung, um Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Damals wur-
den die meisten Busse auf dem Weg zu Ausweichorten von der Po-
lizei festgehalten. Nur in Hannoversch Münden gelang es etwa
300 Nazis unter der Führung des JN-Kaders Steffen Hupka, eine
DGB-Kundgebung zu sprengen. Nach einem kurzen Aufmarsch ange-
führt von dem Transparent "Arbeit macht frei" wurden die Rech-
ten von einigen Antifas erfolgreich angegriffen und vertrie-
ben.
    Schon frühzeitig war im Internet und auf Flugblättern für
den diesjährigen Aufmarsch unter dem Motto "Wir schaffen Ar-
beit - Bonn schafft nichts" mobilisiert worden. 10.000 bis
15.000 "nationale Aktivisten" - wie die NPD großspurig ange-
kündigt hatte - sollten durch den Leipziger Stadtteil Stötte-
ritz ziehen. Doch die Messestadt wollte auch in diesem Jahr
keine Nazis marschieren lassen. Ein breites Bündnis vom säch-
sischen CDU-Ministerpräsidenten Biedenkopf, dem neugewählten
Leipziger SPD-Oberbürgermeister Tiefensee, von Gewerkschaften
bis hin zur Antifa sprach schon frühzeitig davon, "alles zu
tun, um den Aufmarsch zu verhindern". So sprach das Ordnungs-
amt Leipzig am 17. April ein Verbot aus: Es seien nicht genü-
gend PolizistInnen vor Ort, um den sicheren Ablauf der NPD-
Demo zu garantieren. Schließlich werde mit einigen Tausend ge-
waltbereiten GegnerInnen gerechnet.

Gerichtliches Hickhack

Das Verwaltungsgericht Leipzig bestätigte am 27. April zu-
nächst das Verbot, das Oberverwaltungsgericht in Bautzen hob
es am 30. April zumindest teilweise wieder auf: Die NPD dürfe
keine Demonstration durchführen, wohl aber eine Kundgebung vor
dem Völkerschlachtdenkmal. Ein Ende hatte das gerichtliche
Hickhack damit aber noch nicht gefunden: die NPD versuchte,
beim Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Verfügung für
den Demonstrationszug zu erwirken, die Stadt Leipzig sprach
erneut ein Verbot aus. Sie begründete dies mit "neuen Erkennt-
nissen", die noch mehr gewaltbereite DemonstrantInnen progno-
stizierten. Doch auch dieses Verbot wurde vom Verwaltungsge-
richt aufgehoben. Als letzte Möglichkeit wollte die Stadt eine
Verlegung der Kundgebung zu einem etwas ablegenen Platz erwir-
ken, doch auch damit scheiterten die Leipziger Behörden. Am
Morgen des 1. Mai stand dann fest: die NPD darf eine Kundge-
bung vor dem Völkerschlachtdenkmal abhalten. Parallel angemel-
dete Ausweichdemonstrationen in Halle bzw. Gera wurden von den
dortigen Ämtern und Gerichten verboten.

Gegenmobilisierung

Nachdem 1996 300 Rechte in Berlin-Marzahn aufmarschieren konn-
ten, während wenige Kilometer entfernt 15.000 den "revolutio-
nären 1. Mai" zelebrierten, war man sich zumindest in Teilen
der Linken einig: So etwas sollte nicht noch einmal vorkommen.
Folgerichtig gab es eine bundesweite Vorbereitung und Mobili-
sierung nach Leipzig. Eine der beiden 1. Mai-Demos in Berlin
wurde auf den Abend verlegt, in der Hoffnung, daß auch dieje-
nigen nach Leipzig fahren würden, die nicht auf "ihre" Demo in
Berlin verzichten wollten. Das Konzept für die Verhinderung
des Naziaufmarsches war eigentlich keines - es hieß Chaos, da-
mit die Polizei den Protest nicht kalkulieren konnte. Eine ge-
meinsame antifaschistische Großdemonstration wurde von Beginn
an abgelehnt - sie würde es den Ordnungskräften zu einfach ma-
chen, die Antifas an einem überschaubaren Ort einzukesseln
oder zumindest dort festzuhalten. Also sollten der Platz vor
dem Völkerschlachtdenkmal und die Demoroute der Rechten ir-
gendwie besetzt werden. Daher wurden mehrere Kundgebungen von
verschiedenen linken Organisationen wie PDS, Ökologische Lin-
ke, VVN-BdA in der Nähe der Aufmarschstrecke angemeldet. Da
aber die Demonstration der Nazis von den Gerichten verboten
worden war, konnte das Ziel nur heißen, den Rechten den Platz
vor dem Völkerschlachtdenkmal streitig zu machen.
    Am Vorabend des 1. Mai gab es ein großes DGB-Konzert auf
dem Platz, wo am nächsten Morgen die Nazis ihre Kundgebung ab-
halten wollten. Die Kölner Band BAP und "die Prinzen" rockten
vor 10.000 BesucherInnen gegen die Veranstaltung der Rechten.
Im Verlaufe der Nacht und des Morgens erreichten sowohl Anti-
fa- als auch Nazibusse aus der ganzen BRD mehr die Messestadt.
Schon während der Anreise war es einigen Antifas gelungen,
kleinere Grüppchen von Nazis anzugreifen und aufzulösen.
Wie geplant versuchten am Morgen des 1. Mai die ersten Gegen-
demonstrantInnen, zum Völkerschlachtdenkmal vorzudringen. Eine
Möglichkeit, auf das Gelände selbst zu gelangen, gab es nicht,
da stieß das Konzept "Chaos" doch an seine Grenzen. Während
die Gewerkschaften und andere linke Organisationen in der In-
nenstadt demonstrierten, lieferten sich einige Tausend Antifas
kleinere und größere Scharmützel mit den über 6.000 Polizi-
stInnen. Zahlreiche Steine flogen, Barrikaden wurden gebaut
und einige Polizeiautos hatten kaputte Scheiben. Die Polizei
hatte nicht genügend Kräfte, massiv Leute festzunehmen und be-
schränkte sich darauf einzugreifen, wenn Sperren durchbrochen
werden sollten. In diesen Fällen allerdings knüppelten die Po-
lizei-Einheiten aus verschiedenen Bundesländern und BGS einige
DemonstrantInnen zusammen. Abgesehen davon fehlte den BeamtIn-
nen mal wieder die Leitung: Straßen, die am einen Ende abge-
sperrt wurden, konnten am anderen Ende passiert werden, andere
kleinere Straßen wurden erst gar nicht abgesperrt. So hatten
die GegendemonstrantInnen mehr Bewegungsfreiheit, als wohl ei-
gentlich vorgesehen war.
Ein paar Hundert Nazis versuchten ebenfalls, die Polizeisper-
ren am Völkerschlachtdenkmal zu durchbrechen, um den verbote-
nen Demonstrationszug durchzusetzen. Sie scheiterten an den
BeamtInnen und mußten auf das Gelände zurückkehren, wo der
"nationale Liedermacher" Frank Rennicke seine Gesänge vortrug.
    Bei ihrer Abfahrt wurden noch einige der Nazibusse ent-
glast und auch in Kleingruppen umherirrende FaschistInnen wur-
den immer wieder von Antifas angegriffen.
    Auch wenn die Zahl der NazidemonstrantInnen weit hinter
den Erwartungen und Ankündigungen der NPD zurückgeblieben ist
und ihr nicht gelang, das DVU-Republikaner-Spektrum
nach Leipzig zu holen, so bleibt dennoch festzustellen, daß
4.000 bis 5.000 militante Stiefelnazis mobilisierbar sind. Daß
nur einige Tausend Nazis kamen liegt wohl daran, daß es im Ge-
gensatz zu den Demonstrationen in München oder Dresden konkre-
ten Anlaß wie z.B. die Wehrmachtsausstellung gab, die auch
einen Schulterschluß der Nazis mit den Rechtskonservativen von
CSU/CDU ermöglichte. Außerdem mag auch die lange rechtliche
Unklarheit dazu beigetragen haben, daß so mancher unentschlos-
sene Nazi zu Hause blieb. Im weiteren fällt auf, daß es der
NPD zur Zeit immer gelingt, ihre Aufmärsche und Kundgebungen
zumindest vor Gericht durchzusetzen. Erleichterung nach der 1.
Mai-Demo ist auch angesichts von "ausländerfreien Zonen" in
einigen Stadtteilen ostdeutscher Städte und dem Zulauf, den
die JN/NPD zur Zeit in den östlichen Landesverbänden erfährt,
nicht angebracht. In Sachsen hat die NPD schon jetzt mehr Mit-
glieder als Bündnis90/Die Grünen. Noch ist unklar, wie der
Aufmarsch in der Neonaziszene beurteilt wird. Nachdem sich die
NPD bei der Organisation der letztjährigen 1. Mai-Demonstra-
tion und der Rudolf-Heß-Gedenkmärsche bei den FaschistInnen
ziemlich blamiert hatte, wollte die NPD mit dieser Kundgebung
die Position der Partei innerhalb der Naziszene weiter stär-
ken.

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