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1998

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Kapital & Arbeit

Absender: PDS.GEW@IPN-B.comlink.apc.org (PDS / AG Gewerkschaftspolitik)

Preussag-Kumpel - "Nicht widerstandslos zur Schlachtbank"

von Gerd Graw, AG Betriebe und Gewerkschaften Salzgitter

Es brodelt wieder einmal in der Stahl-Gerüchteküche. Nach der umstrittenen Fusion zwischen Krupp und Thyssen geht es nun um Preussag-Stahl geht es um die Stahlstandorte Salzgitter, Peine und Ilsenburg.

Wie ist sie nun, diese von der Fachwelt durchaus als attraktiv angesehene Stahlbranche der Preussag? Heiß umworbene Braut, ungeliebte Tochter oder Stiefkind? Ein marodes Standbein ist sie keineswegs. Der Stahlsektor von Preussag ist gesund, die Ertragslage stimmt und der Gewinn liegt bei 100 Millionen jährlich, also ein begehrtes Objekt. Ein gerade von McKinsey abgeliefertes Untersuchungsergebnis bescheinigt, daß Preussag-Stahl eine langfristige gute Wettbewerbsposition habe, die auch einen Alleingang als "börsennotiertes Unternehmen machbar" erscheinen lasse.

Weltklasse

Bewertet wurden nicht nur die Anlagenstruktur an allen drei Standorten, die - so die Studie - in weiten Teilen "Weltklasse" seien, sondern auch die marktgerechten Produkte sowie die solide finanzielle Ausstattung. Vom Vorstand der Preussag AG wird auch die Ertragslage über einen längeren Zeitraum als "sehr positiv" bezeichnet. In den letzten zehn Jahren hat das Unternehmen durchschnittlich pro Jahr 100 Millionen DM - nach Steuern - verdient. In den letzten Monaten haben sich die Gewinne - laut Vorstand - deutlich nach oben bewegt.

Die Preussag Stahlgruppe hat im Geschäftsjahr 1996/97 einen Umsatz von mehr als 7 Milliarden DM erzielt. Mit 4,7 Millionen Tonnen Rohstahl befindet sich das Unternehmen an der Kapazitätsgrenze.

Und die "Mutter"?

Mit Umsatzsteigerungen und höheren Gewinnen sowie dem radikalen Umbau des Konzerns setzt die "Muttergesellschaft", die Preussag AG ihren Wachstumskurs fort. Der Mischkonzern steigert im abgelaufenen Geschäftsjahr die Umsätze um 6 Prozent auf 26,5 Milliarden DM. Die Konzernspitze erwartet ein Wachstumsergebnis um mehr als 20 Prozent. Dazu hat das "gute Stahlgeschäft" in erheblichem Maße beigetragen.

Seit 1993 hat Preussag ertragsschwache Konzerntöchter mit einem Gesamtumsatz von 3,5 Milliarden DM verhökert und zugleich 31 Milliarden DM Umsatz in den sogenannten Wachstumsbereichen dazu gekauft. Den großen Zuwachs erwarten die "Strukturpäpste" jetzt mit 13 Milliarden DM im neuen geplanten "Preussag-Touristikbereich". Kaufpreis der Hapag-Lloyd: 2,8 Milliarden DM.

1989 sanierte sich Preussag durch den Kauf des Salzgitter-Konzerns für rund 2 Milliarden DM und will ihn nun mit hoher Gewinnspanne wieder verhökern.

Vom Stahl trennen

Mit Wortspielereien versuchte die Konzernspitze ihre Pläne zu verschleiern und herunterzuspielen und selbst die direkt Betroffenen wie auch die IG-Metall-Vertreter im Aufsichtsrat zu täuschen. Von den Gerüchten alarmiert, zwangen IG Metall, ihre Aufsichtsratsvertreter und Betriebsrat den Preussag-Vorstand, "Farbe zu bekennen". Es gäbe - so das zögerliche Eingeständnis - Gespräche mit relevanten Interessenten, jedoch keine Verhandlungen.

Die aufgebrachten Stahlarbeiter und ihre Interessenvertreter bohrten weiter und erzwangen durch massiven Druck, durch zeitweilige Arbeitsniederlegungen Protestaktionen mit Fahnen und Fackeln vor den Hüttentoren die ganze Wahrheit. Preussag Vorstandsvorsitzender Frenzel bekannte schließlich: "Wir wollen uns vom Stahl trennen."

Die Strategie der Preussag-Konzernspitze ist klar: Umbau der Preussag AG zu einem Handels- und Dienstleistungskonzern, in dem die Industrieproduktion keine Rolle mehr spielt. Betroffen sind allein in Salzgitter 7.560 Beschäftigte der Hütte, 1.830 Arbeitnehmer der Service-Gesellschaft und der Handelsbereich mit rund 3.000 Beschäftigten.

Favorisiert wird in der Preussag-Konzernzentrale der Verkauf an British Steel oder den österreichischen Voest-Konzern. Der britische Stahlgigant hat schon deshalb ein Interesse an der Übernahme, weil er zusammen mit Preussag Stahl wieder die Numero 1 in Europa vor Thyssen/Krupp werden könnte. Gespräche werden aber auch mit der österreichischen Voest geführt. Denkbar ist hier der Verkauf eines Mehrheitspakets, der Rest könnte dann mit "Zwischenparken" bei Banken an der Börse plaziert werden.

Widerstand

IG-Metall und Arbeitnehmervertreter organisierten gegen diese Pläne den Widerstand. Sie forderten auf einer Funktionärsvollversammlung, an der mehr als 700 Vertrauensleute und Betriebsräte der Preussag und der benachbarten Betriebe teilnahmen, von den anwesenden Vertretern der staatlichen, gesellschaftlichen und betrieblichen Einrichtungen "offene Karten" und solide Hilfe an.

Ministerpräsident Gerhard Schröder griff diesen Hilferuf auf und stellte fest, "wenn das Unternehmen sich vom Stahlbereich trennen will, können wir dies auf Dauer nicht verhindern". Als Ausweg nannte er einen gut vorbereiteten, schrittweisen und von der Landesregierung unterstützten Gang des Stahlunternehmens in die Selbständigkeit. Es sei denn, Preussag erkenne seine regionalpolitische Verantwortung, die sich 1989 aus dem Verkauf des bundeseigenen Salzgitter Hüttenbetriebes an den Konzern ergeben habe. Schröder: "Hier ist eine wirtschaftliche Substanz erarbeitet worden, die auch in der Region bleiben muß."

Hinsichtlich des Alleingangs forderte Schröder daher die faire Zusammenarbeit mit dem Mutterkonzern. Seine Regierung wolle die unterschiedlichen Kräfte zusammenführen, denn es sei klar, daß die Region die Eigenständigkeit wolle. Dabei sollten "politische Spielchen" auf Kosten der betroffenen Menschen ausbleiben.

Dem Protest der Gewerkschaften und der Stahlkumpel schließen sich immer mehr Belegschaften aus den benachbarten Betrieben an. Hilfsangebote gab es auch von der Probstei-Synode der Evangelischen Kirche. Ihren Willen zum Protest äußerten die Metaller nicht nur mit zahlreichen Transparenten. "Wir werden uns nicht widerstandslos zur Schlachtbank führen lassen", erklärte Wolfgang Räschke von der IG-Metall-Verwaltungsstelle. Der Kampf um Arbeitsplätze habe in Salzgitter Tradition, und es könne nicht angehen, daß den Arbeitern aufgrund kurzfristiger Profitsteigerung Heimat und Zukunft genommen werden.

Alleingang oder Verkauf

Für einen Alleingang sprach sich auch die PSAG-Betriebsratsvorsitzende Waltraud Hayser aus. "Langsam wandelt sich in der Belegschaft der Schock in Wut und Verärgerung über den Konzern, und wir können derzeit nicht das von uns eingeforderte Vertrauen aufbringen", beschrieb die Betriebsratsvorsitzende die Stimmung der Kolleginnen und Kollegen. Horst Ludewig, 2. Bevollmächtigter der IG Metall Salzgitter, stellte fest, daß man es nicht allein dem Konzern überlassen werde, ein für die Kumpel akzeptables Konzept auszuarbeiten. Werner Kubiza, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Salzgitter und Betriebsbetreuer der PSAG, machte auf die "Sonnen- und Schattenseiten" der unterschiedlichen Varianten aufmerksam und stellte fest: Die Hütte als eigenständiges Unternehmen könne zumindest kritisch sein, denn das Stahlgeschäft ist einem starken Zyklus unterworfen. Diese Zyklen brachten der Konzernmutter in guten Zeiten dreistellige Millionenbeträge ein, zerren jedoch im Konjunkturtief an der Gesamtbilanz.

"Wir brauchen eine dauerhafte Zukunft für unsere Arbeitsplätze. Vor 30 Jahren haben unsere Großväter die Demontage der Hütte durch die Briten verhindert. Heute verhindern wir die Demontage durch Frenzel und Co. vom Preussag-Vorstand. Wir kämpfen nicht nur für uns. Es geht auch um die Arbeitsplätze unserer Kinder, es geht um die ganze Region", heißt es in einem Aufruf der IG Metall Salzgitter zur Gegenwehr. In der Vergangenheit sei schon einmal eine Fusion mit Hösch von Arbeitnehmern und Gewerkschaften verhindert worden. Auskunft fordert die IG Metall auch über das Schicksal der 15.000 konzerneigenen Wohnungen. "Es kann nicht sein, daß zu der Angst um den Arbeitsplatz auch noch die Angst um die Wohnung kommt. Wir brauchen ein zukunftsweisendes Stahlkonzept. Die Absicherung der Arbeitsplätze hat höchste Priorität." Die Betriebsratsvorsitzende der Preussag Stahl AG bringt es schließlich auf den Punkt: "Es geht nicht um Aktienpakete, sondern um Menschen und Arbeitsplätze. Und dafür werden wir kämpfen!"