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online archiv 1998 Rubrik Globales & Internationales |
50 Jahre Israel UZ-Gespräch mit Meir Vilner UZ-Gespräch mit Meir Vilner, einem der beiden noch lebenden Unterzeichner der Unabhängigkeitsurkunde. Das Gespräch führte Hans Lebrecht. Meir Vilner (79) dürfte vielen UZ-Lesern in Erinnerung sein. Es war gar nicht leicht, einen Termin für ein Gespräch mit ihm zu erhalten. Als einer der beiden noch lebenden Unterzeichner der Unabhängigkeitsurkunde des Staates Israels vom 14. Mai 1948 ist er viel von einheimischen und ausländischen Medienreportern gefragt. (Der zweite noch lebende Unterzeichner der Unabhängigkeitsurkunde, Serach Wahrhaftig, vertrat damals die religiöse Misrachi-Partei - heute Nationalreligiöse Partei genannt.) 1938 kam der 1918 in Vilna geborene Meir Kovner nach Palästina, um an der drei Jahre zuvor gegründeten Hebräischen Universität in Jerusalem zu studieren. Sehr bald entdeckte er die politischen Probleme der damals als Mandat des Völkerbundes getarnten britischen Kolonialherrschaft und der zionistischen Führung der jüdischen Minderheit (etwa 25 Prozent der Einwohner). Er empfand, daß nur eine Partei um realistische Lösungen dieser Probleme kämpfte, nämlich die damals verbotene und im Untergrund wirkende palästinensische KP, deren Reihen auf internationalistischer Basis arabisch-palästinensische und jüdische Mitglieder vereinigte. 1940 trat er der Partei bei. Wegen der Untergrundaktivität änderte er seinen Namen in Vilner. 1942 wurde er zum Sekretär der Jerusalemer Ortsgruppe gewählt. Ein Jahr später berief ihn die Partei nach Tel-Aviv und in das Zentralkomitee. Seither, bis zu seinem Ausscheiden 1997, also 54 Jahre lang, gehörte Meir Vilner zur engsten Parteiführung der seit Oktober 1948 in KP Israels umbenannten Partei - von 1965 bis 1990 als ihr Generalsekretär. Er ist auch eine bekannte und einflußreiche Persönlichkeit in der internationalen Kommunistischen und Arbeiterbewegung. 40 Jahre lang vertrat er die Partei, seit 1977 die mit der KP verbundene Demokratischen (Chadasch-)Front für Frieden und Gleichheit, in der Knesseth, dem israelischen Parlament. UZ: Wie fühlen Sie sich heute, 50 Jahre nach Ihrer Unterschrift unter die Unabhängigkeitsurkunde des Staates Israel? Vilner: Auf der einen Seite ist es für uns ein Feiertag, daß die Errichtung des Staates damals der Ausdruck dafür war, daß der Beschluß der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) vom 29. November 1947 über das Ende des britisch-kolonialistischen Regimes in Palästina und die Errichtung zweier Staaten auf dem Territorium des Landes, einen jüdischen und einen arabisch-palästinensischen, verwirklicht werden sollte. Ich war seinerzeit, als die UN diesen Beschluß faßte, als Korrespondent des Zentralorgans der Palästinensischen KP in hebräischer Sprache, der Tageszeitung "Kol Ha'am" (Volksstimme), Zeuge der Debatten und der historischen Beschlußfassung in der Generalversammlung. Ich fragte Delegierte, sowohl Vertreter westlicher als auch östlicher Länder, warum kein der Zweistaatenlösung entsprechender Beschluß über Jerusalem gefaßt wurde. In dieser Frage lautete der Beschluß, Jerusalem und seine Vororte sollten unter eine internationalen Kontrolle gestellt werden. Interessant war, daß alle von mir befragten Vertreter aus dem Westen und dem Osten dieselbe Antwort gaben, nämlich daß das Jerusalem-Problem äußerst kompliziert sei. Man könne sich nicht entschließen, die Stadt dem einen oder dem anderen der beiden Staaten zuzusprechen. So entschied man sich, die Lösung des Jerusalem-Problems auf spätere Zeiten zu verschieben, bis eine für beide Staaten annehmbare Lösung gefunden werden könne. Ich betone diese Episode, weil ich denke, daß heute, nach 50 Jahren, das Jerusalem-Problem und seine Lösung die harte Nuß einer Friedenslösung geblieben ist. Ich bin überzeugt, daß ganz Jerusalem niemals Teil eines der beiden Staaten sein wird. Ich möchte noch eine Tatsache erwähnen, welche man heute bei uns in Israel und in den internationalen Medien gerne vergessen lassen möchte: Ohne die drei Stimmen der Sowjetunion - SU, Ukraine und Bjelorußland - hätte der Teilungsbeschluß der Vereinten Nationen nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit erhalten. 33 Nationen stimmten dafür, 13 dagegen, und 10 enthielten sich der Stimme. Die Sowjetunion war auch der erste Staat, der Israel gleich nach der Staatsgründung de jure anerkannte und diplomatische Beziehungen aufgenommen hat. Die Anerkennung der USA war zuerst nur de facto, ohne diplomatische Beziehungen. Sie hatte noch im April 1948 in der UN beantragt, den Beschluß vom 29. November zu revidieren und statt dessen in Palästina nicht zwei Staaten zu errichten, sondern einer Treuhandverwaltung der UN das Regime nach Abzug der britischen Mandatsverwaltung zu übergeben. Das hätte praktisch die Ablösung der britischen Kolonialmacht durch ein vom USA-Imperialismus dominiertes "internationales" Regime bedeutet. UZ: Was hat die KP bewegt, Sie die Unabhängigkeitsurkunde unterzeichnen zu lassen? War nicht klar, daß die von der zionistischen Idee gelenkten Führungskreise Israels die auf einer Zweistaatenlösung bestehende UN-Resolution sabotieren würden? Vilner: Ich vertrat seinerzeit die KP in dem 37köpfigen Provisorischen Staatsrat, der von Vertretern nahezu aller innerhalb des jüdischen "Yischuvs" (der jüdischen Bevölkerung vor der Staatsgründung) gebildet war. Es war so wie ein provisorisches Parlament, während die engere Führung in den Händen der dreizehnköpfigen Provisorischen Volksdirektion unter dem Vorsitz des späteren ersten Ministerpräsidenten David Ben-Gurion lag. Der endgültige Text der Urkunde, der dem provisorischen Staatsrat von der Volksdirektion vorgeschlagen, beschlossen und unterzeichnet wurde, war in vielen Punkten ein Kompromiß, dem alle Seiten zustimmten. Ich unterzeichnete die Urkunde, weil darin ausdrücklich festgelegt wurde: "Hiermit proklamieren wir die Errichtung des jüdischen Staates unter dem Namen 'Staat Israel'", sowie wegen noch zwei historisch wichtigen Passagen: 1.) daß der Staat Israel auf Grund der Resolution der UN-Generalversammlung errichtet wird und die Prinzipien der UN-Charta loyal einhalten wird, sowie "bereit sein wird, mit den Organen und Vertretern der UN bei der Durchführung der Resolution vom 29. November 1947 zusammenzuarbeiten"; 2.) daß Israel die "volle gesellschaftliche und politische Gleichheit all seiner Bürger ohne Unterschied von Religion, Rasse oder Geschlecht aufrecht halten sowie Freiheit der Religionszugehörigkeit, des Gewissens, der Erziehung und Kultur garantieren wird". Ohne diese Passagen hätte ich niemals die Urkunde unterzeichnet. Allerdings hat bisher noch keine einzige Regierung in Israel diese Bedingungen der Unabhängigkeitsurkunde erfüllt, obwohl diese einstimmig beschlossen wurden. Da Israel bis heute, offensichtlich gerade wegen der Nichterfüllung dieser Passagen, noch keine Verfassung hat, muß man diese Urkunde als noch geltendes Grundrecht betrachten. UZ: Wie erklären Sie, daß in der Urkunde keine Grenzen des Staates Israel verzeichnet sind? Vilner: Während der Debatten um den Wortlaut der Urkunde traten Differenzen auch in dieser Frage auf. Ben-Gurion, sekundiert hauptsächlich von Golda Meirson (später Golda Meir, Außenministerin und Ministerpräsidentin), übte Druck auf die zionistischen Parteien aus, um zu verhindern, daß irgendwelche Grenzen des Staates in der Urkunde erwähnt werden. Ben-Gurion erklärte offen, daß "die endgültigen Grenzen Israels durch die Zeltpflöcke gezogen werden würden, die wir in die Erde schlagen". Wie auch andere Mitglieder des Volksrates, reichte ich viele Abänderungsvorschläge ein, die aber alle - nicht nur meine - von der Direktion abgelehnt wurden. Nicht einmal die Einfügung des Wortes "unabhängig" in dem Satz, daß ein unabhängiger jüdischer Staat, der Staat Israel genannt werden wird, wurde von Ben-Gurion und seiner Mehrheit abgelehnt. Das war zwar symptomatisch, aber nicht Grund genug, nicht zu unterzeichnen. UZ: Während Israel das 50jährige Bestehen des Staates Israel feiert, begeht das palästinensische Volk (am 15. Mai) einen Gedenktag für "A-Naqba", das Jahr der Katastrophe 1948. Wie schätzen Sie das ein? Vilner: Aus der 50jährigen Geschichte kann man feststellen, daß das Jahr 1948 nicht nur für das palästinensische Volk das Jahr der Katastrophe war, sondern auch für das israelische Volk. Nicht die Errichtung des israelischen Staates war die Ursache der Katastrophe, sondern die Nicht-Errichtung des arabisch-palästinensischen Staates. Solange der israelisch-palästinensische Konflikt nicht durch eine gerechte Friedenslösung, der das Recht der Palästinenser auf ihren eigenen unabhängigen Staat auf dem Territorium des Westjordangebiets einschließlich des arabischen Ostteils Jerusalems und dem Gazastreifen anerkannt und respektiert werden wird, besteht eine reale Gefahr einer neuen Katastrophe, einer neuen Intifada, eines neuen Krieges mit modernsten Mitteln, welcher die Sicherheit und die nackte Zukunft Israels und Existenz unseres Volkes aufs Äußerste gefährdet. Wir Kommunisten warnen vor einer solchen Katastrophe für Israel schon seit Jahren. Und später nicht nur wir. Sogar Jitzhak Rabin, als er 1992 seine Regierung der Knesseth präsentierte, wies auf diese Gefahr hin. Schimon Peres machte ähnliche Bemerkungen. Allerdings hofften diese Herren, wie viele in Israel auch heute noch, daß sie auf Grund der Kernwaffenproduktion in dem Nuklear-Zentrum in Dimona genügend Macht hätten, um eine Katastrophe für Israel abzuwenden. Aber es sollte doch klar sein, daß Massenvernichtungswaffen aller Art nicht mehr nur ein Privileg Israels in unserer Region sind. UZ: Heißt das, daß auch Rabin und Peres versuchten, Friedensbedingungen den Palästinensern und arabischen Nachbarn mit Hilfe von Israels militärischer Überlegenheit und nuklearen Drohung zu diktieren? Vilner: Ich will das so formulieren: Wie alle bisherigen Regierungen wollten auch Rabin und Peres nicht nur einen normalen Frieden aushandeln, sondern hofften, mit Hilfe der genannten Gewaltmittel einen sogenannten Frieden zu erzwingen, der die Palästinenser unter einer israelischen apartheidähnlichen Oberhoheit gefangen halten sollte. Haben doch die Palästinenser schon so viele Kompromisse und Eingeständnisse gemacht - und trotzdem besteht Israel auf noch mehr "Zugeständnissen" von seiten der Palästinenser. Der UN Teilungsplan und die Eroberungen Israels von 1948 beließen die Palästinenser mit einem zwischen Ben-Gurion und dem transjordanischen König Abdallah (dem Großvater des heutigen Königs Hussein) abgeschlossenen "Verständnis" mit lediglich etwa 6 000 Quadratkilometern der 21 000 Quadratkilometer des ehemaligen Gebiets von Palästina. Die palästinensische Führung ist bereit, diese Grenzen als diejenigen ihres zukünftigen Staates zu akzeptieren. Die gegenwärtige israelische Regierung versucht im Widerspruch zu den abgeschlossenen Oslo- und Hebron-Abkommen, das noch unter israelischer Besatzung liegende Drittel des Gazastreifens, das ganze von Israel widerrechtlich annektierte Ostjerusalem und seine weitere Umgebung sowie mindestens 65 Prozent des übrigen Westjordangebiets in das Hoheitsgebiet Israels einzuverleiben und in dem übrigen Teil bantustanähnliche, voneinander getrennte palästinensische Enklaven zu "gewähren". Wir warnen allen Ernstes vor der Illusion, daß das palästinensische Volk, daß die arabische Völkergemeinschaft das hinnehmen wird. Wie gesagt, erzeugt diese Illusion eine sehr ernstzunehmende Gefahr für die nackte Existenz des Staates Israel und unseres Volkes. UZ: Jetzt, in Vorbereitung des 50. Jahrestages der Errichtung des israelischen Staates, werden erneut in den Medien die Araber selbst für die ihnen 1948 widerfahrene Katastrophe verantwortlich gemacht, weil sie die UN-Resolution nicht akzeptiert hatten. Wie denken Sie darüber? Vilner: Erstens möchte ich dazu bemerken, daß die so oft gehörte generelle Formel, "die Araber", wie auch in anderen Fällen "die Juden", von vornherein als irreführende Demagogie zurückgewiesen werden sollte. Es gibt ganz verschieden gesinnte Araber, wie es ja auch ganz verschieden gesinnte und handelnde Juden oder Angehörige anderer Völker gibt. Die historische Wahrheit, wie wir sie erlebten, ist, daß die weitaus große Mehrheit der Palästinenser schon damals, wie heute, für Frieden mit Israel eintrat, und seinerzeit den beschlossenen Abzug der Briten aus Palästina und die Errichtung zweier Staaten befürwortete. Selbst Ben-Gurion mußte später eingestehen, daß lediglich fünf der etwa 500 arabischen Dörfer Widerstand gegen Israel leisteten. Wahrheit ist aber auch, daß die von den Briten eingesetzte reaktionäre Führung im "obersten Palästinarat" unter Leitung des mit Hitler kollaboriert habenden Großmufti, Hadj Amin Abd-el Husseini, den UN-Beschluß kategorisch abgelehnt hat und an dem tragischen Schicksal der Palästinenser mitverantwortlich war. Wahrheit ist auch, daß die mit der Ausrufung des israelischen Staates begonnene Invasion der arabischen Armeen von den Briten inszeniert und gelenkt war. Der Oberbefehlshaber der "vereinigten" arabischen Armeen war der in der transjordanischen "Arabischen Legion" dienende britische General Sir John Glubb (Glubb-Pascha). Ich kann ebenfalls Ben-Gurion zitieren, welcher seinerzeit erklärte, daß jeder Tropfen Blut, der in diesem Krieg (1948) verschüttet wurde, auf die Häupter der britischen Regierung falle. Tatsache ist, daß alle bisherigen Regierungen sich auf den Standpunkt Ben-Gurions stellten, daß die Grenzen Israels noch nicht geplant und gezogen werden sollten, daß diese Grenzen sich in Zukunft auf Grund der von israelischen Siedlern in die Erde geschlagenen "Zeltpflöcke" - heute Siedlungen - gezogen werden. Die israelischen Regierungen waren immer bereit, mit arabischen Staaten zu kollaborieren, um die Errichtung des Palästinastaates zu torpedieren. 1948 war es das schon erwähnte Ben-Gurion-Abdallah Abkommen, das Jordanien "gestattete", die Westbank und Ostjerusalem zu besetzen und den Gazastreifen von Ägypten verwalten zu lassen. Im israelisch-ägyptischen Camp-David-Friedensvertrag von 1979 wurde ebenfalls festgelegt, daß das Palästinavolk von einer unabhängigen Staatsbildung abzusehen hat und demgegenüber sich mit einer sogenannten "Automie" von Israels Gnaden zu begnügen habe. Da wir Kommunisten schon seit Jahrzehnten dafür einstehen, daß Frieden nur auf Grund der von der UN beschlossenen Zweistaatenlösung erreicht werden kann - und damit auch die Sicherheit und Zukunft Israels gewährleistet werden würde -, betrachten wir uns als eine patriotische Partei. Heute sind wir ja nicht mehr allein in der israelischen Gesellschaft, die diese Wahrheit akzeptieren. Immer mehr Parteien und Kreise innerhalb verschiedener Parteien kommen zu der Überzeugung, daß nur unter der Bedingung von zwei unabhängigen Staaten für die beiden Völker, Israel und Palästina, die Kriegsgefahr gebannt und die Zukunft Israels gewährleistet werden kann. Ich möchte aber hier ausdrücklich betonen, daß wir zwischen dem, was "links" und was "Friedenskräfte" heißt, differenzieren müssen. In letzter Zeit wird in den Medien jeder, der für Frieden eintritt, als "links" bezeichnet. Das ist irreführender Unsinn. Gibt es doch auch bei uns bürgerlich-kapitalistische Kreise, die für einen Frieden mit den Palästinensern und arabischen Nachbarn aus ihren eigenen Interessen heraus eintreten - und die sind bestimmt nicht "links". Unter den als Friedenslager bezeichneten Kräften gibt es leider noch eine Mehrheit, die glaubt, Frieden zu den von den Regierenden eingenommenen Bedingungen des teilweisen Rückzugs aus den besetzten Gebieten oder mit ganz Großjerusalem als "ewiger Hauptstadt Israels" schließen zu können. Allerdings gibt es auch Teile der Friedenskräfte, die wie wir Kommunisten denken und realistische Positionen nach dem Prinzip der Zweistaatenlösung einnehmen. Noch radikaler als die früheren Regierungen ist die jetzige Netanjahu-Regierung und ihre chauvinistisch-arrogante Politik eine äußerste Gefahr für den Frieden und die Zukunft Israels. Deshalb sollte die KP und alle wirklich patriotischen Friedenskräfte sich an diesem 50jährigen Jubiläum zu einer Kampfeinheit gegen diese Regierung einigen und einer neuen Regierung, einer Regierung, welche die Richtung des Staates radikal in Richtung gerechten Friedens ändern sollte, den Weg öffnen. Leider sehe ich aber im Moment keine Aussicht auf eine solche Kampfeinheit. aus *UZ* unsere zeit, Zeitung der DKP, Nr. 18 1. Mai 1998 |