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1998

Rubrik
Globales & Internationales

New Work - Neue Arbeit

Mit lokaler und sozialer Ökonomie gegen
Globalisierung und Arbeitslosigkeit

von Herrmann Cropp

Wir haben die Lösung! 20 Jahre alternative Experimente waren nicht
umsonst. Nur ein Unterschied allerdings, die Zeit der Spielwiesen ist
vorbei. Jetzt geht es darum, mit dem alternativen Knowhow auf einem
höheren Niveau von Technologie, Wissenschaft und Betriebswirtschaft
ernst zu machen. Das Problem: Globalisierung, Lohnarbeit wird
abgeschafft, vagabundierendes Kapital, Arbeitslosigkeit... kennen wir!
Die Lösung? Eine Revolution? Diktatur des Proletariats? Grenzen zu und
nationales Bauernglück? - alles geschenkt! Neue Ideen: lokale
Ökonomie, soziale Ökonomie, Tauschringe, New Work und
Selbstversorgung.

Selbstverwirklichung durch Arbeit

Eine neue Auffassung von Arbeit muß her, und es gibt sie teilweise
schon, flexibel, mehrgleisig und vor allem selbstorganisiert und
selbstbestimmt. Erstaunlicherweise sind gerade jetzt so viele Leute
dabei, sich in ihrer Arbeit selbst zu verwirklichen. Seit 20 Jahren
wird in der alternativen Szene mit Fleiß und Lustprinzip, mit Hightech
und Steinzeittechnologie herumexperimentiert. Das war eigentlich noch
die Zeit des ungebremsten Wohlstands, und keiner hätte es nötig
gehabt, aufs Land oder in die Pyrenäen zu ziehen und dort unter großen
Entbehrungen 16 Stunden am Tag zu arbeiten. Genauso war es bei den
selbstverwalteten Projekten, Betrieben und Bioläden. Selbstausbeutung,
beklagte Rolf Schwendter, der wichtigste akademische Tutor dieser
alternativen Ökonomie, den Zustand. Aber ich erinnere mich zu gut, daß
wir gerade die Entbehrungen gewollt haben, und daß der Schwendter das
nicht einsehen wollte, obwohl er sonst ein lieber Mensch ist. Was er
jedoch genauso wenig wie wir ahnte: daß es mal so kommen würde, daß
alle so arbeiten werden und es sogar wollen. Seit 20 Jahren sind in
den westlichen Ländern alternative ökonomische Strukturen entstanden,
in denen eine Arbeit entwickelt wurde, die den Menschen mehr Freiheit
gibt, mehr Selbsterfüllung, neue Branchen wurden aufgebaut, neue
Technologien oder verlorene Technologien wiederbelebt, und insgesamt
war das sehr innovativ. Stets geht es dabei um Selbstbestimmtheit und
Selbstorganisation, und die langen Arbeitszeiten werden eher als eine
höhere Berufung angesehen. Natürlich kenne ich genug Bioladnerinnen
beispielsweise, die mir klagen, sie hätten zu nichts mehr Zeit, kein
Buch zu lesen und nichts. Außerdem bringt so ein Laden selten den
großen Schnitt, und Frauen neigen eher zu wirtschaftlicher Vernunft,
weshalb sie vor allem den Vorteil ihrer Unabhängigkeit schätzen. So
wie früher will auf Dauer keiner mehr arbeiten. Maschinenarbeit wird
als entwürdigend empfunden, und so wie die Produktion intelligenter
wird, wird die Arbeit immer intelligenter. Die Menschen haben sich
geändert und suchen eine neue Arbeit, und ihr neues Arbeitsethos heißt
Selbstbestimmtheit. Die Schreckensvision, soviel steht fest, von
hirnlosen Heloten in unterirdischen Fabrikationslagern, wird es nicht
geben. Von der Politik und den Wirtschaftswissenschaften wurden diese
Bestrebungen lange ignoriert, heute eigentlich auch noch. Man hatte
das Bild einer großen Politik und einer Gesamtwirtschaft im Kopf, und
da waren die Aussteiger bloß Träumer oder Querköpfe. Daß die
Gesellschaft eine komplexe, vielfältige Mischkultur ist und daß die
große Wirtschaft durchsetzt ist mit kleinen Experimenten, paßt auch
heute den meisten noch nicht. Aus den Experimenten haben sich
inzwischen verschiedene Konzepte entwickelt, die wissenschaftlich auf
der Höhe sind und aktueller als die SPD-Debatte um die
Staatsregulierung. Neoliberalismus und Globalisierung sind keine
angstbesetzen Fremdworte, sondern die Liberalisierung wird wenn, dann
für alle, und vor allem für Kleingewerbe gefordert, und die
Globalisierung soll ergänzt werden durch Regionalisierung.

Die neuen Konzepte und Ideen:

1. Tauschringe
Das ist vielleicht nicht »die« Lösung, aber jedenfalls eine attraktive
und ohne große Umstände aufzubauende Selbsthilfeeinrichtung.
Eigentlich handelt es sich um eine aktualisierte Form der alten
nachbarschaftlichen Hilfe. Und ihre ökonomische Tragweite steht noch
(!) weit zurück hinter der mehr sozialen Funktion solcher
Einrichtungen - was aber noch kommen kann.

2. Lokale Ökonomie
Diese Projekte betonen einen kommunalpolitischen Zusammenhang.
Erfolgreiche Projekte vor allem in England, Anfänge in Holland,
Frankreich und Deutschland (u.a. Regionale Entwicklungszentren).

3. Soziale Ökonomie
Sie legt das Schwergewicht auf verschiedene Aspekte der Sozialarbeit,
ABM und sozialen Ausgleich. Hier geht es vor allem um die soziale
Verträglichkeit von Wirtschaft.

4. New Work - Neue Arbeit
Dies ist der vierte Strang neuer ökonomischer Ansätze, man verzichtet
mehr oder weniger auf politische Unterstützung und Sozialarbeit und
setzt auf die eigene Kraft und Phantasie. Die Idee kommt aus Amerika.
Der Philosoph Frithjof Bergmann, Professor an der Universität von
Michigan, hat in Detroit praktische Projekte aufgebaut, die er auch
betreut. In Deutschland gibt es mehrere Initiativen, die nach diesem
Modell arbeiten bzw. arbeiten wollen, z.B. in Mülheim, Chemnitz,
Aachen und Stuttgart. Im Gegensatz zu den anderen neuen Konzepten, die
zwar auch von zentralen Punkten der neuen Ökonomie ausgehen (sozialer
Ausgleich, Austausch, Regionalismus), beginnt New Work bei der
Arbeitsethik und gibt den Menschen einen neuen Begriff von Arbeit.
Parallel zur modernen Vereinzelung und Individualisierung entwickeln
die Menschen einen selbstbestimmten Altruismus (Selbstlosigkeit).
Obwohl die alten nachbarschaftlichen, familiären und überhaupt die
traditionellen Hilfssysteme gegenseitiger Unterstützung zerfallen,
beginnt jetzt kein raubtierhafter Egoismus. An deren Stelle entwickeln
sich neue Einrichtungen der Gegenseitigkeit, die jedoch dem Bedürfnis
des Einzelnen nach persönlicher Freiheit und Selbstbestimmung Rechnung
tragen. Neue Arbeit definiert die Tätigkeitsbereiche des Menschen neu,
um die bisher nicht als Arbeit bezeichneten Tätigkeiten neben der
Erwerbsarbeit für den Lebensunterhalt einzusetzen.

1. Erwerbsarbeit ist die bisher ausschließlich als Arbeit bezeichnete.
Bei dieser Arbeit werden die Menschen in Zukunft viel weniger Zeit
verbringen, vielleicht ein Drittel der bisherigen Zeit. Das verursacht
natürlich Lohneinbußen, die aber durch die anderen Tätigkeitsbereiche
ausgeglichen werden können.

2. Eigenarbeit kennt jeder, macht jeder, aber sie wird nicht bezahlt.
Da man sie für sich selber tut, braucht man auch niemand dafür zu
bezahlen und hat durch die Einsparung ein indirektes Einkommen. Diese
Eigenarbeit kann ausgedehnt werden z.B. auf Selbstversorgung im
Garten, Eigenarbeit am Haus und jegliche Hausarbeit. Eigenarbeit ist
kreativ, Einzelanfertigungen sind möglich, die sonst unbezahlbar
wären, und die Entfremdung ist geringer. Möglicherweise lassen sich
über die Hälfte der zum Leben nötigen Produkte in Eigenarbeit
herstellen. Bei der Selbstversorgung fügt Bergmann allerding ein
"High-Tech" an: high-technological-selfproviding.

3. Austauscharbeit ist nachbarschaftliche Hilfe. Bei Tauschringen kann
man sowohl fremde Leistungen, wie Maschinen und Geräte, oder gleich
den Fachmann samt seinem Gerät bekommen. Auch Car-Sharing oder
gemeinsamer Maschinenkauf ist denkbar. Die Arbeit in diesem Bereich
könnte ebenfalls bis zu einem Drittel der bisherigen Arbeitszeit und
des entsprechenden Einkommens ausmachen.

4. Berufungsarbeit ist alle Arbeit, zu der man sich berufen fühlt, das
kann ein Hobby oder eine Geschäftsidee sein, kulturelle oder
künstlerische Aktivitäten oder soziale Leistungen für die Mitmenschen.
Die Aufteilung der Arbeit in drei oder vier Bereiche wird verschieden
gehandhabt. In Flint (USA) wurde von einem Fifty-Fifty-Modell
ausgegangen, nach dem auf ein halbes Jahr Arbeit ein halbes Jahr
»Freizeit« folgte. In diesem halben Jahr bestand die Möglichkeit Neues
zu erproben, bei der lokalen Ökonomie mitzumachen und beispielsweise
Häuser zu bauen.

Raus aus dem Selbstversorger-Ghetto!

Endlich gibt es die schon lange fällige betriebswirtschaftliche
Untersuchung und Bewertung der Selbstversorgung. Was ist wie
wirtschaftlich? Was ist bloß Träumerei? Welche Entwicklungschancen,
welche politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen sind
erforderlich? usw. Die Diskussion um Selbstversorgung scheiterte in
der Vergangenheit immer an dem totalen Anspruch, alles selber machen
zu wollen oder zu sollen, sonst sei es nicht glaubwürdig. Dabei ging
es immer ums Grundsätzliche, um die Philosophie und um die Menschheit.
Und eigentlich war klar, daß die ganze Entwicklung nicht richtig ist.
In Marth im Eichsfeld (Thüringen) gibt es den Kastanienhof. Die
Bewohner haben die betriebswirtschaftliche Berechnung ihres
Selbstversorgerhofes geschrieben und als Buch herausgegeben. Heraus
kommt, wie teuer eine Mohrrübe sein müßte und daß es sich nicht lohnt,
sie auf den Markt zu bringen. Überhaupt lohnt sich das alles nicht,
jedenfalls wenn die Produkte auf dem regulären Markt verkauft werden
sollen. Aber erstens lohnt es sich der »Ideale und Träumereien« wegen,
auf dem Kastanienhof zu leben, und zweitens zeigt die Untersuchung,
was »sich verwirklichen läßt, ohne allzu viele Kompromisse mit den
marktwirtschaftlichen Verhältnissen einzugehen.« Schließlich zeigt
sich, daß die Erzeugung der Produkte des Hofes durchaus wirtschaftlich
ist, wenn sie als Eigen- oder Austauscharbeit betrieben wird. Götz
Papke, einer der Kastanienhofleute, hat in einem weiteren Buch
»Dauerhafte Arbeit - Neue Arbeit durch Selbstversorgung« außerdem eine
allgemeine Konzeption der neuen Arbeit für den ländlichen Raum
vorgenommen. Endlich stellt jemand klar, daß es bei Selbstversorgung
nicht um ein Zurück geht, sondern um ein neues Ökonomieverständnis.
Die bisherige Arbeit wird wie bei New Work neu konzipiert und geteilt
in Erwerbsarbeit und Eigenarbeit, wobei unter Eigenarbeit alle
zusätzlichen wirtschaftlichen Tätigkeiten fallen, die nicht von
vornherein unter die normale Erwerbsarbeit fallen. Minderhandwerk,
Kleingewerbe, Schattenwirtschaft, Selbsthilfewerkstätten,
Marktverkehr, Reisegewerbe, Nebenbetrieb, aber auch Fragen wie die
Anrechenbarkeit von Eigenarbeit auf Sozial- und Arbeitslosenleistung
stellt Götz in die Konzeption einer Neuen Arbeit. Visionen und
Strategien für die Durchsetzung und Entwicklungsmöglichkeit überlegt
er genauso wie die sehr realistischen Fragen nach einer Veränderung
der rechtlichen, politischen und steuerlichen Rahmenbedingungen. Oben
erwähnter Johann Gottlieb Fichte forderte vom preußischen Staat, die
Arbeit staatlich zu garantieren. Und es würde schon reichen, wenn
rechtliche und steuerliche Hindernisse beseitigt würden. Man fragt
sich, warum nicht schon lange jemand auf die Idee gekommen ist, so
eine sympathische Theorie der alternativen wirtschaftlichen Projekte
aufzustellen. Denn die Selbstversorgerprojekte und die ganze
alternative Szene war doch vorhanden - sie mußte nur konzeptionell
zusammen gefaßt werden. Kurz gesagt, ich bin begeistert! Denn seit
etlichen Jahren drucke ich nun Bücher über diese anarchische
Selbstversorgerei und bin irgendwie sauer, daß das nicht voran kommt.
Es bleibt bei der Spielwiese. Zwar gibt es auf ihr bunte Blumen und
Ideen satt, und die Erfindungsgabe der Leute ist bewundernswert, aber
irgendwie kränkt es mich, wenn es immer nur ein Selbstversorger-Ghetto
bleibt. Hinzukommt nämlich noch, daß jene Leute, die es irgendwann
nicht mehr aushalten, mit Recht sagen, außer Vergnügen nichts gewesen
- das heißt, es fehlt ein Konzept für einen gesamtgesellschaftlichen
und gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang - fehlte! Jetzt haben wir die
Lösung und können alle beruhigen, die 20 Jahre ihrer Biografie mit
Experimenten vertan haben - Leute, jetzt geht's erst richtig los!

Götz Papke:
Dauerhafte Arbeit
Packpapier Verlag, PF 1811, 49008 Osnabrück; 1998
120 Seiten, 12,50 DM

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