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1998

Rubrik
Faschismus
Rassismus
Neue Rechte
Rede zur Kundgebung gegen Rassismus in der Tuebinger Polizei vor der Kreissparkasse, Am Lustnauer Tor, Montag, 5. Januar, 17 Uhr Andreas Foitzik, Zentralamerikakomitee Tuebingen

Liebe Freundinnen und Freunde wir sind heute hier vor der Kreissparkasse, um gegen die unerhoerte Festnahme dreier Mitglieder des gambischen Kulturvereins zu protestieren. Wir wollen unsere Solidaritaet mit den Menschen zum Ausdruck bringen, die wegen ihrer Hautfarbe oder wegen eines falschen Passes hier in unserer Gesellschaft oeffentlich von staatlichen Organen eingeschuechtert, drangsaliert und bedroht werden. Die unglaubliche Geschichte der Verhaftung und Zurschaustellung von Lamin Komma, Safiong Touray und Abdou Sawaneh hier in der Kreissparkasse am Lustnauer Tor fuehrte uns kurz vor Weihnachten wieder einmal vor Augen, dass Tuebingen keine Insel ist. Das oeffentliche Vorfuehren der drei angeblich Verdaechtigen war voellig unverhaeltnismaessig und auch voellig unnoetig. Vor allem aber war es fuer die Betroffenen eine menschenverachtende Demuetigung. Und diese Demuetigung trifft nicht nur die direkt Betroffenen. Sie trifft alle die, die wegen ihres Aussehens oder ihrer Staatsangehoerigkeit fuerchten muessen, aehnlich behandelt zu werden. Immer mehr breitet sich so ein Klima der Angst und Verunsicherung unter ihnen aus. Das duerfen wir nicht hinnehmen. Wir haben in den letzten Jahren zu Genuege gesehen, was passiert, wenn Nicht-Deutsche zur Zielscheibe staatlicher Hetze und Willkuer werden. Wir fragen die Verantwortlichen: Habt ihr nichts gelernt aus der Blutspur, die eure Asylhetzkampagnen im vergangenen Jahrzehnt hinterlassen haben? Habt ihr Hoyerwerda, Rostock, Moelln und Solingen schon vergessen? Oder wollt ihr es nicht anders? Wer Schwarze so vorfuehrt und dies dann auch so plump rechtfertigt, gibt sie zum Abschuss frei. Solches staatliche Handeln ermutigt rechte Schlaeger. Es vergeht keine Woche, in der nicht irgendwo in diesem Land ein Schwarzer, oder ein Tuerke, oder ein Asylbewerber auf offener Strasse angegriffen, verletzt oder umgebracht wird.. Liebe Herrschenden: Eure ˙Mein Freund ist Auslaender˙-Sprueche und Neujahrsreden koennt Ihr euch an den Hut stecken, wenn Ihr nicht zuerst in euren eigenen Reihen dafuer Sorge tragt, dass Menschen wie Menschen behandelt werden, egal welche Hautfarbe sie haben. Herr Maisch von der Tuebinger Kripo tut es weh, wenn die gesamte Tuebinger Polizei als rassistisch bezeichnet wird. Man mag ihm ja fast recht geben: Die Polizei ist zunaechst mal so rassistisch wie es inzwischen die Normalitaet in unserer Gesellschaft ist. Sie vertritt sozusagen den Mainstream. Sie hat den Job, genau die rassistischen Gesetze umzusetzen, die diese Gesellschaft sich gibt. Sie kontrolliert, sammelt Daten und schiebt ab. Sie ist eine demokratisch legitimierte Institution. Der Rassismus entsteht nicht in der Polizei, sondern hat sich laengst in der Mitte der Gesellschaft festgesetzt. Doch Herr Maisch: die Polizei kann das so oder so tun. Und sie tut es mehr und mehr so, wie wir es in Tuebinger erleben konnten. Und dem Vorfall in Tuebingen sind andere in Berlin, Bremen und anderen Staedten vorausgegangen: Nichtdeutsche MitbuergerInnen wurden im Polizeigewahrsam Opfer von Scheinhinrichtungen, schweren Koerperverletzungen und Folter. Aehnlich wie die Bundeswehr ist die deutsche Polizei eine autoritaere Institution, ein besonderer Naehrboden fuer Rassismus. Viele ihre Mitglieder befinden sich laengst nicht mehr in der ohnehin rassistischen Mitte der Gesellschaft, sondern offenbar weit rechts davon. Herr Maisch, ihnen tut es trotzdem weh, wenn die gesamte Polizei als rassistisch bezeichnet wird. Mir kommen die Traenen. Finden Sie es wirklich so schlimm, wenn von ein paar Uebeltaetern auf alle geschlossen wird. Genau das ist doch die von Ihnen gerechtfertigte Polizeipraxis. Dass in der Kreissparkasse Schwarze Opfer einer Polizeikontrolle wurden, nur weil sie - wie sie ja zugeben - schwarz sind, und die Berufserfahrung ihrer Kollegin von schwarz auf Drogen schliesst, schlaegt nicht nur allen Rechtsgrundsaetzen ins Gesicht, sondern ist doch genau das, was ihnen bei Ihrer Polizei so weh tut. Unsere Lebenserfahrung im Umgang mit der Polizei hat uns auch so manche Lehre mitgegeben. Ihre Entschuldigung gegenueber den drei Mitgliedern des gambischen Kulturvereins in allen Ehren, doch sie galt leider nur der oeffentlichen Abfuehrung, nicht der willkuerlichen und brutalen Kontrolle. Ihr Rechtfertigungsversuch hat eigentlich alles nur noch schlimmer gemacht, weil sie damit den Vorfall als gaengigen Polizeipraxis legitimieren. Alle Schwarze muessen auf der Hut sein. Ihnen allen gilt diese Warnung. In Stuttgart gibt es schwarze Drogendealer, also sind sie alle verdaechtig. Warum kontrollieren sie nach dem Fall Schneider nicht alle Immoblienmakler auf offener Strasse? Warum nicht nach jedem sogenannten ˙Chemieunfall˙ alle Bayermanager? Oder die ˙Drogendealer˙ von Marlboro? Selbst laut der offiziellen Kriminalstatistik uebersteigt der Schaden durch Wirtschafts- oder Umweltkriminalitaet den von sogenannten Auslaendern veruebten Schaden um ein weites. Die von inzwischen allen Parteien und Medien aufgebauschten Statistiken zur ˙Auslaenderkriminalitaet˙ entpuppen sich bei genauerem Hinsehen zum grossen Teil als Hirngespinst rechter ˙law-and-order˙-Politiker. Ich kann das hier nicht genauer darlegen, aber allein die Tatsache, dass Nichtdeutschen viel oefters kontrolliert werden - wie wir hier ja gesehen haben - verkehren diese Statistiken ja schon ins Gegenteil. Herr Maisch kokettiert ja mit Erkenntnissen ueber einen der Betroffenen aus seinem Polizeicomputer. Nur: was hier als bewiesene Straftat daherkommt, ist doch nur ein polizeilicher Verdacht oder Verurteilungen. Und schaut man sich diese Verdaechtigungen an: ein Verstoss gegen das Betaeubungsmittelgesetz hat noch lange nichts - wie Maisch nahelegt - mit Dealen zu tun und, wie schnell einem Widerstand gegen Polizeibeamte angehaengt wird, wissen wir ja aus eigener Erfahrung. Wer sich gegen Rassismus wehrt, wird schnell zum Kriminellen. Die drei Betroffenen laufen nach dieser Erklaerung mit einem noch groesseren Makel herum. Herr Maisch, das ging nach hinten los! Oder nach rechts! Je nach Perspektive. Das Jahr 1998 wird - wie zu befuerchten ist - so weitergehen, wie das Jahr 1997 aufgehoert hat. Innere Sicherheit und die sogenannte ˙Auslaenderkriminalitaet˙ werden Wahlkampfthema sein. Die Polizeiaktion in der Kreissparkasse war erst der Auftakt. Die Show geht erst so richtig los. Mitgerissen vom deutschen Geist verschaerft sich auch das rassistische Klima in Tuebingen. Dieses Ereignis steht in der Logik der Abschiebungen im Morgengrauen, von Kindern in Handschellen usw., wie wir sie in Tuebingen in den vergangenen Tagen und Wochen erlebt haben. Dass sich Herr Maisch nach einer kleinen Welle von LeserInnenbriefen zu einer Erklaerung und einer halbherzigen Entschuldigung genoetigt sieht, zeigt aber, dass unsere Arbeit Sinn macht. Es hilft schon viel, wenn sie sich nicht unbeobachtet fuehlen. Sie muessen merken, dass nicht alles moeglich ist. Wir muessen aber noch weitergehen: Zivilcourage ist immer noch gefragt. In einer solchen Situation, wie sie sich hier vor ein paar Wochen abgespielt hat, muessen wir eingreifen. Es kann nicht sein, dass sich sowas in aller Oeffentlichkeit abspielt, ohne dass sich Widerstand regt. Viele Schwarze, wir haben das in der Vorbereitung dieser Kundgebung deutlich gespuert, haben Angst, fuehlen sich allein gelassen. Wir koennen uns wehren. Und das sollten wir auch tun. Eine grosse Aufgabe liegt nun unmittelbar vor uns. Lasst uns den rassistischen Ungeist aus Tuebingen vertreiben. Gemeinsam koennen wir es schaffen.