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1998

Rubrik
Faschismus
Rassismus
Neue Rechte
Frühlingserwachen in Frankfurt an der Oder

Eine national befreite Zone?


Die Kollegin vom Grünflächenamt freut sich: Junge Leute
wollen sich bei der Verschönerung der Stadt einbringen,
Bäume pflanzen im größten Neubaugebiet. Sie weist ihnen
ein Grundstück zu, ausreichend für zwölf deutsche
Roteichen. Die Jugendlichen sind enttäuscht, hatten sie
doch 60 Stück à 5,- DM gekauft.

Der Oberbürgermeister hatte zum Frühjahrsputz
aufgerufen und sich auch selbst beteiligt. Und so
erscheinen nach dem Putzwochenende zwei bunte Bilder
auf einer Seite des Lokalblattes: Der OB beim Pflanzen
von Tausendschönchen auf dem einen, die 20 Jugendlichen
beim Pflanzen deutscher Eichen auf dem anderen. Einige
sind schwarz uniformiert, ohne Haartracht. Ihr Areal
ist durch drei schwarz-weiß-rote Fahnen mit NPD-Emblem
markiert - eine national befreite Zone?

Eine ältere Frau packt ordentlich mit zu. Ihr Sohn sei
am Morgen verhaftet worden. Er war wohl bei den zehn
Faschisten, die am Abend zuvor vier Männer und sieben
Frauen unter "Heil-Hitler"-Gebrüll mit Fußtritten,
Faustschlägen und einer Eisenstange am Grillen und
Singen hindern wollten. Wahrscheinlich ist das
gelungen, denn fünf der Überfallenen mußten ins
Krankenhaus.

Jörg Hähnel, einer der Führer der JN, Mitglied des
Bundesvorstandes, zeigt sich zufrieden: "Das war eine
gute Werbung für unsere Partei." Die Anwohner haben's
gesehen und sich nichts dabei gedacht, kleine Jungs
halfen eifrig mit. Die Polizei schickte einen
Streifenwagen, der registrierte, daß das Aufstellen von
Parteifahnen nicht genehmigungspflichtig sei. Seitens
des Ordnungs amtes wird keine juristische Möglichkeit
gesehen, die Aktion auf dem städtischen Grundstück
abzubrechen. Der OB distanzierte sich durch eine
Pressesprecherin von der Politisierung des
Frühjahrsputzes.

Wessen Blütenträume werden wohl reifen?

Indessen feiern die Jugendlichen bei einer ungestörten
Grillparty ihre gelungene Aktion. Sicher gedenken sie
auch ihrer in Haft befindlichen Kameraden, besonders
ihres zweiten Führers André Werner, der vor zwei
Wochen bei seiner Verhaftung einen spektakulären
Fernsehauftritt hatte. Was mag sie wohl bewegt haben,
als sie ihn mit zum Hitlergruß erhobenen Arm durchs
Amtsgericht marschieren sahen, flankiert von Beamten?
Was hatte der vorbestrafte politische Kopf, Mitglied
des Bundesvorstandes der JN, denn schon getan? - Einem
polnischen Studenten eine Pistole an die Schläfe
gesetzt, sich dabei von einem erst am Mittag aus dem
Knast entlassenen Kameraden fotografieren lassen. Der
Pole sollte eben daran gehindert werden, gegen
diejenigen, die ihn Monate zuvor krankenhausreif
geschlagen hatten, auszusagen. Der aber hatte Mut und
erstattete erneut Anzeige. Diesmal reagierte die
Polizei erstaunlich schnell und zielsicher: Verhaftung
- Schnellverfahren - ein Jahr Haft wegen Nötigung und
Strafvereitelung.

Nach Auffassung des OB allerdings offenbarten sich in
diesem Überfall lediglich "verhärtete politische
Anschauungen".

Ob er wohl manchmal in Alpträumen die Leiden seiner
Mitbürger durchlebt? Wird er durch die Stadt gejagt,
aus der Straßenbahn getrieben, zum Hitlergruß
gezwungen, mit Fäusten, Eisenstangen, Baseballschlägern
geprügelt, werden Hunde auf ihn gehetzt, zerschellt
eine Flasche auf seinem Kopf, wird ihm von hinten durch
die Beine ein Hammer in die Hoden geschlagen, eine
Pistole an die Schläfe gesetzt? - Seine Träume
beschäftigen sich wohl eher mit dem in Aussicht
gestellten Posten des Umweltministers im schönen Land
Brandenburg. Dafür setzt er ein Zeichen, pflanzt
Tausendschönchen.

Frühjahrsputz? Eine saubere Stadt? 40 Kubikmeter Dreck
wurden an diesem Wochenende hinweggefegt. Wieviel Müll
aber kam in den Köpfen hinzu?

Frühlingserwachen in Frankfurt an der Oder? Einige sind
schon lange sehr wach. Sollte es bei den anderen
irgendwann ein Erwachen geben, wird es längst zu spät
sein.
Silvia Osten (Frankfurt/Oder)

aus *UZ* Unsere Zeit, Zeitung der DKP, Nr. 19 v. 08. Mai 1998