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1998

Rubrik
Faschismus
Rassismus
Neue Rechte
aus: Searchlight 5/98
Internationale Antifaschistische Monatszeitschrift
Artikelbearbeitung durch
Antifa-West
Antifaschistische Initiative im Bielefelder Westen

Britannien:
Nach der Sargent-Ära: Nazis rocken weiter

Vor 18 Monaten begann Searchlight die Kampagne: "Stoppt die
Händler des Hasses" gegen das illegale Geschäft mit
Neonazimusik, welches den Drahtziehern Gewinne im
sechsstelligen Bereich einbringt. Bis jetzt haben unsere
Recherchen dazu geführt, daß ein Mann aus Wales festgenommen
wurde, dem die Produktion der CD's vorgeworfen wird und
vergleichbare offizielle Ermittlungen auch in Schweden,
Dänemark und Deutschland eingeleitet wurden. Searchlights
Enthüllungen haben auch dazu geführt, daß Combat 18 sich
gezwungen sah, das Geschäft mit dem Label "ISD Records" auf
das europäische Festland zu verlegen.

In diesem Artikel beschäftigt sich Searchlight mit dem
gegenwärtigen Zustand der britischen Neonazi-Musikszene und
deren altgedienter Dachorganisation "Blood and Honour" ("Blut
und Ehre").

Nach einer Reihe von Spaltungen und Fehden hat sich die
Neonazi-Musikszene erheblich dezimiert. Am Anfang stand die
Spaltung zwischen der von Combat 18 kontrollierten "Blood and
Honour" und den Gegnern dieser neonazistischen Terrorgruppe.
Ende 1996 organisierte sich die Opposition gegen "Blood and
Honour" um eine Gruppe herum, die zwar neu war, sich jedoch
einen alten Namen gab: "Rock Against Communism". 1997
erwischte es, nach der Spaltung von Combat 18, auch "Blood and
Honour". Heutzutage ist die Neonazimusik nur noch ein Schatten
ihrer selbst.

Nach wie vor gibt es Konzerte im ganzen Land, allerdings nicht
mehr so regelmäßig und vor einem deutlich kleineren Publikum
als in den vergangenen Jahren. Nur wenige Konzerte fanden mehr
als 100 Zuhörer, keines mehr als 200. Dieses sollte man mit
den "guten Zeiten" Mitte der 90er vergleichen, als "Blood and
Honour" unter der Kontrolle von C 18 bei Konzerten in Kent
mehr als 500 Anhänger und in Caerphilly in Süd-Wales mehr als
400 Anhänger anzog.

In den vergangenen Jahren wurden "Blood and Honour"-Konzerte
in den East und West Midlands veranstaltet. Die Konzerte in
den West Midlands fanden gewöhnlich in der Nähe von Coventry
statt und wurden von Graham Thompson organisiert, dem Sänger
der Band "Avalon".

Das "Avon Sports Centre" in Coventry wurde zum letzten
verbliebenen Versammlungsplatz für die Nazis, die am
verhinderten "Aryan Music Fest" im letzten Sommer teilnehmen
wollten. Thompson hat es in der Vergangenheit öfter für
"Avalon" genutzt und die Nazis betrachteten es als sicheren
und lukrativen Treffpunkt. Am anderen Ende der Region, in
Northamptonshire, wurden Konzerte von Sven Swingfen
organisiert, einem ehemaligen Mitglied der Hells Angels aus
Windsor.

Mit jedem Konzert in den Midlands hat sich die Anzahl des
Publikums verringert und es hat sich eine Stimmung der
Hoffnungslosigkeit breitgemacht. Ein Anhänger von "Blood and
Honour" sagte Searchlight: "Warum sollten wir uns damit
abgeben, auf Konzerte zu gehen, um immer dieselben
Schrottbands zu hören und immer dieselben paar Leute zu sehen?
Es ist nicht mehr wie in den alten Zeiten, als Bands wie
'Skrewdriver' und Paul Burnleys 'No Remorse' wahre Qualität
hatten."

Die abnehmenden Zahlen sind größtenteils, aber nicht
ausschließlich, das Ergebnis der internen Spaltungen, die in
den letzten zwei Jahren die Nazimusikszene zerrissen haben.
Sie zeigen auch ein noch größeres Problem der Nazimusikszene:
Die abnehmende Zahl von Skinheads in Großbritannien. Während
die Skinheadszene in zahlreichen europäischen Ländern,
speziell in Osteurop, floriert, ist sie in Großbritannien in
jeder Hinsicht seit Mitte der 80er Jahre zu Grunde gegangen.
Mit der Ausnahme einiger weniger sind junge Neonazis keine
Skinheads. Die, die noch Skinheads sind, sehen aus wie ein
Abklatsch der 70er Jahre.

Im Laufe der Jahre haben sich C18-Mitglieder mit ihrer
"gewöhnlichen" Erscheinung gebrüstet und trugen Designer-
Klamotten, die zum Hooligan-outfit dazugehören. Steve Sargent,
ehemals eine Schlüsselfigur bei "Blood and Honour", sagte
einem Journalisten von 'Independent on Sunday': "Skinheads
sind im Grund genommen Wichser. Die einzigen Skinheads sind
Rote und Schwule."

Das heißt nicht, daß die Hooligans von C18 in den vergangenen
fünf Jahren nicht zu den Konzerten gegangen wären und sogar
selber welche organisierten. Allerdings waren die Konzerte
eher ein Familientreffen. Wenige kommen wegen der Musik, die
in jeder Hinsicht scheußlich ist, sondern wegen der
Möglichkeit, alte Bekannte wiederzutreffen. Aufgrund der
demoralisierten Stimmung, die sich bei "Blood and Honour" in
den letzten zwei Jahren verbreitet hat, ist aber sogar dies
nicht mehr so reizvoll, wie es einst war.

Die Mehrheit der Konzertbesucher ist jetzt Ende 20 oder über
30 Jahre alt. In der Zukunft werden weniger junge Leute kommen
und die Konzerte werden noch isolierter werden.

Das soll nicht heißen, daß überhaupt keine neuen Leute
angezogen werden. Eine beunruhigende Entwicklung in jüngster
Zeit ist das Wiederauftauchen einer lebhaften rechten Szene im
Nordosten Englands, wo sie lange Zeit eingeschlafen war. Vor
zwei Monaten kamen in dieser Region über 100 Rechte zu einem
"Blood and Honour"-Konzert, die meisten aus der direkten
Umgebung.

Wiederum waren viele keine Skinheads und viele Besucher kamen
von den Hooligans des Sunderland FC. Trotzdem bot das Konzert,
in einer Gegend, wo die Nazis weit verstreut sind, wieder
einmal die verlockende Möglichkeit einer geselligen
Zusammenkunft.

Innerhalb von "Blood and Honour" haben Auseinandersetzungen
über den eigentlichen Sinn begonnen, Konzerte zu organisieren.
Für die Chefs von C18 sind die Konzerte und die Fanartikel
ganz einfach eine Möglichkeit, Geld für ihre terroritischen
Aktivitäten zu beschaffen. Für viele der eher traditionellen
Skinheads, in ihren Stiefeln und engen Jeans, ist mit der
Musik die Grenze ihrer politischen Aktivität erreicht. Diese
sind bloße Wochenendrebellen, die ihre Tracht mal an einem
Samstagabend anziehen. Die jüngst von C18 verkündete Strategie
des Terrorismus ist etwas, in das sie mit Sicherheit nicht
hineingezogen werden wollen.

Der Konflikt zwischen den Skinheads und den C18-Anhängern ließ
während der Inhaftierung des C18-Führers, Will Browning,
etwas nach.
"Blood and Honour sollten parteiunabhängig sein", meinten die
Skins. "C18 soll Blood and Honour nicht mehr in dem Maße wie
bisher kontrollieren." Nach Brownings Entlassung änderten
dieselben Leute die diese Gerüchte in die Welt gesetzt hatten
ihre Meinung und leugneten, je so etwas behauptet zu haben.

Die ersten Anzeichen eines Konfliktes traten Anfang Dezember
während eines Konzerts in London auf, als es zu einer
Schlägerei zwischen den Hooligans und den Skins kam. Anstifter
war Andy Frain, ein führender Hooligan der Chelsea
Headhunters, der jeden Skinhead, der ihm entgegen kam, mit
einem Kopfstoß bedachte. Die Schlägerei eskalierte, als
Brownings Kumpel, Darren Wells, Thompson attackierte. Die
Truppen kamen zum Einsatz. Obwohl der Abend nicht mit einer
klaren Spaltung zwischen Skins und Hools endete, bestärkte er
jedoch die Ansicht vieler "Blood and Honour" Skins, daß C18
nichts als Ärger bedeute.

Die momentanen "Blood and Honour" Anführer sind Simon Dutton
aus West-London, Mick Dunn aus Chingford, Chris Hipkin aus
Derby sowie Thompson und Swingfen.

Die "Blood and Honour" Führung hat, mit Ausnahme von Hipkin -
der jeden zufriedenstellen will - wenig Gutes über Browning zu
sagen.Das beruht auf Gegenseitigkeit, da Browning sie als
geldscheffelnde Mitläufer abtut. Besonderen Verdruß bereitete
den C18-Führern der explosionsartige Anstieg der
Kommerzialisierung in der Musikszene. Als Browning 1994 ISD-
Records gründete, betrat er damit völliges Neuland. Seitdem
wurde rechtsgerichtete Musik immer von eigenen Unternehmen,
wie z.B. Rock-o-Rama in Deutschland, produziert.

Andere folgten dem Beispiel Brownings; in mancherlei Hinsicht
war das ein wesentlicher Bestandteil der Fehde im
Musikgeschäft während der letzten Jahre, als immer mehr Bands
zusehends unwilliger wurden, andere an ihrer Musik verdienen
zu lassen. Heutzutage ähnelt ein Konzert einem Basar: Mit
Verkaufsständen, die den Veranstaltungsort übersäen, und
diversen Händlern, die ihre Waren feilbieten. Bei einem
Konzert kurz vor Weihnachten gab es mindestens acht
verschiedene Stände, die CDs, Zeitschriften, T-Shirts,
Anstecker, Koppelschlösser und Bomberjacken anboten.

Die zwei wichtigsten Vertriebe bei "Blood and Honour" sind
"Angriff" [Name *nicht* übersetzt, d.Ü.], geführt von Thompson
und "Raven Services" im Besitz von Dunn. Ein Blick in den
neuen Raven-Katalog zeigt Koppelschlösser, Sweatshirts,
Stiefel und Bomberjacken: alles Waren, die Dunn in seinem Auto
zu den Veranstaltungen transportiert.

C18 unterhält in England keinen eigenen Vertrieb mehr. Nach
dem anfänglichen Erfolg der Searchlight-Kampagne "Shut down
the Peddlers of Hate", die zur Folge hatte, daß Gareth Jones
für sechs Monate ins Gefängnis kam, verlegte C18 seine
Aktivitäten nach Skandinavien. Hier sind sie jetzt nicht mehr
von Marcel Schilfs NS 88 und NS Records zu unterscheiden.

Es gab Gerüchte, daß ISD Records bei Schilf eine Reihe von CDs
herausgeben wollen, was bisher jedoch noch nicht geschehen
ist. Da die Behörden momentan nach Möglichkeiten suchen, gegen
C18 vorzugehen, muß jeder, der am CD-Geschäft beteiligt ist,
damit rechnen, daß sich die Polizei auch für ihn interessiert.

Schilf ist mit der Produktion von Musik und Propagandamaterial
ein wesentlicher Teil des C18-Netzwerkes geworden. Inhaltlich
gibt es natürlich große Unterschiede zu den Skinhead-
orientierten "Blood and Honour" Publikationen aus
England.Schon in der ersten Ausgabe von "Blood and Honour
Scandinavia" einem 20-seitigem Hochglanzmagazin, wird der
Leser über die Intentionen der Herausgeber nicht im Unklaren
gelassen: Interviews mit verurteilten Nazi-Bombenlegern, Fotos
von ihren Anhängern beim Waffentraining und die unverhohlene
Androhung von Gewalt füllen die Seiten. "Freunde wie Feinde
werden uns in den kommenden Monaten und Jahren besser
kennenlernen" heißt es im Leitartikel.

Theoretisch wird "Blood and Honour" momentan von 14 Bands
unterstützt. Die tatsächliche Anzahl aktiver Bands beträgt
höchstwahrscheinlich jedoch nicht mehr als sechs. Einige Bands
sind angeblich gerade in der Gründungsphase und hatten bisher
noch keinen Auftritt, während andere wie z.B. "No Remorse" nur
noch auf dem Papier existieren.

Auch bei den Publikationen sind die Aktivitäten
zurückgegangen: zur Zeit erscheinen gerade mal zwei
Zeitschriften. Hipkin hat sein "British Oi"-Projekt in den
Sand gesetzt und die Produktion von "Blood and Honour" wieder
aufgenommen. Nach den großen Erwartungen wurde das Blatt
jedoch recht kühl aufgenommen. "Das ist 'British Oi', nur mit
anderem Namen", beklagen sich einige Rechte. Die zweite
Zeitschrift heißt "Strength and Will", ein Machwerk des
äußerst aktiven Thompson.

Die weitere Entwicklung von "Blood and Honour" ist ungewiss.
Die Fehde mit den Organisationen um "Rock against Communism"
ist größtenteils beigelegt. Momentan zumindestens hat man sich
beiderseitig auf eine friedliche Koexistenz geeinigt. Die
Beziehungen sind zwar immer noch unterkühlt,da die gesamte
Nazi-Musikszene jedoch so geschrumpft ist, erkennen beide
Seiten die Vergeblichkeit einer Auseinandersetzung.

Die größte Gefahr liegt für "Blood and Honour" in ihren
eigenen Reihen: in erster Linie die fortwährenden Differenzen
zwischen den musikinteressierten Skinheads und den
gelegentlichen Mitläufern von C18. Sollte Browning, so wie er
es letztens angedroht hat, seine Selbstbeherrschung verlieren,
wird es unwiderruflich zur Spaltung der Bewegung kommen.