online archiv 1998
Rubrik Faschismus Rassismus Neue Rechte |
aus: ak 411 vom 12.2.1998 ak - analyse & kritik Zeitung fuer
linke Debatte und Praxis Email
ak-redaktion@cl-hh.comlink.de
Ruehes Geheimwaffe:
Militaerische Aufmaersche
Mittels offener Provokation soll jetzt von den rechtsextre- men
Umtrieben in der Bundeswehr abgelenkt werden. Mit oef- fentlichen
Geloebnissen, u.a. in Berlin und Hamburg, will die deutsche Streitmacht um
Sympathie werben. Jetzt zeige sich, wer zur "demokratischen Armee"
stehe, erklaerte Ruehe. Seine Planungen harmonieren glaenzend mit dem
Bundestagswahlkampf der CDU.
Im Dezember deutete es sich schon an: Der Verteidigungsmini- ster,
den etliche schon demissioniert sahen, wuerde bald zum Gegenangriff
uebergehen. Die Befreiungsschlaege, die Ruehe An- fang Januar versuchte,
hatten zunaechst unfreiwillig komische Zuege. Auf der CSU-Klausurtagung in
Wildbad Kreuth forderte er "junge Menschen aus dem linken Spektrum"
auf, gefaelligst "in der Truppe zu dienen". Deshalb werde das
Verteidigungs- ministerium jetzt auch dazu uebergehen, in "linken
Publika- tionen" wie dem Vorwaerts oder der taz Anzeigen zu schalten.
Von Maengeln bei der "Inneren Fuehrung" war da schon nicht mehr
die Rede. Ruehes Idee begeisterte u.a. auch Ralf Fuecks, heute Vor-
standsmitglied der gruenen-nahen Heinrich-Boell-Stiftung, frue- her
leitender Kader des KBW, der die "Wahl der Offiziere durch das Volk"
forderte und Wehrpflichtige in "Soldaten- und Reservistenkomitees"
zu organisieren versuchte. Mittler- weile propagiert Fuecks die "republikanische",
"humanitaer in- tervenierende" Armee. Er spricht aus, was Ruehe
sich nicht zu sagen traut: Schuld an den Skandalen der letzten Zeit sind
eigentlich die Linken. "Indem die Linke die Bundeswehr boy- kottierte
und ausserhalb des demokratischen Sektors stellte, ueberliess sie sie der
Rechten und trug dazu bei, dass die Ar- mee ... eine ,Rechtsverschiebung`
aufweist." (taz, 2.1.98) Bei Ruehe wie bei Fuecks sind es die
Wehrpflichtigen, die ge- gen die Auswuechse militaerischer Macht- und
Hierarchiestruk- turen angehen sollen. Das Prinzip von Befehl und Gehorsam
soll natuerlich gelten wie bisher; den Soldaten bleiben auch weiterhin
grundlegende demokratische Rechte wie die freie Meinungsaeusserung
vorenthalten.
Ruehes Winter-Offensive
"Ich will dieses Jahr ein ganz besonderes Signal setzen fuer die
Wehrpflicht und die Bundeswehr", liess Ruehe in Wildbad Kreuth wissen
und sprach sogleich von einem militaerischen Aufmarsch vor dem Roten
Rathaus in Berlin am 13. August. (taz, 9.1.98) Einige Tage spaeter nutzte
er den Neujahrsemp- fang des CDU-Wirtschaftsrats in Hamburg, um "voll
in die Of- fensive" zu gehen: Die Bundeswehr werde demnaechst in
Luene- burg, Celle und weiteren Staedten in Nord- und Sueddeutschland
oeffentliche Geloebnisse abhalten, kuendigte er an; auch der rot-gruene
Senat in Hamburg solle doch "mit einer Einladung die Bundeswehr
unterstuetzen". (Hamburger Abendblatt, 12.1.98) Als geeigneten Ort
schlug er den Hamburger Rathaus- markt vor. Hier waren schon 1966, und dann
noch einmal 1977 Rekruten aufmarschiert. Der jetzt geplante Aufmarsch waere
der dritte in Hamburg nach dem Krieg. Zwar waren sich SPD und GAL noch
einig, dass militaerische Aufmaersche nicht die richtige Antwort auf die "Probleme
der Bundeswehr" seien, generell wollte sich die Hamburger SPD
aber nicht gegen ein Geloebnis aussprechen. Nur der von Ruehe ins Spiel
gebrachte Rathausmarkt gefiel den Sozialdemokraten nicht. Statt dessen
schlug Buergermeister Ortwin Runde das Gelaendes des ehemaligen KZ
Neuengamme vor. Dies sei der ge- eignetere Ort fuer ein Geloebnis, "weil
den jungen Soldaten dort ein Bewusstsein bezueglich der Vergangenheit
vermittelt werden kann". (Hamburger Abendblatt, 14.1.98) Dort, wo
waeh- rend des Nationalsozialismus annaehernd 55.000 Haeftlinge um-
kamen, sollten nun wieder deutsche Befehlstoene zu hoeren sein, sollten
Soldaten marschieren und Treue und Gehorsam schwoeren! Schafft
militaerisches Exerzieren am "richtigen" Ort "Bewusstsein
gegenueber der Vergangenheit"? Gabriela Feny- es vom Vorstand der
Juedischen Gemeinde in Hamburg stellte klar: "Ein Ort wie das
ehemalige Konzentrationslager Neueng- amme, der fuer einen bestimmten Teil
der deutschen Geschichte steht, eignet sich nicht, weil er nicht die
inhaltliche Aus- einandersetzung mit eben dieser Geschichte ersetzen kann."
(Hamburger Abendblatt, 14.1.98) Ignatz Bubis allerdings sprang Runde bei.
Eine Vereidi- gung der Rekruten in einer KZ-Gedenkstaette, so der Vorsit-
zende des Zentralrats der Juden in Deutschland, koenne jungen Menschen
deutlich machen, welch ungeheuren Verbrechen "im Namen des deutschen
Vaterlandes" veruebt worden seien. (Spie- gel, 3/98) Das
Verteidigungsministerium und die CDU-Opposition im Hamburger Senat sprachen
sich gegen Rundes Vorschlag aus, wenngleich aus anderen Gruenden als die
Juedische Gemeinde. Ein solcher Ort wecke groessere Empfindlichkeiten als
ein Ge- loebnis auf einem oeffentlichen Ort, befuerchtet das Ministeri-
um. Dieser "taktlose Vorschlag" werde der Bundeswehr nicht
gerecht, meinte Oppositionsfuehrer Ole von Beust. Ganz anders sehen das
Teile der GAL. Einige ihrer Funk- tionstraeger konnten Rundes Vorschlag
durchaus etwas abgewin- nen, obwohl es in ersten Stellungnahmen der GAL
noch hiess, sie lehne Bundeswehraufmaersche in Hamburg generell ab.
Stadtentwicklungssenator Willfried Maier (auch er ehemaliges Mitglied des
linksmilitaristischen KBW) sprach sich fuer den SPD-Antrag aus. (In diese
wird nicht mehr von der KZ-Gedenk- staette Neuengamme gesprochen, sondern
nur noch ganz allge- mein von "geschichtstraechtigen Orten". In
der Diskussion ist z.B. die Ruine der Nikolaikirche, die nach alliierten
Bom- benangriffen ausgebrannt war.) Fuer Maier steht die Bundes- wehr
in der Tradition republikanischer Armeen und nicht der Wehrmacht.
GAL-Fraktionsvize Martin Schmidt schlug gar das ehemalige Gestapo-Gebaeude
in Hamburg vor, da es seiner An- sicht nach den Widerstand gegen das
Naziregime am besten symbolisiere. (taz Hamburg, 27.1.98) Ehre, wem Ehre
gebuehrt, dachte wohl Schmidt, der die Bundeswehr laengst in die Demo-
kratie integriert sieht. "Niemand muss einen Militaerputsch
befuerchten." (Hamburger Abendblatt, 13.1.98) Wo er aber die
Verbindung sieht zwischen der Bundeswehr und dem antifaschi- stischen
Widerstand, bleibt sein Geheimnis. Unterdessen hielt Ruehe an dem Geloebnis
auf dem Rathaus- markt fest. Er will die Bundeswehr mitten in Hamburg, "nicht
hinter Kasernenmauern" sehen. Andere Staedte wie Celle und Lueneburg,
liess er sueffisant den Hamburger Senat wissen, haet- ten schliesslich "damit
keine Probleme, auch Berlin nicht". (Hamburger Abendblatt, 14.1.98)
Nachdem Rundes Neuengamme-Vorschlag auch in der SPD auf Kritik gestossen
war, stand dann am 28. Januar in der Buerger- schaft nur noch der
CDU-Antrag zur Abstimmung. Er wurde von der rot-gruenen Mehrheit abgelehnt.
Berlin wird "hauptstadtfaehig"
In Berlin stellen zwar SPD, Gruene und PDS im Abgeordneten- haus die
Mehrheit, doch der Regierende Buergermeister Diepgen (CDU) erklaerte die
Geloebnisfrage sofort zur Chefsache und sprach dem Parlament jedes
Mitspracherecht ab. Schon vor zwei Jahren hatte der Berliner Senat Hand in
Hand mit dem Verteidigungsministerium gegen breiten Widerstand ein oef-
fentliches Geloebnis durchgesetzt. Hundertschaften der Poli- zei sorgten
damals fuer einen (nicht ganz so) feierlichen Verlauf des Spektakels vor
dem Charlottenburger Schloss. Da- mals fand in der ehemaligen "Hochburg
der Kriegsdienstver- weigerer" das erste oeffentliche Geloebnis der
Bundeswehr seit 1945 statt. Gruene, PDS, Teile der SPD und die Reste der
Ber- liner Linken versuchten, mit ihren jeweiligen Mitteln, den
Aufmarsch zu verhindern. Unter anderem hatten die SPD- Buergermeisterin und
die buendnisgruene Baustadtraetin des Be- zirks Charlottenburg keine
Genehmigung fuer das Geloebnis er- teilt, was jedoch vom Senat revidiert
wurde. Schliesslich riefen alle gemeinsam zu Protestkundgebungen auf.
Dass ein geplantes oeffentliches Geloebnis allerdings Streit in der Grossen
CDU/SPD-Koalition heraufbeschwoeren wuer- de, ganz zu schweigen vom Protest
der parlamentarischen (Gruene, PDS) und ausserparlamentarischen Opposition,
war ab- sehbar und gewollt. Waehrend PDS, Gruene und antimilitaristi-
sche Gruppen das Geloebnis generell ablehnen, stoesst bei SPD und FDP der
geplante Termin auf Kritik. Mit dem sicheren Ge- spuer fuer polarisierende
Symbolik will Ruehe in Absprache mit dem Berliner Senat die Bundeswehr am
13. August, dem Tag des Mauerbaus, marschieren sehen. Die Berliner PDS irrt
zwar, wenn sie vermutet, der Bundeswehraufmarsch diene dazu, sich in
die "Tradition der ,bewaffneten Organe der DDR` zu stel- len".
Mit ihrer Feststellung, hier solle das "gewaltloses Verschwinden
nachtraeglich in einen militaerischen Sieg ueber das DDR-Regime"
verwandelt werden, trifft sie aber den Kern der Sache.
(PDS-Presseerklaerung, 14.1.98) Die Christdemokraten stehen jedenfalls "wie
ein Mann" zu diesem Vorhaben: Helmut Kohl haelt den 13. August fuer "einen
geeigneten und richtigen Termin". (Berliner Zeitung, 23.1.98) Fuer
Volker Ruehe steht der 13. August gleichermassen fuer Unfreiheit, Diktatur
wie fuer den "beherzten Einsatz fuer Freiheit, Demokratie und Einheit".
(Berliner Zeitung, 2.2.98) Eberhard Diepgen sieht im Tag des Mauerbaus
genau den richtigen Tag, um fuer die "wehrhafte Demokratie" zu
wer- ben, und Innensenator Joerg Schoenbohm bestaetigt: Dieses Datum
ist "symboltraechtig". An diesem Tag koenne deutlich gemacht
werden: "Wir sind wieder eine Nation in der Hauptstadt Ber- lin, diese
Schandmauer ist geistig-moralisch ueberwunden". (taz, 23.1.98)
Wie wichtig das Geloebnis der CDU ist, beweist auch die Drohung des
Bundeskanzlers, es stelle sich die Frage, ob Berlin als Hauptstadt geeignet
sei, wenn es den Aufmarsch nicht hinbekomme. Mit dieser "Provokation"
(Kohl gegenueber der Berliner Zeitung vom 22.1.) wandte er sich direkt an
die Berliner CDU und die herrschenden Kreise Berlins, die alles daran
setzen, "hauptstadtfaehig" zu werden und die mittels dieses
Kampfbegriffes ihre "law and order"- und Ausgren- zungspolitik
gegen alle Widerstaende durchsetzen wollen.
Wahlkampfhilfe fuer die CDU
Aber nicht nur der ideologische Aspekt, sich im nachhinein als
militaerischer Sieger in der Blockkonfrontation zu gebaer- den, spielt im
Kalkuel der CDU-Fuehrungsriege eine Rolle. Im September finden die
Bundestagswahlen statt. Es hat ganz den Anschein, als wollte die CDU mit
Hilfe der Bundeswehr im Au- gust den Wahlkampf anheizen. Der Berliner
Wahlkampf-Koordi- nator, CDU-MdB Jochen Feilcke, bestaetigte diese
Vermutung jedenfalls indirekt in einem Schreiben an den Berliner SPD-
Landesvorsitzenden Dzembritzki und den Berliner SPD-Frakti- onsvorsitzenden
Boeger. Beide hatten sich in einem Brief an Ruehe dagegen verwehrt, das
Geloebnis am 13. August zu Wahl- kampfzwecken zu missbrauchen. Feilcke
dementierte erwartungs- gemaess den Vorwurf, schrieb aber gleichzeitig: "Moeglicherwei-
se befuerchten Sie, dass Mitglieder Ihrer Partei, naemlich Jungsozialisten,
den Versuch unternehmen, ein oeffentliches Geloebnis zu stoeren.
Moeglicherweise vermuten Sie, dass dadurch tatsaechlich eine oeffentliche
Diskussion in Berlin entfacht wird, die am Ende zu Ihrem Nachteil ausgeht."
(taz Berlin, 14.1.98) Senatssprecher Michael Butz hatte schon zuvor er-
klaert, im Zusammenhang mit dem Geloebnis werde sich zeigen, welche Partei
welches Verhaeltnis zur Bundeswehr habe. Damit ist klar, dass die
CDU-Strategen mit einem ebenso breiten Widerstand rechnen wie anlaesslich
des Bundeswehraufmarsches vor zwei Jahren in Berlin. Die CDU will
polarisieren in die "gute Bundeswehr und den pfeifenden Poebel und
sich dann mit der Bundeswehr solidarisieren", wie es Wolfgang Wieland,
gruener Fraktionschef in Berlin, ausdrueckte. (Berliner Zei- tung, 22.1.98)
Ein solches Szenario vor Augen, hofft die CDU, SPD und Gruene vorfuehren zu
koennen. Zwischenzeitlich hat sich selbst der Bundeswehrverband gegen
ein Geloebnis am 13. August ausgesprochen. Dessen Vor- sitzender, Bernhard
Gertz, wandte sich angesichts der zahl- reichen fuer August angesetzten
Geloebnisse gegen eine Instru- mentalisierung der Bundeswehr im Wahlkampf.
Statt dessen un- terstuetzte er den Vorschlag der Berliner SPD, die - mit
aehn- licher Begruendung wie Runde in Hamburg - den 20. Juli als
moeglichen Termin eines Geloebnisses in Berlin ins Spiel ge- bracht hatte,
freilich vergeblich. Der Koalitionspartner CDU blieb in dieser Frage hart.
Dennoch haelt die Berliner SPD bislang an ihrer Haltung gegenueber dem
Geloebnis am 13. Au- gust fest. Selbst nachdem Rudolf Scharping die
Teilnahme fuehrender Sozialdemokraten an einem Geloebnis am 13. August
angekuendigt hat, blieb die Berliner SPD-Spitze dabei, sie werde das
Geloebnis boykottieren. Ruehes Vorstoss und der sich anschliessende
Geloebnisstreit haben die oeffentliche Diskussion um Zustand und Rolle der
Bundeswehr, ueber Rechtsradikalismus und autoritaeres Denken in ihren
Reihen in den Hintergrund gedraengt. Mit den Bundes- wehraufmaerschen wird
gleichzeitig ein Schritt zur Militari- sierung des Alltags unternommen.
Militaerische Zeremoniells sollen zur Normalitaet werden. Das waere
eigentlich Anlass genug, Ruehe und seinen Freun- den gehoerig die Suppe zu
versalzen. In Berlin jedenfalls gibt es schon erste Versuche, ein breites
Buendnis zu schaf- fen. Ziel muss sein, das Geloebnis, wenn es schon nicht
zu verhindern ist, zumindest nicht ohne Stoerungen und Protest ueber
die Buehne gehen zu lassen.
mb., Berlin |