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1998

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Aus dem Bundestag

Datum: 26.03.1998
Dokumentart: Rede
Redner/in: Ulla Jelpke
Thema: Europaeisches Jahr gegen Rassismus 1997

Vizepraesident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat die Abgeordnete Ulla
Jelpke.

Ulla Jelpke (PDS): Herr Praesident! Meine Damen und Herren!

Die Bundesregierung war von Anfang an bemueht, das Europaeische Jahr
gegen Rassismus zu einer Farce werden zu lassen. Frau
Schmalz-Jacobsen, auch Sie gehoeren zur Bundesregierung. Dieses Jahr
begann naemlich mit der Einfuehrung des Kindervisums, es wurde
fortgesetzt mit dem Arbeitsverbot fuer Asylsuchende, es ging weiter mit
der Verschaerfung des Auslaender- und Asylverfahrensgesetzes, der
Abschiebung von bosnischen Buergerkriegsfluechtlingen in Chaos und
Gewalt und der von der Union angezettelten Kampagne zur sogenannten
Auslaenderkriminalitaet. Der hier zur Debatte stehende Antrag spielte
jedoch keine Rolle.

Gerade eben haben wir die Debatte um das Asylbewerberleistungsgesetz
verfolgen koennen. Buergerkriegsfluechtlingen, geduldeten oder
illegalisierten Menschen sollen nur noch der Proviant zur Rueckfahrt
verbleiben. Finden Sie es nicht beschaemend, jetzt einen Antrag zu
verabschieden, in dem die Wuerde und die Rechte des einzelnen als
unsere grundlegenden Werte bezeichnet werden? Die Wuerde des Menschen
haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, erst vor wenigen
Minuten mit Fuessen getreten.

(Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU/CSU): Reden Sie doch nicht so einen
Quatsch! Das ist unverschaemt!)

Sie wollen das Asylbewerberleistungsgesetz hier zweifellos
durchsetzen.

(Beifall bei der PDS und dem BUeNDNIS 90/DIE GRUeNEN)

In Bayern strengt beispielsweise der CSU-Politiker Gauweiler ein
Volksbegehren zur Aenderung der Landesverfassung an, mit dem er
feststellen will: Bayern ist kein Einwanderungsland. Das entspricht
vornehm umschrieben der Formulierung: Auslaender raus! Das ist mit dem
Anspruch dieses Antrags, Rassismus bekaempfen zu wollen, nicht zu
vereinbaren.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Dem urspruenglichen Antrag der SPD haetten wir, wenn auch mit
Bauchschmerzen, zugestimmt. Den Antrag, den Sie heute vorlegen, koennen
wir allerdings nicht mehr unterstuetzen. Im urspruenglichen Antrag war
naemlich noch die Forderung nach der doppelten Staatsbuergerschaft und
dem erweiterten Rechtsanspruch auf Einbuergerung enthalten. Jetzt
finden wir nur noch die unverbindliche Aufforderung an die
Bundesregierung, die Einbuergerung zu erleichtern.

Sie und ich, werte Kolleginnen und Kollegen, wissen genau, dass die
Bundesregierung, dass die Koalition selber ihrer eigenen Forderung
nicht nachkommen wird. Wir werden es morgen frueh an dieser Stelle
erleben, wenn wir erneut ueber die Reform der doppelten
Staatsbuergerschaft und des Staatsbuergerschaftsrechts debattieren.

Hunderttausende von Migrantinnen und Migranten, die hier seit Jahren
leben, warten dringend auf ein Signal der Politik. Sie wollen hoeren:
Ihr gehoert zu uns, zu dieser Gesellschaft. Das waere ein weiterer
Beitrag zur Bekaempfung von Rassismus. Doch das einzige, was diese
Koalition unseren auslaendischen Buergerinnen und Buergern vermittelt,
ist, dass sie auch nach Jahrzehnten immer noch als Gaeste behandelt
werden, dass sie eine Bedrohung sind, dass sie Fremde bleiben.

Geradezu verhoehnend ist die Aussage in dem neuen Antrag - ich zitiere
- : "Der Deutsche Bundestag begruesst, dass die Bundesregierung in ihrem
Verantwortungsbereich Auslaender beschaeftigt." In der Ursprungsfassung
der SPD forderte der Bundestag die Bundesregierung immerhin noch auf,
den oeffentlichen Dienst einschliesslich BGS verstaerkt fuer Nichtdeutsche
zu oeffnen.

Ich frage mich wirklich, warum Sie von der SPD eine solche
Verhohnepipelung unserer im oeffentlichen Dienst drastisch
unterrepraesentierten Mitbuergerinnen und Mitbuerger auslaendischer
Herkunft mitmachen. Sie wissen, dass sie hauptsaechlich bei der
Muellabfuhr und bei der Strassenreinigung beschaeftigt sind. 1995 betrug
der Anteil auslaendischer Beschaeftigter im gesamten oeffentlichen Dienst
3,4 Prozent.

Ich meine, dass ein Antrag, der den Kampf gegen den Rassismus fordert,
mehr beinhalten muss. Deswegen koennen wir ihm leider nicht zustimmen.

(Beifall bei der PDS und dem BUeNDNIS 90/DIE GRUeNEN)