trend PARTISAN.net
online
archiv

1998

Rubrik
Dies & das
Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe der Weinheimer Monatszeitung "GEGENWIND" - demokratisch, antifaschistisch, parteiisch

150 nach 1848: Deutschland - einig Revolutionsland?

Seit einem knappen halben Jahr wird landauf und - ab der Eindruck geweckt, als haette sich mit der Revolution von 1848 eine Tradition des Aufbegehrens begruendet. Und alle wollen sie dabeigewesen sein.

Jedenfalls in Baden, dem unbestrittenen Kernland des 48er Aufruhrs, scheint jeder zweite Dorfschultes seinen Archivar - meist ein pensionierter Hauptschullehrer - in die kommunale Geschichte entsandt zu haben, um aus ihr zumindest eine Hecker-Depesche auszugraben oder im Melderegister einen Struve-Nachkommen, wenn auch entferntesten Verwandtschaftsgrades, aufzutun.

Badisches Bad in Revolutionsromantik

In Karlsruhe, am Rande der dortigen Ausstellung, wird gar ein Hecker-Steak feilgeboten - so fad und geschmacklos wie das gesamte gastronomische Angebot dort und viele der Sonderschauen, mit der sich zur Zeit Heimat- und sonstige Museen zu profilieren versuchen. Dabei endet der Aufstand von 1848, den man im Nachhinein eher als eine schwachgeratene Kopie der franzoesischen Juli-Revolution begreifen muss, zumindest fuer das Proletariat desastroes. Die gegen die wieder gekroenten Haeupter im kleinstaaterischen Deutschland kaempfenden Arbeiter und Bauern wurden niederkartaetscht, etliche Revolutionsfuehrern, wenn Sie denn mit dem Leben davon kamen, blieb nichts als die Flucht ins Ausland (sowohl die Schweiz als auch das junge Amerika gewaehrten Asyl!) - und den Arbeitern blieb der 13-Stunden-Tag, mindestens sechs Tage die Woche, Hungerloehne und nicht einmal Kartoffeln satt, Kinderreichtum und elendigste Wohnungsnot.

Desastroese Ergebnisse

Arbeiterrechte gab es schon gar nicht. Was die Buerger bereits vor 1848 insbesondere in Baden dem in Panik geratenen Herzog und seinen adeligen Claqueuren abgetrotzt hatten -parlamentarische Mitsprache des Badischen Landtags, "Pressefreiheit", die zwischen 1831 und 1832 Blaetter wie die "Deutsche Zeitung" in Heidelberg kurzfristig erbluehen liess - alles wurde in alter metternichscher Machtmanier niedergebuegelt. Strengste Zensur galt fortan wieder. Zeitungen verkamen auf das Niveau des "Mannheimer Morgenblattes", das wegen seiner Obrigkeitsorientierung gern "Die Unaussprechliche" genannt wurde. Den Studierenden und Lehrenden an den Universitaeten (Studentenverbindungen waren revolutionaer und nicht rechtsgewirkt), den Vereinen - allem und jedem waren wieder Fussfesseln, Handschellen, Maulkoerbe angelegt worden.

Kommunistisches Manifest

Der bewaffnete Kampf in Baden oder auch Berlin ist blutig niedergeschlagen worden; ihm wird also wohl zuviel der historischen Ehre zugebilligt. Aber 1848 ist auch das Jahr des Kommunistischen Manifestes von Marx und Engels, mit dem die Basis fuer weltgeschichtlich bedeutsame Prozesse gelegt worden ist. Wo ist die Ausstellung, die diesem historischen Ereignis Referenz erweist? Und 1848 begann zaghaft zu keimen, was man spaeter die Arbeiterbewegung und den Ursprung der Tarifgeschichte nennen wird.

Heidelberg: Tarifgeschichte

In Heidelberg trafen sich Buchdrucker, Schriftsetzer, Schriftgiesser und verwandte Berufsvertreter aus der "schwarzen Kunst", um mit ihrem "Heidelberger Aufruf" so etwas wie den ersten Flaechentarifvertrag auf den Weg zu bringen. Noch im selben Jahr folgte diesem Aufruf im kurfuerstlichen Schloss in Mainz die Nationalbuchdruckerversammlung und verabschiedete den ersten Reichstarifvertrag, u.a. mit Mindestloehnen und Rationalisierungsschutz. Darin, dass die Drucker bewusst jeden staatlichen Einfluss ablehnten, sehen Historiker die Geburtsstunde der Tarifautonomie.

Buerger der Paulskirche

Wer heute auf 1848 zurueckblickt, kommt natuerlich an der Nationalversammlung und der Frankfurter Paulskirche nicht vorbei. Insbesondere die Blicke festredender Politikgroessen verklaeren sich, wenn sie die "Geburtsstunde des Einheitsstaates" feiern und die Weisheit der Versammlung ruehmen, deren epochale Entscheidungen sich in ihrem Wesenskern ja selbst noch im Grundgesetz dieser unserer Republik wiederfaenden.

Dass aber 85 Prozent der damaligen Bevoelkerung, naemlich die Arbeiter und Bauern, weder Sitz noch Stimme in der Nationalversammlung hatten, wird, wenn ueberhaupt, nur marginal notiert. Beamte der Fuerstenhaeuser, Richter, Staatsanwaelte, Notare, Privatiers, Professoren, Fabrikanten, Geistliche, Vertreter des Adels und der Diplomatie - das waren die "Volksvertreter" der Paulskirche! Da nimmt es nicht wunder, dass ein langer und erbitterter Streit darueber gefuehrt wurde, wen man zum Staatsoberhaupt kueren solle, den Habsburger oder den Preussen. Aus Berlin erhielt man einen bruesken Korb, also wurde Erzherzog Johann von Oesterreich "Reichsverweser".

Und die wenigen intellektuellen Kritiker in der Frankfurter Nationalversammlung, die eine radikale Abkehr von Staendestaat und Fuerstenherrschaft forderten, machte man nicht nur mundtot. Einer von ihnen, der Publizist Robert Blum, wurde spaeter dem Standrecht ausgeliefert.

Buergerfreiheit heute?

In der Paulskirche wurden Buerger-, nicht Arbeiterrechte postuliert. Aber wenn man sich heute schon auf sie beruft, dann sei gefragt, was von diesen Rechten umgesetzt beziehungsweise uebriggeblieben ist. Stichwort Pressefreiheit: Paul Sethe, frueherer Mitherausgeber der FAZ, sagte 1965: "Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten". Diese Aussage ist heute mindestens so richtig wie damals, nur wird man sie in dieser Form aus dem Hause FAZ nicht mehr vernehmen.

Stichwort Koalitionsfreiheit - mit Parteiverboten? Stichwort Unverletzlichkeit der Wohnung - mit dem Grossen Lauschangriff? Akademische Freiheit und Gleichbehandlung vor dem Gesetz, etwa mit Studiengebuehren und legalen Steuertricksereien fuer Besserverdienenden?

Nur wenn man die historischen Wahrheiten aus dem Jahr 1848 - Badische Revolution, Frankfurter Paulskirche, Kommunistisches Manifest - mit dem gesellschaftlichen und politischen Jetzt vergleicht, wenn man dem hehren historischen Anspruch die bescheidene Wirklichkeit gegenueberstellt, dann erst macht die Ausstellungsorgie, mit der das Land ueberzogen wird, Sinn.

Eine Parallele zum letzten Jahrhundert draengt sich allerdings sofort auf: Zur Zeit werden wir von Bonn aus nachgerade monarchistisch regiert. Noch.

Albert Egnur

Bestellung ueber Gegenwind_Weinheim@LINK-MA.cl.sub.de   bzw.
PSF 100509, 69445 Weinheim