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1998

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Dies & das
 

Bonn und "Bild" können zufrieden sein

Wie Hermann Axens Witwe die Rente vorenthalten wird

von Emil Carlebach

Die Paragraphen flogen uns stundenlang um die Ohren,
daß es nur so rauschte. Zweifellos ein Schauspiel, das
den Laien beeindrucken konnte. Aber wer sich von dem
juristischen Brimborium nicht verwirren ließ, dem
bleibt von der Vorstellung beim Bundessozialgericht
(BSG) nach diesem Vormittag nur das höchst einfache,
höchst eindrucksvolle, wenn auch juristisch
vorsichtshalber nicht formulierte Ergebnis:

Die Witwe des blutbesudelten Chefs des Hitlerschen
"Volks"-Gerichtshofs, Frau Freisler, bekommt zusätzlich
zu ihrer Witwenrente noch einen Zuschlag, weil (so
wörtlich) "ihr Ehemann, wenn er noch lebte, eine hohe
Stellung in der Bundesrepublik einnehmen würde". Der
Witwe des antifaschistischen Widerstandskämpfers
Hermann Axen, der Häftling in Auschwitz und Buchenwald
war, unserer schwerbehinderten Genossin Sonja Axen
dagegen spricht das BSG die Hinterbliebenenrente ab,
denn ihr verstorbener Mann hätte als Mitglied des
Politbüros der SED - wie angenommen werden (!) müsse -
die Menschenrechte schwer verletzt.

Für jeden Gestapo-Verbrecher gilt die "rechtsstaatliche
Unschuldsvermutung", solange ihm nicht eine Straftat
nachgewiesen werden kann. Nicht so für einen
Antifaschisten und Sozialisten. Der Vorsitzende, ein
Herr Meyer, bemühte sich gut eine halbe Stunden lang,
diese Feststellung totzureden. Aber allein dieser
Aufwand bewies, daß hier, und nur hier, der Schwerpunkt
und der Schwachpunkt dieses angeblich unpolitischen
Verfahrens lag.

Ach ja, der Vorsitzende! Und die Dame und der Herr aus
Bonn, die gegen die Witwe auftraten! Ich hätte glauben
können, in der Pause sei der Vorsitzende ausgetauscht
worden; vor der Pause stellte er die Bonner Vertreter
mit ausgefeilten Fragen wieder und wieder ins Unrecht;
es zeigt sich, daß man sich weder bei der
Bundesversicherungs-Anstalt (BVA) noch bei der
"Regierungskommission für Versorgungs- und
Entschädigungsfragen" auch nur die schwächste
"Begründung" für die Verweigerung der Rente überlegt
hatte: Es ging ja gegen einen toten Kommunisten und
seine Witwe, da versteht sich doch von selbst, wie das
läuft...

Aber nach der Pause! Da entwickelte der Vorsitzende mit
derselben Höflichkeit, mit derselben geschliffenen
Dialektik, wie vorher gegen die Herrschaften aus Bonn,
nun den Schuß gegen die Ansprüche Sonja Axens. Denn:
während der ersten beiden Jahre nach der Annektierung
der DDR hatte man ihr die Rente in Siegermentalität
einfach verweigert, ohne gesetzliche Grundlage. Das, so
der Vorsitzende ganz in der Rolle des gerechten
Unparteiischen, das sei ungesetzlich gewesen. Dann aber
hatte man schnell eine juristische "Begründung"
erfunden und nachgeschoben - und jetzt, von da an und
bis in alle Ewigkeit, ist es "rechtsstaatlich"
einwandfrei, daß ein Staatsapparat, der zu mehr als 80
Prozent aus Leuten bestand, die im Mai 1945 ihren
geliebten Führer jäh verloren - daß dieser
postfaschistische Staatsapparat sich für seine
Niederlage an der Witwe eines Antifaschisten rächt.

Was heißt: für zwei Jahre bekommt Sonja Axen die
einbehaltene Rente nachgezahlt. Aber, da der Herr
Vorsitzende die realen Verhältnisse in diesem Lande
kennt, betonte er ausdrücklich, mit Anrufung der
"Bild-Zeitung", daß dies keineswegs ein großer Betrag
sei. (Größere Beträge sind ja für Leute à la Töpfer
vorgesehen.)

Und nun begab sich der Vorsitzende aufs Glatteis, auf
dem auch ein gewiefter Jurist sich ein Bein brechen
kann. Nachdem er versichert hatte, daß dies kein
politischer Prozeß sei, bemühte er sich eine halbe
Stunde lang, politisch zu dozieren: auch wenn Politiker
wie Strauß (und Brandt) erklärt hätten, mit dem Bau der
Mauer sei der Friede zwischen den beiden auf deutschem
Boden stehenden gegnerischen Armeen gerettet worden, so
hätte man dennoch dafür keine Toten an der Mauer in
Kauf nehmen dürfen. Daß die USA in Vietnam eine Million
Tote "in Kauf nahmen", daß Kohl/Rühe deutsche Soldaten
nach Serbien schicken und damit im schlimmsten Fall
auch deren Tod in Kauf nehmen - das verdrängte der
Vorsitzende mit eben jener träumerischen Einseitigkeit,
die für das "gehobene Bürgertum" so charakteristisch
ist.

Und dann noch etwas: Rechtsanwalt Fritz Wolf, der
Anwalt von Sonja Axen, hatte bemerkt, über der
bundesdeutschen Justiz gebe es ja noch den Europäischen
Gerichtshof. Ein seiner Sache sicherer Richter hätte
allenfalls gesagt: "Das steht Ihnen frei, Herr
Rechtsanwalt." Herr Meyer aber sah sich veranlaßt, im
voraus gegen das zu polemisieren, was der Europäische
Gerichtshof vielleicht (!) sagen und tun würde. Kein
Zeichen von Sicherheit, Herr Meyer. Aber Sie können
beruhigt sein, Bonn wird zufrieden sein. Und die
"Bild-Zeitung" auch.


aus: UZ Unsere Zeit, Zeitung der DKP, Nr. 14 03. April 1998