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1997

Rubrik
1.Mai
Interim 412
1.Mai-Debatte

Der Dissens hält an

2.Text

Nachtrag zum 1.Mai-Papier in der letzten Interim (Nr.411)

Die Antifaschistische Aktion Berlin faßte letzte Woche den Stand der Vorbereitungen zum diesjährigen 1.Mai zusammen. Dabei wurden auch die Diskussionen bei der ersten Demo-VV am 2.Februar im Mehringhof kurz geschildert. Diese Darstellung ist unvollständig. Um den dadurch entstandenen falschen Eindruck zu korrigieren, ergänzen wir den AAB-Text um die fehlenden Sachverhalte.

Beim Treffen im Mehringhof waren neben den Vertreterlnnen der RL- und O-Platz-Vorbereitungen des letzten Jahres, auch Vertreterlnnen von Gruppen aus Prenzlauer Berg anwesend. Die Prenzlauer Berger Gruppen erklärten, daß sie eine revolutionäre l.Mai- Demo, die durch Prenzlauer Berg führt, wie im letzten Jahr, nicht bereit sind, zu akzeptieren.

Aus folgenden Gründen lehnen wir nicht nur die Teitnahme an der Vorbereitung, sondern die Demo als solches in ihrer jetzigen Form ab:

  • Keine klare Abgrenzung von Stalinisten. Es verstärkt sich immer mehr der Eindruck, daß wir es der Verbohrtheit der RIM und nicht einem antistalinistischen Grundkonsens der RL-Platz- Vorbereitung zu verdanken haben, daß es keine gemeinsame Demo mit Stalinisten durch Prenzlauer Berg gibt. Es kann für uns keine, wie auch immer geartete, Zusammenarbeit mit Sektierern geben. Deshalb wollen hier wir auch keine Demo, die sich solidarisch auf dogmatische Gruppen wie die RKs , RAI usw. bezieht. Gerade hier im Osten gibt es niemanden, der mit Stalin- oder Maoporträts etwas Revolutionäres assoziiert. In den Jahren bürokratischer Herrschaft war es eine der im Kampf gewonnenen Erfahrungen vieler Arbeiter und Revolutionäre in den Ländem Osteuropas, sozialistische Perspektiven nur gegen und nicht mit Stalinisten durchzusetzen. Diese sozial wie auch politisch gerechtfertigten Überzeugungen heute vom Westen aus als Antikommunismus zu denunzieren, ist konterrevolutionäre Geschichtsklitterung. Der Unterschied zwischen Befreiung und Gewaltherrschaft ist mehr als nur eine "inhaltliche Differenz".
  • Fehlender Bezug auf den Stadtbezirk. Eine Demo, die sich "Kiez-Demo" nennt und dabei die Situation vor Ort im Aufruf nicht einmal erwähnt, ist eine Farce. Es wird nicht einmal der Versuch unternommen, die Leute im Bezirk anzuprechen oder einzubeziehen. So wird die Kiezbevölkerung völlig links liegen gelassen und es scheint eigentlich auch egal zu sein, ob die Demo in Prenzlauer Berg, Friedrichshain oder Göttingen stattfindet. Für uns ist der Stadtteil jedoch Ort politischer Auseinandersetzung und nicht Kulisse für revolutionäre Selbstdarstellungen.
  • BesatzerInnenmentalität der Demovorbereitung. Von der Idee "l. Mai-Demo 1997 durch Prenzlauer Berg" erfuhren wir wieder einmal erst durch die INTERIM. Auch im letzten Jahr wurde die deutliche Ablehnung der Demo durch Prenzlauer Berger Gruppen, obwohl im Vorfeld mehrmals deutlich geäußert, von der Demovorbereitung ignoriert. Es gab keinen einzigen Ansatz, die Kritik der hier arbeitenden politischen Gruppen zu berücksichtigen. Es macht uns wütend, daß die Annektion unseres Stadtteils nun auch von Linksradikalen vollendet wird. Bisher kannten wir dieses Vorgehen vor allem bei den Yuppie-Invasionen am Kollwitzplatz, die sich ebenfalls ohne Rücksicht auf den Stadtteil und die hiesige Bevölkerung Prenzlauer Berg als Spielwiese auserkoren haben.

Unsere Kritik haben wir der Demovorbereitung im Mehringhof mitgeteilt. Um eine erneute Schlammschlacht zu vermeiden, schlugen wir vor, das Demokonzept den Gruppen in Prenzlauer Berg auf einer öffentlichen Veranstaltung vorzustellen, auf der dann entschieden wird, ob und wie die Demo hier stattfinden soll. Dieser Vorschlag wurde auch von anderen Vertreterlnnen unterstützt. Leider wurde er von der Demovorbereitung und der Mehrheit der VV nicht akzeptiert, stattdessen wurden wir dazu aufgefordert, mit einer Propagandaveranstaltung die Akzeptanz für die Demo im Stadtbezirk zu erhöhen. Nach zäher Diskussion wurde sich aber darauf geeinigt, eine Veranstaltung zu organisieren, auf der Demovorbereitung und Prenzlauer Berger Gruppen das Demokonzept diskutieren.

Wir wundem uns nun sehr darüber, daß unsere Kritik an der Demo und die erfolgte Absprache mit keinem Wort im AAB- Papier auftauchen. Die Veranstaltung mit den Gruppen in Prenzlauer Berg begreifen wir nicht als interne Absprache, sondern als Teil einer Diskussion darüber, wie eine revolutionäre l.Mai-Demo aussehen soll. Das diese Diskussion bitter nötig ist, zeigt die Debatte nur allzu deutlich.

Es mutet deshalb schizophren an, wenn die AAB einerseits Schlammschlachten vermeiden will, andererseits jedoch Kritik an der Demo verschweigt und somit Diskussionen darum verhindert.

In diesem Sinne rufen wir alle dazu auf, sich an der Diskussion um den 1.Mai zu beteiligen!

Gruppen aus dem Prenzlauer Berg, die an der Demo-VV teilnahmen.