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1997

Rubrik
Internet

Virtuelle Räume erhalten bzw. ausbauen

Die trend-Redaktion über Politik & Publizistik im Internet

Als der trend 1995 - nach elf Erscheinungsjahren als Zeitung der GEW Berlin-Kreuzberg - durch Zensur und Repression seitens der Vorstände abgeschafft wurde, war die Entscheidung der alten Redaktion, den trend als Onlinezeitung herauszugeben, eher eine emotional geprägte Antwort auf diese skandalösen Vorgänge als ein die Konsequenzen jener medialen Transformation reflektierender Akt. Ganz gleich ob es sich um die hard- und softwaremäßigen Voraussetzungen der Internetnutzung oder um die theoretische Einschätzung dieses Mediums handelte, wir lernten sozusagen erst im Wasser schwimmen.

Für eine linke&radikale Gegenöffentlichkeit im Internet

Der Begriff der Gegenöffentlichkeit entfaltete sich im Kontext der Jugend- und StudentInnenbewegung. Gegen die versteinerten politischen Strukturen und das Meinungsmonopol der Springerpresse sollten eigene mediale Formen von Aufklärung zur Revolutionierung der Verhältnisse gesetzt werden. Mit der Transformation der Bewegung in ein Konglomerat aus Parteizirkeln und -aufbauorganisationen veränderte sich das Verständnis von Gegenaufklärung. Nun ging es um die Schaffung der eigenen - der proletarischen -Öffentlichkeit. Später - im Zuge der neuen sozialen Bewegungen - erfolgte entsprechend dem jeweiligen politischen und sozialen Milieu die Umdeutung der eigenen in eine "alternative Öffentlichkeit".

Während unser langjährigen publizistischen Arbeit in der GEW empfanden wir den Dienstherren als unseren politische Gegner. Und weil die Konflikte in einem Mikrokosmos mit unverrückbar erscheinenden Herrschafts- und Machtstrukturen stattfanden, lag es für uns auf der Hand, weiterhin an einem Modell von (Gegen-)Aufklärung festzuhalten, das darin zum Ausdruck kam, daß wir unterdrückte Nachrichten verbreiteten, Mißstände enthüllten und das führende politische Personal in Staat und Gewerkschaft bloß zu stellen versuchten.

Beim Übergang in das Internet hielten wir schlicht an dieser konzeptionellen Vorstellung von Informationsverarbeitung und -verbreitung fest und bestimmten unsere Onlinezeitung als ein Projekt für eine linke&radikale Gegenöffentlichkeit. Sehr bald mußten wir aber feststellen, daß der Begriff "Gegenöffentlichkeit" in seiner herkömmlichen inhaltlichen Bestimmung für die mediale Plattform Internet gar nicht trägt. Es gibt im Cyberspace in stofflichen Sinne keine räumlichen Be- und Abgrenzungen. Eine sich daraus ableitende Grenzziehung zu politischen Gegnern erscheint in der virtuellen Welt obsolet.

Aber auch das aus den oben erwähnten Zusammenhängen entstammende Verständnis von "eigener" oder "anderer" Öffentlichkeit entspricht nicht den Kommunikations- und Herrschaftsstrukturen des Internets. Virtuelle und materielle Strukturen des Cyberspace stehen in einem spezifischen Widerspruchszusammenhang. Der virtuelle Raum erscheint als chaotisch grenzenlos, worin (Informations-)Zeichen herrschaftsfrei fließen. Die Basis jenes Cyberspace ist allerdings handfest materiell und als "Datenautobahn" Objekt des Kapitalverkehrs und -profits. Das Kapital drängt darauf, daß auf seinen Verkehrswegen und Profitquellen Rechtssicherheit herrscht. Das herrschende politische Personal der Nationalstaaten will den jeweiligen Kapitalinteressen zur Geltung verhelfen und seine Vorherrschaft über den virtuellen Raum errichten, indem es dessen materielle Basis entsprechend verrechtlicht.

In der diesjährigen Juniausgabe der Gewerkschaftszeitschrift "medien" hieß es: "Bedrohlich ist für die Herrschenden, daß die internationale Arbeiterbewegung, Gewerkschaftler und viele Basisinitiativen das Web und die schnelle elektronische Kommunikation für sich entdeckt haben. Kaum eine Guerillabewegung ist heute noch ohne Webpräsenz." Damit wird zu recht hervorgehoben, daß den politisch und ökonomisch Herrschenden die zur Zeit noch völlig unzulängliche Kontrolle über einen für sie strategisch immer wichtiger werdenden Kommunikationsraum ein Dorn im Auge ist. Insofern gibt es für jedes linke&radikale Internet-Projekt die Notwendigkeit, bisher im Virtuellen besetzte Räume zu erhalten bzw. auszubauen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Begriff der Gegenöffentlichkeit ein derzeit noch inhaltlich hinreichender.

Gedächtnisspeicher

Das Internet hat seine Gründungsvoraussetzungen als US-amerikanisches militärisches Datenübermittlungsprojekt längst hinter sich lassen können. In seiner jetzigen Globalität erscheint es als ein weltweiter (Frei-)Raum für eine kostengünstige Kommunikation und ist von daher für finanzschwache linke&radikale Zusammenhänge ein ausgezeichnetes Medium der Informationsverbreitung.

Der trend ist im Laufe seiner 1 1/2jährigen Web-Präsenz über die anfängliche Aufgabenstellung einer Verbreitung von marginalisierten Nachrichten, wichtigen Terminen und abweichenden Meinungen, wie der Untertitel "für die alltägliche Wut" anzeigen sollte, bald hinausgegangen. Unter Ausnutzung der technischen Möglichkeiten des Internet haben wir virtuelle Textarchive (Serie 40 Jahre KPD-Verbot, Aufruhr & Revolte, Linkskurve) aufgebaut.

Virtuelle Archive sind für uns Gedächtnisspeicher, die jeder mit seinem Computer und Modem sowie geringen technischen Grundkenntnissen kostengünstig nutzen kann. Damit wird ausgegrenztes oder totgeschwiegenes Wissen wieder zugänglich gemacht oder wie im Falle des Marxschen Kapitals wissenschaftliches Arbeit erheblich erleichtert.

Veröffentlichungsplattform und Vernetzung

Das Internet ist gegenwärtig ein Kommunikationsraum, in dem jeder mit der entsprechenden technischen Voraussetzung nicht nur Information beziehen kann, sondern damit auch sofort Informationsanbieter ist. Dies beginnt bei der Email-Adresse und kann bei einem entsprechenden Provider (Berlinet, Nadir, free.de etc.) sogar kostengünstig zur eigenen Homepage, zu Mailinglisten, Teilnahme an Newsgruppen-Debatten usw. ausgebaut werden.

Doch die Widerstände gegen diese Möglichkeiten sind speziell unter deutschen Linken noch stark verbreitet. Im Gegensatz zu den USA, Skandinavien oder den Niederlanden, wo linke Gruppen schon lange das Netz als Kommunikations- und Informationsmedium nutzen, gilt das Internet immer noch als Überwachungsmaschine oder als verdummendes Berieselungssystem. Darüber hinaus beruhen die Widerstände zu einem beträchtlichen Teil darauf, daß der Abschied von den vertraut gewordenen hierarchischen Produktions- und Vertriebsstrukturen der Printmedien ansteht, die den auf Unterordnung fixierten Organisations- und Entscheidungstrukturen der politischen Gruppen gerade recht kamen.

Für eine Linke, die sich in gesellschaftlichen Nischen eingerichtet hat und dabei ihre Dialogfähigkeit verlor, kann das Internet, welches dezentral und ortsungebunden sowie von sogenannten Sachzwängen der Printwelt entkoppelt ist und interaktive Kommunikation möglich macht, aber auch als Herausforderung begriffen werden, ein zeitgenössisches linkes Selbstverständnis zu reformulieren.

Die trend-Redaktion hat daher von Anbeginn versucht, durch die Hereinnahme von Beilagen und Projekten, die nach traditionell ideologischer Lesart einander Spinnefeind sind, Wege der Überwindung des selbstverschuldeten Autismus linker Gruppen mittels des Internets aufzuzeigen. Dazu gehört auch die Spiegelung von Websites politisch verfolgter Projekte, selbst dann wenn wir deren ideologische Orientierung und politische Praxis im linken&radikalen Spektrum nicht teilen.

Die trend-Redaktion begreift ihre Onlinezeitung ausdrücklich als strömungsübergreifendes publizistisches Projekt im Internet und maßt sich daher nicht an, entlang einer irgendwie definierten politischen Linie, Artikel abzulehnen, wenn deren Inhalt sich erkennbar auf linke&radikale Diskurse bezieht. Dieses Ansinnen wäre auch auf der materiell-technischen Basis der Internet-Technologie schwachsinnig.

Die von uns im Rahmen des Benno-Ohnesorg-Kongresses durchgeführte AG "Aufbruch zum Proletariats", die über das Web vorbereitet wurde, hat gezeigt, daß es möglich ist, diese im Virtuellen gemachten Erfahrungen in die politische Alltagspraxis einzubringen. In unserer AG diskutieren "AnarchistInnen" mit "StalinistInnen" und alle waren sich am Schluß einig, dem Kongreß einen gemeinsamen AG-Abschlußbericht vorzulegen. Andererseits machte gerade das Scheitern des Kongresses in seinen großen Foren deutlich, daß gesinnungspolizeiliche Attitüden verbunden mit kleinkarierten Machtspielchen leider noch die Hauptseite bilden, wenn Linke meinen, miteinander zu diskutieren. Dennoch wird die trend-Redaktion an ihrem Konzept, trend als "Veröffentlichungsplattform" für alle linken&radikalen Gruppen und Zusammenhänge, festhalten. Angesichts der zu erwartenden staatlichen Repressionen gegen bisherige Internetstrukturen werden allerdings Fragen der virtuellen Vernetzung im Vordergrund unserer nächsten Bemühungen stehen.

free speech & free visit

Abgesehen von Mailbombs oder ähnlichen gewaltförmigen Methoden begegnen sich die BenutzerInnen in diesem Medium im stofflich unmittelbaren Sinne eigentlich gewaltfrei. Derartige Gewalt gegen InternetbenutzerInnen ist nur jenseits des Netzes möglich, wie die jüngsten staatlicher Repressionsversuche zeigen. Gewalt kann aber auch vom Internet aus vorbereitet bzw. logistisch unterstützt werden, wenn z.B. über die faschistische Website des Thulenetzes Anti-Antifa-Listen verbreitet werden. Grundsätzlich anders verhält es sich bei der Gewaltfrage auf dem Gebiet der Kinderpornografie. Ihre weltweite Verbreitung im Netz setzt die vollzogene Gewalt an Kindern bei der Produktion der Bilder voraus. Die Gewalt ist Mittel zur Produktion und Verbreitung.

Das Internet ist eine weltweite öffentliche Einrichtung und keine nationalstaatliche oder private Institution. Wer u.E. zurecht free speech & free visit für dieses Medium fordert, muß aber auch inbezug auf die gewaltförmigen Möglichkeiten des Internets Position beziehen.

Die trend-Redaktion hält in dieser Frage an dem bisher von "Internetfreaks" vertretenen Prinzip fest, daß das Rezeptionsverhalten der NutzerInnen über die Verbreitung von Websites entscheiden soll. Eine entsprechende politische Praxis jenseits des Netzes gegen Rassismus, Faschismus und patriarchalische Strukturen, gegen Imperialismus und Krieg wird von uns ausdrücklich unterstützt.

Kapitalisierung des Internets und nationalstaatlichen Verrechtlichungsversuche zielen allerdings darauf ab, dieses libertäre Web-Prinzip auszuhöhlen. Wir werden es daher tunlichst vermeiden, staatliche Instanzen oder von kapitalistischen Lobbyisten initiierte Zensurprojekte als Web-Schiedrichter zu fordern. Wer "free speech & free visit" ernst nimmt, wird in der weltweiten Netzöffentlichkeit auch faschistische Websites aushalten müssen. Das kann aber wiederum nicht heißen, diese Sites durch Referenzierungen noch bekannter zu machen als dies ohnehin schon mithilfe der bürgerlichen Medienlandschaft geschieht.

open terminals

Es wäre ein großer Fehler und würde zu Überschätzungen des Internets für eine dort zu entfaltende politisch-publizistische Praxis führen, würde man es sozusagen nur von innen heraus nach seinen technischen und kommunikativen Möglichkeiten hin einschätzen. Die jüngsten Untersuchungsergebnisse über die soziologische NutzerInnenstruktur des Internets (Yahoo 1997) hat die bisherige Entwicklungslinie bestätigt: das Internet bleibt ein elitäres Medium. Der durchschnittliche deutschsprachige Internet-User ist männlich, hat Familie und mindestens 76.000 DM Jahresnettoeinkommen. Obgleich er vorwiegend das Internet als Informationsquelle und nicht zu Surf- und voyeuristischen Zwecken benutzt, dürfte er kein Adressat für linke&radikale Kommunikationszusammenhänge im Internet sein.

Linke&radikale Internetprojekte befinden sich nach wie vor in einem embryonalen Entwicklungsstadium, wenn der Bezugspunkt für diese Einschätzung das linke&radikale Milieu jenseits des Internets ist. Es sind hier vorwiegend die Studis, die mit ihren universitären Internetzugängen den Datentraffic bei trend und vergleichbaren Projekten erzeugen. Für andere, die diese nahezu kostenlose Möglichkeit nicht haben, dürften Kommunikationskosten zwischen 100 und 200 DM pro Monat kaum erschwinglich sein, mal ganz abgesehen von der dafür notwendigen Hardware.

Selbst in der trend-Redaktion wirkten sich die individuell unterschiedlichen ökonomischen Voraussetzungen (Hardware und Internetzugang) der einzelnen Redaktionsmitglieder sichtbar aus. Es entstand eine neue Arbeitsteilung und eine vorher nicht vorhandene Hierarchie hinsichtlich des Umgangs mit den aus dem Netz gewonnenen und hineingespeisten Informationen. Dagegen verflachten sich die Hierarchien zwischen trend-"LeserInnen" und "MacherInnen". Die Kommunikation entkoppelte sich von festen Terminen und wurde interaktiv. Der Gebrauchswert unserer Informationen und der von den trend-NutzInnen über uns als Veröffentlichungsplattform verbreiteten Texte und Nachrichten wurde zur Hauptseite bei deren Rezeption.

Angesichts der in der BRD staatlicherseits geplanten bzw. bereits umgesetzten Restriktionen wäre es tatsächlich naiv zu glauben, daß allein eine umfassendere Nutzung des Internets als Kommunikationsraum für linke&radikale Zusammenhänge ausreichend wäre, "free speech & free visit" als Prinzipien des Internets zu verteidigen. Die Auseinandersetzung um die Hegemonie im Kommunikationsraum Internet kann letztlich nur jenseits des Netzes geführt werden. Doch allein defensive Orientierungen wie sie in schlichten Parolen wie etwa "Weg mit dem TKG" zum Ausdruck kommen, erscheinen wenig erfolgversprechend. Vielmehr muß es darum gehen, daß Interesse am Internet, wie es sich in der Gesellschaft auf sehr differenzierte Weise und auch unter uns Linken entfaltet, politisch strategisch zu wenden.

Die derzeit von liberal bürgerlichen Kreisen erhobene Forderung, daß jede/r das Grundrecht auf eine eigene Email-Adresse haben sollte, weist in eine Richtung, daß Internet als demokratische Kommunikationsform zu konstituieren. Für uns als Linke muß es jedoch darauf ankommen, solche aus dem bürgerlichen Freiheitsrechten sich ableitenden Forderungen in den Kontext unserer sozialen Utopien zu stellen.

Daher meint die trend-Redaktion, daß "open terminals" und Internet-Cafés mit kostenloser und anonymer Nutzung des Kommunikationsraums Internet viel eher einem linken Verständnis von freiheitlicher Vergesellschaftung des bürgerlichen Individuums entsprächen als auf Vereinzelung zielende Konzepte des sich per Email-Adresse und Homepage "Ins-Netz-Stellen-Können".

Berlin im September 1997