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  KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Extra zum Krieg - 16.10.1999 - Onlineversion
 

Zurück vom Jurassic-Park

Crichtons Roman AIRFRAME: 
Unter den Monstern der Neuzeit

 Fritz Güde
 
Was treiben die eigentlich in den neuen High-Tech-Fabriken? Ich war noch nie in einer.
Aber Helmut Schmidt wußte schon vor mehr als zehn Jahren genau: die basteln an Blaupausen, Planzeichnungen, die sie an andere verhökern. Gleich stellte ich mir eine Galerie vergeistigter Gestalten vor, manche im weißen Kittel, die meisten im grauen Haar. Aber alle unweigerlich vor einem Schreibtisch, mit etwas vergorenem Blick und gesottenen Augen. Im Inspirationswesen tätig. Dr.Faust in Massenauflage. Arbeit im überlieferten Sinn kam allenfalls noch bei der - selbstverständlich vereidigten - Putzfrau vor, die die Papierkörbe nach weggeworfenen Geheimnissen filzte, bevor sie sie traditionell und schlicht entleerte.
Auch ein Schmidt hat seine Jünger; z.B. den Fast-Namensvetter Thomas Schmid, der vielen andern voran -herausbekam, daß unserer Gesellschaft die Arbeit ausgegangen ist. Nicht etwa nur die Lohnarbeit, nein die Arbeit überhaupt - als Kategorie.
Daß Arbeiterklasse, Klassen überhaupt und Klassenkampf dann ebenfalls diskret die Bühne zu räumen hatten, versteht sich von selbst.
Ein paar Beunruhigungen bleiben. Da trifft es sich gut, daß uns Michael Crichton in seinem neuen Roman "AIRFRAME" einen präzisen Einblick in eine moderne Flugzeugfabrik in den USA ermöglicht. Damit lassen sich Schmidt und Schmid einmal testen.
Thomas Steinfeld - bei seinem Antrittsartikel im Feuilleton der FAZ zu Dreikönig dieses Jahres - fuhr völlig auf die Oberfläche des Romans ab.-
Er schrieb:
...Der Roman "AIRFRAME" berichtet von einem Unfall in der Luft. Ein PassagierFlugzeug ist von Hongkong nach Denver unterwegs. Kurz vor der amerikanischen Küste scheint es in heftige Turbulenzen zu geraten. Es fällt, klettert, stürzt und steigt wieder. Drinnen werden die Passagiere durcheinandergewirbelt, drei sterben. Der Roman beginnt mit diesem Unglück. Die verbleibenden 340 Seiten sind der Firma Norton Aircraft in Burbank bei Los Angeles gewidmet, die dieses Flugzeug baut und nun den Grund für ein Versagen ermitteln muß.
In den sechziger Jahren wurde der Verbraucheranwalt zu einer populären Figur. Er sucht die Warenwelt nach Mängeln ab, die ein Unternehmen aus Nachlässigkeit und Profitgier in Kauf nimmt. Ist ein Schaden entstanden, so mißt er ihn und zwingt den Hersteller, sein Produkt vom Markt zu nehmen oder sein Herstellungsverfahren zu ändern. Vor allem aber versucht er den Schaden in einen Gewinn des Geschädigten zu verwandeln. "Airframe" liest sich wie ein Fall für den Verbraucheranwalt. Allein, es geht hier nicht um Schadensersatz. Der Fehler hat System: Der Luftverkehr ist dem freien Wettbewerb unterworfen, unsicheres Gerät klappert durch die Luft und die Aufsichtsbehörde kann ihre Aufgaben nicht mehr wahrnehmen, weil der Kongreß ihr die Budgets gekappt hat.
Diesen Schaden will Crichton veranschaulichen. Was dabei entsteht, ist Populärliteratur. Aber sie hat ihre Laufrichtung geändert. Sie will nicht mehr der Flucht vor der Gegenwart dienen. Sie will ihre Verdeutlichung sein.
Und dann entfaltet Steinfeld seine Deutung: Das Buch ist Zeugnis des inzwischen alle Länder beherrschenden Industrienationalismus. Vordergründig geht der Kampf allein darum, daß die Koreaner oder die Chinesen das Betriebsgeheimnis "unseres" Flügelsystems nicht mitbekommen. Die amerikanisch-bodenständigen Arbeiter unten die schurkischen Manager und Teileigentümer der Firma oben. 
 

Was geht sie die Krise des Betriebs an? Sie nützen die sinkenden Börsenkurse für ihre Intrigen aus und verscherbeln das Wunderwerk unserer Erfindungskunst.
Auf dieser Ebene reicht es gerade noch zum Bellen - aber nur gegen das Finanzkapital, und da vor allem das internationale. Wie leicht solche Wallungen einzufangen sind, ist bekannt.
Steinfeld, weil im Feuilleton zur kritischen Distanz vom eigenen Wirtschaftsteil angehalten, jubelt trotzdem: es gibt überhaupt noch Zeugnisse von Mißbehagen und eines gewissen mürrischen Aufbegehrens gegen die bestehenden Verhältnisse:
Crichton hat ein Buch geschrieben, das so vor zehn Jahren noch nicht hätte geschrieben werden können. Erst jetzt scheint der Kapitalismus so weit vom Streit der Ideologien befreit zu sein, daß man mit ihm als fact umgehen kann. Crichton schildert ihn als übermächtiges Problem. Die Wirtschaft treibt nur noch sich selbst voran und der zivile Mensch ist am Ende.
Damit trifft Steinfeld natürlich eine Intention des Autors Crichton. Fleißig - und wahrheitsgemäß - bedient er die Kritik am Kult der börsengängigen shareholder values.
So meint Hauptfigur Casey im Gespräch mit dem Journalisten Rogers:
Natürlich, sagte Casey, man kauft sich ein paar Flugzeuge, die so alt und in einem so erbärmlichen Zustand sind, daß eine anständige Gesellschaft sie nicht einmal mehr als Ersatzteillager ausweiden will. Die Wartung gibt man an Subunternehmen weiter, um die eigene Haftung zu beschränken. Dann bietet man billige Flüge an und benutzt die niedrigen Tarife, um neue Linien zu kaufen. Das ist eine gefährliche Pyramide, aber auf dem Papier sieht es gut aus. Der Umsatz steigt, die Einkünfte steigen, und die Wall Street liebt einen. Man spart so viel bei der Wartung, daß die Gewinne in den Himmel steigen. Der Aktienkurs vervielfacht sich. Und wenn sich dann die Leichen türmen, und sie wissen, daß das passieren wird, hat man sein Vermögen an der Börse gemacht und kann sich den besten Anwalt leisten. Das ist das Tolle an der Deregulierung, Jack. Wenn die Rechnung kommt, zahlt keiner."(S.140)
Crichton liefert das Ticket bereitwillig ab zum Eintritt in den club der BestsellerAutoren. So wie die Personen seines Werks ihre ganze Findigkeit nur unter der Fuchtel des Kapitals zum Funktionieren bringen, so kriegt er seine wirklichen Erkenntnisse nur an den Mann, indem er sich den Erfordernissen des Mediums erst einmal unterwirft. Ihrer Funktion nach völlig undurchschaubare Verfolgungsjagden durch Fabrikhallen, leicht schwachsinnige Intrigen, unverständliche Belauschungen und Überwachungen werden fast mürrisch über das Gericht gestreut, damit es den Vorkostern des Multimedia-Geschäfts halbwegs mundet.
Geknechtet von diesen Erfordernissen, vermittelt Crichton entstellt und kritiklos, was er im High-Tech-Business sehr genau recherchiert hat. Sein Buch kritisiert die Strukturen des Betriebs nicht, es wiederholt sie bloß.

Die Peitschen des Sekundentakts.

Schon die Kapiteleinteilung des Buchs wiederholt das Zeitdiktat, das alle vorkommenden Personen vorwärtsjagt. Der kleinste Abschnitt wird beherrscht von Orts- und Zeitangabe.
Also: vor Hangar 5 -10.00 Uhr
 vor Hangar 5- 10.04
oder: Gebäude 64    -14.40 usw.

Das sagt genug. Ob angeblich schöpferische Ingenieurin auf den obersten Etagen oder simpler Monteur tief unten: die moderne Arbeit ist inzwischen so organisiert, daß  jede und jeder zum Selbst-Dompteur geworden ist. Der Aufseher, der abstoppt, die Stechuhr sie sind schon lange nicht mehr nötig.
Jede und jeder in diesem Betrieb hat sich selbst aufs exakteste Zeitmaß dressiert. Und wenn er es einmal vergißt - die anderen stehn bereit.
B-T-O-I-Y-A: beginnt jedes Fax rituellerweise, mit dem zu Konferenzen aufgerufen wird.
Selbst dabei wird Zeit gespart. Aber Autor Crichton nimmt sie sich, um uns die Chiffern zu entschlüsseln: Be there or its your ass. Erscheine - oder du bist dran... - mitteleuropäisch dezent umschrieben.
Damit erlaubt das Buch, an einem Fallbeispiel zu überprüfen, wieweit Debords Behauptung trägt, Proletarier sei heute, wer keine eigene Zeit- und Raumperspektive aufbringen könne.
Das Zentralwesen des Buchs - von Hauptperson kann bei der Darstellungsweise Crichtons kaum die Rede sein - entspricht nämlich dem landläufigen Klischee vom Arbeiter im Blauen Anton am allerwenigsten. Im Mittelpunkt des Buchs steht Casey Singleton, eine ausgebildete Journalistin mit betriebswirtschaftlicher Zweitausbildung, alleinerziehende Mutter, die im Management von Norton Aircraft für den Bereich der Qualitätssicherung verantwortlich ist .
Was hat sie genau zu tun?
Casey, Chefin der Abteilung Qualitätssicherung. Norton Aircraft war in zwei große Bereiche geteilt Produktion und Verkauf - die sich ständig bekriegten. Die Qualitätssicherung hatte einen schweren Stand als Puffer zwischen den beiden. Die QA, so das Kürzel für diese Abteilung, war mit allen Aspekten der Produktion befaßt, sie überprüfte jeden Schritt der Fertigung und der Montage. Wenn ein Problem auftauchte, wurde von der QA erwartet, es zu lösen. Das machte die Abteilung nicht gerade zum Liebling der Mechaniker oder der Ingenieure.
Gleichzeitig wurde von der QA erwartet, daß sie sich um Probleme des Kundendienstes kümmerte. Kunden waren oft unzufrieden mit Entscheidungen, die sie selbst einmal getroffen hatten, und gaben Norton die Schuld, wenn die Bordküchen, die sie bestellt hatten, sich an der falschen Stelle befanden oder wenn es nicht genügend Toiletten in der Maschine gab. Man brauchte Geduld und taktisches Geschick um alle zufriedenzustellen und die Probleme zu lösen. Casey, eine geborene Friedensstifterin, war darin besonders gut.
Als Gegenleistung für diesen permanenten Hochseilakt hatte die QA in der Firma das Sagen. Als Vizedirektorin hatte Casey mit jedem Aspekt der innerbetrieblichen Arbeit zu tun, sie hatte viele Freiheiten und weitreichende Verantwortung.

Fabrica diffusa - einmal anders ....

Damit entfalten sich gleich zwei Eigenheiten der modernen Produktion: 
Sie läßt sich unter keinen Umständen in den Raum der Fabrik einschließen.
Und:
Sie ist in erster Linie Reproduktion, Rekonstruktion einer schon geleisteten, primären, weitgehend automatisierten Arbeit. Das ändert natürlich nichts daran, daß sie alle Merkmale der Arbeit aufweist, wie wir sie kennen: Zielsetzung, Anstrengung, Rückkopplung der jeweils Erreichten mit den ursprünglichen Absichten, Selbstkorrektur
Um ihre Arbeit verrichten zu können, braucht Casey eine tägliche Rundschaltung mit allen Firmenvertretern in der ganzen Welt. Das genügt, um kleinere Mängel zu besprechen.
Die IRT-Konferenz dient dann dazu, um schweren Problemen auf den Leib zu rücken. Die  Recherchen - z.B. nach falsch eingebauten Teilen - können nur angestellt werden durch Ausbeutung von Zuarbeit an tausend Flughäfen. Für jedes bei eventuellen Reparaturen neu eingebaute Teil muß ein Protokoll erstellt werden. Alles wird selbstverständlich telephonisch, ferngeschrieben oder gleich online weitergeleitet.
Das scheint ja die geläufige Rede von der Informationsgesellschaft zu bestätigen, die angeblich die produzierende Industrie abgelöst hat.
So scheint vordergründig Habermas recht zu behalten: denn der Hauptteil der Arbeit bei AIRFRAME besteht in Kommunikation. Aber in was für einer! Die Kommunikation ist nicht nur durch Maschinen vermittelt, sondern durch eine Sprache, die Maschinen zu uns sprechen. Beispielsweise die Fehleranzeigen. Die Faxe der menschlichen Außenstellen passen sich dieserMaschinensprache völlig an.
"die ökonomische Produktion hat sich mit der kommunikativen Macht bewaffnet"
in dieser zurückgenommensten Formel faßt Debord im PANEGYRIKUS, seinem letzten Werk, noch einmal seine Grunderkenntnis zusammen. Genau das erweist Crichtons Buch.
Kommunikation: Habermas stellt das immer als das Ineinanderschütten mehrerer Füllhörner dar. In Crichtons Fabrik - aber auch anderswo - gleicht es stattdessen dem Ineinanderstöpseln von Kabeln.
Crichton scheut sich nicht, ganze Seiten mit Computerausdrucken zu füllen. Die Menschensprache eifert ihnen nach, aber immer noch verunreinigt von zu viel Überschuß. Da muß noch ausgeputzt werden.
Nur ein paar Beispiele für die Gesprächssituationen dieser Kommunikationsstrukturen 
-Beispiel: Um sich durch bloßes Hinzeigen auf gewisse Stellen eindeutig zu verständigen, wird auf dem Boden genau die Umrißfläche des Unfall-Flugzeugs ausgelegt mit allen Fundstücken, um den Angehörigen unter Umständen Auskünfte zu geben. Der Platz der Toten wird markiert.
-Oder: Suche nach dem besonderen Recorder, der die Flugdaten aufzeichnet. Es ist nur möglich mit Hilfe eines neuen Suchgeräts, das in die Brillen nicht nur die Aussagen des Handbuchs spiegelt, sondern auch Umrisse anzeigt, an denen der Recorder sein könnte.
Der nächste Schritt besteht in der Erstellung eines Drahtskelett-Flugzeugs, das den ganzen Flug wiederholt.
-Oder: Nachrechnung von Blöcken in der ursprünglichen computerisierten Aufzeichnung des Flugschreibers. Sie ist beschädigt, so daß der "Rahmen" fehlt; sie müssen einzeln rekonstruiert werden. Das würde in der Vollform über 4 Wochen dauern.
-Oder: Auswerten eines Videobandes, das zufällig in den Unglückssenkunden entstand. Das darf um der Glaubwürdigkeit vor Gericht willen nicht durch Interpolation von Computer-Daten geschehen: aber die Bilder können verdoppelt werden. Außerdem kann durch Vorschalten von Filtern die Sprache zurück- und Maschinengeräusche können hervortreten, die dann analysiert werden .
Oder-: das Nachfliegen des todbringenden Fluges in einer Maschine des gleichen Typs mit entsprechenden Tests in den gefährlichen Momenten.
Die Aussagen überlebender Zeugen schnurren ebenfalls auf bloße Faktenhinweise zusammen.

Hirne wie Hände: Verwertung im Gleichklang

Was folgt daraus? Es ist der Industrie gelungen, auch die geistigen Tätigkeiten, die man unter Kommunikation zusammenfaßt, in kleine Teilhandlungen zu zerlegen, diese zu standardisieren und als austauschbare Mitteilungsschablonen zu benutzen. Damit ist der größte Teil dessen, was geistige Arbeit genannt wird, dem Kapital genauso real subsumiert wie die Reihenfolge der einzelnen körperlichen Handgriffe, an die man bei Fabrikarbeit bisher dachte.

Ist dann etwa die Arbeit der Journalisten beim Fernsehen schöpferisch und frei? Oh je....
Die Tätigkeit der Journalisten und des Fernsehteams erweist sich genau so als Kombination kleinster Teilchen, die in der selben Weise aufgezeichnet und vorgeplant werden können wie die checks der Flugzeugüberprüfung.
Die Herstellung des Fernsehfilms über den Unfall des Jumbo-Jets ist eine Resultante aus: Schielen auf Einschaltquoten - Gewinnen der Zustimmung des Chefs - juristischer Absicherung - Beobachtung minimaler Fairness-Regeln. Dass dabei das Interesse an der Wahrheit über den möglichen Defekt des Flugzeugs auf Null sinkt, ist selbstverständlich.

Feierabend zugeschaltet.

Und wo bleibt das Persönliche, das Schmieröl jedes Romans?
Einmal kommt es zu einem kurzen Gespräch über den zu erwartenden Kindergeburtstag, den ein Mitarbeiter noch vor sich hat. Aber auch der erscheint nur unter dem Gesichtspunkt Streß- und: wenn es sich nur vermeiden ließe. Er ist etwas, das auf dem Terminkalender abgehakt werden muß.(81)
Der Pilot Doherty meint: "Ich dachte, ich könnte den Stoßverkehr vermeiden, aber das kann ich jetzt wahrscheinlich vergessen. Mein Junge hat heute Geburtstag, und ich komme zu spät zu der Party. Meine Frau wird mir die Hölle heiß machen."
Ron Smith fing an zulachen. "Fällt dir sonst noch etwas ein ,das schief gehen könnte, Doug?"
„Sicher. Vieles. Salmonellen in der Torte. Alle Kinder tot."
Oder der alte Amos. Er ist Veteran und Repräsentant von oral history in dem Laden, zuständig für Materialermüdung. Insofern ist seine Rede nicht ganz so formalisierbar wie die der andern. Bei ihm tauchen die Schrecken der Abstürze nicht völlig  juristisch eingekocht und verrechnet auf wie in der gesamten sonstigen Darstellung.
Caseys Sex-Beziehungen, die Gespräche mit dem Ex-Ehemann, die Überlegungen, die die kleine Tochter betreffen: sie alle sind von Stress und von Zukunftsverrechnungen  gekennzeichnet. Zum Beispiel tauchen die späteren Collegekosten der gerade neunjährigen Tochter andauernd als Angstposten in der Rechnung auf. Insofern ist das Privatleben völlig auf die Struktur der Fabrik ausgelegt. Das Reich der Freiheit bricht auch am Feierabend nicht an. Ihr Wohnhaus wird wie selbstverständlich von Firmenwächtern versorgt und umstellt - zu ihrem eigenen besten, versteht sich; vom ganzen Gelände der Stadt kennt sie nicht viel mehr als die tägliche Strecke zur Fabrik. Caseys Raum ist eingezäunt und kanalisiert, genau wie ihre Zeit durch die Firma zerstückelt, rationiert und beschlagnahmt wird - vor und nach Geschäftsschluß.
Bei solcher Allgegenwart universeller Information scheint es schwer, die Struktur der engdefinierten Fabrik und der Teilbereiche gegen die Umwelt eindeutig und scharfumrissen aufrechtzuerhalten. Deshalb begleitet engste Geheimniskrämerei, Abschottung gegeneinander, Verschlüsselung den ganzen Austauschprozeß von Informationen.
Zum guten Funktionieren des Betriebs gehört es dann ganz logisch, diese Abschottungen wieder zu unterlaufen. So bekommt Casey über ihre Sekretärin sofort heraus, welche Reisespesen ihr neuer »Assistant« im letzten Jahr verbraucht hatte.
Das Krisenhafte des ganzen Systems wird offen gezeigt. Da die Kommunikationssysteme sämtlich beschlagnahmt sind, entfällt gewöhnliche Öffentlichkeit. Es gibt nur noch die Grabung von Privat- und Seitenkanälen. Intrige und Verschwörung als Mittel des persönlichen Fortkommens.
Wenn die alte Fabrik Henry Fords noch den Schein erzeugte, sie ließe sich an verbesserten Output-Zahlen bei jedem Arbeitsgang rational überprüfen und in eine Rangskala einordnen, so entfallen diese Kriterien hier völlig.

In der alten Fabrik gewann der Abteilungsleiter, der Produktionszahlen hieb- und stichfest vorlegen konnte. In der Crichton-Fabrik gewinnt, wer die meisten Informationen hamstert und sich den Informationsvorsprung über möglichst lange Zeit sichert.

Leerstellen ausgeblendet.....

Und die Gegenkräfte? Gewerkschafter gibt es schon - nur was für? Gewerkschaften erscheinen als verschworene Bande, die schon gar nicht mehr mit den hergebrachten Mitteln - Streiks - arbeiten, sondern mit dunklen Androhungen von plötzlichen Erkrankungen, auch von Sabotageakten, unter Ausnutzung dringlicher Termine.
Dabei geht es nicht in erster Linie um den Lohn, sondern nur darum, daß nicht wichtige Arbeiten ins Ausland vergeben werden und damit die Arbeitsplätze gefährdet. Geht es hart auf hart, drohen sie mit Massenerkrankungen oder mit der prophetisch, aber sehr deutlich vorausgesehenen Möglichkeit, daß ein Schraubschlüssel gerade an die empfindlichste Teile der Maschine rutschen wird. In der Sorge um den Erhalt des nationalen "Flügels der Maschine" sind sie sich mit den "guten" Managern völlig einig. Nirgends Anzeichen einer grundsätzlichen Gegnerschaft gegenüber den Interessen des Kapitals.
Insofern ist fast egal, wie Crichton sein Paketchen am Ende zuschnürt. Die Lösung ist mehr als läppisch. Das ist natürlich genau so im gewöhnlichen Leben. Nur erfüllt die bloße reflexartige Wiederholung dieses Umstandes nicht den Anspruch der Darstellung. Darstellung im emphatischen Sinne des Wortes müßte den Augenblick der Leere mitenthalten - die plötzliche Frage: Warum das alles? Der Roman ist nur Teil der Sache, die er darstellt, nicht auch Teil. Darstellung müßte darüber hinaus über den Rand schauen: die virtuelle Vernichtung dieses Zustands aufzeigen.
Crichton zeigt es selbst nicht, aber drängt ungewollt eine Erkenntnis auf: Lohnarbeit herrscht weiter, und um so zerstörender, je weniger ihre Auswirkungen erkannt werden.
Daß Universitätsabsolventen und selbst Thomas Schmids in ihr Mahlwerk geraten, ändert nichts an ihrer vernichtenden Wucht.
Der traditionelle Gegensatz von geistiger und körperlicher Arbeit ist inzwischen eingeebnet.
Gerade damit erlaubt Crichton - ganz ohne eigenes Zutun - den Blick auf eine andersartige Art des Produzierens. Daß Produktion jetzt schon ohne Anleitung durch die Kapitalisten vor sich geht, wird im Roman selbst offensichtlich. Auch ohne die eines zentralen Managers. In der Zusammenfügung ihrer erworbenen Fähigkeiten, der gewonnenen körperlichen Erfahrungen und geistigen Erkenntnisse, könnten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Firma ohne weiteres ein besseres Flugzeug herstellen - ganz ohne Einsparungen aus Profitrücksichten und den Peitschenknall des Kapitals. Dieses selbst wirkt nur noch als Hemmnis und Gefährdung. Freilich würde eine solche Wendung nicht bloß den Wegfall des Kapitals voraussetzen, sondern den bewußten Blick über den Tellerrand der eigenen Firma, den die Akteure zwar den ganzen Roman hindurch aufbringen, aber nur nebenbei und geschäftmäßig - ohne von diesem eigenen Tun zu wissen.
Dann würden sie sich nämlich nach dem Nutzen von Flugzeugen der herkömmlichen Art im Rahmen der modernen Mobilitätsbedürfnisse fragen. Selbst, wenn Flugzeuge aus irgendwelchen Gründen zeitweise weiterhin empfehlenswert wären: es ergäbe sich der Aspekt einer internationalen Zusammenarbeit, in der es mit den höchsten erworbenen Fähigkeiten der Betriebsmitarbeiter weniger Unfälle geben würde als unter dem Druck der Konkurrenz. Das bleibt im Rahmen dieses Romans freilich undenkbar.
 
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