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  KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Extra zum Krieg - 16.10.1999 - Onlineversion
 

Mörderischer Wettbewerb /SP /6.6.99

 
Lkw-Unfälle wie im österreichischen Tauerntunnel können sich jederzeit wiederholen. Harte Konkurrenz zwingt die oft übermüdeten Fahrer, Menschenleben zu gefährden.
Seit Jahren schon, gesteht der Fernfahrer aus Dänemark, würde er das Verbotsschild vor dem Hamburger Elbtunnel mißachten. Das Zeichen signalisiert, daß er mit seinen diversen Gefahrgutfrachten die 2,7 Kilometer lange Elbunterquerung auf keinen Fall benutzen darf, denn ein Unfall könnte aus dem Tunnel eine Flammenhölle machen.
Werner, seinen Nachnamen will der Däne aus Angst vor der Polizei lieber nicht nennen, findet die vorgeschriebenen Umwege zu lästig; fährt er durch den Tunnel, spart er gut eine halbe Stunde. Darum klappt er das vorgeschriebene Hinweisschild für den Transport gefährlicher Stoffe - ein orangefarbenes Rechteck - erst gar nicht auf. Das sei unter den Kollegen völlig normal, sagt er.
Welches Unheil Lastwagenfahrer anrichten können, zeigte sich am Samstag vor einer Woche im österreichischen Tauerntunnel. Ein Lkw raste in mehrere Autos und einen Gefahrguttransporter. Mindestens zwölf Menschen starben in den Flammen. Erst vor gut zwei Monaten war im Montblanc-Tunnel ein mit Margarine beladener Lastwagen in Brand geraten, die Bilanz dort: 42 Tote.
Derartige Katastrophen können sich jederzeit wiederholen. Schuld daran tragen Lastwagenfahrer, die systematisch Sicherheitsvorschriften umgehen - und deren Auftraggeber, die mit immer härteren Preisvorgaben den mörderischen Wettbewerb auf den Straßen anheizen.
bermüdet, stets unter Zeit- und Kostendruck, jagen Fahrer von Termin zu Termin. Trickreich werden Fahrtenschreiber manipuliert und Motoren auf Höchstleistung getrimmt. Fahrzeiten von 30 Stunden und mehr am Stück seien der "ganz normale Wahnsinn", sagt ein Fernfahrer aus dem Münsterland; sein Rekord liegt bei 56 Stunden ununterbrochen am Lenkrad, und darauf ist er auch noch stolz. "Keiner hält sich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen", erzählt er, "vor allem nachts lassen es alle laufen - volle Granate."
Es war nachts, kurz vor fünf Uhr, als der  mit Motorenteilen beladene Lkw den Unfall im Tauerntunnel verursachte. Nach Zeugenaussagen fuhr er viel zu schnell. Mit wahrscheinlich rund  80 Stundenkilometern war der österreichische Fahrer, der angibt, sich "an nichts mehr erinnern" zu können durchs Südportal in die 6,4 Kilometer lange Röhre gefahren. Er ignorierte Geschwindigkeitsbegrenzungen, die zuerst Tempo 50, dann Tempo 30 vorschrieben. Auch auf die Hinweisschilder "Achtung Baustelle" reagierte er nicht.
So raste der Lastwagen in vier Autos, die vor der roten Baustellenampel warteten. Er schob sie unter einen davor stehenden LackTransporter, der sofort explodierte. Innerhalb von Sekunden entstand beißender Rauch. Rund 80 Autoinsassen konnten aus dieser Hölle fliehen, darunter auch der Unglücksfahrer
Es hätte noch weit schlimmer kommen können, denn dem Tauerntunnel fehlt wie vielen österreichischen Tunneln eine zweite Röhre für den Gegenverkehr. Doch selbst die sichersten Tunnelbauten können Autofahrer nicht völlig vor den Gefahren des Lastwagenverkehre schützen.
"Solange wir nicht konsequent den Güterverkehr auf die Schiene zwingen", sagt Rainer Poisel, Professor für Angewandte Geo- und Felsmechanik an der Technischen Univeristät Wien, "bleibt ein hohes Risiko für alle Verkehrsteilnehmer."
Vergleichsweise harmlose Unfälle könnten sich in Tunneln schnell zu Katastrophen auswachsen, so Poisel, weil sich dort Feuer extrem schnell ausbreitet und die Menschen in dem undurchdringlichen Qualm die Orientierung verlieren.
Deshalb sind in Deutschland gefährliche Strecken wie der Elbtunnel in Hamburg, der Emstunnel an A31/A28, Teile des Berliner Stadtrings und die A46 bei Düsseldorf für Gefahrguttransporter gesperrt oder nur nachts zu befahren.
Doch viele Fahrer scheren sich wenig um diese Vorschrift. Das Risiko, erwischt zu werden, ist gering, und wenn, dann droht allenfalls ein Bußgeld in Höhe von 200 Mark.
"In einem von 100 Fällen wirst du geschnappt", sagt Axel S., der seit neun Jahren Lastwagen fährt. Um nicht so leicht aufzufallen, klappen seine Kollegen die Gefahrgutschilder an ihren Lastwagen routinemäßig ein - ohne Kontrolle der Papiere kann so kein Polizist erkennen, was sie transportieren .
Besonders beliebt sind bei Lastwagenfahrern auch jene Tricks, mit denen sich die runden Papierscheiben der Fahrtenschreiber manipulieren lassen. In Deutschland müssen die Brummipiloten mit ihnen nachweisen können, daß sie nach höchstens zehn Stunden am Steuer eine Ruhepause von neun Stunden eingelegt haben.
Aber für 3000 Mark gibt es etwa in Griechenland perfekt nachgemachte "Kienzle"-Tachometer. Mit ihnen lassen sich die Tachoscheiben per Fernbedienung manipulieren, da werden Ruhepausen bei voller Fahrt markiert und grundsätzlich keine höheren Geschwindigkeiten als 80 Stundenkilometer vermerkt.
Die "häufigste Unfallursache bei Lkw ist das Einschlafen am Steuer", so Unfallforscher Wolfram Hell vom Institut für Fahrzeugsicherheit in München. Besonders gefährdet seien die Fahrer in langen Tunneln: "Monotone, oft dunkle Tunnelwände machen müde, das Reaktionsvermögen wird herabgesetzt."
Die Salzburger Staatsanwaltschaft prüft, ob auch der Unfallfahrer vom Tauerntunnel schlicht geschlafen hat. Staatsanwalt Andreas Posch: "Jeder weiß, morgens früh um fünf in einem Tunnel nickt man schnell mal ein."
Ältere Fahrer, so ergab eine einjährige Untersuchung von Autobahnunfällen mit Todesfolge in Bayern, würden zum "Nickerchen am Nachmittag" tendieren. Bei jüngeren Kollegen komme die Müdigkeit nachts, in der Regel gegen Morgen.
"Wenn Lkw in Unfälle verwickelt sind, gibt es meistens Tote", weiß ADAC-Verkehrsingenieur Eckart Dyckerhoff, der vergangene Woche eine Studie über die Sicherheit von europäischen Tunneln vorstellte. Weitere Unglücke seien "vorgezeichnet", weil immer mehr überlastete Fahrer in einem gnadenlosen Wettbewerb stünden.
Seit der Liberalisierung der Verkehrsmärkte in Europa herrschten "Wildwestmanieren auf den Straßen", klagt Karl-Heinz Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterkraftverkehr und Logistik. Die Umsatzrendite der Spediteure liege, so behauptet der Lobbyist, nur "zwischen null und einem Prozent" - gegen derartige Dumpingbedingungen könne die Bahn nicht an, eine Verlagerung des Gütertransports auf die Schiene sei illusorisch: "Die Bahn hat völlig überzogene Preise."
Und immer mehr ausländische Unternehmen drängen auf den einst geschützten Markt. Bulgarische und russische Fahrer arbeiten für 100 Mark im Monat, während ihre deutschen Kollegen 4000 Mark brutto verdienen.
Die "Hemmschwelle ausländischer Fahrer, gegen gesetzliche Auflagen zu verstoßen", sei, so Verbandspräsident Hermann Grewer, "minimal". Auch bei deutschen Fahrern steige so die Bereitschaft, "böse Dinge zu tun". Besonders schlimm sei die Lage in kleinen Unternehmen: "Wenn einem das Wasser bis zur Unterlippe steht, macht man fast alles, um nicht unterzugehen"
Immer dienstags, so schildert der Fahrer solch einer kleinen Spedition aus Nordrhein-Westfalen seine normale Woche, lädt er Obst und Gemüse in Italien, das am Donnerstag schon im Ruhrgebiet sein muß. Würde er sich an die vorgeschriebenen Pausen halten, dann käme er erst anderthalb Tage später an. Freitags fährt er gleich ins Emsland weiter, um Milch für Griechenland zu laden. Samstags um zehn Uhr morgens muß er die Fähre in Venedig erreichen, und auf dem Schiff hat er dann zum erstenmal in dieserWoche richtig Zeit zum Schlafen.
Um seinen Zeitplan einhalten zu können, hat er zudem seine  Zugmaschine frisiert. Ab Werk war der 420-PS-Diesel so gedrosselt, daß der Lastwagen nicht schneller als 80 km/h fahren konnte. Doch der Fahrer mußte nur einen Steckkontakt im elektronischen System manipulieren, jetzt kann er mehr als 100 fahren.
Während die Polizisten in Süditalien bei Verstößen gern wegschauen und dafür 1oooo-Lire-Scheine als "Cappuccino-Geld" (TruckerSlang) einstecken, haben die Fahrer vor den Flics in Frankreich großen Respekt. Da sind schnell 3000 Mark Strafe und mehr fällig, wenn die Pausenvorschriften mißachtet wurden.
In den Niederlanden und Belgien werden Fahrzeuge in solchen Fällen sogar schnell stillgelegt. Verbandsfunktionär Grewer wünscht sich ein derart hartes Vorgehen auch in Deutschland. Denn von Bußgeldbescheiden läßt sich die ausländische Konkurrenz kaum beeindrucken, sind sie doch in Rußland oder Bulgarien nur schwer zu vollstrecken.
Die ausländischen Unternehmen können die deutschen Spediteure leicht unterbieten, das freut die Auftraggeber. Der Ludwigshafener Chemiekonzern BASF etwa verhandelt derzeit mit Transportfirmen, mit dem Ziel, die Preise um bis zu 19 Prozent zu drücken.
Solch "frühkapitalistisches Preisdumping", schimpft Lkw-Lobbyist Schmidt, sei höchst gefährlich: "Für dieses Geld können einfach keine zuverlässigen, ausgeruhten Kraftfahrer arbeiten."
 
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