Mao Werke

 

DIE VORHUT DER REVOLUTION

Wo es zwei entgegengesetzte Anschauungen in bezug auf Dinge und Menschen gibt, dort kommt es unweigerlich auch zu zwei entgegengesetzten Einschätzungen. So bezeichnen die einen als "sehr schlimm", was die anderen "sehr gut" nennen, und so verhält es sich auch mit den Ausdrücken "Pöbel" und "Vorhut der Revolution".

Wir haben bereits oben gesagt, daß die Bauern ein revolutionäres Werk vollendet haben, das lange Jahre auf sich hatte warten lassen, daß sie eine bedeutsame Leistung für die nationale Revolution vollbracht haben. War aber diese große Revolution, diese bedeutsame revolutionäre Leistung das Werk der Bauernschaft in ihrer Gesamtheit? Nein. Es gibt dreierlei Bauern: die Groß-, die Mittel- und die ,armen Bauern. Alle drei Arten von Bauern leben unter verschiedenen Existenzbedingungen und haben demnach auch verschiedene Auffassungen von der Revolution. In der ersten Periode verbreitete sich unter den Großbauern das Gerücht, daß die Armee des Nordfeldzugs in Kiangsi eine vernichtende Niederlage erlitten hätte, daß Tschiang Kai-schek am Bein verwundet worden [5] und in die Provinz Kuangtung [6] zurückgeflogen wäre, daß Wu Pe-fu [7] die Stadt Yüädschou wieder eingenommen hätte. Die Bauernvereinigungen, so meinten sie, würden sich gewiß nicht lange halten, und aus den Drei Volksprinzipien [8]

|30| könnte natürlich auch nichts werden, denn so etwas habe es doch nie gegeben. Wenn da ein Funktionär der Gemeinde-Bauernvereinigung (in der Regel war es ein Vertreter des "Pöbels") mit der Mitgliederliste in der Hand zu so einem Großbauern kam und ihm sagte: "Tritt doch bitte der Bauernvereinigung bei!", was erhielt er dann zur Antwort? "Der Bauernvereinigung? Ich lebe hier schon jahrzehntelang, bestelle meinen Acker, aber von so etwas wie Bauernvereinigungen habe ich nie gehört, und doch hatte ich immer zu essen. Ich rate dir, laß' die Finger davon!" So pflegte ein Großbauer zu antworten, der sich etwas besser zu benehmen weiß. Ein richtig böser Großbauer pflegte aber zu sagen: "Bauernvereinigung? Unsinn! Dafür schlägt man einem nur den Kopf ab! Stürz' die Leute nicht ins Unglück!" Sonderbarerweise bestehen aber nun die Bauernvereinigungen schon mehrere Monate und wagen es sogar, gegen die Schenschi vorzugehen. Sie verhafteten jene Schenschi aus der Umgebung, die sich etwa geweigert hatten, ihre Opiumpfeifen abzuliefern, und führten sie durch die Dorfstraßen. Mehr noch, in den Kreisstädten wurden einflußreiche Schenschi sogar hingerichtet, wie Yän Jung-tjiu in Hsiangtan und Yang Dschi-dsö in Ninghsiang. Am Jahrestag der Oktoberrevolution, während der antibritischen Kundgebungen und bei den großen Veranstaltungen zur Feier der Siege im Nordfeldzug marschierten in jeder Gemeinde bis zu zehntausend Bauern mit ihren Fahnen und Bannern, ihren Tragstangen und Hacken in nicht abreißenden mächtigen Strömen auf. Erst jetzt begannen die Großbauern unruhig zu werden. Bei den Feierlichkeiten anläßlich der Siege des Nordfeldzugs erfuhren sie, daß Djiudiiang genommen wurde, Tschiang Kai-schek nicht verwundet war und Wu Pe-fu zu guter Letzt seine Niederlage erlitt. Dazu kam, daß ihnen jetzt solche Losungen wie "Hoch die Drei Volksprinzipien!", "Es leben die Bauernvereinigungen!", "Hoch leben die Bauern!" und dergleichen auf den "rote und grüne Proklamationen" genannten Plakaten allenthalben in die Augen sprangen. "Hoch leben die Bauern?" riefen da die Großbauern aus, deren sich nun eine echte Unruhe bemächtigte. ,Erweist man denn jetzt schon diesen Leuten kaiserliche Ehren?" {3} Und die Bauernvereinigungen wurden stolz. Ihre Funktionäre sagten den Großbauern: "Wir setzen euch auf die Sonderliste!" Oder sie kündigten ihnen an: "Noch ein Monat - und jeder wird für die Aufnahme in die Vereinigung zehn Yüan zahlen!" Erst unter solchen Umständen begannen sich die Großbauern nach und nach den Bauernvereinigungen anzuschließen,[9] wobei manche 50 Fen oder einen Yüan

|31| Beitrittsgebühr entrichteten (die übliche Gebühr betrug nur 100 Wän {4} und manche sich die Zulassung nur dadurch sichern konnten, daß andere für sie gutstanden. Doch gibt es noch viele Starrköpfe, die den Vereinigungen bis heute nicht beigetreten sind. Wenn ihnen Großbauern beitreten, so lassen sie in der Regel den Namen eines sechzig- oder siebzigjährigen Mitglieds ihrer Familie eintragen; denn sie leben in beständiger Furcht vor "Rekrutierungen". Auch nach ihrem Beitritt zeigen die Großbauern keine Begierde, in den Vereinigungen mitzuarbeiten. Sie verhalten sich stets passiv.

Und die Mittelbauern? Ihre Haltung ist schwankend. Sie glauben, die Revolution würde ihnen nicht viel eintragen. Ihr Kochtopf ist immer mit Reis gefüllt, und kein Gläubiger klopft des Nachts an ihrer Tür. Auch sie pflegen die Dinge danach zu beurteilen, ob es sie schon vorher je gegeben habe, legen die Stirn in Falten und fragen sich im stillen: "Sind die Bauernvereinigungen wirklich von Bestand?" "Wird aus den Drei Volksprinzipien wirklich etwas werden?" Und sie geben sich selbst zur Antwort: "Wohl kaum!" Sie glauben, daß alles vom Willen des Himmels abhänge, und überlegen: "Man gründet Bauernvereinigungen, aber ist das auch dem Himmel genehm?" Wenn in der ersten Periode die Funktionäre der Bauernvereinigungen mit ihren Listen zu den Mittelbauern kamen und sagten: "Tritt doch bitte der Bauernvereinigung bei!", antworteten diese: "Nur keine Hast!" Erst in der zweiten Periode, als die Bauernvereinigungen schon eine große Macht darstellten, traten ihnen die Mittelbauern bei. In den Vereinigungen verhalten sie sich besser als die Großbauern, aber sie sind vorläufig noch nicht sehr aktiv, möchten noch ein wenig abwarten. Es ist durchaus erforderlich, daß die Bauernvereinigungen die Mittelbauern zum Beitritt bewegen und unter ihnen eine beträchtliche Aufklärungsarbeit leisten.

In dem erbitterten und hartnäckigen Kampf, der im Dorf vor sich geht, sind stets die armen Bauern die Hauptkraft. Sowohl in der illegalen Periode wie in der Periode des offenen Auftretens waren und sind die armen Bauern aktive Kämpfer. Sie sind es, die sich am willigsten von der Kommunistischen "Partei führen lassen. Sie sind Todfeinde der Tuhao und Liäschen, stürmen deren Lager ohne zu zaudern. "Wir sind längst bei der Bauernvereinigung, warum zögert ihr noch?" rufen sie den Großbauern zu. Und diese antworten ihnen hämisch: "Ihr habt nicht einen Dachziegel über dem Kopf und nicht eine Handbreit Boden unter den Füßen, da solltet ihr nicht dabei sein?- Und wirklich, die armen Bauern haben nichts zu verlieren.

|32| Viele von ihnen haben in der Tat "nicht einen Dachziegel über dem Kopf und nicht eine Handbreit Boden unter den Füßen". Was sollte sie denn da vom Beitritt zu den Vereinigungen abhalten? Einer im Kreis Tschangscha vorgenommenen Untersuchung zufolge bilden die armen Bauern 70 Prozent, die Mittelbauern 20 Prozent, die Grundherren und Großbauern zusammen 10 Prozent der Dorfbevölkerung. Die 70 Prozent armen Bauern kann man in zwei Kategorien unterteilen: in die Bettelarmen [10] und die etwas weniger Armen [11]. Die Bettelarmen, die 20 Prozent der Dorfbevölkerung ausmachen, sind Menschen ohne irgendeinen Erwerb, das heißt, sie besitzen weder Boden noch Geld, sind gänzlich ohne Mittel für den Lebensunterhalt, müssen ihre Heimat verlassen, sich als Soldaten anwerben lassen oder von Gelegenheitsarbeiten leben oder bettelnd im Land umherstreifen. Die etwas weniger Armen, also 50 Prozent der Gesamtzahl, sind nur teilweise erwerbslos, das heißt, sie besitzen ein kleines Stückchen Land oder geringe Mittel, essen mehr auf als sie verdienen, führen jahrein, jahraus ein Leben der Mühsal und Bedrängnis; es sind dies unter anderen Handwerker, Pächter (mit Ausnahme der reichen Pächter) und solche Bauern, die teils Eigengrund, teils Pachtgrund bearbeiten. Diese Riesenmasse armer Bauern mit insgesamt 70 Prozent der Landbevölkerung ist das Rückgrat der Bauernvereinigungen, sie bildet die Vorhut beim Sturz der feudalen Kräfte; es sind dies jene verdienstvollen Pioniere, die das große revolutionäre Werk vollbracht haben, das so viele Jahre ungetan geblieben war. Ohne die arme Bauernschaft (den "Pöbel", wie sie von den Schenschi genannt wird) wäre es ganz und gar unmöglich gewesen, die derzeitige revolutionäre Situation auf dem Lande zu schaffen, die Tuhao und Liäschen zu stürzen und die demokratische Revolution zu vollenden. Da die armen Bauern am revolutionärsten sind, haben sie die Führung der Bauernvereinigungen in ihre Hände genommen. Sowohl in der ersten als auch in der zweiten Periode waren in den Grundorganisationen der Vereinigungen fast alle Vorsitzenden und Mitglieder der Komitees arme Bauern (von den Funktionären der Gemeindevereinigungen im Kreis Hengschan waren 50 Prozent Bettelarme, 40 Prozent etwas weniger Arme und 10 Prozent notleidende Intellektuelle). Die Führung durch die armen Bauern ist eine absolute Notwendigkeit. Ohne die armen Bauern gäbe es keine Revolution. Wer ihre Rolle negiert, der negiert die Revolution. Wer über die armen Bauern herfällt, der fällt über die Revolution her. Was die allgemeine Richtung der Revolution betrifft, haben sie nie Fehler begangen. Sie

|33| haben dem Ansehen der Tuhao und Liäschen Abbruch getan. Sie haben die großen wie die kleinen Tuhao und Liäschen zu Boden geschlagen und ihnen den Fuß auf den Nacken gesetzt. Viele der Handlungen, die sie in der Periode der revolutionären Aktionen begingen und die man als "Überspitzungen" abstempelte, waren in Wirklichkeit gerade das, was die Revolution brauchte. Manche Kreisbehörden, Kreisleitungen der Kuomintang und Kreiskomitees der Bauernvereinigungen in Hunan haben bereits gewisse Fehler begangen; einige von ihnen sind sogar so weit gegangen, daß sie auf Ersuchen der Grundherren Soldaten schickten, um Funktionäre der unteren Bauernvereinigungen verhaften zu lassen. In den Kreisen Hengschan und Hsianghsiang wurden viele Vorsitzende und Komiteemitglieder von Gemeinde-Bauernvereinigungen eingekerkert. Dieser Fehler ist überaus schwerwiegend, er steigert die Anmaßung der Reaktionäre. Um sich davon zu überzeugen, daß das ein Fehler ist, genügt es mitanzusehen, in welchen Jubel die dortigen gewalttätigen Grundherren ausbrechen und um wieviel drückender die Atmosphäre der Reaktion wird, sobald Vorsitzende und Komiteemitglieder der Bauernvereinigungen verhaftet werden. Wir müssen das konterrevolutionäre Gerede von der "Pöbelbewegung" und der "Bewegung der faulen Bauern" bekämpfen und besonders darauf achten, daß wir nicht den Fehler begehen, den Tuhao und Liäschen bei ihren Attacken gegen die arme Bauernschaft behilflich zu sein. Zwar gab es unter den führenden Funktionären, die zu den armen Bauern zählen, in der Tat einige wenige, die gewisse Unzulänglichkeiten aufwiesen; doch die meisten von ihnen haben sich inzwischen gebessert. Sie selbst treten energisch für das Verbot der Hasardspiele und für die Liquidierung des Banditentums ein. Wo die Bauernvereinigung mächtig ist, dort haben die Hasardspiele überhaupt aufgehört und ist das Räuberunwesen verschwunden. Mancherorts ist es tatsächlich so, daß am Wegrand Liegengelassenes unberührt bleibt und die Tore nachts nicht verriegelt werden. Aus den Untersuchungen in Hengschan geht hervor, daß dort 85, Prozent der aus der armen Bauernschaft stammenden führenden Funktionäre sich gut entwickelt haben, zu tüchtigen und arbeitsamen Leuten geworden sind. Nur 15 Prozent haben noch einige schlechte Gewohnheiten beibehalten. Man kann sie höchstens eine "kleine Minderheit ungesunder Elemente" ,rennen, darf aber keinesfalls den Tuhao und Liäschen nachplappern, die sie allesamt unterschiedslos als "Pöbel" beschimpfen. Das Problem der "kleinen Minderheit ungesunder Elemente" kann man nur

|34| so lösen, daß man unter der von den Bauernvereinigungen selbst aufgestellten Losung der jestigung der Disziplin" unter den Massen Propaganda betreibt, die "ungesunden Elemente" erzieht und die Disziplin in den Bauernvereinigungen stärkt; man darf aber unter keinen Umständen nach Belieben Soldaten aufbieten, um diese Leute festnehmen zu lassen, da dies das Ansehen der armen Bauern beeinträchtigen und die Frechheit der Tuhao und Liäschen ermutigen würde. Auf diesen Punkt muß man besonders achten.

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