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Der Bundesvorsitzende des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes
(SDS), Karl-DietrichWolff, hielt auf der Abschlußkundgebung des
Sternmarsches der Notstandsgegner am 11. Mai in Bonn folgende im Wortlaut
dokumentierte Rede:
Die radikal demokratische Opposition sieht sich heute dem zynischen Versuch
gegenüber, brutale Gewalt der herrschenden Klasse formal in der Verfassung
zu verankern. Wieder einmal will eine deutsche Regierung 'Schutzhaft' verordnen.
Wie in Griechenland ist in Mitgliedsstaaten des angeblich freiheitlichen
Verteidigungsbündnisses der NATO nun auch in Deutschland Zwangsarbeit
wieder möglich. Der Staat wird nach Belieben wieder das große "Militärzuchthaus
der Arbeit", von dem Lenin schon 1916 spricht.
Wer nicht pariert, wird vom Werkschutz, Bundesgrenzschutz und Bundeswehr
eingeschüchtert oder schließlich zusammengeschossen. Der Innensenator
von Westberlin, Neubauer, hat bekanntlich gemeint, auf ein paar Tote komme es
nicht an. Diese verbrecherische Gleichgültigkeit wird in der
Notstandsplanung technisch perfekt in nationalem Maßstab sichtbar. Die Bürgerkriegsplaner
haben selbst das Grundgesetz zum alten Eisen geworfen; jetzt wollen sie uns zur
Verfassungstreue ermahnen. Aber die Notstandsstrategen haben die Rechnung ohne
uns alle gemacht. Wir werden nicht in aller Ruhe zusehen, wie ein Parlament zum
zweiten Mal in der deutschen Geschichte sich selbst vollends überflüssig
macht und uns die neue Diktatur beschert.
In der Konfrontation, der wir uns ausgesetzt sehen, sind wir stärker
und schwächer zugleich geworden. Wir sind schwächer geworden: der
sozialdemokratische Parteiapparat hat mit der Tradition des demokratischen
Widerstandes der Arbeiterbewegung endgültig gebrochen und ist heute ganz
auf die Seite der Konterrevolution übergegangen. Wenn Otto Wels in seiner
mutigen Rede 1933 bei der Verabschiedung der Hitlerschen Ermächtigungsgesetze
noch sagen konnte: "Die deutsche Sozialdemokratie ist zwar wehrlos, aber
nicht wehrlos", so könnte die heutige Parteiführung, wenn sie
ehrlich wäre, nur das Gegentefeststellen. Wir sind schwächer geworden:
wir haben die schleichende Militarisierung der Betriebe bei der Aufstellung von
Werkschutz-Privattruppen nicht verhindert. Wir sind schwächer geworden:
Genosse Otto Brenner und Kollege Rosenberg sind heute nicht bei uns, wo sie
hingehören. Wir sind auch stärker geworden: die Bewegung gegen die
Wiederaufrüstung verlor ihre Kraft, nachdem die Wehrpflicht durchgesetzt
war. Unsere Opposition wird weiterreichen als bis zur Verabschiedung dieser
Diktaturgesetze. Wir sind stärker geworden: wir sind heute hier mit
Tausenden von Sozialdemokraten und Gewerkschaftskollegen zusammen, die ihre
Verantwortung für ein demokratisches und sozialistisches Deutschland über
Partei- und Verbandsloyalität stellen. Wir sind stärker geworden: zum
ersten Mal seit 1848 steht die große Mehrzahl der deutschen Studenten und
Schüler nicht auf der Barrikadenseite der Reaktion. Wir sind stärker
geworden: wir haben gelernt, unsere Forderungen nicht mehr nach dem
auszurichten, was die Abs, Benda, Kiesinger & Co. uns im Rahmen von Rüstungswirtschaft,
Devisenhilfe für den Krieg der Amerikaner in Vietnam, kapitalistischen
Rezessionen zugestehen können. Wir haben gelernt, Forderungen an unseren
ungeheuren historischen Möglichkeiten zu messen. Das ist nicht utopisch. Es
ist eher utopisch, wenn die herrschende Clique meint, unsere Zukunft auf Dauer
verhindern zu können.
Kollegen, Genossen, wir haben einen Teil der Notstandsgesetzgebung
hinausschieben können. Wir sind nicht stark genug gewesen, die Texte vom
Tisch zu wischen und ihre Verabschiedung endgültig zu verhindern. Aber
unser Widerstand, den wir an unseren Arbeitsplätzen in Betrieb, Schule und
Universität tragen und dort selbständig organisieren: er beginnt erst.
Der Widerstand verstärkt sich im sicheren Wissen, daß selbst eine
vorläufige Niederlage gegen die Notstandsstrategen doch nur der Anfang für
eine noch tiefere und endgültigere Niederlage der deutschen Bourgeoisie als
1945 sein kann. Aber unser Widerstand setzt früher an; Deutschland hat in
diesem Jahrhundert schon zuviel Blut und Tränen gesehen. Werden sie es
wagen, ganze Lehrlingsgruppen eines Betriebs, ganze Schulklassen, ganze
Lehrerkollegien, ganze Universitätsseminare zu verhaften und
zusammenzuschlagen?
Wir müssen in einer breiten öffentlichen Diskussion von Arbeitern,
Schülern und Studenten klären, mit welchen massenhaften Aktionen wir
auf die Herausforderung durch eine 3. Lesung antworten werden. Wir müssen
gemeinsam über die Organisierung des Widerstandes im autoritären Staat
diskutieren. Wir können heute noch nicht fertige Rezepte und Modelle
vorweisen. Wir wollen deshalb gemeinsam im Anschluß an die Kundgebung
diese Diskussion führen. Wir jedenfalls werden zur geplanten 2. Lesung am
15. Mai streiken, streiken an allen Universitäten, Hochschulen und Schulen.
Ob mit oder ohne Zustimmung der Rektoren oder Ministerien. Und die Nachricht, daß
auch in verschiedenen Betrieben Warnstreiks durchgeführt werden, ist die
beste Nachricht, die wir heute bekommen haben. Und so wenig die Schüler auf
Erlaubnis ihrer Lehrer warten, so wenig werden die Kollegen die Unternehmer
fragen. Nur wir selbst können unsere Interessen wahrnehmen.
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