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Vom politischen Strafrecht zu sprechen, ist eigentlich eine begriffliche
Verdoppelung; denn welches Strafrecht, welche strafrechtliche Bestimmung ist
nicht politisch, ist nicht Ausdruck der jeweiligen gesellschaftlichen Definition
von Kriminalität? Wenn im folgenden gleichwohl ausdrücklich vom
politischen Strafrecht die Rede ist, so soll damit jener Bereich markiert
werden, der in unserem Zusammenhang interessiert: der strafrechtliche
Staatsschutz, das heißt die justizförmig geführte
Auseinandersetzung des Staates mit seinen politischen Gegnern, deren Unterdrückung
und Ausschaltung mit den Mitteln eines hierfür eigens geschaffenen und
eigentümlich gehandhabten Rechts......
... Als die Bundesrepublik 1949 gegründet wurde, galt zwar nach wie vor
das alte Reichsstrafgesetzbuch, dessen aus der Nazizeit stammende
Staatsschutzbestimmungen aber hatten die Alliierten außer Kraft gesetzt.
Um diesen "rechtsleeren Raum", diese "Gesetzeslücken
wenigstens notdürftig zu schließen", wurden im Sommer 1951 -
bezeichnenderweise als erste Strafrechtsreform - neue, "für den Schutz
des Staates unerläßliche Bestimmungen "geschaffen", die
dann allerdings weder neu noch notdürftig ausfielen.
Hatten die Vorlage der Bundesregierung und erst recht der von der SPD
eingebrachte Entwurf eines "Gesetzes gegen die Feinde der Demokratie"
noch von den abzuwehrenden "Angriffen aus dem Lager der unbelehrbaren
verbrecherischen Anhänger der nationalsozialistischen Ideologie"
gesprochen, so wurde schon sehr bald während der Beratungen von der
Bundesregierung klargestellt, wer in den Debatten mit "Bösewichten",
"Staatsfeinden", "Todfeinden der menschlichen Gesellschaft",
"Wühlorganisationen", "Wühlmäusen" und "Ratten,
die an den Säulen des Staates unterirdisch nagen" gemeint war, und wem
mit "unerbittlicher" und "unnachsichtiger Härte", mit "schlagkräftigen
Bestimmungen" zu begegnen sei: Sozialisten und Kommunisten.
Insbesondere der Korea-Krieg (Beginn: 25.Juni 1950) lieferte der
Bundesregierung die benötigte Munition, um die Einwände gegen ihr
Gesetz zu durchlöchern, die während der vorparlamentarischen
Beratungen erhoben wurden, so etwa vom Bundesrat....
...In aller Eile verabschiedete denn auch der Bundestag am 11.Juli 1951 das
neue Staatsschutzrecht als dessen Kern der Justizminister die Bestimmungen
nannte, mit denen das "Handeln, das vor dem Hochverrat liegt" erfaßt,
der "ideologische Hochverrat", die "ideologische Unterniminerung"
und "geistige Sabotage" bekämpft werden solle. Daß somit
radikale Kritik an den herrschenden Verhältnissen auf einer Stufe mit den
Gewalttätigen erscheint, als deren Attribut sie hier genannt wird,
kennzeichnet die spezifische Funktion des Staatsschutzes in der Bundesrepublik:
die Vorverlagerung strafbaren Verhaltens in den Bereich von Absichten und Äußerungen.
Die Staatsschutzbestimmungen, so hieß es während der Beratungen
des Gesetzes, sollen dem Schutz des Staates vor "Untergrabungen"
dienen, die nicht gewaltsam betrieben würden, sondern "mit den
propagandistischen Mitteln einer staatsabträglichen Ideologie". Es sei
erforderlich, "neuen umstürzlerischen Bewegungen zu begegnen, die
nicht mit Gewalt vorgehen, auf jeden Fall nicht die Gewalt erkennen lassen".
Der moderne Staat sei mit Gegnern konfrontiert, die nicht mehr mit Barrikadenkämpfen
und Waffengewalt versuchten, an die Macht zu gelangen, sondern sich immer mehr
der "lautlosen und unauffälligen Methode der inneren Zersetzung"
bedienten, der "Presse, des Rundfunks" und "Druckschriften aller
Art"; eine "kalte Revolution", die deshalb so gefährlich
sei, weil "ein System von Einzelakten" entwickelt werde, "von
denen jeder einzelne an sich mehr oder weniger harmlos erscheint, die aber durch
das Zusammenspiel aller, die von den verschiedensten Ansatzpunkten aus das
gemeinsame Ziel fördern, eine Situation schaffen können, die schließlich
die Staatsumwälzung unausweichlich macht und sie wie eine reife Frucht
gewinnen läßt".
....Um dies zu verhindern, um die Staatsräson zu erhalten und das
Monopol staatlicher Gewalt unangefochten ausüben zu können, wurden "neue
Schutzvorschriften" für den Staat installiert, die "seine
Vereidigungslinie in den Bereich vorverlegen, in dem die Staatsfeinde unter der
Maske der Gewaltlosigkeit die Macht erschleichen".
Dieser vorverlegte Staatsschutz ist ganz und gar nicht ein "neuer Wein"
in den "alten Schläuchen" des StGB, ...., sondern ein Verschnitt
des Jahrgangs 1935:
Mit dem "Vorschutz" steht das Staatsschutzstrafrecht der
Bundesrepublik in einer Kontinuität zum nationalsozialistischen
Gesinnungsstrafrecht, als dessen "Erfinder" unter anderen Roland
Freisler auftrat: "Das Straftrecht verlegt das Kampffeld nach vorn.",
eine Strategie, die ausführlich in einem von Freisler erwähnten
Aufsatz von 1935 entwickelt wurde, der grundlegende Bedeutung für das
faschistische Strafrecht erlangte, und dessen Überlegungen frappierende Ähnlichkeiten
mit den zitierten Argumentationen für das politische Strafrecht der
Bundesrepublik aufweisen...
....Fünfzehn Jahre später griff der Bundesjustizminister diesen
Gedanken auf: Die "Staatsfeinde seien "zu treffen und unschädlich
zu machen, bevor sie in Aktion treten" können. Es liegt auf der Hand,
daß dieses Ziel nur durch eine Beschränkung der Meinungsfreiheit,
durch eine Kriminalisierung bestimmter politischer Ansichten zu erreichen ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat hierfür den Begriff der "staatsgefährdenden
Meinungen" geprägt, die um des "Ganzen" willen verfolgt
werden müßten: "Für die freiheitliche Grundordnung ist die
Meinungsfreiheit schlechthin konstituierend. Wenn gerade dieses Grundrecht zurückstehen
soll, dann muß dies durch besondere Notwendigkeiten dieser Ordnung
gerechtfertigt sein".
Schon aus Gründen der Prozeßökonomie soll natürlich
nicht jede politische Bemerkung bestraft werden, mit der Kritik an den
bestehenden Zuständen geübt wird. Nicht um die "zollfreien
Gedanken" gehe es, wie sich ein Bundesjustizminister ausdrückte,
sondern "um die äußere Wirkung, die aus dem inneren Zentrum (der
Menschen) entsteht", um Worte und Schriften also, die praktische
Konsequenzen haben könnten, die nicht nur ausgesprochen, sondern auch
ausgeführt werden, weil sie in einer bestimmten Situation und aus konkreten
Zusammenhängen offensichtliche Probleme handlungsverbindlich ansprechen,
vorhandene Handlungspotentiale aufzeigen und verstärken. Zwar müsse "die
Gesinnung als solche in einer Demokratie frei sein, aber die Betätigung
dieser Gesinnung kann nicht in jeder Form zugelassen werden". Welche
politischen Meinungen in welcher Form geäußert und "betätigt"
werden dürfen, definiert das politische Strafrecht in fünf
Abschnitten: "Hochverrat", "Staatsgefährdung" (seit
1968 etwas gefälliger "Gefährdung des demokratischen
Rechtsstaates" genannt), "Straftaten gegen Verfassungsorgane", "Widerstand
gegen die Staatsgewalt" und "Straftaten gegen die Öffentliche
Ordnung"....
Alle fünf Abschnitte werden von folgenden Merkmalen geprägt, denen
im folgenden nachgegangen werden soll:
Gewalt wird nicht erst in der Ausübung unmittelbaren physischen Zwangs
gesehen sondern schon in der Ankündigung und Anwendung passiven
Widerstandes, wobei im einen wie im anderen Fall allein der angestrebte Zweck,
das Ziel des Handelns oder des Verhaltens über die Strafbarkeit
entscheidet. Das Monopol, legitime und illegitime Gewalt zu definieren, liegt in
den Händen des Staatschutzes, er befindet darüber, welche Handlungen "staaterhalten"
oder "staatsfeindliche" sind. Daß also nicht jede Gewalt oder
Gewalttätigkeit von vornherein rechtswidrig ist, spielt für die
Rechtsprechung zu den Delikten des Staatsschutzrechts verständlicherweise
eine besondere Rolle, und zwar sowohl für die Beurteilung politischer
Aufrufe wie Aktionen.
Zweitens handeln die Delikte - anders als ihre Überschriften vermuten
lassen - nicht etwa von konkreten Gefahren, "Ordnungsstörungen"
und ihrer Verursachung; es sind vielmehr sogenannte abstrakte Gefährdungsdelikte
bei denen es im Unterschied zu erfolgsbezogegen Delikten nicht darau ankommt, daß
eine feststellbare Gefahr, etwa für die "Staatssicherheit", tatsächlich
eingetreten ist - es reicht aus, daß Ankläger und Gerichte die Möglichkeit
hierfür sehen oder aus der "Täterpersönlichkeit"schließen.
Auch hier also ein "Vorfeldschutz", der über einen
gesetzestechnischen Trick garantien wird: durch die Verwendung unbestimmter, von
Fall zu Fall auslegungsbedürftiger und auslegungsfähiger
Rechtsbegriffe wie "Einwirken", "Verunglimpfen", "Befürworten"
usw., mit denen Äußerungen unter Tat-Bestände subsummiert
werden, wenn die in ihnen genannte "verfassungsfeindliche Absicht"
beim Verfolgten "entdeckt" oder einfach davon ausgegangen wird,
bestimmte Worte und Schriften seien "nach den Umständen geeignet",
den "öffentlichen Frieden" zu "stören".
Schließlich drittens: die Verfolgung nicht etwa jeder individuellen
und vereinzelten Erklärung oder handlung, die auch vereinzelt bleibt,
sondern die Bekämpfung der "organisierten Gesinnung", der "Idee
in organisierter Form", sowie die Verfolgung von kollektiv, von solidarisch
handelnden Menschen.
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