Cobler, Die gefahr.....


Das Strafrecht als Kampfmittel

Auszüge aus:
Sebastian Cobler
Die Gefahr geht von den Menschen aus
Der vorverlegte Staatsschutz
Berlin 1976, S.54ff


Vom politischen Strafrecht zu sprechen, ist eigentlich eine begriffliche Verdoppelung; denn welches Strafrecht, welche strafrechtliche Bestimmung ist nicht politisch, ist nicht Ausdruck der jeweiligen gesellschaftlichen Definition von Kriminalität? Wenn im folgenden gleichwohl ausdrücklich vom politischen Strafrecht die Rede ist, so soll damit jener Bereich markiert werden, der in unserem Zusammenhang interessiert: der strafrechtliche Staatsschutz, das heißt die justizförmig geführte Auseinandersetzung des Staates mit seinen politischen Gegnern, deren Unterdrückung und Ausschaltung mit den Mitteln eines hierfür eigens geschaffenen und eigentümlich gehandhabten Rechts......

... Als die Bundesrepublik 1949 gegründet wurde, galt zwar nach wie vor das alte Reichsstrafgesetzbuch, dessen aus der Nazizeit stammende Staatsschutzbestimmungen aber hatten die Alliierten außer Kraft gesetzt. Um diesen "rechtsleeren Raum", diese "Gesetzeslücken wenigstens notdürftig zu schließen", wurden im Sommer 1951 - bezeichnenderweise als erste Strafrechtsreform - neue, "für den Schutz des Staates unerläßliche Bestimmungen "geschaffen", die dann allerdings weder neu noch notdürftig ausfielen.

Hatten die Vorlage der Bundesregierung und erst recht der von der SPD eingebrachte Entwurf eines "Gesetzes gegen die Feinde der Demokratie" noch von den abzuwehrenden "Angriffen aus dem Lager der unbelehrbaren verbrecherischen Anhänger der nationalsozialistischen Ideologie" gesprochen, so wurde schon sehr bald während der Beratungen von der Bundesregierung klargestellt, wer in den Debatten mit "Bösewichten", "Staatsfeinden", "Todfeinden der menschlichen Gesellschaft", "Wühlorganisationen", "Wühlmäusen" und "Ratten, die an den Säulen des Staates unterirdisch nagen" gemeint war, und wem mit "unerbittlicher" und "unnachsichtiger Härte", mit "schlagkräftigen Bestimmungen" zu begegnen sei: Sozialisten und Kommunisten.

Insbesondere der Korea-Krieg (Beginn: 25.Juni 1950) lieferte der Bundesregierung die benötigte Munition, um die Einwände gegen ihr Gesetz zu durchlöchern, die während der vorparlamentarischen Beratungen erhoben wurden, so etwa vom Bundesrat....

...In aller Eile verabschiedete denn auch der Bundestag am 11.Juli 1951 das neue Staatsschutzrecht als dessen Kern der Justizminister die Bestimmungen nannte, mit denen das "Handeln, das vor dem Hochverrat liegt" erfaßt, der "ideologische Hochverrat", die "ideologische Unterniminerung" und "geistige Sabotage" bekämpft werden solle. Daß somit radikale Kritik an den herrschenden Verhältnissen auf einer Stufe mit den Gewalttätigen erscheint, als deren Attribut sie hier genannt wird, kennzeichnet die spezifische Funktion des Staatsschutzes in der Bundesrepublik: die Vorverlagerung strafbaren Verhaltens in den Bereich von Absichten und Äußerungen.

Die Staatsschutzbestimmungen, so hieß es während der Beratungen des Gesetzes, sollen dem Schutz des Staates vor "Untergrabungen" dienen, die nicht gewaltsam betrieben würden, sondern "mit den propagandistischen Mitteln einer staatsabträglichen Ideologie". Es sei erforderlich, "neuen umstürzlerischen Bewegungen zu begegnen, die nicht mit Gewalt vorgehen, auf jeden Fall nicht die Gewalt erkennen lassen". Der moderne Staat sei mit Gegnern konfrontiert, die nicht mehr mit Barrikadenkämpfen und Waffengewalt versuchten, an die Macht zu gelangen, sondern sich immer mehr der "lautlosen und unauffälligen Methode der inneren Zersetzung" bedienten, der "Presse, des Rundfunks" und "Druckschriften aller Art"; eine "kalte Revolution", die deshalb so gefährlich sei, weil "ein System von Einzelakten" entwickelt werde, "von denen jeder einzelne an sich mehr oder weniger harmlos erscheint, die aber durch das Zusammenspiel aller, die von den verschiedensten Ansatzpunkten aus das gemeinsame Ziel fördern, eine Situation schaffen können, die schließlich die Staatsumwälzung unausweichlich macht und sie wie eine reife Frucht gewinnen läßt".

....Um dies zu verhindern, um die Staatsräson zu erhalten und das Monopol staatlicher Gewalt unangefochten ausüben zu können, wurden "neue Schutzvorschriften" für den Staat installiert, die "seine Vereidigungslinie in den Bereich vorverlegen, in dem die Staatsfeinde unter der Maske der Gewaltlosigkeit die Macht erschleichen".

Dieser vorverlegte Staatsschutz ist ganz und gar nicht ein "neuer Wein" in den "alten Schläuchen" des StGB, ...., sondern ein Verschnitt des Jahrgangs 1935:

Mit dem "Vorschutz" steht das Staatsschutzstrafrecht der Bundesrepublik in einer Kontinuität zum nationalsozialistischen Gesinnungsstrafrecht, als dessen "Erfinder" unter anderen Roland Freisler auftrat: "Das Straftrecht verlegt das Kampffeld nach vorn.", eine Strategie, die ausführlich in einem von Freisler erwähnten Aufsatz von 1935 entwickelt wurde, der grundlegende Bedeutung für das faschistische Strafrecht erlangte, und dessen Überlegungen frappierende Ähnlichkeiten mit den zitierten Argumentationen für das politische Strafrecht der Bundesrepublik aufweisen...

....Fünfzehn Jahre später griff der Bundesjustizminister diesen Gedanken auf: Die "Staatsfeinde seien "zu treffen und unschädlich zu machen, bevor sie in Aktion treten" können. Es liegt auf der Hand, daß dieses Ziel nur durch eine Beschränkung der Meinungsfreiheit, durch eine Kriminalisierung bestimmter politischer Ansichten zu erreichen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat hierfür den Begriff der "staatsgefährdenden Meinungen" geprägt, die um des "Ganzen" willen verfolgt werden müßten: "Für die freiheitliche Grundordnung ist die Meinungsfreiheit schlechthin konstituierend. Wenn gerade dieses Grundrecht zurückstehen soll, dann muß dies durch besondere Notwendigkeiten dieser Ordnung gerechtfertigt sein".

Schon aus Gründen der Prozeßökonomie soll natürlich nicht jede politische Bemerkung bestraft werden, mit der Kritik an den bestehenden Zuständen geübt wird. Nicht um die "zollfreien Gedanken" gehe es, wie sich ein Bundesjustizminister ausdrückte, sondern "um die äußere Wirkung, die aus dem inneren Zentrum (der Menschen) entsteht", um Worte und Schriften also, die praktische Konsequenzen haben könnten, die nicht nur ausgesprochen, sondern auch ausgeführt werden, weil sie in einer bestimmten Situation und aus konkreten Zusammenhängen offensichtliche Probleme handlungsverbindlich ansprechen, vorhandene Handlungspotentiale aufzeigen und verstärken. Zwar müsse "die Gesinnung als solche in einer Demokratie frei sein, aber die Betätigung dieser Gesinnung kann nicht in jeder Form zugelassen werden". Welche politischen Meinungen in welcher Form geäußert und "betätigt" werden dürfen, definiert das politische Strafrecht in fünf Abschnitten: "Hochverrat", "Staatsgefährdung" (seit 1968 etwas gefälliger "Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates" genannt), "Straftaten gegen Verfassungsorgane", "Widerstand gegen die Staatsgewalt" und "Straftaten gegen die Öffentliche Ordnung"....

Alle fünf Abschnitte werden von folgenden Merkmalen geprägt, denen im folgenden nachgegangen werden soll:

Gewalt wird nicht erst in der Ausübung unmittelbaren physischen Zwangs gesehen sondern schon in der Ankündigung und Anwendung passiven Widerstandes, wobei im einen wie im anderen Fall allein der angestrebte Zweck, das Ziel des Handelns oder des Verhaltens über die Strafbarkeit entscheidet. Das Monopol, legitime und illegitime Gewalt zu definieren, liegt in den Händen des Staatschutzes, er befindet darüber, welche Handlungen "staaterhalten" oder "staatsfeindliche" sind. Daß also nicht jede Gewalt oder Gewalttätigkeit von vornherein rechtswidrig ist, spielt für die Rechtsprechung zu den Delikten des Staatsschutzrechts verständlicherweise eine besondere Rolle, und zwar sowohl für die Beurteilung politischer Aufrufe wie Aktionen.

Zweitens handeln die Delikte - anders als ihre Überschriften vermuten lassen - nicht etwa von konkreten Gefahren, "Ordnungsstörungen" und ihrer Verursachung; es sind vielmehr sogenannte abstrakte Gefährdungsdelikte bei denen es im Unterschied zu erfolgsbezogegen Delikten nicht darau ankommt, daß eine feststellbare Gefahr, etwa für die "Staatssicherheit", tatsächlich eingetreten ist - es reicht aus, daß Ankläger und Gerichte die Möglichkeit hierfür sehen oder aus der "Täterpersönlichkeit"schließen. Auch hier also ein "Vorfeldschutz", der über einen gesetzestechnischen Trick garantien wird: durch die Verwendung unbestimmter, von Fall zu Fall auslegungsbedürftiger und auslegungsfähiger Rechtsbegriffe wie "Einwirken", "Verunglimpfen", "Befürworten" usw., mit denen Äußerungen unter Tat-Bestände subsummiert werden, wenn die in ihnen genannte "verfassungsfeindliche Absicht" beim Verfolgten "entdeckt" oder einfach davon ausgegangen wird, bestimmte Worte und Schriften seien "nach den Umständen geeignet", den "öffentlichen Frieden" zu "stören".

Schließlich drittens: die Verfolgung nicht etwa jeder individuellen und vereinzelten Erklärung oder handlung, die auch vereinzelt bleibt, sondern die Bekämpfung der "organisierten Gesinnung", der "Idee in organisierter Form", sowie die Verfolgung von kollektiv, von solidarisch handelnden Menschen.