|
Seit Beginn der 70er Jahre wurde das Staatsschutzrecht propagandistisch
vollständig auf "Anti-Terrorismus" abgestellt. Neben einer
Vielzahl anderer Gesetze, wie z. B. der Verschärfung der StPO, des
Strafverfahrensrecht u.a. wurden 1976 die §§ 129a (Bildung einer
terroristischen Vereinigung) und 130a (Anleitung zu Straftaten) vom Bundestag
verabschiedet. Beide Gesetze bedrohen im eigentlichen Sinne keine
Begehungsdelikte mit Strafe, sie agieren vielmehr weit im Vorfeld von konkreten
Handlungen. Die Einführung dieser beiden §§ bedeuteten einen
weiteren bedeutsamen Schritt im Sinne des "vorverlegten Staatsschutzes"(1).
Die Staatsschutzfunktion des § 129 hat dabei historische Kontinuität
bis ins letzte Jahrhundert hinein. Unter dem Titel "staatsfeindliche
Verbindung" hieß es dort gleichlautend von 1871 bis 1945: "Die
Teilnahme an einer Verbindung, zu deren Zwecken und Beschäftigungen gehört,
Maßregeln der Verwaltung oder die Vollziehung von Gesetzen durch
ungesetzliche Mittel zu verhindern oder zu entkräften, ìst an den
Mitgliedern mit Gefängnis bis zu einem Jahr, an den Stiftern und Vorsteher
mit Gefängnis von 3 Monaten bis zu 2 Jahren zu bestrafen"(2). Damit
wurden die Vereinigungen der Arbeiterbewegung kriminalisiert.
Der § 129 wurde schließlich in der Weimarer Republik derart
extensiv angewandt und ausgelegt, "daß sämtliche Funktionäre
der KPD allein wegen ihrer Tätigkeit im Sinne der revolutionären
Zielsetzung ihrer Partei strafbar waren."(3) Bei unzähligen Verfahren
wurde hierbei die Absicht des "vorverlegten Staatsschutzes" deutlich
sichtbar: es wurden nicht konkrete Handlungen verfolgt und bestraft, allein die
Gesinnung reichte zur Verurteilung nach § 129 hin.
Nach einer unvollständigen Statistik wurden allein vom 1. Januar 1924
bis August 1925, also in einem Zeitraum von 16 Monaten, 6.349 Arbeiter zu
insgesamt 4.672 Jahren Freihe.itsstrafe und Geldstrafen von 267.000 RM
verurteilt.(4) Mit dem 1. Strafrechtsänderungsgesetz wurde 1951 in den
Tatbestand des § 129 - inzwischen unter dem Titel "kriminelle
Vereinigung" - auch die "Unterstützung" aufgenommen. Dieser
Begriff wurde vom Bundesgerichtshof (BGH) unendlich weit gefaßt. "Einem
Reformvorschlag der Nazis von 1936folgend"(5) wird die "Unterstützung"
der Teilnahme an einer "kriminellen Vereinigung" gleichgesetzt. "Unterstützung
ist zu Täterschaft verselbständigte Beihilfe durch ein Nichtmitglied
der Organisation." Es genügt "wenn die Organisation in ihren
Bestrebungen oder in ihrer Tätigkeit gefördert, insbesondere gestärkt
wird, oder wenn ihre Arbeit erleichtert worden ist. Andererseits setzt der
Begriff der Unterstützung nicht voraus, daß der Organisation
nachweislich ein durch den Täter verursachter meßbarer Nutzen
entstanden ist. Der Täter unterstützt, wenn seine Hilfe an sich
wirksam und für die Organisation irgendwie vorteilhaft ist."(6)
So zielt der § 129 in den 50er Jahren auf die Mitglieder der KPD, die
vom Bundesverfassungsgericht (BVG) für die Jahre 1951-1955 als "kriminelle
Vereinigung" eingestuft und 1956 verboten wurde. Ferner galten zu dieser
Zeit sämtliche sog. "Tarnorganisationen" als "kriminelle
Vereinigungen". Dies führte zu einer Verfolgungsaktion, in deren
Verlauf 100.000 Ermittlungsverfahren wegen § 129 eingeleitet wurden. Nach
dem Verbot der KPD entschied das BVG, daß politische Parteien - solange
sie nicht verboten sind - wegen des Parteienprivilegs keine "kriminelle
Vereinigungen" sein können.
1964 wird der § 129 durch Hinzufügen des "werbens" als
Straftatbestand ergänzt. Seither ist der § 129 im wesentlichen gleich
geblieben.1975 erklärte der BGH erstmals eine nicht als Organisation zu
identifizierende Gruppen von Hausbesetzern zur "kriminellen Vereinigung",
weil sie sich aufdie Räumung durch die Polizei "auf Straftaten mit
erheblichem Gewicht" vorbereitet hätten.(7) Kollektiv und öffentlichkeitswirksam
organisierte Widerstandsaktionen, deren Vorbereitung und die sie stützende
Solidarität wurde so als "Banden-Tätigkeit" kriminalisiert.
Unter Hinweis auf dieses BGH-Urteil wurden 1980/81 ca. 300
Ermittlungsverfahren allein in West-Berlin wegen Hausbesetzungen mit dem §
129 eingeleitet. Seine besondere Bedeutung erhielt der § 129 aber erst
durch die im Zuge der "Anti-Terror-Kampagne" eingeführten Ergänzung
der "Bildung einerterroristischen Vereinigung" (§129a). Die im
Zusammenhang mit den Hausbesetzungen geschilderte extensive Auslegung des §
129 kann als juristische Vorbereitung für die Einführung des neuen
Terrorparagraphen gelten. Die wichtigsten Neubestimmungen des § 129a
enthielten:
- U-Haft ohne weiteren Haftgrund,
- Überwachung des Fernmeldeverkehrs,
- Beschränkung der Rechte der Verteidigung (Postkontrolle,
Mehrfachverteidigungsverbot, Ausschließungsverfahren),
- Sonderzuständigkeit der Oberlandesgerichte,
- besondere Haftbedingungen (Isohaft, Kontaktsperre undundund...)
- Einschränkung von Besuch- und Postverkehr.
Die wichtigste Neuregelung aber ist die automatische Unterstellung der
Ermittlungsverfahren an die Bundesanwaltschaft (BAW). "Beim § 129 ist
dies als KANN-Bestimmung gefaßt. Damit zentralisiert sich ein wesentlicher
Teil der Verfolgungs- und Fahndungsmaßnahmen gegen die revolutionären
Gruppen in den Händen der BAW."(8) Die BAW ist kurzgeschlossen mit dem
Bundeskriminalamt (BKA) und kann sich somit unkontrollierbar der "Erkenntnisse"
der Geheimdienste bedienen. Die Ermittlungen werden letztendlich vom BKA
bestimmt und gelenkt. Dies ist eine Grundlage dafür, daß die Grenze
zwischen Ermittlungen zur Ausforschung linker Zusammenhänge und
Ermittlungen, um bestimmte "Delikte" zu kriminalisieren, sich
systematisch vermischt. Dies bedeutet einerseits einen bedeutenden Machtzuwachs
der Geheimdienste(9) und ferner die Möglichkeit, ihre Datengier unter
Ausschaltung der noch verbleibenden Datenschutzbestimmungen gründlichst
zu.sättigen.
Strafbar nach § 129 a ist nicht nur die "Unterstützung".von
Mitgliedern einer "terroristischen Vereinigung", auch "jede
Unterstützung der Vereinigung" als solcher "wird mit Strafe
bedroht." Mitglied kann sogar sein, wer für die "Vereinigung"
überhaupt noch nicht tätig geworden ist, sondern (angeblich) erst tätig
werden wollte"(10). Durch die Einführung des "Werbens" als
Tatbestand ist ein konkreter Erfolg der "Unterstützung" nicht
mehr erforderlich. Auch der erfolglos gebliebene Versuch der "Unterstützung"
ist als "Werben" unter Strafe gestellt. Mit anderen Worten: Alles was
irgendwann und irgendwie der "Vereinigung" mittel- oder unmittelbar
nutzen könnte, fällt unter § 129a. Wenn nichtwegen "Unterstützung",
bzw. "Werbung", dann wenigstens wegen "Beihilfe" zur "Unterstützung"
bzw. "Werbung". So bei den Agit-Druckern, die 1979 nach § 129a
verurteilt worden sind, weil (und jetzt wirds kompliziert) sie durch das Drucken
des "Info-Bugs" (Zeitung der Berliner undogmatischen Gruppen) und
deren Herausgebern geholfen hätten, die ihrerseits den damals
Hungerstreikenden dabei halfen, mit ihren Hungerstreikerklärungen für
die RAF/Bewegung 2. Juni zu werben."(11)
Seither laufen zahllose § 129a Angriffe wegen "Werbung" auf
Publikationen der linken Szene (atom, radikal, blättle, freiraum, radiaktiv
etc.). Die BAW definiert dabei "Werbung" nicht als Mitglieder-,
sondern als Sympathiewerbung. Dementsprechend sieht die Verfolgungs- und
Verurteilungspraxis aus: Als "Unterstützung" bzw. "Werbung"
wurde und wird verfolgt:
- das Veröffentlichen von Erklärungen und Diskussionsbeiträgen
von bewaffneten Gruppen,
- die Unterstützung von Hungerstreikforderungen
- die Verteilung von Hungerstreikerklärungen,
- das Parolensprühen wie z. B. "Solidarität mit der RAF",
oder wer sich an Vorbereitungen beteiligt, solche Parolen zu sprühen,undsoweiter.
Ferner versucht die BAW seit 1980/81 relativ spontan entstehende Gruppen wie
Freizeit 81, München, Schwarzer Block, Frankfurt, Weiße Rose, Itzehoe
u.a. sowie seit 1982 autonome Gruppen unter dem Tatbestand "terroristische
Vereinigung" zu fassen. Ein Präzedenzurteil würde die Zugriffsmöglichkeit
mithilfe des § 129a entscheidend verbessern. Diese Möglichkeit scheint
nun durch die erneute Verschärfung umsetzbar zu werden.
Bisher hat die BAW jedoch den § 129a nur in Bezug auf "RAF", "RZ"
und "Bewegung 2. Juni" bis zur Anklageerhebung und Verurteilung
benutzt. Dies sind die "nachgewiesenen" Vereinigungen, deren "kriminelle
Taten" und "org. Zusammenhänge" vorausgesetzt werden zur
Verfolgung eines "Unterstützerkreises". Dagegen wurde der §
129a im Bereich gesellschaftlicher Protestbewegungen immerwieder als
Ermittlungsvorwurf benutzt, ohne jedoch eine weitere "terrorist.
Organisation" justiziabel machen zu können. Die Anwendung des §
129a als Ermittlungsvorwurf erlaubt, auch ohne Anklageerhebung, eine breite und
massive Ausforschung und Denunziation politischer Zusammenhänge (siehe
Hannover im letzten Jahr). Die §§ 129/129a, ich hoffe das wurde
deutlich, zielen in ihrer geschichtlichen Anwendung nicht auf bestimmte
Aktionsformen ab sondern waren immer in erster Linie auf politische Inhalte
gerichtet und somit immer auf Ansätze kollektiven Widerstandes. Zitat
Rebmann: "In den 50er Jahren ging es vor allem darum, dem sog. gewaltlosen
Umsturz entgegenzuwirken, wie er damals von kommunistischer Seite angestrebt
wurde... In derersten Hälfte unseres Jahrzehntes erwuchs der
Strafrechtspflege eine neue Aufgabe unter anderen Bedingungen... Mit der
Strafverfolgung terroristischer Gewalttäter leisten Staatsanwaltschaften
und Gerichte heute ihren Beitrag zur Gewährleistung des inneren Friedens
und der inneren Sicherheit des Staates."(12) .
Diese historische Verknüpfung der KPD-Bekämpfung mit der RAF-Bekämpfung
verdeutlicht vollends: nicht die Form des Kampfes - gewaltsam oder nicht
gewaltsam - sind der Grund für das strafrechtlich verkleidete
Sonderinstrumentarium, sondern ihr Inhalt. Hier ging und geht es um die Bekämpfung
von organisiertem Handeln - und zwar mit allen Mitteln: Dabei geht es
strafrechtlich nicht um den Nachweis von Taten, sondern die Strafbarkeit wird
durch den Nachweis tatsächlicher oder vermuteter Motive - also über
die Gesinnung - erlangt.
Ähnlich verhielt es sich bei der Einführung des § 130a Anfang
1976. Nicht die Tat an sich wie z. B. das Durchknipsen eines Bauzaunes mithilfe
eines Bolzenschneiders während einer Demo sei kriminalisìert,
sondern darüberhinaus wurde bereits schon das Reden darüber bzw. die
schriftliche Fixierung zum Straftatbestand erklärt. Dies, obwohl das
BRD-Strafrecht bereits schon ein dichtes Netz von Bestimmungen und Gesetzen
gegen die Darstellung von Gewalt enthielt, das seinesgleichen nur in
faschistischen Diktaturen findet, z.B.
- § 111 öffentl. Aufforderung zu Straftaten
- § 126 Störung des öffentl. Friedens durch Androhung v.
Straftaten
- § 130 Volksverhetzung
- § 131 Verherrlichung v. Gewalt
- § 140 Belohnung u. Billigung v. Strataten
- § 241 Bedrohung eines anderen undsoweiterundsofort.
Die Fülle strafrechtlicher Regelungen zum Zweck der Unterbindung von
verbalen bzw. schriftlichen Gewaltäußerungen verleiht der BRD im
internationalen Maßstab allein schon einen Sonderstatus.(13)
Die Einführung des § 130a wurde mit, wie auch sonst einer
Gesetzeslücke begründet. Zwar sanktioniere § 111 die Aufforderung
zu Straftaten, aber sei im Einzelfall nicht oder nur schwer nachzu weisen, daß
eine zur Erfü!lung des Straftatbestandes notwendige Zielgerichtetheit
vorliege (z.B. wenn ein Bekennerbrief als Doku veröffentlicht wurde), so
ungefähr wurde die Einführung begründet. Um diesen Nachweis eben
nicht erbringen zu müssen, genügt es beim § 130a ganz allgemein "Anleitung
zur Gewalt"zu geben. In der Praxis fand der § allerdings wenig
Anwendung. Er wurde zumeist als Einschüchterungs§ genutzt, letztlich
um die Zensur in den Köpfen voranzutreiben. Bei 111 Ermfttlungsverfahren
gab es lediglich 6 Anklageerhebungen.'(14) Ferner wurden die Ermittlungen zu §
130a schon frühzeitig durch Ermittlungen zu den §§ 129/129 a überdeckt.
Während eine Solidaritätsarbeit zu dem Zensur§ bis in weite
Kreise der liberalen" Öffentlichkeit Erfolg zeitigte, erwies sich dies
bei §§ 129/129a -Verfahren als weitaus schwieriger und zumeist als
erfolglos. Im Rahmen solcher Verfahren hatder§ 130aeineabsolut
untergeordnete Rolle. Der § 130a stand in Folge relativ bedeutungslos neben
den §§ 129/129a, nach denen in der Regel verurteilt wurde. Nur so ist
zu erklären, daß es gemessen an der Propaganda der Herrschenden, von
wegen daß ein rechtsfreier Raum und Handlungsbedarf bestehe, es zu wenigen
Anklagen und Verurteilungen mithilfe des § 130a kam. Ferner läßt
sich die Streichung des § im Jahre 1981 auch nur daher herleiten.
Die damalige SPD/FDP-Koalition begründete "denn auch die
Abschaffung des § 130a mit der "Verunsicherung der Jugend", sowie
mit der "Uberflüssigkeit" des Paragraphen.(15). Überflüssig
gemacht letztlich durch die extensive Auslegung der §§ 129/129a.
Anmerkungen
1) zitiert nach: Arbeiterkampf 204, 22.4.1981, Seite 23.
2) zitiert nach. S. Cobler, "Die Gefahr geht vom
Menschen aus", Seite 146.
3) H. Hannover/E. Hannover-Drück: "Politische
Justiz 1918-1933, Seite 228.
4) a.a.0., Seite 230.
5) Cobler, a.a.0., Seite 84.
6) a.a.0., S. 86.
7) Arbeiterkampf, a.a.0., Seite 23.
8) Arbeitsgruppe § 129a (Hg.) Texte und Materialien,
Hannover 1986, Seite 29.
9) a.a.0., Seite 29.
10) BGHSt 29,114 ff. zit. nach AK 204.
11) Agit-Urteil d. BGH, zit. n. AK 204.
12) "Terrorismus und Rechtsordnung", Rebmann in: "Deutsche
Richterzeitung", zit. nach AK § 129a.
13) Politische Buchhandlung Bochum u.a.: "Das
Diskussionsverbot", Seite 39/40.
14) Frankfurter Rundschau,1.11.86.
15) AK 204, a.a.0., S. 23. (aus: Materialien zur Neuregelung
des Paragraphen 129a,130a und zu den (geplanten) Sicherheitsgesetzen, Hamburg
Dez. 1986)
|