Stadt. Aktion




Gotham City und die Zukunft des öffentlichen Raumes
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Hauptbahnhof gegen eingleisige Kommunikation

von Oliver Brücher

Die Stadt, so die herrschende Meinungsmache, wird immer gefährlicher. Nach den Vertreibungskampagnen gegen Junkies, Obdachlose und Ausländer wird das Projekt "sichere" Stadt nun auf weitere Formen der unerwünschten Nutzung öffentlicher Räume ausgeweitet. Nur eine "saubere" Stadt, so die Devise, wird von den Bürgern auch als "sichere" Stadt erlebt. Einer verschärften Kriminalisierung sehen sich nun alle diejenigen ausgesetzt, die öffentliches und privates Eigentum durch Graffitis, "Schmierereien" und andere individuelle Beisätze zweckentfremden, oder die durch schlichtes "Herumlungern" die herrschende Moral unterminieren. Auch die Bahn AG ist auf den Zug aufgesprungen und denkt z.B. darüber nach, das Recht zum Betreten des Bahnhofs wieder an den Besitz eines gültigen Fahrausweises zu knüpfen. Im Zuge der Kommerzialisierung des Bahnverkehrs kennt man nur noch zwei Klassen von Menschen: Kunden und Störer. Ersteren soll mit der geplanten "Tieferlegung" des Frankfurter Hauptbahnhofs ein neues, reibungsloses, Konsum- und erlebnisorientiertes Reisen ermöglicht werden, letztere gilt es möglichst effizient loszuwerden.

In den vergangenen Jahren hat der öffentliche Diskurs um Sicherheit und Ordnung eines der effektivsten Muster rassistischen Denkens wiederbelebt: "Schmutz" als Sammelbegriff für alle Bedrohungen, gegen die man sich vermeintlich richtet. Auf den ersten Blick mag man sich wundern, was für ein Aufwand z.B. in Berlin um die Bekämpfung von Graffitis an den Häuserwänden betrieben wird. Mutandis mutanda werden dort gar brave Hausbesitzer, die sich nicht schicken, an ihren Hauswänden aufgetragene Sprühereien eilends eigenhändig zu entfernen, mit saftigen Geldstrafen bedroht. In Frankfurt funktioniert das Bündnis zwischen Politik und Wirtschaft immerhin noch, so hat man eilends einen Fond gegründet, aus dem die geforderten Reinigungsarbeiten finanziert werden sollen. Wie man hört, zahlen die Geschäftsleute fleißig ein. Schon erstaunlich, wofür hierzulande noch Geld aufgetrieben werden kann. Der sittliche Nährwert von Kampagnen, die allenthalben neue Gefährdungslagen erfinden, liegt auf der Hand. Drogendealer und -konsumenten, Schwarzarbeiter, Kampfhundbesitzer, Partys feiernde oder "herumlungernde" Jugendliche und Sprayer sind willkommene Sündenböcke für wirtschaftliche und soziale Probleme, die die herrschende Politik nicht zu lösen im Stande ist. Gegen "Schmutz" und "Schmarotzertum" lassen sich endlos symbolische Kampagnen erfinden, deren Wirkung vor allem darin besteht, die Bürger auf Trab zu halten. Teilweise werden die entsprechenden Maßnahmen a la Gefahrenabwehrverordnung nicht einmal in die Praxis umgesetzt, doch wenn sie es werden, erzeugen sie reale Opfer. Das betrifft außer den Kriminalisierten und Abgeschobenen zunehmend alle, die öffentliche Räume noch zu anderen Zwecken als für Arbeit und Konsum gebrauchen wollen. Kommunikation und Erlebnis als individuelle Verkehrsformen werden abgeschafft und das Monopol der Medienkonzerne und Freizeitagenturen ausgebaut.

Dabei gehen durchaus unterschiedliche Interessen ein strategisches Bündnis ein. Einerseits wird von den Unternehmen an einer zunehmenden Privatisierung des öffentlichen Raumes gearbeitet (Beispiel: die Frankfurter Einkaufsmeile Zeil), andererseits versucht die gegenüber kommerziellen Standortinteressen in Bringschuld geratene Politik (wie durch die Aufstellung eines "Überwachungspavillions" auf der Zeil) deren Wünsche in vorauseilendem Gehorsam zu erfüllen und gleichzeitig durch öffentliche Verunsicherung den Wählern, wenn schon nicht Wohlstand, so doch zumindest Ruhe und Ordnung zu versprechen. Während die sozialen Leistungen gekürzt werden, werden die Bürger in ein engmaschiges Netz der Überwachung und Kontrolle gespannt. Gleichzeitig wird der Kreis der Anspruchsberechtigten durch den sozialen Ausschluß großer Gruppen enger gezogen. Die rassistische Erzeugung von Sündenböcken ist auch ein Aufruf zur Entsolidarisierung, in der Hoffnung, daß je weniger die Menschen sich gegenseitig trauen, das Vertrauen in die (ökonomisch und politisch) Herrschenden wächst. Das Beispiel Bahn AG zeigt, daß ehemals staatliche Dienstleistungen unter dem Aspekt der Kommerzialisierung einer vergleichbaren Entwicklung unterzogen werden. Die Funktionen des Bahnhofs werden auf Konsum und "ungestörtes" durchreisen reduziert. Ein Aufenthalt außerhalb der gastronomischen und sonstigen Betriebe ist unerwünscht. Die symbolische Struktur des Schienenverkehrs, in dem sich die einzelnen gezogen von unsichtbaren Fäden stetig und zielstrebig fortbewegen, wird zur Metapher für die räumliche Ordnung der Bahnhöfe und der ganzen Innenstädte (in den kommerziellen Erlebnisparks gilt sie übrigens schon lange, dort kommt auch der reale Schienenverkehr ganz bewußt zum Einsatz). So kann man auch die fanatische Entrüstung über einen kleinen "Leitfaden zur Behinderung von Bahnverkehr aller Art" verstehen. Eine Störung eingleisiger Fahrten trifft das Herz des öffentlichen Selbstbildes dieser Gesellschaft. Individuelle "Abweichungen" von der vorgeschriebenen Nutzung öffentlicher Räume und Kommunikationswege bringen den Zug "Deutschland" zum entgleisen.

Die Pläne zur "Tieferlegung" dienen nur vordergründig dazu, das Reisen zu beschleunigen und ein größeres Kaufhaus unterzubringen, vor allem machen sie die Bahn AG, die diese Strategie auch andernorts verfolgt, zu einem der größten Grund-Spekulanten der Stadt. Angesichts einer von allen großen Parteien betriebenen Politik, die Stadtplanung vollständig den Interessen privater Investoren zu unterwerfen, sind die öffentlichen Möglichkeiten, auf die daraus folgenden Projekte (es entsteht ein ganzer neuer Stadtteil zwischen Gallus und Gutleutviertel) Einfluß zu nehmen, gleich null. Wir wollen aber ganz praktisch ein Recht auf die alternative Nutzung öffentlichen Raumes (und das sollen auch der Bahnhof und die Zeil bleiben - kollektives Territorium) einfordern und uns nicht zum Schweigen bringen lassen. Kommunikation, die nur im Rahmen der Medien stattfindet, finanziert von der Koalition für Ordnung und Konsum, betrieben von professionellen Spezialisten in abhängigen Dienstverhältnissen, ist eingleisig. Den öffentlichen Raum denen, denen er zusteht.

Der Artikel erschien bereits im Frankfurter nachtexpress 1997

Ausgestattet mit Videokameras und anderen Überwachungsgeräten haben die JungdemokratInnen - Junge Linke den Frankfurter Hauptbahnhof heimgesucht. Mit dieser Aktion, auf der der oben abgedruckte Text als Flugblatt verteilt wurde, sollte die "neue" Funktionalität von Überwachung an öffentlichen Orten exemplarisch am Beispiel des Bahnhofs der Messe- und Bankenstadt dargestellt werden.