Stadt. Land. Fluß




Gotham City und die Zukunft des öffentlichen Raumes
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Berlin - Innerstädisches Strohfeuer ?

Reflexionen zur Berliner Innenstadtaktionswoche

von Didier Staffelt und Florentine Künast

In den Innenstädten und ihren öffentlichen Orten spiegelt sich heute das ganze Grauen gesamtgesellschaftlicher deutscher Herrschaftsarchitektur. Hier werden diejenigen ohne Vorwand kontrolliert, schikaniert, verprügelt und vertrieben, für die die Politik der rassistischen und sozialen Verelendung ohnehin allgegenwärtig zu spüren ist; MigrantInnen, Illegalisierte, Obdachlose, Junkies. Die öffentlichen Orte sind ein Kulminationspunkt und Ausdruck der autoritären Formierung im Sicherheitsstaat Deutschland, bei der MigrantInnen, Arme und Rechtlose dazu gezwungen werden, sich zu verstecken, ihnen das Leben unerträglich gemacht wird. Hier treffen die Phantasien der deutschen Polizeistaatsfreunde, Geschäftsleute, Sozialplaner und rassistischen Politiker von aufgeräumten Schreibtischen und einer homogenisierten, weißen Stadt mit leeren Plätzen aufeinander.

Die Berliner Innenstadtaktionstage "gegen Ausgrenzung, Sicherheitswahn und Privatisierung" markieren einen zwiespältigen Höhepunkt diesjähriger Aktivitäten gegen die rasant fortschreitende herrschaftstechnische Umgestaltung der hiesigen Innenstadt; ein Prozeß, durch den ganze Gegenden zu 'gefährlichen Orten' erklärt werden und die Polizeigewalt immer uneingeschränkter verfügen kann. Zum Ziel wurde im Aufruf gesetzt, "den Konsens zu stören, daß innerstädtische Räume nur mehr einer 'qualifizierten Öffentlichkeit' (Deutsche Bahn AG) zugänglich sein sollen", die "schweigende Mehrheit zur Stellungnahme zu provozieren" gegen die zunehmende polizeiliche Razziengewalt und privaten Sicherheitsdienste. Doch die 'schweigende Mehrheit' gibt es sowenig wie den immer noch durch die Linke geisternden 'Normalbürger'; statt dessen wird die Politik der Ausgrenzung getragen von einem herrschenden, teils stillschweigenden Konsens der Mehrheit; auf sie sollte politisch nicht geschielt werden. Die Mehrheiten werden wir gegenwärtig für emanzipatorische Ansätze nicht bewegen können; es müßte viel eher darum gehen, sich mit den Minderheiten zu bewegen, die noch etwas wahrnehmen.

Nicht zuletzt sollte es darum gehen, die "Ausgrenzung und Aufsplitterung aufzuheben, indem sich über die Aktionen Leute treffen, welche sonst individualisiert Repressionen erfahren", also Bündnisse herzustellen, in der verschiedene ausgegrenzte Gruppen eine öffentlich sichtbare politische Plattform finden -- letztlich sollten "weitergehende Diskussionen" angestossen, die Perspektive eines "spürbaren, lokalen wie überregionalen und kontinuierlichen Widerstands" eröffnet werden. Davon ist heute, im deutschen Herbst 1997, nicht viel übriggeblieben.

Dabei hatte die Aktionswoche selbst durchaus einiges zu bieten; wirkte manches zuweilen zwanghaft spaßig, so wurde doch vielerorts die autonome Ideenlosigkeit mit Kreativität durchbrochen. Einen Vorgeschmack bot der "Breitipalast: umsonst und draußen", die Vorpremiere des autonomen Videomagazins AK Kraak 15 auf dem fortwährend mit Polizei-Razzien 'gesäuberten' Breitscheidplatz, gegenüber der Eröffnung der Filmfestspiele im Zoopalast. Über hundert harrten trotz strömenden Regens aus, einige versuchten, das geladene Festspielpublikum mit der neuen innerstädtischen Realität zu konfrontieren, was die massiv anwesende Polizei mit Platzverweisen und Festnahmen beantwortete.

In der Aktionswoche selbst sind einige geplante Aktionen gescheitert oder gingen unter, die Highlights fanden aber teils eine gute Resonanz, auch in den Printmedien. Vor allem die kurzzeitige Besetzung des privatisierten Los-Angeles-Platzes in direkter Ku'damm-Nähe, auf dem eigentlich alles verboten ist und der von privaten Sheriffs kontrolliert wird, aktivierte mehrere hundert Personen und sorgte für eine überregionale Öffentlichkeit. Das "Picknick" mit Theaterperformances gegen Sicherheitsdienste war gelungen, wurde aber vorzeitig abgebrochen, da die Polizei sich genötigt fühlte, Leute festzunehmen, die Transparente dabei hatten. Ansonsten hielt sich die Staatsgewalt während der ganzen Woche so zurück wie zu kaum einem anderen Zeitpunkt des Jahres in der Stadt mit der höchsten Polizeidichte aller westlichen Metropolenstaaten. Vom üblichen Demo-Einerlei setzte sich auch die Friedrichshainer "Yuppie-Parade" ab. Hier wurde in bourgeoisem Outfit mit Sekt und Kaviar für "höhere Mieten", "mehr Autoparkplätze" und "Sklavenlöhne" 'demonstriert', Diskurse vorweggenommen, die uns in Zukunft -- Staat, Kapital und Medien sei Dank -- noch erwarten könnten: "Wahlrecht auch für Arbeitslose ?" Sogar die KiezbewohnerInnen nahmen Anteil; nicht unbedingt gewöhnlich für autonome Veranstaltungen. Durch einen nächtlichen Rave in einer Sparkassenzentrale an den prachtmodernisierten Hackeschen Höfen der Berliner Mitte wurde ein privatisiert-öffentlicher Raum wenigstens kurzzeitig entgegen seiner herrschenden Bestimmung umfunktioniert. Auch andere Aktionen sind zunächst einmal als erfolgreich zu bewerten, wie u.a. die kostenlose Essenverteilung ("Food Not Bombs") und eine antirassitische Informationsveranstaltung am Alexanderplatz, oder der Aufruf zum 'offensiven Grillen' - in Berliner Parks mittlerweile repressiv verfolgt -, bei dem Polizisten Würstchen beschlagnahmten. Schließlich gehörte ein Stadtplan, der Berlins 'gefährliche Orte' ausweist, zu den gelungenen praktischen Ideen der Woche.

Dennoch kann mensch sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Innenstadtaktionswoche nicht mehr als ein Strohfeuer geblieben ist. Auch die bundesweite Koordination, die Produktion von Kino-Spots und eine überregionale taz-Beilage können nicht darüber hinwegtäuschen, daß von den ursprünglichen Zielen kaum etwas auch nur annähernd verwirklicht worden ist. Es sind praktisch keine Bündnisse entstanden, durch die eine 'Aufhebung der Aufsplitterung und Individualisierung' möglich werden konnte. Zu den Aktionen erschien zumeist nur das Szene-Publikum. Das liegt zum einen daran, daß schon in der Vorbereitung vor allem darauf geachtet wurde, irgendwie die Events der Woche zu initiieren und zu organisieren, anstatt sich verstärkt dafür zu interessieren, das Innenstadtplenum zum politischen Ort für die verschiedenen Gruppen zu machen, die von der neuen Repressionswelle in der Innenstadt besonders betroffen sind (z.B. MigrantInnengruppen) -- oder diese Gruppen zumindest direkt anzusprechen. Das ist ein hoher Anspruch, dem aber de facto fast nicht nachgegangen worden ist. Nicht einmal eine engere Koordination mit der BesetzerInnenwoche ist gelungen, was freilich auch an deren OrganisatorInnen lag; das mag ein Ausdruck einer im allgemeinen schwachen, überforderten Restlinken sein. Vor allem aber ist keinerlei tragfähige 'Struktur' entstanden, die die Innenstadtaktionswoche überlebt hat.

Den neuen Diskursen um 'Innere Sicherheit' und verstärkte Polizei- und BGS-Präsenz in den Innenstädten, die fast direkt nach den Aktionstagen auf neue Höhepunkte zusteuerten, konnte so nichts entgegengesetzt werden. Die überwiegende Bedeutungslosigkeit des Projekts erwies sich, als der New Yorker Ex-Polizeichef auf Einladung der Gewerkschaft der Polizei und nach einer aggressiven, vom "Spiegel" initiierten Kampagne ("Wehret den Anfängen der Unordnung") nach Berlin kam. Eine Opposition gegen die herrschende Demagogie des Sommers war nicht sichtbar.

Wesentlich für dieses Scheitern scheint zudem, daß weder in der über halbjährigen Vorbereitungsphase, noch während oder nach der Woche anhaltende inhaltliche Auseinandersetzungen geführt worden sind über das, was in den Innenstädten passiert. Auf Papieren und in der Zeitungsbeilage gab es genügend Stoff zur kollektiven Reflexion; politische Diskussionen blieben zumeist aus. Selbst auf der Auftaktveranstaltung blieb es bei einigen Informationen, diskutiert wurde fast gar nicht.

Für die Opfer der Polizeigewalt wird sich die Lage auf absehbare Zeit nur verschärfen. Die Innenstadtwoche hat diese Realität kaum berührt. Gesorgt wird, mit Unterstützung von großen Teilen der Berliner Bevölkerung, für eine saubere weiße deutsche Hauptstadt, für ein staatlich notfalls mit Videokameras kontrolliertes Leben und Konsumieren einer 'qualifizierten' deutschen Öffentlichkeit, für Sicherheit für das deutsche Kapital.

Spaßorientierte, lustbetonte Aktionen machen durchaus Sinn. Als ernstzunehmende Politik, die mit subversiver Kraft um Konfrontationen und Veränderungen ringt, sind sie einfach zu wenig. Linksradikale Politik muß letztlich mehr sein, als einen kurzzeitig und inhaltlich begrenzten Protest zu zeigen. Ein bundesweites Treffen in Kassel soll nun zeigen, wie es weitergeht.