Stadt. Diskurs




Gotham City und die Zukunft des öffentlichen Raumes
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The Tramp and the 90ies: Lausige Zeiten

Über Sicherheit, Armut und die Stellvertreterpolitik der Linken

von Tobias Ebbrecht

Das Gespenst Sicherheit, das zur Zeit die Bevölkerung genauso umtreibt wie Presse und Politik, ist ein Motor dessen, was in der Stadt, dem Raum der klassischen bürgerlichen Öffentlichkeit, passiert. Die Logik, mit der die Veränderung in der Stadt begründet wird, klingt paradox, scheint aber zu greifen: Die Öffentlichkeit verliert nämlich ihren Charakter als Öffentlichkeit. Sie verliert ihn deshalb, weil die, die sie bestimmen, Bürgerinnen und Bürger, die privaten Räume bevorzugen, denn die sind angeblich sicher. Deshalb muß die Öffentlichkeit privatisiert werden, durch Firmen, die Sicherheit garantieren, durch begrenzte - und damit kontrollierbare - Räume: Erlebnisparks, Einkaufsmeilen, Einkaufszentren.

Diejenigen, die die Öffentlichkeit heute angeblich bestimmen, kommen in dieser (neuen) Öffentlichkeit nicht (mehr) vor. Dabei sind dies nur zu geringen Teilen jene, die sich den öffentlichen Raum zur Umgestaltung der Gesellschaft erobern wollen, sondern vor allem jene, die auf diese Gegend, als lebensnotwendigen Rückzugsraum angewiesen sind: BettlerInnen, Obdachlose.

Natürlich sah auch das "alte" Konzept der bürgerlichen Öffentlichkeit Armut und vor allem Arme nicht vor. Repressive Maßnahmen gegen BettlerInnen und Obdachlose sind wahrhaftig keine neuen Erfindungen. Allerdings ist die Konstruktion neu, wie diese Bevölkerungsgruppe zur Bedrohung gemacht wird. Viel ist hierbei die Rede vom "subjektiven Sicherheitsgefühl", das so subjektiv ist, daß jeder und jede selbst definieren kann, was ihn/sie bedroht. Bedrohung meint dabei nicht nur körperliche Bedrohung, sondern vor allem Bedrohung der Identität als BürgerIn einer kapitalistischen Gesellschaft. Das wirkt viel schwerer, als die "richtige" Kriminalität. Zur Bedrohung gemacht werden deshalb all jene Gruppen, die der kapitalistischen Verwertungslogik nicht entsprechen, bzw. sich nicht in die völkische Solidargemeinschaft einreihen (lassen). Obdachlose und BettlerInnen werden so zu Marginalisierten qua ihrer Situation, die individualisiert und naturalisiert wird. Selbst schuld! Daneben bestimmt der Vorwurf des "Schmarotzertums" den Blick auf das selbstgewählte Über-Ich. Wer bettelt will sich eben faul und hinterlistig das ertrotzen, was man selbst durch harte Arbeit sich verdient. Daß diese Vorstellung tatsächlich weit von dem entfernt ist, was uns die Wirklichkeit zu zeigen im Stande ist, zeigen schon allein die Bemühungen der so Beschriebenen selbst. Denn die halten sich so gut sie können an die Regeln der freien Marktwirtschaft. Sie singen oder verkaufen, was sich anbietet, heutzutage vor allem und organisiert: Sogenannte Obdachlosenzeitungen. Kaum eineR denkt tatsächlich mal, das Bitten um Geld, ohne ein passendes Äquivalent im Austausch, sei - außer in höchster Not - tatsächlich legitim. (Dabei läßt sich eher die Frage stellen, ob nicht spätestens diese Situation die bewußte Mißachtung von Eigentum geradezu zur Pflicht macht!)

Die Gesellschaft geht mit den von ihr Ausgeschlossenen nicht eben zimperlich um. Überwiegte im sozialdemokratischen Wohlfahrtsmodell noch der Glaube an Therapie und soziale Kontrolle, verschiebt sich durch den Wegfall der klassischen wohlfahrtsstaatlichen Disziplinarsysteme die Entmündigung durch Therapie (gegen AlkoholikerInnen etc.) oder "Betreuung" (Berber, Obdachlose) zur offenen Repression. Während einige Gegenden der Stadt sowohl durch städtebauliche Maßnahmen, als auch durch entsprechende Sicherungssysteme zu einem fast unbetretbaren Raum mutieren, werden Obdachlose an anderen Punkten gezielt aufgesammelt und an den Stadtrand verfrachtet. Nichts illustriert die alte grün-alternative Parole: Nicht die Armen, sondern die Armut bekämpfen! so sehr, wie dieses Beispiel. Nur findet das heute jedeR legitim. Mißhandlungen oder mysteriöses Verschwinden von BettlerInnen stehen durch diese Praxis weit oben auf der Tagesordnung. Dabei ist es gerade diese Gruppe, die die öffentlichen Räume der Stadt dringlicher zum Überleben brauchen, als kaum jemand sonst. Der einzige Schutz, den sie in dieser Gesellschaft, der sonst die Unversehrtheit des Eigentums wichtiger ist, als die der hier lebenden Menschen, noch haben, ist der mitten in ihr zu sein: In der Mitte der Stadt, im öffentlichen Raum. Diese Räume werden immer enger, denn seit geraumer Zeit wird zum Gefecht gerufen. Ex-HH-Bürgermeister Voscherau hat dies in einem Brief, der ihm im Gegensatz zu seinem leidenschaftlich geführten Wahlkampf gegen alles "andere" - der die Menschen offensichtlich eher den Originalen CDUDVU zutrieb, nicht das Genick brach - so formuliert: Zum "Schutz der friedlichen, arbeitssamen, steuerzahlenden Bürger" brauche man eine "starke Demokratie mit Maß und Mut zu konsequentem Durchgreifen." Für Berlins CDU-Fraktionsvorsitzenden Klaus Landowsky legt die selbe Logik einen Vergleich von BettlerInnen mit Ratten nahe und der Sprecher der Vereinigung Destination Düsseldorf, Ralf Esser, vergleicht Obdachlose mit Taubenkot. (Vergleiche: Stadtbericht Düsseldorf) "Hauptsache die Obdachlosenlosen kommen weg" (Esser am 12.3.97) Offener kann man nicht sagen, wie das Programm aussieht.

Die Kritik, die sich anhand solcher Aussagen und der Vertreibungspraxen in den Städten formiert, ist richtigerweise eine ökonomische. Allerdings kommt sie in den allermeisten Fällen nicht über eine Kritik an der ungleichen wirtschaftlichen Situation, an der Kritik am bösen Kapitaleigner, der sich die Stadt nach seinen ökonomischen Interessen als Konsummeile herrichtet, hinaus. Neben dem direkten Interesse des Einzelhändlers, Kapitalisten oder der Filialistin, die die Politik in den Städten (mit-)tragen, sind es auch und vor allem Verwertungsinteressen und Menschenbilder, die die Ausgrenzungspolitik gegen sogenannte Marginalisierte verursachen. Daß der Mensch auf sich gestellt entweder tüchtig oder faul ist und dahinter selbstverständlich die Natur steht, ist dabei nur der eine Aspekt. Das das Menschsein vor allem mit der Produktivität des Menschen zusammenhängt ist auch ein alter Hut. Wie deutlich aber allen, die diesen Verwertungsinteresse nicht entsprechen das Menschsein abgesprochen wird, zeigen die Zitate des "innovativen" Teils dieser Bevölkerung: "Ratten" oder "Taubenkot".

Viele Linke üben sich dagegen nur in einer konsequenten Stellvertreterpolitk. Durch das Bild vom marginalisierten Opfer, für das man sich engagiert, wird dieses Bild - in einer sozialdemokratisch gewendeten Sichtweise - weiter reproduziert. Daß jemand - wie uns noch Rasmus der Landstreicher lehrte - freiwillig das Leben auf der Straße gewählt haben mag, bzw., daß das Streben nach Haus, Familie und Auto eine bürgerlich-kapitalistische Phantasie ist, wird kaum gedacht.

Der Kampf in den Städten gegen Ausgrenzung und Vertreibung muß immer auch gegen Marginalisierung und nicht lediglich für Marginalisierte geführt werden. Obdachlose oder BettlerInnen müssen - wie alle sogenannten Marginalisierten - zu Subjekten dieses Kampfes werden. Eine weitere Aufgabe emanzipatorischer Stadtpolitik wäre es, die Stadt so zu denken, daß alle darin Platz finden und nicht bürgerlich-kapitalistische Lebensentwürfe reproduziert werden. Wesentlich bleibt aber auch die bestehenden Verhältnisse zu kritisieren, allerdings so, daß alle Facetten der Ideologien, denen die Stadt zum Opfer fallen soll, bedacht werden.