Stadt. Diskurs




Gotham City und die Zukunft des öffentlichen Raumes
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"Innenstadtpolitik" und die Wiedergewinnung des Politischen

von den JungdemokratInnen-Jungen Linken

Die Großstadt als Indikator gesellschaftlichen Rückschritts ist zunehmend in den Mittelpunkt linker Analyse, Kritik und Aktion geraten. Sie ist zentraler Schauplatz von Repression und Ausgrenzung und wird hergerichtet zum konkurrenzfähigen Ort im Kampf um Potentiale bei der Anlockung von kapitalkräftigen Unternehmen und Dienstleistern, in ihr verdichten sich die sozialen Konflikte.

Die Auseinandersetzungen um die ordnungspolitische Kontrolle der Innenstädte bilden den Schnittpunkt mehrerer hegemonialer Diskurse. Kriminalität und "innere Sicherheit" werden verflochten mit den Parolen zum "Standort Deutschland" und zu "Globalisierung". Vor diesem Hintergrund lassen sich Nationalismus und Rassismus schüren, womit dann wiederum wahlweise sozialstaatliche Maßnahmen oder der Abbau des Wohlfahrtsstaates begründet werden. Dagegen gilt es politische Ausdrucksformen zu finden, die sich kritisch und reflexiv darauf beziehen.

Historisch ist es die Stadt, die analog zur kapitalistischen Produktionsweise auch eine bürgerliche Öffentlichkeit hervorgebracht und ihr die Gestalt gegeben hat. Die Entwicklung von Zeitungen, Universitäten und einer ganzen Kultur der Intellektuellen ist ebenso an die Entstehung großer Städte gebunden, wie der Fortschritt der Industrialisierung. Der bürgerlichen Demokratie (ebenso wie dem Ideal der "Marktwirtschaft") ist als entscheidende Ressource das Bestehen einer freien Öffentlichkeit eingeschrieben, aus der niemand ausgeschlossen werden darf. Jedoch setzt die Herstellung einer Öffentlichkeit die Freisetzung der Individuen, sowie das sich einander in Konkurrenz setzen derselben voraus. Hier sind die Zuschreibungsmechanismen (welche sich im Wesentlichen auf Verwertungskriterien und die Konzeption von "Das Eigene und das Fremde" gründen) bereits mitgedacht und werden als solche vollzogen. Öffentlichkeit heute, das meint natürlich in erster Linie die Medien und den ganzen Bereich der Kulturindustrie. Die Innenstädte mit ihren Parks und Plätzen stellen öffentliche Räume zur Verfügung, die insofern nicht von der Kulturindustrie besetzt sind, als sich hier zumindest noch Formen von Politik vorstellen lassen, die nicht nur darauf abzielen, am nächsten Tag in der Zeitung zu stehen. Als Zielgruppen werden häufig Passanten anvisiert (z.B. Flugblätter und Infotische), oder die Anwohner und Teilnehmer (Demos etc.). Allerdings gibt es kaum noch Aktionen, die nicht auch auf die Möglichkeit der "Veröffentlichung" schielen. Damit liefert Politik sich der Tendenz der Kulturindustrie aus, alle gesellschaftlichen Widersprüche zu nivellieren, wie sie in den Städten manifest sind.

Die Stadt war für die Herausbildung der kapitalistischen Produktionsweise eine notwendige Voraussetzung und spiegelte als räumliches Gebilde den Widerspruch von Kapital und Arbeit wieder: In den schon älteren Bezirken stehen sich noch Fabrikschornsteine und die Villen der Reichen gegenüber. Das neuere Stadtbild entwickelt sich zunehmend in die Richtung eines Stadtkerns, der allein den Konsumtempeln und den spekulativen Büro(hochhaus)bauten der internationalen Konzerne vorbehalten ist, umgeben von klar abgegrenzten Zonen, in denen das Klientel der "Konsumgesellschaft" wohnt, zunehmend getrennt von den Betonvorstädten, wohin die "gefährlichen Klassen" entsorgt werden. Als gesellschaftliche Bedrohung gilt jedoch immer weniger die Arbeiterklasse; die industrielle Modernisierung bringt eine wachsende "Klasse" von Menschen hervor, für die nicht mehr die Ausbeutung durch Arbeit das Problem ist, sondern das Fehlen jeglicher Chance auf eine Teilhabe am Arbeitsprozeß. Öffentliche Moralisierung selektiert anhand des Kriteriums der Verwertbarkeit oder Nicht-Verwertbarkeit für den Produktionsprozeß. Es geht (mehr oder weniger drastisch) gegen Obdachlose, Arbeitslose, "überzählige" Ausländer, Alte, Jugendliche, "Kriminelle", Kranke und Behinderte... Sozialpolitik geht über in Sicherheitspolitik. Es ist festzuhalten, daß die Kritik an neoliberalen Entwicklungen nicht hinter die bestehende Kritik am Wohlfahrtsstaat zurückfallen darf. Diese begriff soziale Sicherheitspolitik als Mittel der Herrschaftssicherung. Mit dem Ende der fordistischen Produktionsweise wurde das keynesianische Modell des Wohlfahrtsstaates mit Vollbeschäftigung und gesellschaftlichem Wohlstand verabschiedet. Ein relevanter Teil der Bevölkerung wird überflüssig und in Anstalten (von der Schule über die Kaserne und das Gefängnis bis zum Altersheim) untergebracht, und somit von Sozialleistungen abhängig gemacht. Gleichzeitig wird die "Krise des Sozialstaats" ausgerufen und gesellschaftlicher Wohlstand nicht mehr an der Abwesenheit von Armut gemessen, sondern an der Grenzenlosigkeit des Konsums. Armut wird zum Problem der Armen erklärt, Devianz den "Randgruppen" angelastet.

Zur Situation in den Städten

Spürbar wird dieser Prozeß unter anderem im innerstädtischen Raum: er ist gekennzeichnet durch wachsende Kontrolle, Disziplinierung, Reglementierung und zunehmend durch die Vertreibung der gesellschaftlich produzierten "Randgruppen". Für eine Privatisierung des öffentlichen Raumes gibt es neuerdings in bundesdeutschen Großstädten einige plastische Beispiele. Dessen Aneignung durch private Geschäftsleute ist eines davon. In diesem Falle vermischen sich private Sicherheitsdienste mit der staatlichen Ordnungsmacht. Die verstärkte Einflußnahme privater Interessengruppen auf die Gestaltung und Kontrolle öffentlicher Räume führt zu einem Rückzug staatlicher Politik aus diesem Feld. Die unterschiedlichen Akteure, die an Marginalisierungsprozessen, Vertreibungspolitik und Ausgrenzung beteiligt sind, treten zwar mit unterschiedlichen Motivationen an, finden jedoch in Hinsicht auf die Konsequenzen, die aus ihren Absichten und Interessen zu ziehen seien meist schnell einen gemeinsamen Nenner.

Beispielhaft für die Interessen der Geschäftsleute ist hierbei der Frankfurter Verein Zeil Aktiv e.V. zu nennen, der personell aus auf der Frankfurter Einkaufsmeile ansässigen Händlern und Händlerinnen besteht, und massiv an der fortschreitenden Privatisierung der Zeil interessiert ist. In Zusammenarbeit mit dem Magistrat ist in diesem Zusammenhang die Aufstellung eines Glaspavillons gelungen, der vorgeblich der Erhöhung des "subjektiven Sicherheitsgefühls", und der Koordinierung überwachender und sicherheitspolitischer Tätigkeiten auf der Zeil dienen soll.

In Köln wurde die Klagemauer auf der Domplatte, die immer wieder Ausgangspunkt der Formulierung von Protesten gegen Ausgrenzung und Schikane marginalisierter Gruppen war kurzerhand geräumt, und die Domplatte damit im Ganzen 'gesäubert'. Die Klagemauer war immer wieder Kristallisationspunkt der Selbstorganisation dissidenter, ausgegrenzter und devianter Gruppen, die der Stadt und privaten Akteuren, die ein unmittelbares Interesse an deren Vertreibung hatten ein Dorn im Auge sind.

Nachdem die Zerschlagung der offenen Drogenszene in Hamburg zu Konflikten mit den BewohnerInnen der Stadtteile führte, wo sich die Szene nach dieser Maßnahme hauptsächlich aufhielt, ging man zu einem moderneren Konzept über. Nun werden, unter dem Deckmantel einer liberaleren Drogenpolitik (Methadonvergabe an 'kranke' Schwerstabhängige), Junks und DealerInnen schön übersichtlich am Hamburger Hauptbahnhof gehalten, wo sie jedoch ständiger Überwachung, Überprüfungsritualen, Platzverweisen und zeitweiligem in-Gewahrsam-Nehmens ausgesetzt sind. Der Kontrolldruck wächst natürlich mit zunehmender Dunkelheit der Hautfarbe, offener Rassismus befördert so Stigmatisierungstendenzen.

Des weiteren machte Ende letzten Jahres die Ordnungsbehörde der Hansestadt mit ihrem Papier "Über die Unwirtlichkeit der Stadt" auf sich aufmerksam, in dem der allgemeine Kanon der Verknüpfung jedweden nicht geschäftigen Verhaltens (Lagern, Drogenkonsum, Kampfhunde /1/, ...) mit potentiell kriminellen Handlungen wiedergekäut wird.

Auf Druck der AG City e.V., einem Zusammenschluß von Kudamm-Geschäftsleuten reagierte der Berliner Innensenat mit der Einrichtung einer Operativen Einsatzgruppe City West, zum Zwecke der 'Säuberung' der die Geschäfte umgebenden Gehwege. Die Stadt Berlin hat inzwischen 24 Bereiche in der Stadt als sogenannte "gefährliche Orte" ausgewiesen. Hier werden teilweise mehrmals täglich Razzien durchgeführt unter außer-Kraft-Setzung von wesentlichen Persönlichkeitsrechten. Bei dieser neuartigen Sicherheits- und Kontrolltechnologie muß nicht einmal mehr eine konkrete "Gefährdung" vorliegen. Die Polizei, BGS und Bahnhofspolizei können mit diesem Persilschein nach Gutdünken Personalien überprüfen, Platzverweise ausstellen oder Personen in Gewahrsam nehmen.

Festzuhalten ist, daß in allen Städten der öffentliche Raum zunehmend zum bekämpften Terrain geworden ist, und zusehends denen anheimfällt, die ihn zur Verwirklichung von Profitinteressen, zur Durchsetzung einer repressiven Politik zum Beweis politischer Handlungsfähigkeit, und zur Verwirklichung von Standortstrategien benutzen. Während die meisten Vorfälle zwar spezifisch lokale Ausprägungen aufweisen, sind sie jedoch wiederum in vielen Städten von ihrem Ablauf und ihrer Tendenz her nahezu gleich.

Ich will die ganze Stadt!

Linke Politik, die solche Prozesse thematisieren will, setzt an den (negativen) Erfahrungen mit dem zunehmenden Kontrolldruck an. Das bedeutet jedoch nicht, betroffenheitspolitisch diese (wahlweise im Kontext einer kulturell dissidenten Szene oder aus einer liberal bildungsbürgerlichen Haltung zu machende) Erfahrung, daß mehr Polizei nicht zu einem erhöhten Sicherheitsempfinden beiträgt, zum eigentlichen Problem zu erheben./2/ Völlig verkürzt ist auch die Zuschreibung, die Ordnungspolitik entspringe der Forderung der "neuen Dienstleistungsklassen" nach einer ungestörten Konsum- und Erlebniswelt. Am Konsum hatten die Produzenten schon immer ein größeres Interesse als die Konsumenten. Die real stattfindenden Entsolidarisierungsprozesse bis hin zum offenen Rassismus sind unter anderem ein Ergebnis solcher Politik, die gesellschaftliche Probleme als Folge der Konkurrenz sozialer Gruppen erklären will.

Dagegen ist "Innenstadtpolitik" ein hervorragendes Feld für Ideologiekritik und radikaldemokratische Praxis. Einerseits bilden Großstädte den Hintergrund der Bedrohungsszenarien, auf die sich das Projekt "Sicherheitspolitik" stützt. Es werden alle möglichen Gefahren erfunden, mit denen sich Ängste schüren lassen und eine repressive Politik durchsetzbar wird. Nicht mehr Armut wird bekämpft, sondern die Armen - das bedeutet im Zweifelsfall alle, die sich von den herrschenden Verhältnissen nicht beglückt sehen. Durch "Herumlungernde" in den Fußgängerzonen wird weniger der Konsum gestört, als die alte Lüge von einer Gesellschaft in der jeder, wenn er nur fleißig arbeite, daran teilhaben dürfe. Soziale Kontrolle zielt gleichermaßen auf die Ausgegrenzten, wie sie auch die Eingeschlossenen dizipliniert, denen das tägliche Versprechen abgerungen wird, auf weitergehende demokratische Ansprüche und Kritik zu verzichten, da die einen nicht ohne die anderen gedacht werden können. Die Art und Weise wie eben diese Kontrolle der Eingeschlossenen sich vollzieht (Selbstdisziplin zum einen, eigrene besonders rassistische Konzeption zur anderen, sind ferner entscheident für das kontinuierliche Gelingen der Reproduktion dieser Verhältnisse. Die ersten Aktionen haben gezeigt, wie nahe z.B. der jugendkulturelle Traum grenzenloser Partys schon an "staatsfeindliche" Haltungen heranrückt./3/ Von den "Schwarzen Sheriffs" und Überwachungspavillons fühlen sich auch manch brave Bürger noch eher bedroht, als durch eine "Kriminalität", die man nur aus der Zeitung erfährt. Die Manifestation solcher Kontrollpraxis in der architektonischen Gestaltung von Gebäuden (Sternförmige Einkaufszentren mit zentralem Überwachungspunkt) oder der Einsatz von verstekcten Videokameras diszipliniert nicht nur die Menschen, die sich in ihnen bewegen, sondern verunmöglichen jenen Marginalisierten das Betreten solcher Gebäude in Gänze.

In mehreren Großstädten (Berlin, Zürich, Frankfurt, München, Köln...) formieren sich gerade Bündnisse, in denen sich linke politische Gruppierungen, KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen etc. zusammenfinden, mit dem Ziel, Anfang Juni diesen Jahres gleichzeitig in den jeweiligen Städten Aktionstage zu veranstalten. Für JungdemokratInnen / Junge Linke bietet sich dadurch eine Möglichkeit, auch in anderen Städten projektbezogene Bündnisse mit aufzubauen oder sich schon vorhandenen Strukturen anzuschließen und eigene Aktionsvorschläge einzubringen und auf breiterer Basis umzusetzen.

Ziel unserer Politik ist es, sich öffentliche Räume stellvertretend für alle, die daraus ausgeschlossen werden, wieder anzueignen und so auf soziale und räumliche Ausschließung aufmerksam zu machen und (in einem gewissen Maße) dagegen vorzugehen. Die selbstbestimmte Aneignung von öffentlichen Räumen ist eine Möglichkeit, den strikten Ausschluß des Privaten aus der Öffentlichkeit aufzubrechen. Die damit verbundene bewußte Störung des geregelten Ablaufs des alltäglichen Betriebes ermöglicht zudem, eigene Vorstellungen von dem, was öffentlicher Raum für einen selbst und für andere sein sollte zu artikulieren und zumindest temporär durchzusetzen. Sie ist gleichzeitig eine mögliche Form der Solidarisierung mit marginalisierten und ausgegrenzten Gruppen. Dies bedeutet keine Stellvertreterpolitik, die über die Interessen der Marginalisierten hinweg Politik betreibt. Dennoch verzichten wir nicht darauf, auf die Folgen der "Kontroll-" und "Sicherheitspolitik" für eine demokratische Öffentlichkeit hinzuweisen und praktische Perspektiven zu entwickeln für eine Öffentlichkeit, in der eine Kritik von Herrschaft - als Voraussetzung ihrer Abschaffung - wieder möglich wird.

Die berechtigte Erkämpfung öffentlichen Raumes gegen die Tendenz einer Privatisierung desselben muß die konstruierte abstrakte Gleichheit "der Öffentlichkeit" samt der aus ihr resultierenden Zuschreibungs- und

Ausgrenzungsmechanismen in die Kritik mitaufnehmen, will sie nicht auf sich selbst zurückfallen.

Beschluß der 6. Bundeskonferenz der JungdemokratInnen-Junge Linke Braunschweig 23. März 1997

Anmerkungen

1) Bei denen sich das ja bekanntlich meist umgekehrt verhält.

2) Ein staatliches Gewaltmonopol, das sich auf die Entwaffnung der Bevölkerung stützt kann uns allemal lieber sein, als private Sicherheitsdienste. Auch wenn ersteres unmittelbarer als Ordnungs- und Disziplinarmacht erfahrbar ist.

3) Auch so unangenehme Ereignisse wie das Niederknüppeln der Party in der Mainzer Landstraße haben so zur Politisierung der Betroffenen beigetragen. Wünschenswerter ist jedoch, das nicht erst der Knüppel auf dem Kopf solche Einsicht herbeiführen möge