Nach dem Kongreß

Nachgereicht

Willi Gettél

Doppelte Abgrenzung - gegen Neoreformismus und Dogmatismus


Referat gehalten anläßlich des Ohnesorg-Kongresses Berlin 1997 in der gleichnamigen AG (Nr11)

Abs. teupen@gate.glasnost.de

Die außerparlamentarische Opposition verlor Anfang der 70er Jahre ihre Dynamik und verschwand bald darauf. Die Diskussion um eine gesellschaftliche Alternative ebbte ab. Vor dem Hintergrund des "real existierenden Sozialismus" und des immer noch regulierten metropolitanen Kapitalismus verebbte der hauchzarte Ansatz eines marxistischen Diskurses. Die Verfallserscheinungen des "Realsozialismus" waren äußerlich noch nicht erkennbar. Er galt allgemein, somit auch im Bewußtsein der Linken, als Sozialismus. wirkte auf sie jedoch abschreckend. Die Argumentation der Sozialdemokratie, die Theorie von Marx und Engels lasse sich nicht realisieren, und wenn, dann komme eben so etwas zustande, wie es die DDR biete, gewann mit diesem Beispiel an überzeugungskraft. Der damalige Diskurs innerhalb der Linken wurde daher wesentlich von der offensichtlichen Unattraktrivität des vermeintlichen Sozialismus beeinflußt. Reformistische Strömungen gewannen die Oberhand.

Die DDR bot nicht nur durch Mauer, permanente Unterversorgung und ihr politisches Regime ein abschreckendes Bild. Für die Diskussion im Westen spielte es eine erhebliche Rolle, daß sie sich in Gestalt des sogenannten "Marxismus-Leninismus" auf die marxistische Theorie berief und damit den entscheidenden Beitrag für die heute noch wirkende Verwechselung von Marxismus und Stalinismus lieferte. Die Ableger der SED im Westen SEW und DKP spielten aufgrund ihres wortgetreuen Nachhetens von SED- Positionen, einer identischen Organisationsweise und Parteistruktur nur marginale Rollen. Die Westlinke lehnte sie in dem Maße ab, wie sie die DDR ablehnte - sie gehörten nicht zu ihr. Die Verwechselung von Stalinismus und Marxismus führte schließlich dazu, die marxistische Theorie als inkompetent zu verwerfen. Wer Sozialismus mit einem höheren Maß an Freiheit, allgemeinen Wohlstand oder gar mit der zu dieser Zeit aktuell werdenden ökologischen Frage verband und dabei einen Blick auf die DDR warf, wandte sich enttäuscht ab. Sie bot kein erstrebenswertes Beispiel.

1.) Kurzer Rückblick auf die Entwicklung des Reformismus seit Ende der 60er Jahre

War schon die Breschnew-Doktrin und der Einmarsch des Warschauer Pakts 1968 in die CSSR ein ungheurer Rückschlag, spielte die immer offenkundiger werdende verheerende Umweltpolitik des Ostens eine erhebliche Rolle in der Beurteilung des vermeintlichen Sozialismus. In den Augen der Linken galt er nicht mehr als zukunftsfähig. Gerade mit dem Ausklang der außerparlamentarischen Opposition gewannen aber Friedens- und Umweltpolitik innerhalb der Linken immer stärker an Bedeutung, was schließlich zum Aufschwung der Grünen führte. Und gerade weil der Osten in dieser Hinsicht als inkompetent galt, fanden marxistische Analysen analog dazu kaum Gehör. Wenn auch die SPD teilweise an diesen Strömungen partizipierte, den eigentlichen Triumphzug des späten Reformismus traten die Grünen an. Umwelt- und Friedenspolitik wurden die großen Felder ihrer politischen Erfolge. Sie setzten auf die Reformierbarkeit des Kapitalismus und damit auf systemimmanente Lösungen. Es war vor allem ihre auf Systemimmanenz setzende Reformpolitik, die sie mit Beginn der 90er Jahre als Reformpartei strategisch scheitern ließ. Ihre "Normalisierung" bedeutet nichts weiter, als daß sie eben die Logik des Systems eingeholt hat. Was unter den Bedingungen des ausklingenden fordistischten Akkumulationsregimes noch im verborgenen lag, trat mit seinem Ende in aller Deutlichkeit hervor. Unter den objektiven Zwängen von Deregulierung, Rationalisierung und neoliberaler Politik haben sie sich ebenso wie die SPD vom Reformismus verabschiedet.

Wenn überhaupt ein emanzipatorischer Ansatz bei der "Neuen Linken" bestanden hat, so wurde er durch den Verzicht auf die kritische Analyse des kapitalistischen Systems verspielt. Mit der sukzessiven Abkehr von der keynesianistischen Regulierungspolitik aufgrund veränderter Akkumulationsbedingungen verlor der Reformismus seine ökonomischen Spielräume. SPD und Grüne gingen ins bürgerliche Lager über und wurden zu korrigierenden und ergänzenden Faktoren der Regierungspolitik.

2.) Neoreformismus und Dogmatismus

Mit dem Untergang der stalinistisch deformierten Übergangsgesellschaften in den Jahren 1989/90 galt dieses Gesellschaftsmodell darüber hinaus auch vor der Geschichte gescheitert. Die marxistische Theorie schien somit auf ganzer Linie widerlegt. Mit dem Ende des "Realsozialismus" und dem Anschluß der DDR traten vor dem Hintergrund zunehmender destruktiver Prozesse zwei Relikte dieses Systems mit einem nicht ausgewiesenen hegemonialen Anspruch innerhalb des linken Spektrums auf die Bühne: die PDS und die DKP, zwischen denen sich die Kommunistische Plattform taktisch bewegte. Während sich die PDS aus den Umständen ihrer Vorgeschichte als sozialistisch erklärte, erklärten sich DKP und KPF als originär kommunistisch und somit in der Nachfolge und Tradition von SED und KPdSU. Beiden Strömungen ist gemeinsam, daß sie es bisher unterlassen haben, das Scheitern ihres Systems gründlich zu analysieren, wodurch eine gemeinsame Prämisse erhalten geblieben ist.

Diese Prämisse besteht in der Behauptung, der "Realsozialismus" habe sozialistische Systemqualität gehabt, womit sie beide Stalins Theorie vom Sozialismus in einem Land als die Konzeption anerkennen, die zum Sozialismus gefahrt habe. Streng genommen sind somit beide Positionen theoretisch dem talinismus verbunden geblieben. Unterschiedlich ist jedoch die jeweilige moralische Bewertung. Während sich die PDS auf diesen angeblichen Sozialismus moralisch negativ bezieht und daraus ihren Neoreformismus begründet, beziehen sich DKP und KPF moralisch positiv auf ihn, wodurch sie den alten Dogmatismus fortschreiben.

Nach der Umbenennung der SED in PDS gab es aus politischen Gründen keine andere Wahl, als sie mit einem sozialistischen Anspruch zu versehen. Damit aber geriet sie in einen unauflösharen Widerspruch.

Wich sie auf der einen Seite nicht von der Position der sozialistischen Systemqualität des stalinistischen Modells ab, verlangte ihr Neoreformismus auf der anderen die Abrechnung mit dem Stalinismus. Der Versuch, diesem Dilemma zu entgehen, führte sie aber in die absurde Lage, unter sozialistischem Anspruch zugleich Sozialismus moralisch zu verwerfen, weil er undemokratisch gewesen sei. Zweifelsohne war das stalinistische System undemokratisch, aber es war nicht sozialistisch. Dieses System jedoch mit 50zialismus gleichzusetzen führte konsequenterweise dazu, sich von ihm abzuwenden, wollte man seinen Antistalinismus als Voraussetzung neoreformistischer Politik glaubhaft machen.

Auf dieser zwielichtigen Grundlage war es nicht möglich, eine originär sozialistische Politik zu entwickeln. Eine marxisitische Analyce des "Realsozialismus" hätte zu dem Ergebnis geführt, daß weder dieses System noch die SED sozialistisch gewesen sind. Dies aber hätte die PDS vor die Konsequenz ihrer Auflösung und totalen Neubegründung gestellt, was mit dem Verlust ihrer Mittel und ihres Apparates verbunden gewesen wäre. Diese Konsequenz und die damit verbundenen Risiken wollte aber der in der PDS erhalten gebliebene alte SED-Apparat nicht eingehen, was zwangeläufig zu einer anderen, nämlich der Konsequenz führte: daß sie sich nach außen reformistisch gab, nach innen aber den Parteistalinismus aufrecht erhalten mußte, weil jede freie innerparteiliche Diskussion die Gefahr in sich barg, den nur notdürftig übertünchten Widerspruch freizulegen. Daß diese Partei von einer Handvoll Vordenkern beherrscht wird, die unermüdlich damit beschäftigt sind, die innere Hohlheit durch einen Wust endloser inhaltsloser Schreib- und Redetexte zu verbergen, trägt ihrem künstlichen Zustand Rechnung. Daß sie den sozialistischen Anspruch seit einiger Zeit vorsichtig zurucknehmen, zeigt nur, daß sie sich ihres Dilemmas bewußt geworden sind und versuchen. aus der Zwickmühle herauszukommen.

Es ist aber zu bezweifeln, ob ihnen das auf Dauer gelingt. Denn fehlte der PDS einerseits eine tragende Ausgangsposition für eine sozialistische Politik, fehlte ihr auch jeglicher Hintergrund für eine neoreformistische nach der Vereinigung. Um überhaupt etwas vorzuweisen, plagiierte sie fast alle Forderungen und Positionen, die SPD und Grüne aufgrund der ökonomischen Entwicklung längst aufgegeben hatten und verkaufte sie als Erneuerung. Aufgrund besonderer Umstände und einer anderen historischen Entwicklung konnte die PDS bisher auf dieser Grundlage nicht nur ihre Existenz behaupten, sondern überdies politische Erfolge verbuchen. Dies aber ist eine Existenz auf Zeit. Ihre tatsächliche Substanzlosigkeit zeigte sich, als sie versuchte im Westen Fuß zu fassen und nur als nachgereichter sozialdemokratischer Abklatsch empfunden wurde.

DKP, Kommunistische Plattform und ähnliche Gruppierungen stehen nicht nur theoretisch zur Prämisse der Systemqualität des "Realsozialismus' sie bewerten ihn auch moralisch positiv. Während die PDS sein Scheitern durch fehlende Demokratie erklärt, sehen sie Verrat als Ursache. Als Folge dieser Verratsthese sehen sie daher keinen Grund, ihren stalinistisch-dogmatisch geprägten "Parteimarxismus" kritisch zu analysieren. Sie bemühen die alten Vorbilder, Dogmen und Methoden und halten an der angeblich bewährten Organisationestrategie der weltanschanlich geschlossenen Partei fest. wobei die Logik der Verratsthese geradezu erzwingt, die weltanschauliche Geschlossenheit zu vertiefen, weil sie in deren Aufweichung die Wurzel des Verrats sehen.

Auf die Idee einer marxistischen Gesamtanalyse sind sie bisher nicht gekommen.

3.) Die Linke muß sich doppelt abgrenzen

Wenn die Linke heute vor der Notwendigkeit einer Systemopposition steht und somit vor der Frage der Orientierung und Organisierung, sollte sie einerseits beachten. daß der tradierte Parteimarxismus immer noch nichts besseres anzubieten hat als damals, und andererseits, daß der Neoreformismus nicht nur die aktuelle Entwicklung verfehlt. sondern außerdem ein aufpoliertes Plagiat ist. Sie muß sich daher von diesen Beispielen abwenden und ihre Inhalte selber erarbeiten, will sie nicht wieder scheitern.