Nach dem Kongreß

Glück gehabt

Leserbrief

Betr.: Berichterstattung und Kommentar zum Benno-Ohnesorg-Kongreß in der taz vom 2.6.1997

Wer nur an Foren teilnahm, wo sogenannte 68er-Promis auftraten und die Politsekte Ökolinx und andere Gesinnungspolizei spielten, mußte natürlich den Eindruck mitnehmen, den Jürgen Gottschlich mit dem Satz: "Unter Sektierern läßt sich einfach nicht diskutieren." trefflich umschrieb. Ich hatte allerdings nicht nur das Pech, an allen sogenannten Generalbatten teilzunehmen sondern auch das Glück, zwei AG´s zu moderieren, die völlig anders liefen.

In der AG 2 "Antiautoritäre Erziehung" hörten sich am Sonnabendvormittag rund 30 Leute - darunter etliche Schüler- und StudentInnen - Lutz von Werders und Reinhard Wolffs Erinnerungen und Einschätzungen zur Kinderladenbewegung an und kamen schließlich auf aktuelle Probleme in Kita und Schule zu sprechen. Am Nachmittag diskutierten weit über die angesetzte Zeit hinaus in der AG 14 "Aufbruch zum Proletariat" mehr als 40 Leute die Arbeiterbezogenheit der 68er Bewegung und ihre Relevanz für heute. Eingangs hatten Peter Rambauseck, Dirk Schneider und Jürgen Brumm aus den damaligen Basisgruppen ihre Erfahrungen geschildert. Schließlich waren sich alle Anwesenden einig, das AG-Ergebnis in die 2. Generaldebatte einzubringen. Dies versuchten dann auch zwei in heutigen Zusammenhängen aktive Leute, was bekanntlich in dem von Ditfurth und Co. gezielt erzeugten Klima "wir stellen APO-Opas auf den Prüfstand der Gutmenschen" unterging.

Angesichts dessen ist es richtig, wenn Jürgen Gottschlich kommentiert, daß nun die "Abwärtsspirale der intellektuellen Auseinandersetzung ihre letzte Drehung nahm". Das Arbeitsergebnis der AG 14 steht dem jedoch völlig entgegen. Es lautet sinngemäß: Eine Linke, die nicht in der Lage ist, einen Entwurf einer menschenwürdigen Gesellschaft jenseits des Kapitalismus zu formulieren, hat ihren Anspruch links zu sein endgültig verloren. Woraus notwendigerweise folgt, zunächst den trocknen Schiffzwieback der Theorie zu käuen, anstatt mit abgelutschten Worthülsen pubertäre Machtspielchen zu inszenieren, die den Diskurs aus Erinnern, Verarbeiten und Lernen kaputt machten.

Karl-Heinz Schubert

(Redaktion trend - onlinezeitung für die alltägliche wut)