Reaktion auf "Zur Vergewaltigung im Wendland - Zwischenbericht aus Berlin" (INTERIM Nr. 428, Juli 1997)

Wir möchten uns in die Diskussion um den Umgang mit der Vergewaltigung im Wendland während des Castortransportes nach Gorleben auf dem schriftlichen Weg einschalten, da wir einige grundsätzliche Einwände zu den bisher von der gemischtgeschlechtlichen Gruppe aus Berlin in der INTERJM veröffentlichten Positionen haben.

Ihr (gemischtgeschtechtliche Gruppe aus Berlin, in Form einiger Männer als Protokollanten) erklärt, daß ihr euch zusammengefunden habt, um euch mit dem kollektiven Nichtverhalten des Anti-Atomkraft-Widerstandes, zu dem ihr euch zählt, nach der öffentlich gemachten Vergewaltigung im Wendland auseinanderzusetzen bzw., um es zu durchbrechen. Durch die Reflexion über das Geschehene soll nach den Ursachen des Nichtverhaltens nach der Vergewaltigung gesucht werden. Die "konfrontative Situation" während des Castortransportes wird von euch als eine der Ursachen benannt, ihr räumt ein, daß die Gewalttat verdrängt wurde und der Umgang damit abgeschoben wurde insbesondere an Frauenlesben-Zusammenhänge bzw. an den Zusammenhang der betroffenen Frau. Ihr stellt fest, daß ein Reflektieren der patriarchalen Strukturen und des Geschlechterverhältnisses in den verschiedenen Gruppen und Zusammenhängen während und nach dem Caßtortransport nicht statt fand.

Uns drängt sich jedoch etwas der Eindruck auf, daß letzteres auch nicht in eurer Gruppe stattfindet. Eins der wichtigsten Themen in solch einer Gruppe sollte unserer Ansicht nach sein, was Vergewaltigung als einer der extremsten Ausdrücke von Gewalt gegen Frauen innerhalb eines Systems struktureller Gewalt eigentlich ist und was sie für Frauen bedeutet.

Ziemlich gut wird dies unser Ansicht nach von den Umherschweifenden Graswurzelrevolutionärlnnen/Männerfraktion in der Graswurzelrevolution Nr. 221 (Sept. 97, S. 12) versucht zu erklären, da es jedoch nie oft genug getan werden kann, wollenn auch wir noch einmal kurz darstellen, was dabei berücksichtigt werden sollte:

Männer vergewaltigen Frauen, um sie dazu zu benutzen, sich selbst "Männlichkeit" und Stärke zu beweisen, wobei die Frau als Person nicht mehr wahrgenommen wird. Die Vergewaltigung dient dazu, die Frau zu erniedrigen, um ihr ihre Ohnmacht bzw. seine Macht zu demonstrieren.

Die damit einhergehende Verfügungsgewalt und Verfügungsmacht über den weiblichen Körper ist ein wesentliches Herrschaftsmoment: 'Vergewaltigung ist die schlimmste Demütigung, die ein Mann einer Frau zufügen kann, ist die gröbste Mißachtung des Willens und der Persönlichkeit der Frau, ist die Degradierung zum bloßen Gegenstand. Die - teils direkt beabsichtigte - Folge von Vergewaltigung ist die Zerstörung der Persönlichkeit der Frau".' Dabei erfüllt Vergewaltigung eine doppelte Funktion hinsichtlich der Disziplinierung und Einschüchterung von Frauen: Einerseits durch die spezifische Demütigung der jeweils betroffenen Frauen, andererseits durch die alltägliche Konfrontation aller Frauen mit Vergewaltigung. Daraus resultiert die Gewöhnung an die spezifische Form der Gewalt gegen Frauen und deren gesamtgesellschaftliche Akzeptanz.

Eine Analyse, die sich mit Vergewaltigung auseinandersetzt, muß die gesellschaftlichen Bedingungen miteinbeziehen, die Vergewaltigung als Herrschaftsinstrument, als eine Form der Sicherung der Verfügungsmacht über den weiblichen Körper, ermöglichen. Dabei ist es von entscheidener Bedeutung, Vergewaltigung von Frauen durch Männer als ein historisches Produkt und somit als Ausdruck spezifischer gesamtgesellschaftlicher Kräfteverhältnisse zu reflektieren, die immer wieder aufs neue hergestellt werden müssen. Denn Männer besitzen mit ihrem Penis keine biologische Macht, mit der sie Frauen einschüchtern und beherrschen können. Rein mechanisch wäre jede Frau fähig, sich gegen einen Typen, der sie versucht zu vergewaltigen, zu wehren, ihm sogar ernsthafte körperliche Verletzungen (gerade wegen seines empfindlichen "primären Geschlechtsorgans"...) zuzufügen. Es ist die soziale Macht, welche Männern gesellschaftlich zugestanden wird, die ihren Penis zum Phallus macht und Frauen in Angst- und Ohnmachts- und "Sich-nicht-wehren-können-Gefühlen" gefangenhält. Vergewaltigung ist demnach kein isoliertes Phänomen, sondern Teil eines komplex angeordneten hierarchischen Geschlechterverhältnisses. Bei der Reflexion über die politische Umgehensweise mit Vergewaltigung muß dies mit einbezogen werden. Dabei sind die geschlechtsspezifische hierarchische Arbeitsteilung, die Sexualisierung des weiblichen Körpers, sowie bestehende Männlichkeits- und Weiblichkeitskonstruktionen in ihrem Bedingungszusammenhang zu allen gesellschaftlichen Bereichen zu berücksichtigen. ' Brigitte Schliermann: Vergewaltigung vor Gericht, Hamburg 1993

Um zu untersuchen, wie innerhalb einer solchen Anordnung bestehende Asymmetrien reproduziert und aufrechterhalten werden, muß dabei analysiert werden, wie der bürgerliche Rechtsstaat und die soziale Wirklichkeit Vergewaltigung bewerten und behandeln (Unterstellung der "Mitschuld" der Frau durch Verhalten, Lebensstil etc.). Auch ist in die Überlegungen miteinzubeziehen, daß Vergewaltigung spezifische Begehrensstrukturen voraussetzt: Egal, ob mensch sich ein Werbeplakat ansieht, einen Film oder ein ganz normales Buch durchliest, in dem das heterosexuelle Geschlechterverhältnis vorkommt (und wo kommt das nicht vor...) - Männer werden als die (aktiven) Begehrenden dargestellt, Frauen sind die (passiven) Begehrten. Gewaltanwendung beim Geschlechtsverkehr wird dargestellt, als sei sie Frauen angenehm und "willkommen", weil sie zu prüde seien, um eigene sexuelle Wünsche zuzugeben. Zudem liegt dem die Annahme zugrunde, daß es (für Männer) schwierig sei, Vergewaltigung von einvemehmlicher Sexualität zu unterscheiden. Sagt die Frau nämlich nur "nein", könnte es nicht ernst gemeint sein....

Ausgangspunkt der Analyse und Reflexionsgegenstand der politischen und praktischen Bekämpfung von Vergewaltigung muß die spezifische Situation der betroffenen Frau sein. Voraussetzung dafür ist die eingehende Analyse patriarchaler Herrschaftsmechanismen und die bewußte Parteinahme für Frauen in einer auf die Bedürfnisse von Männern ausgerichteten Gesellschaft.

Dieser kurze Abriß soll nur fragmentarisch darstellen daß wir eine eingehende Analyse von Vergewaltigung und den sie ermöglichenden gesellschaftlichen Strukturen bei einer solchen Auseinandersetzung für unumgänglich halten.

In eurem Text beschreibt ihr das Erschrecken der Frauen in eurer Gruppe darüber, daß die Vergewaltigung überhaupt passieren konnte und die vermeintliche Sicherheit, in der sie sich gewogen hätten. Gerade deshalb ist es so wichtig, sich an der Erkenntnis zu orientieren, daß am häufigsten in Ehen und in engen Beziehungen vergewaltigt wird. Es kann jeder von uns passieren, wir alle haben soziale Beziehungen mit Männern (was nicht heißt, daß wir es widerstandslos erdulden müssen...). Gerade die kollektive Angst von Frauen vor Vergewaltigung (durch einen Fremden) schränkt Frauen in ihrer Bewegungsfreiheit ein und fördert die "Beschützerrolle" des Mannes und die Abhängigkeit der Frau. Zusätzlich zu den anderen strukturellen Abhängigkeiten (ökonomische, soziale etc.) ermöglicht gerade diese Beschützerrolle die Verfügungsgewalt des (nicht-fremden) Mannes über die Frau und ihren Körper.

Ihr kritisiert außerdem, daß viele CampbewohnerInnen ihre "Wut und Trauer" während des Castortransportes nicht nach außen gezeigt hätten, wodurch gemeinsames Reden und Handeln möglich gewesen wäre. Ehrlich gesagt bezweifeln wir, daß überhaupt ein großer Teil der Campbewohnerlnnen, vor allem der Campbewohner, Wut und Trauer empfunden hat. Realistischer erscheint es uns, daß viele in gewisser Weise (so böse das auch klingen mag) Erleichterung empfanden, weil kein (männliches) Mitglied des Camps als Vergewaltiger benannt wurde, sondern ein Außenstehender, ein wendländischer Dorfbewohner. Damit war sicherlich für die meisten das Thema "gegessen"

Ihr unterstützt ein solches imaginäres "innen und außen", indem ihr den Widerspruch in eurer eigenen Gruppe, eine Auseinandersetzung als gemischtgeschlechtliche Gruppe zu führen, sehr unterbelichtet laßt. Zwar räumt ihr ein, daß "die Geschichte der gemischtgeschlechtlichen Auseinandersetzung mit dem Patriarchat und sexualisierter Gewalt, Vergewaltigung und Mackerverhalten eine ständige Wiederholung von Fehlern, folgenlosen Diskussionen/Gelaber und Betroffenheitskult ist", erklärt jedoch, euch keinen anderen Rat zu wissen, "als es weiter zu versuchen und auch bei Null wieder anzufangen, wenn dies der Stand der Bewegung ist". Dazu zwei Anmerkungen: Wenn frau sich die Situation von vergewaltigten Frauen, die schweren psychischen und auch körperlichen Folgen einer Vergewaltigung und vor allem die (wenn überhaupt stattfindende) Auseinandersetzung mit dem Geschlechterverhältnis in gemischtgeschlechtlichen Gruppen bewußt macht, ist der Gedanke der "Separation" von Frauen aus gemischten Zusammenhängen nicht nur naheliegend und verständlich, sondern größtenteils auch (nicht nur strategisch) nötig. Zudem macht ihr nicht deutlich, wo ihr eigentlich in eurer Diskussion ansetzt - wo ist für euch "bei Null anfangen"?

Damit schließen wir uns der Kritik in der oben erwähnten Graswurzelrevolution an - wie haltet ihr es mit zeitweisen Aufspaltungen in jeweils eine Frauen- und Männergruppe? Denn bekanntlich ist jedes Individuum in einer von Herrschaft durchzogenen Gesellschaft eingebunden in gesellschaftliche Widersprüche und lnteressensgegensätze. Wie geht ihr mit diesen Interessensgegensätzen als Männer und Frauen innerhalb einer Gruppe um? Oder habt ihr die gar nicht? So kann es ja nicht sein, denn ihr schreibt, daß ihr als gemischtgeschlechtliche Gruppe eine bestimmte "Schnittmenge" besitzt, die ein gemeinsames Arbeiten möglich macht, ihr jedoch als Frauen und Männer jeweils unterschiedliche Handlungsperspektiven habt. Bei der Aufzählung, wie diese unterschiedlichen Vorstellungen sich konkret äußern, zählt ihr lediglich die männlichen (Flugblätter, Bekämpfung von Mackerverhalten, verstärkte Arbeit in Männergruppen) auf. Zu den weiblichen Handlungsperspektiven in eurer Gruppe fällt uns lediglich der Vorschlag (Autonome Anarchafeministinnen / GDA) einer Art "psychosozialen Notdienstes" ins Auge.

Statt eines psychosozialen Notdienstes finden wir es jedoch sinnvoller, innerhalb eines gemischgeschlechtlichen Camps ein großes FrauenLesben-Zelt einzurichten. Eventuell kann innerhalb eines solchen großen Zeltes auch eine Art "Notdienst" eingerichtet werden, der immer von ein oder zwei Frauen besetzt sein sollte, damit es immer konkrete Ansprechpartnerinnen für Frauen gibt. Diese sollten dann aber nicht für den Umgang mit an sie herangetragenen Vorfällen / Problemen verantwortlich sein, sondern sich an das gesamte Zelt (und dann Camp...?) wenden. Damit würde es Frauen, die in gemischtgeschlechtlichen Bezugsgruppen zu Castor-Transporten fahren und die deshalb nicht dauerhaft in ein FrauenLesben-Camp wollen / können, ermöglicht, innerhalb eines Camps einen Freiraum zu haben. Einen Raum, wo frau Ruhe hat und vor allem - in Sicherheit vor Typen ist.

Zum einen halten wir die Einrichtung eines "psychosozialen Notdienstes" nämlich nicht nur etwas vermessen: Welche Frauen sollen denn diesen Notdienst bei "psychosozialen Problemen" leisten? Werden therapeutische Fähigkeiten vorausgesetzt bzw. überhaupt erwünscht? Zum anderen ist eine eurer Forderungen die "kollektive Entwicklung von Sensibilität im Umgang miteinander". Die Einrichtung eines oben erwähnten Notdienstes würde nichts an den vorhandenen Strukturen ändern. Zuständig für von Gewalt betroffene Frauen wäre nicht das gesamte Camp, sondern "der Notdienst". Das Abschieben von Verantwortlichkeit wäre damit noch einfacher. Ein großes FrauenLesben-Camp halten wir für einen kollektiveren Weg, mit patriarchalen Strukturen umzugehen. Außerdem sollte es ja nicht nur die konkrete, direkte Gewalterfahrung sein, die eine Frau veranlaßt, in ein solches Zelt zu gehen. Einerseits ist es äußerst angenehm und entspannend, sich in einem solchen Frauen-Freiraum aufzuhalten, andererseits kann frau sich viele kräftezehrenden Gespräche bei idyllischem Lagerfeuer ersparen, wo sich die Typen (selbst für die hirnrissigsten Aktionen) pausenlos auf die Schulter klopfen und an ihrem persönlichen Kämpfer-Epos spinnen...

Selbstverständlich müssen wir uns den Vorwurf gefallen lassen, daß mit der Einrichtung eines FrauenLesben-Zeltes innerhalb eines gemischtgeschlechtlichen Camps sich an den vorherrschenden Gesamtstrukturen eines solchen Camps ebenfalls nichts ändert, da sexistische Thematiken und Probleme weiterhin an Frauen abgeschoben werden. Doch das bedeutet es nur zum Teil. Da in männerfreien Räumen die Möglichkeit des Austausches über Verhaltensweisen von Männern UND Frauen besteht, die in gemischtgeschlechtlichen Zusammenhängen so nie möglich wären, ist darin bereits eine frauenbefreiende Perspektive miteingeschlossen. Außerdem konnten wir aus unseren eigenen Erfahrungen bisher nur schließen, daß Männer im besten Fall bei konkreten Fällen von männlicher Gewalt gegen Frauen lediglich zu extremer Betroffenheit fähig sind, Frauen eher (bedingt durch ähnliche gemeinsame Erfahrungen) noch zu konkreter Hilfe.

Wir sind gespannt, wie ihr den Widerspruch, diese Diskussion als gemischtgeschlechtliche Gruppe zu führen, versucht zu lösen...

Einige FrauenLesben

p. s.: Revotutionör-feministische Grüße an die Separatistinnen (Interim Nr. 414)!

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