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BRD 1977 - Der Polizeistaat in Aktion


Die "Autonomen" und der "Deutsche Herbst"



Leseauszug aus: Geronimo; Feuer und Flamme, Zur Geschichte der Autonomen, Amsterdam 1990, S.65ff

Die Zerfalls- und Umstrukturierungsprozesse der linksradikalen Bewegung ab Mitte der 70er Jahre müssen vor dem Hintergrund des `Deutschen Herbstes` 1977 interpretiert werden. Der Ablauf dieses Jahres ist einerseits durch das massive Aufkommen einer militanten Anti-AKW-Bewegung geprägt, die im Frühjahr bei dem Versuch der Bauplatzbesetzung in Grohnde einen bisher in der BRD nicht wieder erreichten Grad an organisierter Massenmilitanz erreichte. Auf der anderen Seite betraten durch die Botschaftsbesetzung 1975 in Stockholm nach zwei Jahren wieder Kommandos der RAF die Bühne. Im Frühjahr wurde Generalbundesanwalt Buback und im Sommer der Chef der DresdenerBank Ponto hingerichtet.

Mit der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer, des "Bosses der Bosse" durch die RAF in Köln begann ab dem 5. September der `Deutsche Herbst`. Ziel dieser Aktion war es, eine große Anzahl von RAF-Gefangenen aus dem Gefängnis zu befreien. Die Bundesregierung verhängte sofort eine Informationssperre gegenüber der Presse. In der Folge kamen die Medien dieser Strategie der von oben erwünschten Gleichschaltung bereitwillig nach.

Zugleich wurden von den staatlichen Instanzen für 44 Tage, vermittels der Gewalt eines - in der Verfassung nicht vorgesehenen d.h. illegalen - `Großen Krisenstabes' die Mechanismen der bürgerlichen Demokratie außer Kraft gesetzt. Unter Bruch aller Fristen parlamentarischer Beratungsregularien wird das sogenannte `Kontaktsperregesetz` in Rekordzeit im Bundestag eingebracht und beschlossen. Vom Inhalt sieht es eine vollständige Isolierung der RAF-Gefangenen von der Außenwelt vor. Die davon betroffenen Gefangenen dürfen keine Zeitung, kein Fernsehen, kein Radio und vor allem keine Besuche mehr von Angehörigen, Anwälten oder sonstigen Personen erhalten. Es stellt quasi eine Art staatlicher Geiselnahme von Gefängnisinsassen dar. Noch bevor das Gesetz rechtskräftig geworden war, wurden Anwälte von den Gefängnisbehörden am Besuch ihrer Mandanten gehindert. Die offensichtliche Illegalität der staatlichen Maßnahme wird zwar von dem zuständigen Richter bestätigt, dessen darauthin getroffene Anordnung, dem Rechtsanwalt Zugang zu seinem Mandanten zu verschaffen wurde, aber von den staatlichen Instanzen ignoriert.

Am 24. September organisierte die internationale Anti-AKW-Bewegung eine Massendemonstration gegen den Bau des Schnellen Brüters in Kalkar. Diese endete jedoch - weitgehend im Vorfeld - in einem bis dato nicht gekannten Ausmaß der staatlichen Repression. Die Bullen sperrten eine Reihe von Autobahnen vollständig ab, so daß in der ganzen BRD auf der Nord-Süd-Autobahnachse der Verkehr zum Erliegen kam. Dabei wurden mindestens 125000 (!) Personalienüberprüfungen vorgenommen, Polizeihubschrauber hielten auf offener Strecke ganze Bundesbahnzüge an, die ebenso wie ganze Buskonvois von mit Maschinengewehren ausgerüsteten Bullen durchsucht wurden. Die meisten Demoteilnehmerlnnen kamen entweder gar nicht oder viel zu spät zu der geplanten Kundgebung. Die im Verlauf der Anreise zu dieser Demo gemachten Erfahrungen führten innerhalb der Bewegung zum sogenannten "Kalkar-Schock" und in der Folge zu einer teilweisen Demoralisierung der Anti-AKW-Strukturen.

Nachdem von dem `Großen Krisenstab' gegenüber den Entführern Schleyers eine Hinhaltetaktik eingeschlagen worden war, spitzte sich die Situation nach der Flugzeugentführung einer Lufthansamaschine aus Mallorca am 13. Oktober zu: Die Geiselnahme von zufällig in diesem Flugzeug sitzenden Touristen sollte, aus Sicht eines arabischen Kommandos, den Druck auf die Bundesregierung zur Freilassung der RAF-Häftlinge erhöhen. Im `Großen Krisenstab' wurden die Bemühungen verstärkt, um zu einer militärischen Lösung des ganzen Problems zu kommen. In diesem Zusammenhang wurden zunehmend "exotische Gedankenspiele" erörtert, in denen z.B. Strauß und der Generalbundesanwalt Rebmann offen für die Hinrichtung der RAF-Gefangenen plädierten. Nachdem diese "Gedankenspiele" auch öffentlich über Fernsehen, u.a. von Golo Mann, propagiert wurden, kam es schließlich am 17.10. zu einer Beendigung der Flugzeugentführung durch eine Stürmung der Luthansamaschine in Mogadishu durch ein GSG-9 Kommando, die keiner von den Entführern überlebte. Am nächsten Morgen wurden die sich in totaler staatlicher Verfügungsgewalt befindlichen RAF-Gefangenen Andreas Baader, Jan Carl Raspe und Gudrun Ensslin tot und Imgard Möller lebensgefährlich verletrt in ihren Zellen aufgefunden. Schon einige Stunden danach verbreiteten staatliche Stellen die Version vom Selbstmord der Gefangenen, wobei die genauen Umstände ihres Todes damals wie heute ungeklärt sind. Am Abend des 18. Oktober wurde schließlich Schleyer tot in einem Auto in Straßburg aufgefunden.

Der Verlauf und die Ereignisse des `Deutschen Herbstes' wurden für die neue Linke zu einer Zäsur und einem Fixpunkt ihrer eigenen Identität. Während ein Teil sich in unterwürfiger Distanzierung dem Staat als Grenzträger der Macht anzudienen suchte, verharrte der größere Teil aufgrund der Ereignisse im sprachlosen Schweigen.

Gerade in Folge der RAF-Aktionen war die linksradikale Sponti-Scene mit einem enormen Ausmali an staatlicher Repression konfrontiert. Der bereits nach der "klammheimlichen Freude" im `Mescalero'-Nachruf zur Buback Erschießung im Frübjahr lastende Repressionsdruck verschärfte sich nochmals im Herbst: Ganze Straßenzüge wurden von mit Maschinengewehren ausgerüsteten Bullen abgeriegelt, gegen bekannte Linksradikale wurden mehr als einmal von den Bullen mit gezogener Knarre Personalienüberprüfungen durchgeführt, Treffpunkte der Scene wurden durchwühlt.

Der `Deutsche Herbst' traf die und atischen Linksradikalen in einer Phase der Umorientierung, weg von den verlorengegangenen Betriebsinterventionen und Häuserkämpfen hin zu den bis dato erfolgreichen Anti-AKW-Aktionen. Dieser politischen Wende wurde aber durch die Ereignisse nach dem "Kalkar-Schock" die Spitze gebrochen. In dem - zusammen mit politisch schwer identifizierbaren Kräften aus dem arabischen Raum - angelegten antiimperialistischen Szenario von Attentaten und Flugzeugentführungen der 77er RAF-Offensive, spitzten sich die bereits 1972 in den Richtungswechseln der RAF angelegten Spaltungs- und Trennungsprozesse zu den Linksradikalen zu. Die während der Schleyer-Entführung unter dem Druck der staatlichen Repression noch verschärfte sprachlose Statisten- und Zuschauerrolle der Spontis wurde durch die massive Distanzierung und Entsolidarisierung des linksliberalen und akademischen 68er Milieus vollends zu einem traumatischen Erlebnis für die Linksradikalen.

In dieser Phase der völligen Isolierung und Desorientierung wurden viele GenossInnen vom anfänglichen Nichtverhaltenkönnen in die Resignation oder die entstehende Alternativbewegung getrieben. Ein anderer Teil `überwinterte' in den Resten der Anti-AKW Bewegung.

Der `Deutsche Herbst' wirkt heute noch in allen Spektren der Linken nach. In diesem Zusammenhang sei nur an die staatlich-grüne Amnestiediskussion erinnert oder an die Assoziationen über einen neuen `Deutschen Herbst` Ende des Jahres 1987 nach den Ereignissen an der Startbahn West und der Hausdurchsuchungswelle gegen linksradikale und autonome Frauenzusammenhänge.

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