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BRD 1977 - Der Polizeistaat in Aktion

Der kleine Ausschlag für eine große Entscheidung

Interview mit Harun Farocki über den deutschen Herbst

Von Tilman Baumgärtel

Im November 1968 wurden 18 Studenten der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) wegen ihrer politischen Aktivitäten relegiert. Sie hatten an der westdeutschen Studentenbewegung teilgenommen, und die Filme, die sie zwischen 1966 und 1968 gedreht haben, gehören zu den vitalsten Dokumenten der APO. Einige der Relegierten - wie Harun Farocki, Hartmut Bitomsky und Daniel Schmid - sind heute international als Autorenfilmer bekannt.

Zwei andere sind tot: Der ehemalige DFFB-Student Holger Meins wurde "Mitglied einer terroristischen Vereinigung", der RAF, und starb 1974 in der Justizvollzugsanstalt Wittlich in der Eifel bei einem Hungerstreik. Der Schweizer Filmakademie-Student Philip Sauber schloß sich Anfang der siebziger Jahre der Stadtguerilla-Gruppe "Bewegung 2. Juni" an, und wurde 1975 bei einer Autokontrolle auf einem Parkplatz in der Nähe von Köln erschossen.

Harun Farocki, der 1968 zusammen mit den beiden späteren Terroristen von der Filmakademie flog, hat in seinen Filmen die Entwicklung der Neuen Linken in West-Europa begleitet. Ende der sechziger Jahre drehte er kurze Agitationsfilme, Anfang der Siebziger Jahre Lehrfilme, die den Marxismus mit den Mitteln des Kinos erläutern sollten. 1974 interviewte er in Österreich Bommi Baumann, aus den Gesprächsprotokollen entstand das Buch "Wie alles anfing". In den achtziger Jahren wurde Farocki mit Filmen wie "Bilder der Welt und Inschrift des Krieges" (1988), "Leben BRD" (1990) oder "Videogramme einer Revolution" (1992) international bekannt. Heute lehrt er in Berkely und war mit seinem Film "Stilleben" einer der 100 Gäste der diesjährigen documenta. Im folgenden Interview spricht er über den "deutschen Herbst" und seine beiden ehemaligen Kommilitonen.

Tilman Baumgärtel: Es gibt dieses furchtbaren Fernsehaufnahmen von der Verhaftung von Holger Meins: er ist bis auf die Unterhosen nackt und wird von zwei Polizisten in eine Polizei-Wanne geschleppt. Er schreit und schreit und schreit. Keine Worte, nur Laute, fast wie ein Tier. Hast Du das damals in Fernsehen gesehen?

Harun Farocki: Ja. Das war erschreckend, gerade die Nacktheit. Ich nehme an, daß die Polizei die ausgezogen hat, ganz sicher bin ich mir nicht. Das hat seine Fortsetzung gefunden in den Bildern von seinem Tod im Gefängnis nach dem Hungerstreik. Dieses Gerippe, fast nicht mehr menschlich. Das sah so aus wie diese Körperfunde in Pompeii oder wie ein Schreckensbild aus dem Dreißigjährigen Krieg. Ich hatte erwartet, daß die sich wie die japanischen Zengakuren in einem Haus verschanzen und sich von der Polizei zusammenschießen lassen.

Baumgärtel: Zu dieser Zeit waren die RAF-Leute in der Öffentlichkeit zu Unmenschen hochstilisiert worden; Du kanntest einen von ihnen persönlich. Wie war das, ihn plötzlich als "Public Enemy Number One" im Fernsehen zu sehen?

Farocki: Wir wohnten seit Frühjahr 1968 in der Grunewaldstrasse in Berlin-Schöneberg. Ich weiß noch, daß Holger uns beim Umzug geholfen hat. Später wurde unser Haus in der Grunewaldstrasse dieses linke Zentrum. In der Wohnung unter uns war eine Kommune. Da war ein Kinderladen, ein politisches Videostudio, eine Druckerei, wo Raubdrucke gemacht wurden. Holger Meins hatte da auch mal kurz gewohnt, vielleicht war er auch nur dort gemeldet. Auf jeden Fall kam noch ganz lange die Süddeutsche Zeitung, auf die der Zusteller "Meins" geschrieben hat. Daß ich das nicht aufgehoben habe! Da gab es einen Tag, an dem ein Bericht über ihn auf der ersten Seite war, mit einer falschen Schreibweise. "Mons" wurde er, glaub ich, geschrieben. Und auf der Zeitung, die im Briefkasten steckte, stand daneben mit Bleistift geschrieben: "Meins". Das waren ganz seltsame Zeiten: Wenn man keinen Anzug trug oder lange Haare hatte, dann galt man als Hippie oder Rauschgiftsüchtiger oder Ost-Agent. Dann bekamen wir Kinder, und plötzlich änderte sich das Verhältnis zu unseren Nachbarn. Wir hatten einen Anwalt, der herausfand, daß die meisten Leute im Haus zuviel Miete bezahlten, vor allem die Ausländer. Wir machten eine 1970 eine Hausversammlung, und eine türkische Familie bekam plötzlich 700 Mark zurück. Das strahlte auch auf uns zurück. Und genauso war es mit Baader-Meinhof, die konnten auch ein Robin-Hood-haftes Ansehen gewinnen. Sie hatten den Armen noch nichts gegeben, aber immerhin nahmen sie den Banken etwas weg. Außerdem waren sie mit ihrer Intelligenz der Polizei voraus.

Baumgärtel: Im Ernst? Ich hätte gedacht, daß die RAF nur in der linke Szene so einen Nimbus hatten...

Farocki: Nicht nur. Ich habe das auch in Banken gehört, daß die Leute so Witze darüber machten. Diese Art von Sympathie kostet ja nicht viel. Man hält ein bißchen zu denen, weil die so einen tollen Putz machen. Und von dieser Sympathie strahlte auch etwas auf uns. Immer, wenn es so eine Meldung gab, der und der ist verhaftet worden, gab es Mitleidsbekundungen von den Nachbarn: Der war doch so nett, und das ist ja 'ne Schweinerei. Es kam auch unendlich viel Polizei in die Grunewaldstrasse. Bei jeder Gelegenheit kam völlig sinnlos eine Hundertschaft und umstellte die Höfe und durchsuchte die Wohnung. Dabei war es vollkommen klar, daß sich da niemand mehr verstecken würde.

Baumgärtel: Wann war das? Im "deutschen Herbst"?

Farocki: Nein, da hörte das auf. Nach der Lorenz-Entführung 1975 kamen sie; und 1977 erwartete ich das auch. Aber da hatte sich das professionalisiert. Da wußten sie, wo sie hingehen mußten und wo nicht. Da war es ernst geworden.

Baumgärtel: Gehen wir mal zurück zu der Zeit, in der Du zusammen mit Holger Meins an der DFFB studiert hast. Wie ist Dir das in Erinnerung?

Farocki: Der Holger hatte schon viel mehr Filmerfahrung als die meisten von uns. Der war ein richtiger Cineast. Er hatte eine große Ahnung davon, daß das, was man in der Filmschule lernt, was richtig ist und was nicht, ein sehr unsicheres Terrain ist. Der hatte so eine vom Underground geprägte Ästhetik. Er hatte schon zusammen mit Hellmuth Costard in Hamburg an dem Film "Klammer auf, Klammer zu" gearbeitet. Es gab an der Uni in Hamburg eine Filmwerkstatt, da hatte der Erfahrungen gesammelt und daher konnte er auch Kamera. Der wäre bestimmt ein wirklich unabhängiger Filmemacher wie Costard geworden. Er hatte das Zeug zu Filmen mit einem eigenen Stil. An der Filmakademie war damals alles noch sehr verschult. Dreimal die Woche sah man Filme und redete darüber. Ullrich Gregor zeigt die Filmgeschichte anthologisch runter. Da merkte ich, daß Holger sehr kluge Standards hatte und ein gutes Auge und eine tiefe ästhetische Erziehung. Wenn er einen Film sah, konnte er ästhetischen Radikalität gut erkennen und einem auch vermitteln. Er kämpfte sehr gegen diesen Fernseheinfluß. Wenn man politisch ist, kann das ja sehr leicht kommen, daß man das alles mit Wörtern macht, und die Bilder nur als Hintergrund nimmt. Damals habe ich ihm auch beim Schneiden und beim Vertonen seines Films "Oskar Langenfeld" zugeschaut.

Baumgärtel: Holger Meins Film "Oskar Langenfeld" ist von einer unglaublichen filmästhetischen Strenge. Glaubst du, daß es da eine Verbindung gibt zwischen dieser künstlerischen Rigidität und seiner späteren politischen Radikalität?

Farocki: Ich erinnere mich da an so einem Satz von ihm, wo er sagte, die Künstler hätten die Neigung, die Aggressivität gegen sich selber zu kehren, und es käme darauf an, sie gegen die wirklichen Feinde zu richten. Er dachte das bestimmt zusammen, Ästhetik und Politik. Ich glaube, daß er unheimlich gespalten war, ob er Filme oder Politik machen sollte. Er hat sich aber immer sehr loyal verhalten. Er hat zum Beispiel bei dem Film "Johnson & Co" von Hartmut Bitomsky seine ganze Kraft rein gesetzt, auch wenn er es vielleicht in Zweifel zog, ob man überhaupt noch solche Filme machen sollte. Ich hatte mit ihm diesen interessante Konflikt: Wir waren 1967 bei dem Filmfestival in Knokke, und ich habe ein Flugblatt geschrieben, daß so eine Marx'schen Rhetorik hatte. Bevor das gedruckt wurde, hat Holger noch drei Sätze geändert. Ich habe ihm gesagt, daß er damit den ganzen Rhythmus von dem Text zerstört hätte. Ich traute mich, ihm sowas zu sagen, weil ich erwartete, daß er so etwas verstünde. Aber an dieser Stelle verstand er es nicht mehr. Er fand es wichtiger, daß da das richtige stand, als daß der Text als Text noch seine Form hat. Aber ich weiß auch noch, daß wir 1967 bei dem Experimentalfestival in Knokke den Film "Wavelength" von Michael Snow zusammen sahen, der ihm unglaublich imponierte. Wir haben da in Knokke ja gegen so eine billige Avantgarde polemisiert. Aber bei "Wavelength" spürte der Holger sofort diese ästhetische Radikalität, und war schwer beeindruckt. Den Film haben wir also nicht gestört, im Gegensatz zu einigen anderen.

Baumgärtel: 1968 tauchte an der DFFB ein Film mit dem Titel "Herstellung eines Molotow-Cocktails" auf, in dem demonstriert wurde, wie man eine Brandbombe bastelt. Offenbar war dieser Film von Holger Meins. Das könnte man ja als die Ankündigung eines Wechselns von filmischer zu politischer Radikalität deuten...

Farocki: War der von Holger? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich schon. In "Le Gai Savoir" von Godard beschreibt der Mann ja auch metaphorisch die Frau als Molotow-Cocktail. Das hatte so etwas zeichenhaftes: der Molotow-Cocktail und Kalaschnikow, das sind die Waffen der Schwachen und der Unterlegenen. Diese Bedeutung hat der Molotow-Cocktail gehabt. Ich habe "Herstellung eines Moltow-Cocktails" in der TU gesehen. Wenn wir damals unsere Filme in so einer studentischen Öffentlichkeit zeigten, gab es immer so eine unheimliche Enttäuschung. Das lag vielleicht an unseren Produktionsmitteln: daß die Filme schwarz-weiß waren und es so einen fiepsigen Ton gab, und nicht so einen Italo-Western, wo es bumst und knallt. Irgendwie erwartete das Auditorium von unseren Filmen, daß wir etwas unglaublich Neues, Explosives machen würden. Wenn sie dann eine von unseren DFFB-Dokumentationen sahen, fragten die sich: Was ist denn das für ein lächerlicher kleiner Wasserwerfer? Das war in ihrem Erleben viel größer geworden. Bei dem "Molotow-Cocktail" gab es dann doch mal ehrfürchtige Stille (lacht). Die Sache mit den Waffen hatte natürlich viel damit zu tun, daß durch diesen weltpolitischen Patt seit 1945 alles versteinert, eingefroren war. Die Idee, die mit dem Vietnamkrieg und der kubanischen Revolution aufkam, war, daß die Guerillerabewegungen der Dritten Welt durch ein Unterlaufen der hohen technologischen Schwelle der Großmächte etwas ändern könnten. Am Anfang waren beim SDS die meisten Leute dagegen, daß man überhaupt Gewalt ausübte, sie waren sogar gegen Rangeleien mit der Polizei. Es wurde gesagt, daß das vollkommen aktionistisch wäre und der Organisation schaden würde. In dem Zusammenhang gab es bei mir schon den Impuls: 'Doch, doch, man muß noch einen Schritt weiter gehen.' Das hatte natürlich auch die Funktion, sich selbst zu überzeugen, daß man sich traut, seine Schlaghemmungen zu überwinden.

Baumgärtel: In Deinem Film "Ihre Zeitungen" wird ja auch mit politischer Gewalt kokettiert: Ein "kämpfendes Kollektiv" hantiert mit Pflastersteinen; zum Schluß hört man eine Fensterscheibe klirren; diese ganze Gruppe hat auch schon so einen Touch von Stadtguerilla. Wieso denkst Du, daß solche Ideen zur selben Zeit sowohl in Deinen Filmen wie denen von Holger Meins auftauchen, aber trotzdem nur einer den Weg der politischen Gewalt wählt?

Farocki: Retrospektiv weiß ich, daß ich nie in den Untergrund gegangen wäre, weil ich mich viel zu sehr darauf bestimmt hatte, Filme zu machen oder intellektuell-künstlerisch tätig zu sein. Ob das beim Holger so anders war oder ob er nicht nur durch so eine Konstellation daran gehindert wurde, weiß ich nicht. Vielleicht hätte er ja wieder Filme gemacht, wenn er nach fünf Jahren aus dem Gefängnis gekommen wäre. Da bin ich ganz vorsichtig, was den kleinen Ausschlag gibt für so eine große Entscheidung.

Baumgärtel: Im gewissen Sinn hat er ja im Gefängnis wieder künstlerisch gearbeitet. Die RAF-Leute hatten sich die Bilanzen von deutschen Großbanken kommen lassen, um die Methoden des internationalen Kapitalismus zu studieren. Holger Meins hat aus den Rückseiten dieser Broschüren, die meist aus bunter Pappe waren, solche Mondrian-artige Collagen geklebt. Der andere DFFB-Student, der in den siebziger Jahren in den Untergrund gegangen ist und später bei einer Autorazzia erschossen wurde, ist der Schweizer Philip Sauber. Kannst Du Dich an den erinnern?

Farocki: Ja, der wohnte ja auch unter uns, mit einer Frau und deren Kind. Deswegen hatte ich über meine Töchter relativ viel Kontakt mit ihm. An der Filmakademie hatte er vor unserem Rausschmiß an der Akademie einen Film mit dem Titel "Der einsame Wanderer" gemacht, den ich sehr bewundere. Das ist einer der schönsten Filme, der da damals entstanden ist. Der war damals 22 Jahre alt, und das war so ein Wurf: die ästhetische Sicherheit, mit der er dieses Murnausche Genre paraphrasiert, und auch in Berlin gleich wiede architektonischen und lichtmäßig das Equivalent findet! Ein erstaunlicher Film. Bei dem war diese Zerrissenheit so klar zwischen ästhetischer Bestimmung und politischem Anspruch. Nach dem Rausschmiß aus der Filmakademie wollte er in der Grundwaldstrasse ein Studio machen, in dem politische Videos gemacht werden sollten.

Baumgärtel: Weißt Du, ob in diesem Studio auch Videos entstanden sind?

Farocki: So gut wie nicht. Ich kann mich daran erinnern, daß da ein Film über die Schwarzen in den USA gemacht worden ist, mit Musik von MC5. So ein bißchen nach dem Modell von Godards Werkstätten. Chris. Marker hat ja auch sowas gemacht, so ein Kollektiv, wo zusammen Filme gemacht werden. Als wir aus der Filmakademie geflogen waren, wurde viel diskutiert. Wir hatten eine Abfindung bekommen, und wir haben uns überlegt, ob wir das Geld zusammenlegen und zusammen produzieren sollten. Und ich erinnere mich, daß Holger Meins sagte: "Eine Vereinigung der Filmemacher ist ganz falsch. Die Filmemacher müssen sich anderen Erfahrungsfeldern assoziieren." Das fand ich einen sehr richtigen Gedanken, und das gilt für mich heute noch. Man sollte dahingehen, wo andere etwas tun, statt so eine Filmemacher-Innung zu gründen.

Baumgärtel: Hat die Härte, mit der der westdeutsche Staat gegen die RAF vorgegangen ist, auch zur eigenen Distanzierung von dieser Form politischer Radikalität beigetragen?

Farocki: Wenn die Polizei damals in die Grunewaldstrasse gekommen ist, haben die immer zu mir gesagt: Wir wissen ja, daß sie Gewalt als politisches Mittel ablehnen. Dabei hatte ich mich nie dazu geäußert. Diese Form von Isolierung wollte ich unbedingt vermeiden, daß die Polizei weiß: das sind die Guten und das sind die Schlechten. In den Siebziger Jahren war mein Telefonbuch voll mit den Namen von Leuten, die entweder Selbstmord begangen hatten oder Opfer von ihren terroristischen Aktionen geworden waren. Das war wirklich eine schreckliche Zahl. Ich habe heute noch einen Traum über einen, der sich über mich tot lacht, weil ich immer noch auf der Erde rumlaufe. Wenn jemand, den Du kennst, sich im Gefängnis zu Tode hungert, stellt das in Frage, was Du tust. Wo ist eigentlich Dein Engagement? Was bist Du selbst eigentlich für ein faules Schwein? Das hat einen unglaublichen moralischen Druck auf mich ausgeübt. Bei einigen war es ziemlich klar, daß die Bullen eine gute Gelegenheit ergriffen, um mal jemand abzuknallen, zum Beispiel bei Georg von Rauch. Andere hatten es aber darauf angelegt, sich zu heroisieren. Dagegen hatte ich eine starke Abwehr. Auch bei der RAF war ja immer ein Element moralischer Erpressung dabei. In allem, was sie tat, sagten sie immer: Ihr seid ja nur zu feige; wir tun es, und keiner hilft uns.

Baumgärtel: Warst Du ein "Sympathisant" der RAF, wie das damals hieß?

Farocki: Ich fand die Guerilla-Idee falsch. Ich sah keinen Anhaltspunkt dafür, wie das gehen könnte. Ich sah in Bevölkerung in Deutschland keine Majorität, die bereit war, sowas zu unterstützen. Meine Lebenssphäre war es, mit den Kindern auf dem Spielplatz zu gehen, und da lernte ich diese ganzen Mütter kennen. Da merkte ich, wie schnell sich da kulturell alles änderte, von dieser Vorkriegsethik zum Konsumismus von heute. Diesen Leuten konnte man nicht mehr mit dem antiimperialistischen Kampf in den Metropolen kommen.

Baumgärtel:: Wie schätzt Du heute die Bedeutung der RAF ein?

Farocki: Die RAF hat wohl dem Staat geholfen zu verstehen, daß er gar nicht mehr in diesem Sinne ein Repressionsapparat war und daß es anachronistisch ist, die Leute auf so eine plumpe Weise zu unterdrücken. Der Staat hat ja bei dieser Kriegsspielerei, mit Fahndungsapparat und Eingreiftruppen, gerne mitgespielt. Aber wie der Mensch zugerichtet wird, kann wohl eher mit Foucault verstehen als mit diesen Vorstellunen aus dem Feudalismus und Anti-Feudalismus...

Baumgärtel: Wie den Marxismus?

Farocki: Ja, zum Beispiel. Der Foucault sagt ja in einem Interview, daß die Kommunisten so wütend auf die Strukturalisten waren, weil das eine neue Möglichkeit war, links zu sein, ohne was mit dem Marxismus zu tun zu haben. In den fünfziger Jahren gab es dieses Übungsdorf in West-Berlin, wo die Polizei einen kommunistischen Aufstand als Rollenspiel durchspielte. Leider habe ich das nie gefilmt. Da gab es Leute, die die SED-Agenten darstellten, die gingen da durch die Strasse und wiegelten die Leute auf. Mit solchen Vorstellungen ist die Polizei 1967/68 in die Konflikte mit den Studenten reingegangen. Die haben gedacht, daß sind alles Agenten aus dem Osten. Die konnten sich nicht vorstellen, daß da auch der nette Nachbarssohn dabei sein konnte. Innerhalb der nächsten fünf Jahren lernten die dann, daß sie da gar nicht gegen ein Heer von Ost-Agenten kämpften. Die RAF hat aber immer noch mit diesen anachronistischen Termini gearbeitet, daß sie eine Armee sind und mit einer militärischen Taktik operieren. Diese Vorstellung von Opposition und Repression ist inzwischen historisch obsolet geworden. Das hat die Opposition an dieser RAF-Tragödie gelernt, das hat aber auch der Staat daraus gelernt. 1968, so kommt es mir heute vor, war vor allem das Ende des Humanismus. In dem Sinne, daß es noch einmal um die Aufhebung der Entfremdung ging, um den Anspruch, auf der Höhe der Gegenwart zu sein, bewußt in die Geschichte einzugreifen. Die größeren Bücher, die zur gleichen Zeit herauskamen, Foucault und Derrida, sie handeln davon, daß es zu spät ist für die Autonomie und daß die Verdinglichung eine zivilisatorische Tatsache ist. Man kommt da nicht mehr hin, so wie man nicht mehr ohne Strom und Heizung leben kann - außer in Survival-Kursen.

Interview: Tilman Baumgärtel

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