Karl-Heinz Schubert

Zur Geschichte der westberliner Basisgruppen

aus: Aufbruch zum Proletariat

Abgrenzungen

Die Kampagne im Januar 1969 zum 50. Jahrestag der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht war die erste zentrale Kampagne, die sich nicht nur politisch, sondern auch ideologisch-konzeptionell gegen die Sozialdemokratie richtete. Hierbei erlangte die von den Basisgruppen vertretene Linie der Arbeiterkontrolle zentrale propagandistische Bedeutung. Ernest Mandel, dessen trotzkistische IV. Internationale gerade dabei war, das Entrismuskonzept zu verwerfen/1/, wurde zum Mentor und Stichwortgeber für diese Linie. In Absprache mit den Basisgruppen hielt er auf dem Teach-in am 15.1.69 das Hauptreferat./2/ Für Mandel war die westeuropäische Studentenrevolte des vergangenen Jahres der "entscheidende Beitrag zum Wiederaufleben der revolutionär-sozialistischen Massenbewegungen". In den aus diesem Prozeß hervorgegangenen Basisgruppen und ihrer Konzeption der Arbeiterkontrolle sah er die konkrete Chance "für den Aufbau einer revolutionär-sozialistischen Massenarbeiterbewegung". Gegenüber den Zuhörern ließ er jedoch keinen Zweifel, daß es sich bei den BG's um eine Zwischenetappe handeln würde, aus der die "revolutionäre Partei" und eine "revolutionär-sozialistische Jugendorganisation" hervorgehen werden. Diese strategische Konzeption einer proletarisch-revolutionären Parteigründung sollte erst Ende 1969 zur Hauptlinie unter den sozialistischen Studenten und den von ihnen organisierten Jungarbeitern und Schülern werden. Anfang 1969 lag dagegen Mandels Linie noch quer zu den speziell im Basisgruppenspektrum vertretenen Ansichten, wenngleich die ersten organisatorischen Anzeichen für Parteigründungen sichtbar wurden.

Am 31.12.68 hatte sich aus ehemaligen Alt-KPD'lern um Ernst Aust und Willy Dickhut (heute MLPD) im Hinterzimmer einer Hamburger Kneipe die maoistische KPD/ML als "Avantgardeorganisation" des westdeutschen Proletariats gegründet. In Westberlin existierte seit Ende 68 die "Rote Garde", eine Jugendorganisation, die aus der Schülerbewegung hervorgegangen war. Sie wurde im Laufe des Jahres 1969 im Wege von Spaltungen und Fraktionierungen der KPD/ML einverleibt.

Trotzkistische Kräfte um die Schülerzeitung "Neuer Roter Turm" und im westberliner Landesverband der Falken hatten Ende Oktober 1968 quasi den Verband verlassen und einen "Initiativausschuß für eine revolutionäre Jugendorganisation" gegründet. Aus diesem Zusammenschluß entstand Anfang März 1969 die Kommunistische Jugendorganisation Spartakus. Aufgrund von Widersprüchen zwischen den trotzkistischen Kräften über Gründungstaktiken kam es Pfingsten 1969 zur Gründung der Gruppe Internationale Marxisten (GIM).

Diese auf Zentralisierung ausgelegten Organisationen erschienen in der Debatte der ersten Jahreshälfte 1969 aufgrund anderer konkreter Ausgangsbedingungen (der Gründungskern der KPD/ML kam aus der verbotenen KPD) zunächst nur als andere Organisationsmodelle revolutionärer sozialistischer Politik. Sie waren ebensowenig wie die Basisgruppen aus den realen Klassenbewegungen hervorgegangen, sondern bildeten Versuche, auf das Proletariat "von außen" organisierend einzuwirken. Daß sie - immanent interpretiert - eine Negation des additiven Basisgruppenkonzepts darstellten, sollte erst in der zweiten Jahreshälfte zum Tragen kommen. Dennoch rief diese Entwicklung bei den westberliner SDS-Mitgliedern, sofern sie sich nicht auf die Basisgruppen bezogen, erhebliche Irritationen hervor. Zum einen wies diese Entwicklung auf, daß der SDS seine Avantgardefunktion für die APO endgültig verloren hatte, zum anderen wurde er selber Ort von sich nicht mehr vermittelnden Fraktionskämpfen. Die von Chr. Semler auf der 23.o.DK geforderte Bildung einer "Zentrale" konnte deshalb nicht mehr allein über den SDS verlaufen. Im SDS begann nun das Ringen um die Herausbildung eines "führenden Kerns von Genossen", wofür 1969 dutzenderlei Konzepte entworfen und verworfen wurden.

Trotz durch die CSSR-Ereignisse angeschlagenem Ansehen verhielt sich die SEW zunächst gegenüber dieser Entwicklung bedeckt abwartend. Auf ihrem Parteitag im Februar 1969 hatte sie den Namenswechsel vollzogen und dokumentierte allein dadurch, daß ihre politisch-strategischen Interessen nur vermittelt mit der Politik der APO zu tun hatten. Erst nachdem sie im Rahmen der 1.Mai-Kampagne von den anderen linken Strömungen isoliert worden war, ging sie an den Unis zu einer offen eigenständigen Politik über, während sie im Betrieb weiter an ihrer gewerkschaftslegalistischen Linie festhielt./3/

Obwohl alle diese Differenzen bei den Basisgruppen nicht außen vorblieben, schienen sie - sofern sie als Betriebsbasisgruppen arbeiteten - zumindest in der ersten Hälfte des Jahres 1969 relativ konsolidiert und erlebten in der Kampagne um den 1. Mai 1969 in Bezug auf Öffentlichkeitswirksamkeit ihren Höhepunkt.

Die erste sichtbare Abgrenzung und damit der Beginn der Spaltung des westberliner APO-Blocks erfolgten kurz nach dem Teach-In vom 15.1.69. Schon während dieses Meetings wurde gefordert, den EXTRA-DIENST/4/ abzubestellen. Nach einigen Wochen des Projektierens entstand Ende Februar als "Informationsdienst der Neuen Linken" die ROTE PRESSE KORRESPONDENZ (RPK)./5/ Die Basisgruppen, die als Betriebsbasisgruppen arbeiteten, wurden Mitherausgeber der RPK, die bezeichenderweise den Untertitel eines Organs "der Studenten-, Schüler- und Arbeiterbewegung" führte. Doch schon bereits während der Gründungsdiskussionen um die RPK begann Anfang Februar 1969 die Herausgabe des "Basisgruppeninfos", einem unregelmäßig erscheinendem Organ, das bis Juni 1969 mit insgesamt neun Nummern herauskam. Dieser Schritt ging von der BG Wedding aus, die dadurch sicherstellen wollte, daß ihre Konzeption der Arbeiterkontrolle im nun beginnenden Fraktionshickhack die ideologische und organisatorische Eigenständigkeit bewahrte. Gleichzeitig sollte damit eine Vernetzung der "ziemlich eigenbrödlerisch" arbeiteten BG`s erreicht und die Voraussetzung für eine "neue sozialistische Organisation, die ihren Schwerpunkt in der Arbeiterklasse hätte," geschaffen werden./6/

Obwohl im ersten BG-Info nochmal wiederholt wurde, daß mit einer Kampagnenpolitik Schluß zu machen sei, stürzten sich die Basisgruppen sofort ab Februar 1969 auf die Vorbereitung des 1.Mai. In zahlreichen zentralen Treffen wurde diese Kampagne auf der Grundlage der Zentralkategorie "Arbeiterkontrolle" ausdiskutiert/7/ und darauf aufsetzend ein organisatorisches Modell konzipiert, das über die bisherigen Vorstellungen hinausgehen und eine Perspektive für die Gesamtlinke beinhalten sollte. Damit begannen aber die BG`s neben ihrer Betriebspraxis erstmalig, gezielt in die Fraktionierungsdiskussionen des Gesamtspektrums einzugreifen.

In dieser Diskussion wurden sie vorübergehend zum bestimmenden Moment, weil sie im Gegensatz zu allen anderen Strömungen und Projekten nicht nur ein gewisses Maß an Kontinutät aufwiesen, sondern weil sie scheinbar zurecht mit ihren Verbindungen zum historischen Subjekt ("mein Arbeiter hat gesagt") argumentieren konnten, kurzum, weil sie im Sinne des damaligen linken Zeitgeists vorbildlich, uniunabhängig, selbstorganisiert und "praxisorientiert" arbeiteten. Ihre Forderung an linke Studenten nach Bruch mit der eigenen Klasse und Aufnahme der Betriebsarbeit, schien schon deshalb glaubhaft, weil die studentischen Propagandisten diesen Schritt selber praktisch vorlebten.

Trotz der Differenzen zur SEW existierte ein zentrales Maikomitee, in dem alle Organisationen, Projekte, Fraktionen und Strömungen, also auch die SEW, mitarbeiteten. Da sich Anfang April die Linie der Arbeiterkontrolle im Maikomitee durchsetzte, verschärften sich die Widersprüche zur SEW, die an der DGB-Konzeption der "Mitbestimmung" als propagandistischer Hauptlinie festhielt. Doch keiner der mitarbeitenden Gruppen vollzog im Maikomitee den Schritt der Trennung von der SEW. In dieses Entscheidungsvakuum stieß die SDS-Gruppe um Christian Semler und Jürgen Horlemann, die sich für die Abfassung eines Briefes an den PV der SEW zwecks endgültiger Abklärung der Differenzen delegieren ließ. In diesem Brief griffen sie die SEW wegen ihrer "Mitbestimmungsforderungen" an und erklärten sich selber zu den geistigen Ziehvätern der Strategie der "Arbeiterkontrolle"./8/ Dieser Schritt brach die SEW endgültig aus dem linken Block heraus/9/ und katapultierte die Alt-SDS'ler an die führende Stelle des Meinungsstreits. Das Maikomitee stellte neben Eike Hemmer (Basisgruppen), Günter Waschkuhn (Rote Garde) und Jürgen Zeller (Spartakus), Christian Semler (SDS) als einen von vier Hauptrednern für die zentrale Maiveranstaltung am 30.4.69 auf. Semler nutzte dieses Forum, um über die bisher von den BG`s entwickelten Organisationskonzepte im Sinne seiner Zentralisierungsvorstellungen hinauszugehen. Dabei mußte er nicht nur das BG-Referat von E.Hemmer angreifen, sondern sich auch von den Referaten der Roten Garde und der KJO Spartakus abgrenzen./10/

So prallten am Vorabend des 1. Mai auf der zentralen Veranstaltung vier Konzeptionen aufeinander, wobei gemessen an der nun erste Konturen zeigenden Zentralisierungsdiskussion die BG-Position nicht mehr auf der Höhe der Zeit erschien. Die am nächsten Tag noch auf der Straße praktizierte revolutionäre Einheit bestand eigentlich nicht mehr. Die Gräben der Fraktionierungen begannen sich weiter zu vertiefen. Aus dem Basisgruppenspektrum spaltete sich das SALZ ab, weil man der Auffassung war, daß die Interessen der Jungarbeiter und Lehrlinge - insbesondere aus Kleinbetrieben - zuwenig in der Praxis der BG`s Beachtung fanden. Gleichzeitig ging es aber auch darum, das Abwandern dieser Jugendlichen in Organisationen - wie Spartakus oder Rote Garde - zu verhindern.

Anmerkungen

/1/ Siehe dazu die im selben Jahr von der IV. Internationale gefaßten Beschlüsse zur Gründung von neuen revolutionären Parteien, in: Die Internationale, Sondernummer 1/73, a.a.O.

/2/ siehe MANDEL, Ernest: Referat auf dem Teach-In am 15.1.69, Auszüge; hektografierte Mitschrift als Zirkular für die BG`s, Quelle: Taifun-Verlagsarchiv

/3/ Die Umbenennung von SED-W in Sozialistische Einheitspartei Westberlin unterstrich die seit dem Chrustschow-Ultimatum (1958) vertretene Auffassung dreier deutscher Staaten (DDR/BRD/Westberlin). Diese Auffassung propagandistisch zu wenden, war für die SEW schon immer als Hauptaufgabe angesehen worden. Die auf dem a.o. Parteitag der SEW am 15.2.69 verabschiedete Grundsatzerklärung beschränkt deshalb auch den Wirkungsbereich der SEW ausschließlich auf Westberlin. In dem selben Dokument wird nochmals explizit betont, aß die SEW gegen jegliche "parteipolitische Einmischung in innergewerkschaftliche Angelegenheiten" sei. Während die Frage "zwei oder drei deutsche Staaten" für die Kräfte der APO marginal war, bedeutete die SEW-Gewerkschaftslinie einen klaren Trennungsstrich zu den Rekonstruktionskonzepten - speziell der Basisgruppen - einer revolutionären Arbeiterbewegung. Denn die Konzepte gingen ja gerade von einer (partei)politischen Einmischung in die Gewerkschaften aus.

/4/ Der BERLINER EXTRA-DIENST (ED), 1967 gegründet, war ein zweimal wöchentlich erscheinender Nachrichtendienst, deren Herausgeber am linken Rand der SPD angesiedelt waren. Dem entsprechend überwogen in der Berichterstattung auch Nachrichten aus der SPD und dem DGB. Die Haltung zu diesen Organisationen war letztlich loyal kritisch. Damit entsprach der ED ideologisch der Konzeption der SEW, deren Haltung zur Sozialdemokratie durch das taktische Ziel der Schaffung einer "Aktionseinheit" bestimmt war. Durch die Zuspitzung der strategischen Diskussion innerhalb der APO vollzog sich deshalb nicht nur die Trennung von der SEW, sondern auch vom ED.

/5/ siehe dazu: EDITORIAL: Warum eine neue Korrespondenz? ­ in: Rote Presse Korrespondenz (RPK) Jg.1 (1969), H.1 vom 22.2.1969, Westberlin, S.1-3 und REDAKTIONELLE ERKLÄRUNG des Berliner Extra-Dienst ­ vom 19.2.1969, in: ED Nr.15/III, S.3

/6/ siehe dazu BASISGRUPPEN-INFO, Nr.1, ­ Westberlin Februar 1969, Quelle: Privatbesitz

/7/ siehe dazu: KONZEPT DER BASISGRUPPEN (Strategie zum 1.Mai), ­ in: RPK Nr.5 vom 21.3.1969, S.1f; KAMPAGNE ZUM 1.MAI, ­ in: RPK Nr.7 vom 3.4.1969, S.5; ZUM 1.MAI, ­ in: RPK Nr.8 vom 11.4.1969, S.2; ARBEITERKONTROLLE, Protokoll der Sitzung des Maikomitees am 18.4.69, ­in: RPK Nr.10 vom 25.4.1969, S.5f

/8/ siehe dazu ARBEITERKONTROLLE, Protokoll der Sitzung des Maikomitees am 18.4.69, ­in: RPK Nr.10 vom 25.4.1969, S.5f; T.FICHTER, H.-J.GRUNE, J.HORLEMANN, D.KREIDT, P.NEITZKE, B.RABEHL, C.SEMLER, D.STURM: Brief des Maikomitees an die SEW vom 17.4.69, ­ in: RPK - SONDERDRUCK zum 1.Mai 69

/9/ Die Trennungen von der SEW wurden teilweise auch direkt an der Basis, dh.in den BG`s, im Wege von Auschlüssen vollzogen. Die Basisgruppe Zehlendorf steht hierfür exemplarisch. Siehe dazu BG ZEHLENDORF: Die Bündnispolitik des SEW in der Basisgruppe Zehlendorf, ­ in: RPK Nr.10 vom 25.4.1969, S.7

/10/ vgl. dazu die Reden auf der Maiveranstaltung: Die Reden von HEMMER, Eike (BG Wedding), SEMLER, Christian (SDS), WASCHKUHN, Günter (Rote Garde) und ZELLER, Wolfgang (Spartakus) auf der 1.Mai-Veranstaltung am 30.4.69 in der Hasenheide, ­ Zirkular für die westberliner Basisgruppen, vermutlich Mai 1969, Quelle: Privatbesitz